Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Zwölftes Kapitel

Mit General Lafayettes Erlaubnis hatte der Schlossermeister Gamain mit einem Lehrling freien Zutritt zum König erhalten; wenige Tage, nachdem diese erteilt war, erschien auch schon Gamain, bei dem Graf Louis inzwischen Lehrling geworden war. Man unterhielt sich lange über den Bau eines Schrankschlosses, bis es dem Könige, der den Grafen gleich erkannt hatte, gelang, unter einem Vorwand mit Graf Louis nach seinen Gemächern zu gehen.

Dieses Mal begab sich Ludwig XVI. nicht auf der Haupttreppe, sondern auf einer geheimen, für seinen ausschließlichen Gebrauch bestimmten Treppe in sein Arbeitszimmer.

»Endlich sind wir allein, lieber Graf«, sagte er. »Vor allem habe ich Ihnen über Ihre Gewandtheit meine Bewunderung und für Ihre Ergebenheit meinen Dank auszudrücken.«

»Und ich, Sire,« antwortete der junge Graf, »habe um Entschuldigung zu bitten, daß ich in diesem Anzuge vor Eurer Majestät erschienen bin.«

»Unter Ihrer Kleidung schlägt ein biederes Herz . . . . Aber wir haben keine Zeit zu verlieren; Ihre Anwesenheit ist ein Geheimnis, selbst die Königin weiß nicht darum, sagen Sie mir geschwind, was Sie hierherführt.«

»Der Graf von Charny überbrachte meinem Vater einen Brief.«

»Es war ein Einführungsschreiben zum Zwecke einer Unterredung.«

»Dieses mündlichen Auftrages hat er sich entledigt, Sire, und eben in dieser Angelegenheit bin ich auf Befehl meines Vaters nach Paris gekommen. Ich weiß, daß Eure Majestät die Gewißheit haben möchten, Frankreich in einem gegebenen Augenblicke verlassen zu können.«

»Und daß ich auf den Marquis von Bouillé zähle, daß ich keinen Mann kenne, der mich dabei wirksamer unterstützen könnte.«

»Und mein Vater ist sehr dankbar für die Ehre, die Sie ihm erweisen, Sire.«

»Doch zur Hauptsache. Was sagt er zu dem Plane?«

»Erlauben mir Eure Majestät, Ihnen den Plan meines Vaters vorzulegen.«

»Reden Sie«, sagte der König, der sich auf die Karte von Frankreich neigte, um der von dem jungen Grafen anzugebenden Reiseroute auf dem Papier zu folgen.

»Sire, Eure Majestät können sich in verschiedenen Richtungen entfernen.«

»Allerdings.«

»Zuerst in der Richtung nach Besançon, Sire, dann Valenciennes.«

Ludwig XVI. machte eine Kopfbewegung, welche bedeutete: Nennen Sie einen anderen Plan.

»Eure Majestät könnten sich auch durch die Ardennen nach Österreichisch-Flandern begeben«, fuhr der junge Kavalier fort. »Von da könnten Sie über dieselbe Grenze zurückkehren und eine inzwischen mit Truppen hinlänglich besetzte Festung zum Aufenthalte wählen.«

»Ich werde Ihnen sogleich sagen, warum ich Sie frage, ob Sie nichts Besseres wissen.«

»Endlich können sich Eure Majestät unmittelbar nach Sedan oder Montmédy begeben. Dort würde der General ganz frei handeln und Ihre Befehle ungehindert vollziehen können. Eure Majestät mögen nun Frankreich verlassen oder sich wieder nach Paris wenden wollen.«

»Lieber Graf,« erwiderte der König, »am liebsten würde ich mich für den letzten Plan entscheiden.«

»Haben Eure Majestät diese Flucht schon fest beschlossen?«

»Lieber Louis,« antwortete Ludwig XVI., »wenn ich sehe, daß die Königin und meine Kinder wieder in Gefahr sind wie in der Nacht vom 5. bis 6. Oktober, so werde ich mich entschließen.«

»Jetzt erlauben mir Eure Majestät,« fuhr der junge Graf fort, »die Ansicht meines Vaters über die Art der Reise auszusprechen . . . .«

»Oh, sagen Sie, was meint Ihr Vater?«

»Er meint, Sire, man könne die Gefahren der Reise vermindern, wenn man sie teilt.«

»Erklären Sie sich.«

»Eure Majestät würden mit Madame Royal und Madame Elisabeth, die Königin mit dem Dauphin reisen, so daß . . .«

Der König ließ den Grafen von Bouillé nicht ausreden.

