Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Achtundvierzigstes Kapitel

Zwischen der Nationalversammlung und der Gemeindebehörde bestand ein tiefes Zerwürfnis. Die Nationalversammlung war im Grunde nur ein Werkzeug in der Hand dieses Gemeinderates gewesen.

Die Nationalversammlung hatte dem König eine Zuflucht geboten; der Gemeinderat hätte den unglücklichen Monarchen gern in den Tuilerien überfallen und samt der Königin und dem Dauphin zwischen zwei Türen erdrückt. Die Nationalversammlung vereitelte diesen Plan, dessen Gelingen, wie schändlich er war, vielleicht ein großes Glück gewesen wäre.

Die Nationalversammlung gab sich also durch den Schutz, den sie dem König, ja selbst dem Hofe gewährte, als royalistisch zu erkennen. Dieselbe Gesinnung zeigte sie durch den Beschluß, daß der König den Luxemburgpalast bewohnen solle.

Um zur Diktatur zu gelangen, mußte der revolutionäre Gemeinderat alle Absichten und Maßregeln der Nationalversammlung zu vereiteln suchen. Die letztere hatte dem König den Luxemburgpalast zur Wohnung bestimmt; der Gemeinderat erklärte, nicht für den König bürgen zu können, wenn Ludwig XVI. den Luxemburgpalast bewohnte.

Die Nationalversammlung wollte wegen einer so unbedeutenden Sache nicht mit dem Gemeinderat brechen; sie überließ ihm die Wahl der königlichen Residenz.

Der Gemeinderat wählte den Temple. Diese Wahl war seiner würdig. Denn der Temple war kein Palast – nein, ein Gefängnis, ein niedriger, düsterer Turm.

Am 13. August abends wurden der König, die Königin, Madame Elisabeth, die Prinzessin von Lamballe, Frau von Tourzel, Herr von Chamilly, Kammerdiener des Königs, und Herr Hue, Kammerdiener des Dauphin, in den Temple gebracht.

Ganz Paris schien voller Freude. Es waren freilich dreitausend Bürger gefallen, aber der König, der Fremdling, der Erzfeind der Revolution, der Verbündete des Adels und des Klerus – der König war ein Gefangener.

Als der König aus dem Wagen stieg, fand er Santerre, der zehn Schritte vom Kutschenschlage zu Pferde hielt.

Der König trat ein, und da er noch nicht wußte, welche Wohnung ihm angewiesen worden war, verlangte er die Gemächer des »Palastes« in Augenschein zu nehmen.

Die Munizipalbeamten sahen einander lächelnd an und führten ihn in allen Zimmern des Temple umher.

Um zehn Uhr war das Abendessen aufgetragen. – Während der Mahlzeit stand Manuel neben Ludwig XVI. Er war nicht mehr Diener, sondern Kerkermeister.

Um elf Uhr gab einer der Kommissare den Kammerdienern Befehl, das wenige Bettzeug zu nehmen und ihnen zu folgen.

»Wohin?« fragten die Kammerdiener.

»In die Schlafgemächer eurer Herrschaft«, antwortete der Kommissar; »der Palast ist nur die Wohnung für tagsüber.«

»Mein Gott!« sagte der Kammerdiener, »Sie werden uns doch nicht in diesen Turm führen?«

»Allerdings, die Zeit der Paläste ist vorüber. Du wirst jetzt sehen, wie man den Mörder des Volkes unterbringt!«

Im ersten Stockwerk blieben die Kammerdiener stehen; aber der Mann mit der Laterne ging weiter hinauf. Im zweiten Stockwerke endlich schloß er eine im Seitengange befindliche Tür auf.

Man trat in ein Zimmer, das nur ein Fenster hatte und dessen Einrichtung aus drei bis vier Stühlen, einem Tisch und einem schlechten Bett bestand.

»Welcher von euch beiden ist der Bediente des Königs?« fragte der Munizipalbeamte.

»Ich bin sein Kammerdiener«, antwortete Chamilly.

Die beiden Diener ließen sich nicht abschrecken und begannen Zimmer und Bett zu reinigen.

Der König kam kurz darauf.

»Oh, Sire,« sagten sie, »welche Schmach!«

Ludwig XVI. blieb ganz gelassen, er sah sich um, aber sagte kein Wort.

