Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Sechzehntes Kapitel

Einige Tage nach der Hinrichtung des Marquis von Favras ritt ein Mann auf einem Apfelschimmel langsam die Hauptallee von Saint-Cloud hinan.

Als er das Ende der Allee erreicht hatte, ritt er ohne Zögern durch das Gittertor und sah sich in dem weiten Schloßhofe um.

Auf der rechten Seite wartete vor einem Nebengebäude ein Mann, der dem Reiter einen Wink gab.

Dieser neigte sich auf den Hals seines Pferdes und fragte leise:

»Herr Weber?«

»Herr Graf von Mirabeau?« antwortete der andere.

»Ja, der bin ich«, sagte der Reiter und stieg behender ab, als man hätte erwarten können.

»Kommen Sie, Herr Graf,« sagte Weber, »die Königin erwartet Sie.«

Weber führte den Grafen in das Vorzimmer eines kleinen Pavillons, klopfte leise an eine Tür und öffnete diese.

»Der Herr Graf Riquetti von Mirabeau«, meldete er.

Dann trat er auf die Seite, um den Grafen durchzulassen.

Als der Graf gemeldet wurde, erhob sich in dem entferntesten Winkel des Zimmers eine weibliche Gestalt und ging ihm zögernd, fast erschrocken entgegen.

Es war die Königin.

Auch ihr Herz schlug ungestüm; sie hatte den gehaßten, verschrienen Mann vor sich; den Mann, den sie als den Haupturheber ihres Unglücks betrachtete.

Als Mirabeau einige Schritte vorgetreten war, verneigte er sich ehrerbietig und wartete.

Die Königin brach nach einer kurzen Pause das Schweigen und sagte bewegt:

»Herr von Mirabeau, der Doktor Gilbert gab uns einst die Versicherung, daß Sie geneigt wären, sich uns anzuschließen. Man machte Ihnen einen Antrag, den Sie mit einer Ministerkombination beantworteten. Es ist nicht unsere Schuld, Herr Graf, daß diese Kombination nicht zustande gekommen ist.«

»Ich glaube es,« antwortete Mirabeau, »und am wenigsten ist es die Schuld Eurer Majestät . . . Die Kombination scheiterte an dem Widerstand gewisser Leute, die sich das Ansehen treuer Anhänger der Monarchie zu geben wissen.«

»Solche Täuschungen, Herr Graf, sind von unserer Stellung unzertrennlich . . . Die Könige können so wenig ihre Freunde wie ihre Feinde auswählen; sie sind zuweilen gezwungen, Dienste anzunehmen, die ihnen verderblich werden.«

»Eure Majestät werden mich gewiß nicht zu denen zählen, die Sie als Ihre Gegner betrachten. Es ist freilich spät, sehr spät, ich weiß es wohl. Vielleicht vermag ich nur noch unterzugehen mit der Monarchie, zu deren Rettung ich heute berufen werde. Wenn ich mir's recht überlegt hätte, so würde ich vielleicht einen andern Augenblick gewählt haben, um der huldreichen Einladung Eurer Majestät Folge zu leisten; denn eben jetzt, da das Rote Buch,Das berüchtigte geheime Kassenbuch, in welchem alle an Günstlinge ausgezahlten geheimen Pensionen und Gnadengeschenke aufgezeichnet standen. Die Summe der Gelder, welche dadurch dem Staatsschatze entzogen worden war, belief sich unter Ludwig XVI. auf 860 Millionen Franks. das heißt, die Ehre der Freunde des Königs, der Nationalversammlung überliefert ist . . .«

»Glauben Sie denn, Herr Graf,« unterbrach ihn die Königin, »daß der König an diesem Verrat teilgenommen habe? Das Rote Buch ist vom König auf dringendes Verlangen und unter der Bedingung ausgeliefert worden, daß das Komitee den Inhalt desselben geheimhalte. Das Komitee hat es drucken lassen; das ist eine Wortbrüchigkeit gegen den König, und keineswegs ein Verrat des Königs gegen seine Freunde.«