»Über diesen Punkt verlieren Sie nur keine Worte, lieber Louis,« sagte er, »ich werde mich von der Königin nicht trennen.«

Der junge Graf verneigte sich.

»Wenn der Augenblick gekommen ist, geruhen Eure Majestät Ihre Befehle zu erteilen,« sagte er, »und diese Befehle sollen pünktlich vollzogen werden.«

»Ich habe mich für die Straße über Châlons und Varennes entschieden. Verdun wird nicht berührt. Die Regimenter werden in die kleinen Städte zwischen Montmédy und Chalons verlegt.«

Bei diesen Worten öffnete der König die Tür der geheimen Treppe. Es war Zeit; der Schlossermeister war schon auf der untersten Stufe und hatte das Schloß in der Hand.

Gegen acht Uhr abends verließ Gamain weinberauscht den Palast. Er ging den Quai de la Savonnerie entlang, der damals ungemein belebt war.

Vor dem ersten Wirtshause schien Gamain einen schweren inneren Kampf zu bestehen. Er fragte sich, ob er in das Wirtshaus gehen sollte oder nicht. Aber er blieb Sieger und ging nicht hinein.

Bei dem zweiten wiederholte sich dieselbe Versuchung, und diesesmal konnte ein Unbekannter, der ihm wie sein Schatten folgte, die begründete Vermutung hegen, daß er nicht länger widerstehen werde, aber auch diesesmal trug die Mäßigkeit den Sieg davon. Da sich jedoch die Versuchung gar zu oft wiederholte, so erlag ihr Gamain schließlich; er ging in ein Wirtshaus und trank ein Glas Wein; der Unbekannte wartete draußen geduldig.

Aber wer kann sagen, wann die Lippen, die sich einmal an dem verhängnisvollen Becher der Trunkenheit benetzt haben, nicht mehr trinken werden? Nichts macht bekanntlich mehr Durst als das Trinken. Kaum hatte Gamain hundert Schritte gemacht, so fühlte er das Bedürfnis, seinen Durst von neuem zu löschen; aber dieses Mal verlangte er eine halbe Flasche.

Der Schatten, der ihm unablässig folgte, schien über die Verzögerung, welche dieses Erfrischungsbedürfnis zur Folge hatte, keineswegs unzufrieden zu sein; hundert Schritte weiter verlangte der Meister eine ganze Flasche. Schließlich nahm er sich noch eine entkorkte mit.

In einem geschickten Bogen passierte er die Barriere von Passy, hinter der die Wirtshäuser bald aufhörten, aber er trug ja seine Freude bei sich. Schließlich begann Gamain zu fluchen:

»Es ist himmelschreiend!« lallte er, – »einem alten Kameraden . . . einem Meister . . . solchen Krätzer vorzusetzen . . . Ich sage zu seinem fuchsschwänzenden Lehrburschen, der mir durchgegangen ist: Prosit Mahlzeit, Sire! . . . Bessern Sie Ihre Schlösser nur selbst aus! . . . Oh, es ist himmelschreiend . . . Ihr habt mich vergiftet!«

Das Gift mochte wohl sehr stark wirken, denn das unglückliche Opfer fiel zum dritten Male der Länge nach auf die gepflasterte Landstraße, die zum Glück mit einer dicken Kotschicht bedeckt war, und konnte dieses Mal nicht mehr aufstehen.

Der Unbekannte, der ihm mit großer Beharrlichkeit gefolgt war, hielt einen zufällig vorüberfahrenden Fiaker an.

»Hört, Freund,« sagte er zu dem Kutscher, »meinem Kameraden ist unwohl geworden, bringt den armen Teufel in das Wirtshaus an der Brücke zu Sèvres,– ich setze mich neben Euch auf den Bock.«

In einer Stunde hielt der Fiaker vor dem Wirtshause an der Brücke zu Sèvres.

Das Ausladen des Gamain nahm wohl zehn Minuten in Anspruch. Dann finden wir den würdigen Meister an demselben Tische und demselben Büchsenmacher gegenüber, wie im ersten Kapitel dieser Geschichte.

Meister Gamain saß bereits in der steifen Haltung einer Wachsfigur auf einem Sessel, den Kopf an die Wand gelehnt. Der Unbekannte bestellte sogleich zwei Flaschen Wein und eine Flasche Wasser und hielt dem Schlossermeister ein Riechfläschchen unter die Nase.