Als das Bett gemacht war, legte er sich nieder und schlief so ruhig ein, als ob er in den Tuilerien gewesen wäre.

Die Wohnung der Königin bestand aus vier Zimmern.

Sie war etwas sauberer als das Zimmer des Königs. Es schien fast, als ob sich die neuen Machthaber des gegen den König gespielten Betruges schämten; denn Manuel erschien mit der Meldung, daß der Stadtbaumeister, der Citoyen Palloy, sich mit dem König verständigen werde, um die künftige Wohnung der königlichen Familie so bequem als möglich zu machen. – –

Am Abend des 10. August, als der Kanonendonner schwieg, als das Gewehrfeuer nach und nach erlosch, trug eine Schar trunkener, zerlumpter Leute den Mann der Finsternis, den Uhu mit den blitzenden Augen, den Propheten des Pöbels – den Unhold Marat auf den Armen ins Stadthaus.

Er ließ es ruhig geschehen, denn es war ja nichts mehr zu fürchten, der Sieg war entschieden, und die blutige Wahlstatt den Wölfen, Geiern und Raben preisgegeben. Der Pöbelhaufe hatte ihn hervorgezogen, als er eben den Kopf aus seinem Kellerloch steckte und lauschte – und nun nannte man ihn den Sieger des 10. August!

Die »Citoyens Sansculottes« setzten ihren Abgott Marat mitten im Gemeinderate ab; sein Anblick erregte bei einigen Gelächter, bei andern Widerwillen oder Entsetzen. Die letzteren hatten recht.

Die Nationalversammlung hatte das Gemetzel vom 10. August voller Schrecken mit angesehen, ohne es verhindern zu können. Danton hatte gesagt: »Wo die Tätigkeit der Justiz beginnt, muß die Rache des Volkes aufhören; ich übernehme daher vor der Nationalversammlung die Verpflichtung, die in ihrer Mitte befindlichen Personen zu beschützen; ich werde mich an ihre Spitze stellen, ich bürge für sie.«

So hatte Danton gesprochen, bevor Marat im Gemeinderat erschien. Nach seinem Erscheinen bürgte er für nichts mehr.

Lacroix, der vormalige Offizier, einer der hundert Riesenarme Dantons, bestieg die Tribüne und beantragte die Einsetzung eines Kriegsgerichtes, vor das Schweizer, Offiziere und Soldaten gestellt werden sollten. Der Nationalgardekommandant Santerre sollte die Mitglieder dieses Kriegsgerichtes ernennen.

Die Idee Lacroix' oder vielmehr Dantons war folgende: In das Kriegsgericht würde man natürlich Männer wählen, die gekämpft hatten, wer selbst Mut besitzt, weiß auch den Mut bei andern zu schätzen.

Daß es eine Maßregel der Milde und Menschlichkeit war, geht daraus hervor, daß der Gemeinderat sie zurückwies. Marat wollte kürzer verfahren, er verlangte Köpfe, nur Köpfe und immer wieder Köpfe . . . Vernünftige Abgeordnete wehrten sich, man ging mit Bittschriften gegen sie vor.

Den Petitionen folgten Drohungen. Die Ausschußmänner erschienen an den Schranken und erklärten: »Wenn binnen drei Stunden der Direktor des Schwurgerichts nicht ernannt ist und die Geschworenen nicht in der Lage sind, ihre Tätigkeit zu beginnen, so wird großes Unglück über Paris kommen!«

Gegen diese letzte Drohung war kein Widerstand mehr möglich, die Nationalversammlung ernannte einen außerordentlichen Gerichtshof. Am 20. trat er zusammen und verurteilte einen Royalisten zum Tode.

Der Verurteilte wurde am Abend des 21. bei Fackelschein auf dem Karussellplatze mit der Guillotine hingerichtet. Diese erste Hinrichtung machte einen so furchtbaren Eindruck, daß selbst der Henker die Besinnung verlor. Als er das Haupt dieses ersten Verurteilten, der den grauenvollen Reigen eröffnete, dem Volke zeigte, schrie er laut auf, ließ den Kopf auf das Steinpflaster fallen und sank nieder. Seine Gehilfen hoben ihn auf, er war tot.

 


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