»Diese Veröffentlichung,« erwiderte Mirabeau, »mißbillige ich als Mann von Ehre, ich verleugne sie als Abgeordneter. Warum gibt der König eine Waffe heraus, die man so grausam gegen ihn wenden kann? Wenn ich die Ehre hätte, der Ratgeber Seiner Majestät zu sein, wäre es nicht geschehen; ich würde ihm dienen als Apostel der durch die monarchische Gewalt gewährleisteten Freiheit. Diese Freiheit hat drei Feinde: Klerus, Adel und Parlament. Der Klerus gehört nicht mehr unserer Zeit an; der Antrag des Herrn von Talleyrand hat ihm den Todesstoß gegeben; der Adel gehört allen Zeiten an, ich glaube daher, daß man auf ihn zählen muß, denn ohne Adel gibt es keine Monarchie; aber man muß ihn zügeln, und das ist nur möglich, wenn man das Volk mit der königlichen Autorität verbündet. Die königliche Autorität wird sich aber nie aufrichtig mit dem Volke verbünden, solange die Parlamente bestehen, denn sie schmeicheln dem König wie dem Adel mit der verderblichen Hoffnung, die alte Ordnung der Dinge wiederherzustellen. Nach der Allgewalt des Klerus muß daher die Macht der Parlamente gebrochen werden. Wiederherstellung der königlichen Autorität und Vereinigung derselben mit der Freiheit des Volkes, das ist meine ganze Politik; wenn es auch die Politik des Königs ist, so erkläre er es frei und offen, wenn nicht, so weise er sie zurück.«

»Herr Graf,« erwiderte die Königin, die nun auf einmal Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in hellem Lichte erblickte, »ich weiß nicht, ob der König diese Politik zu der seinigen machen wird; aber ich würde sie zu der meinigen machen, wenn ich über etwas zu entscheiden hätte. Nennen Sie mir daher die Mittel, durch welche Sie jenen Zweck zu erreichen gedenken; ich werde Ihnen nicht nur mit Aufmerksamkeit, sondern auch mit Dank zuhören.«

Dieser Triumph über die kluge, geistvolle Marie Antoinette schmeichelte der Eitelkeit Mirabeaus.

»Eure Majestät,« sagte er, »werden nicht verkennen, daß wir auf Paris jetzt nicht mehr zählen können; aber in den Provinzen haben wir zahlreiche Freunde, die wir zu einer starken Macht vereinigen können. Ich rate daher, daß der König Paris, aber nicht Frankreich verlasse, daß er sich nach Rouen zur Armee begebe, daß er von dort aus populärere Dekrete erlasse als die Nationalversammlung. Kurz, der König werde revolutionärer als die Revolution, und es ist kein Bürgerkrieg zu fürchten.«

»Aber fürchten Sie die Revolution nicht, Herr Graf?« fragte die Königin. »Mich dünkt doch, sie sei gefährlich, ob sie nun vor uns herschreite oder uns folge.«

»Jawohl, Eure Majestät; ich glaube besser als irgend jemand zu wissen, daß man ihr Zugeständnisse machen muß. Zu dieser Revolution hat jedermann, vom König bis zu dem geringsten seiner Untertanen, beigetragen. Ich bin daher weit entfernt, jene alte Monarchie zu verteidigen; aber ich suche sie neu zu gestalten. Nachdem der König, wie mir Herr Gilbert gesagt, einen flüchtigen Blick auf das Gefängnis und das Blutgerüst Karls I. geworfen hat, würde sich Seine Majestät wohl mit dem Thron Wilhelms III. oder Georgs I. begnügen.«

»Oh, Herr Graf,« sagte die Königin, die sich mit Schaudern an die Vision im Schlosse Faverney und an die Zeichnung des von Guillotin erfundenen Todeswerkzeuges erinnerte, »geben Sie uns jene Monarchie zurück, und Sie werden sehen, ob wir so undankbar sind, wie man uns vorwirft.«

»Ich will es tun«, erwiderte Mirabeau zuversichtlich. »Ich hoffe bei Eurer Majestät und bei meinem erhabenen Monarchen die nötige Stütze und Ermutigung zu finden, und ich schwöre hier zu Ihren Füßen, daß ich mein Versprechen halten oder das Leben dabei lassen werde.«

»Graf, Graf!« sagte Marie Antoinette, »vergessen Sie nicht, daß Ihr Schwur nicht bloß von zwei weiblichen Ohren gehört wird, sondern von einer fünfhundertjährigen Dynastie.«

»Ich kenne die Bedeutung der Verpflichtung, die ich übernehme; wenn ich in der Huld meiner Königin und in dem Vertrauen meines Königs eine Stütze finde, so werde ich das große Werk vollbringen.«

»Ich verspreche Ihnen beides, Herr Graf, wenn dies die einzige Hilfe ist, die Sie brauchen.«

Mirabeau verbeugte sich und drückte seine Lippen auf die Hand der Königin, dann richtete er sich stolz auf und sagte:

»Eure Majestät . . . durch diesen Handkuß wird die Monarchie gerettet.«

 


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