Als sein durchdringender Geruch dem Schlosser in die Nase stieg, riß er die Augen auf und begann stark zu niesen.

»Er . . . er hat mich vergiftet!« lallte er.

Der Büchsenmacher schien mit Vergnügen zu bemerken, daß Meister Gamain noch immer von derselben fixen Idee verfolgt wurde.

»Einen Freund . . . einen Freund zu vergiften! . . .«

»Es ist fürchterlich!« sagte der Büchsenmacher.

»Fürchterlich! . . .« lallte Gamain.

»Schändlich!« sagte Numero eins.

»Schä . . . ändlich!« wiederholte Numero zwei.

»Zum Glück«, erwiderte der Büchsenmacher, »war ich da, um Euch Gegengift zu geben.«

»Ja . . . zum Glück«, stammelte Gamain.

Gamain hatte inzwischen die Augen zum zweiten und dritten Male aufgerissen und mit jener innigen Dankbarkeit, die jeder Trunkenbold innerhalb der vier Wände eines Wirtshauses empfindet, das trauliche Gastzimmer erkannt.

»Aha! Jetzt weiß ich, wo ich bin,« sagte er, »den halben Weg habe ich gemacht.«

»Jawohl, das habt Ihr mir zu danken«, sagte der Büchsenmacher.

»Wie, Euch?« fragte Gamain erstaunt. »Wer seid Ihr denn?«

»Lieber Meister Gamain,« erwiderte der Unbekannte, »diese Frage beweist, daß Ihr ein kurzes Gedächtnis habt.«

Gamain sah den andern noch aufmerksamer an als das erstemal.

»Ja, richtig,« sagte er, »es ist mir wirklich, als ob ich Euch schon gesehen hätte . . . hier habe ich Euch gesehen!«

»Richtig. Schlosser und Büchsenmacher sind ja Geschwisterkinder.«

»Aha, jetzt erinnere ich mich! . . . Es war am 6. Oktober, als der König nach Paris fuhr. Wir sprachen noch von ihm . . .«

»Und ich fand so viel Vergnügen an dem Gespräch, Meister Gamain, daß ich jetzt wieder ein Stündchen mit Euch plaudern möchte . . . Jetzt werdet Ihr mir vielleicht sagen können, was Ihr vor einer Stunde mitten auf der Landstraße machtet.«

»Wißt Ihr gewiß, daß ich auf der Landstraße lag?«

»Seht Euch nur einmal an.«

»Oho, meine Alte wird böse werden«, sagte er; »sie sagte gestern zu mir: ›Zieh deinen Sonntagsrock nicht an; deine alte Jacke ist gut genug für die Tuilerien.‹«

»Wie, für die Tuilerien?«

Gamain kratzte sich den Kopf und suchte seine noch ganz zerstreuten Gedanken zu sammeln.

»Ja, ja . . . richtig«, sagte er; »ich war in den Tuilerien . . . warum nicht? Es ist ja kein Geheimnis, daß ich der Schlossermeister des Herrn Veto war.«

»Wie, Herr Veto? Wen nennt Ihr denn Herrn Veto?«

»Was! Ihr wißt nicht, daß man den König so nennt? Kommt Ihr denn aus China?«

»Ihr dürft Euch darüber nicht wundern; ich treibe mein Geschäft und kümmere mich nicht um Politik.«

»Da seid Ihr glücklich . . . mich zwingt man dazu . . . und das wird mein Unglück sein!«

»Ihr habt mit dem König gearbeitet?« fuhr der Unbekannte fort. »Er hat Euch fünfundzwanzig Louisdor gegeben . . .«

»Ja, richtig!« sagte Gamain; »ich hatte wirklich fünfundzwanzig Louisdor in der Tasche . . .«

Gamain griff hastig in die Tasche.

»Wartet nur«, sagte er; »fünf, sechs, sieben . . . wie konnte ich das auch vergessen! zwölf, dreizehn, vierzehn . . . fünfundzwanzig Louisdor sind wahrhaft keine Kleinigkeit! siebzehn, achtzehn, neunzehn . . . eine so runde Summe findet man heutzutage nicht auf der Straße! drei-, vier-, fünfundzwanzig! . . . Gott sei Dank, sie sind alle da!«

»Ich sagte es ja, und wenn ich es sage, könnt Ihr's glauben.«

»Kann ich's glauben? . . . Woher wußtet Ihr denn, daß ich fünfundzwanzig Louisdor bei mir hatte?«

»Lieber Meister Gamain, ich habe Euch schon gesagt, daß ich Euch mitten auf der Landstraße liegend fand. Dann rief ich einen zufällig vorüberfahrenden Fiaker; ich machte eine Laterne von dem Wagen los, und während ich Euch anschaute, sah ich zwei oder drei Louisdor in der Nähe Eurer Tasche liegen. Der Kutscher schüttelte den Kopf und sagte: ›Nein, den fahre ich nicht!‹ – ›Warum nicht?‹ – ›Weil er für sein Gewand zu reich ist.‹ – ›Was,‹ sagte ich, ›Ihr meint, wir hätten es mit einem Spitzbuben zu tun?‹ – Das Wort schien Euch aufzuwecken. – ›Was, ich ein Spitzbub?‹ sagtet Ihr. ›Ich habe fünfundzwanzig Louisdor in der Tasche, weil mein Lehrling, der König von Frankreich sie mir gegeben hat‹, antwortetet Ihr. – An diesen Worten glaubte ich Euch zu erkennen; ich hielt Euch die Laterne vors Gesicht. ›Ei! jetzt klärt sich alles auf: es ist Meister Gamain von Versailles; er hat mit dem Könige gearbeitet, und der König hat ihm fünfundzwanzig Louisdor für seine Mühe gegeben . . . Kommt nur, ich stehe gut für ihn.‹ – Der Kutscher hatte nun nichts mehr einzuwenden. Ich steckte die Goldstücke wieder in Eure Tasche, der Kutscher trug Euch in den Wagen; ich stieg auf den Bock; wir fuhren bis hierher, und da seid Ihr, Gott sei Dank! im Trockenen, und beklagt Euch über nichts, als über Euern Lehrburschen, der Euch durchgegangen ist.«

»Ich habe von meinem Lehrburschen gesprochen?« rief Gamain, dessen Erstaunen immer größer wurde.

»Wißt Ihr denn nicht mehr, was Ihr gesagt habt?«

»Ich?«

»Jawohl; Ihr sagtet ja soeben: ›Das ist die Schuld des Schlingels‹ . . . ich erinnere mich nicht mehr, welchen Namen Ihr nanntet . . .«

»Louis Lecomte!«

»Ganz recht . . . Ihr sagtet soeben: ›Das ist die Schuld des Schlingels Louis Lecomte, der mir versprochen hatte, mit nach Versailles zu gehen und nun durchgegangen ist.‹«

»Es ist wohl möglich, daß ich das gesagt habe, es ist ja die Wahrheit.«

»Ich muß gestehen, daß Ihr Euerem Freunde ungeheuer viel Vertrauen schenkt! Erst sagt Ihr ja, und dann wieder nein. Gerade wie das letztenmal: Ihr wolltet mir eine Geschichte aufbinden, die nur ein Einfaltspinsel glauben kann.«

»Was für eine Geschichte?«

»Die Geschichte von der geheimen Tür, die Ihr im Hause eines vornehmen Herrn beschlagen habt.«

»Nun, Ihr mögt mir's glauben oder nicht, es war diesesmal wieder von einer Tür die Rede.«

»Beim Könige?«

»Ja, beim Könige . . . nur ist's keine Treppentür, sondern eine Schranktür.«

»Und Ihr wollt mir aufbinden, der König, der das Schlossergewerbe zu seinem Vergnügen treibt, habe Euch holen lassen, um eine Tür zu beschlagen? Das kann ich nicht glauben!«

»Es ist aber doch so.«

»Da hat der König Euch wohl durch einen seiner alten Kammerdiener holen lassen?«

»Eben darin irrt Ihr Euch, Freund. Der König hatte einen Gehilfen angenommen. Der Geselle kommt nach Versailles und sagt zu mir: ›Hört, Vater Gamain, der König hat ein Schloß gemacht, und ich habe ihm geholfen, aber das verteufelte Ding will nicht schließen!‹ – ›Was soll ich denn dabei tun‹ sagte ich. – ›Ihr sollt es instandsetzen, was denn sonst?‹ – Und als ich zu ihm sagte: ›Es ist nicht wahr, du kommst nicht vom König, du willst mich in eine Falle locken‹, – da antwortete er: ›Zum Beweis, daß mich der König schickt, bringe ich Euch hier fünfundzwanzig Louisdor. Hier‹, sagte er, und zählte sie mir auf.«

»Das sind also die fünfundzwanzig Louisdor, die Ihr bei Euch habt?« fragte der Büchsenmacher.

»Nein, nein, das sind andere. Die ersten fünfundzwanzig waren nur eine Abschlagszahlung.«

»Was? Fünfzig Louisdor? Da stimmt etwas nicht, Meister Gamain!«

»Das meine ich auch; denn schauen Sie, der Geselle . . .«

»Ja, aber was habt Ihr denn beim König gemacht?« unterbrach ihn der Unbekannte, der das Gespräch wieder auf den interessantesten Punkt zu lenken suchte.

»Wir schienen erwartet zu werden«, erwiderte der Schlosser. »Der König gab mir ein Schloß, das wahrlich nicht schlecht angefangen war, aber er war bei den Riegeln steckengeblieben. Der König sagte: ›Tue nur, als ob du zu Hause wärst, Gamain; arbeite nur fleißig, wir wollen unterdessen den Schrank herrichten.‹ Darauf ging er mit dem Gesellen fort.«

»Ging er die große Treppe hinunter?« fragte der Büchsenmacher gleichgültig.

»Nein, die kleine Treppe, die in sein Arbeitskabinett führt; als ich fertig war, ging ich ihnen nach. Ich mußte ganz geschwind durch das Kabinett gehen; aber im Vorbeigehen sah ich doch eine große Landkarte auf dem Tische, eine Karte von Frankreich.«

»Und Ihr habt auf dieser Landkarte nichts Besonderes bemerkt?«

»Jawohl: drei lange Reihen Stecknadeln, die von einem Mittelpunkt nach verschiedenen Seiten hin ausliefen; es kam mir vor wie die drei Armeen, die auf verschiedenen Straßen nach der Grenze marschierten.«

»Und Ihr glaubt, der König und Euer Gehilfe hätten nicht an dem Schranke gearbeitet, sondern die Landkarte angeschaut?«

»Ja, ich weiß es ganz gewiß. Die Stecknadeln hatten nämlich Köpfe von rotem Wachs. Der König hatte eine Stecknadel mit rotem Kopf in der Hand und stocherte sich damit die Zähne. Wartet nur, das ist noch nicht alles. Es war wirklich ein Schrank da!«

»Wirklich! Wo denn?«

»Ja, wo denn? . . . der Schrank war in der Mauer des inneren Korridors, der vom Alkoven des Königs zu dem Zimmer des Dauphin führt.«

»Das ist wahrhaftig merkwürdig, lieber Gamain! . . . Und der Schrank war offen?«

»Da seid Ihr im Irrtum. Ich dachte: wo mag denn der Schrank sein? Da sah sich der König um und sagte zu mir: ›Gamain, ich habe Vertrauen zu dir.‹ Darauf nahm der König ein Stück von der getäfelten Wand heraus, und ich bemerkte ein rundes Loch, das ungefähr zwei Fuß im Durchmesser hatte. Als er mein Erstaunen sah, sagte er zu mir: ›Lieber Gamain, siehst du dieses Loch? Ich habe es gemacht, um Geld darin zu verstecken. Jetzt mußt du das Schloß an der eisernen Tür festmachen.‹ Nach drei Stunden – ich hatte inzwischen fleißig gearbeitet – kam der König wieder und fragte mich: ›Nun, Gamain, wie steht's?‹ – ›Fertig, Sire‹, antwortete ich, und zeigte ihm die eiserne Tür. – ›Gut, Gamain‹ sagte er. ›Du kannst mir das Geld zählen helfen, das ich in dem Wandschrank verstecken will.‹ – Dann ließ er vier Säcke mit doppelten Louisdors bringen; ich zählte eine Million und er auch; und da fünfundzwanzig Louisdor übrig blieben, sagte er: ›Dies ist für deine Bemühung, Gamain . . . ist es nicht eine Schande, von einem armen Mann, der fünf Kinder hat, eine Million in blanken Louisdors zählen zu lassen und ihm dann ein Trinkgeld von fünfundzwanzig Louisdor zu geben! . . .«

»Ja,« sagte der Unbekannte, »das Trinkgeld ist so groß nicht.«

»Kurz darauf kam die Königin herein und brachte mir Kuchen und Wein.«

Der Unbekannte wußte genug und die beiden Männer trennten sich.

 


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