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Am selben Abend erschien Dumouriez zur verabredeten Stunde mit seinen vier Depeschen. Degrave und Cahier de Gerville waren schon da und erwarteten den König.
Als der König eintrat, glaubte Dumouriez zu bemerken, daß die Tür offenblieb und daß sich die Tapete bewegte.
»Haben Sie Ihre Depeschen mitgebracht, Herr Dumouriez?« fragte Ludwig XVI. den General.
»Ja, Sire.«
Er zog die vier Schriftstücke aus der Tasche.
»An welche Mächte sind die Depeschen gerichtet?« fragte der König.
»An Spanien, Österreich, Preußen und England.«
»Lesen Sie sie vor.«
Dumouriez warf einen Blick auf die Tapete, an deren Bewegung er sehen konnte, daß jemand horchte.
Mit fester Stimme begann er die Depeschen vorzulesen. Der Minister sprach im Namen des Königs, aber im Geiste der Verfassung; er erörterte das wahre Interesse jeder Macht in bezug auf die französische Revolution.
Da jede Macht über die jakobinischen Flugschriften Klage führte, so verwahrte er sich in würdevoller, nachdrücklicher Sprache gegen die Schmähungen über die Pressefreiheit.
In ebenso würdevollen, energischen Ausdrücken verlangte er den Frieden im Namen einer freien Nation, deren erblicher Vertreter der König sei.
Ludwig XVI. hörte aufmerksam zu, und bei jeder neuen Depesche wurde seine Aufmerksamkeit größer.
»General,« sagte er, als Dumouriez fertig war, »so etwas habe ich noch nicht gehört.«
»So sollten die Minister im Namen der Könige immer sprechen und schreiben!« sagte Cahier de Gerville.
»Es ist gut«, sagte der König. »Jetzt schlagen Sie Ihr Ministerium vor.«
»Dumouriez für die auswärtigen Angelegenheiten, Servan für den Krieg, Lacoste für die Marine.«
»Wen stellen wir an die Spitze der Finanzverwaltung?«
»Herrn Clavière, wenn Eure Majestät diese Wahl zu genehmigen geruhen. Er hat Erfahrung im Finanzwesen und zeichnet sich durch große Gewandtheit und Fleiß aus.«
»Ich weiß es,« erwiderte der König; »er steht in dem Rufe eines sehr tätigen und gewandten, aber auch jähzornigen, starrköpfigen Mannes.«
»Diese Fehler, Sire, sind fast allen Finanzmännern eigen.«
»Nun, wir wollen über diese Fehler hinweggehen; Herr Clavière ist Finanzminister . . . Wem übertragen wir die Verwaltung der Justiz?«
»Sire, man empfiehlt mir einen Herrn Duranthon, einen Advokaten von Bordeaux.«
»Dann bleibt noch die Verwaltung des Innern.«
»Nach der allgemeinen Meinung, Sire, ist Herr Roland der rechte Mann für dieses Ministerium.«
»Wissen Sie, Herr Dumouriez, wie man Ihr Ministerium nennen wird, oder vielmehr wie man es schon jetzt nennt?«
»Das Ministerium Sansculotte.«Wörtlich: ohne Culotten. Culotten waren die Kniehosen, die die höheren Stände trugen und von den Revolutionsmännern abgelegt wurden.
»Ich nehme die Benennung an, Sire; man wird dann besser sehen, daß wir Männer sind.«
»Und alle Ihre Kollegen sind bereit?«
»Ich bin fest davon überzeugt.«
»Jetzt gehen Sie, meine Herren . . . Übermorgen ist die erste Sitzung.«
Die drei Minister entfernten sich. Aber noch ehe sie die große Treppe erreicht hatten, lief ihnen ein Kammerdiener nach.
»Herr General,« sagte er zu Dumouriez, »der König läßt Sie ersuchen, mir zu folgen; Seine Majestät hat Ihnen noch etwas zu sagen.«
Dumouriez blieb zurück.
»Der König oder die Königin?« fragte er den Kammerdiener.
»Die Königin, Herr General.«
»Das hatte ich gefürchtet.«
Der Kammerdiener führte den General durch die matt beleuchteten Gänge in das Zimmer der Königin.
Die Königin ging rasch im Zimmer auf und ab. Dumouriez blieb an der Tür stehen, die sich hinter ihm schloß.
Marie Antoinette trat mit majestätischer, aufgebrachter Miene auf ihn zu.
»Herr General,« sagte sie, »Sie sind jetzt allmächtig, aber Sie sind es durch die Gunst des Volkes geworden . . . Sie werden daher einsehen, daß alle diese Neuerungen weder mir noch dem Könige genehm sein können. Ich habe Sie daher rufen lassen, um Sie aufzufordem, Ihren Entschluß zu fassen, ehe Sie weitergehen, und zwischen uns und den JakobinernRadikale Partei zu wählen.«
»Madame,« antwortete Dumouriez, »diese Mitteilung erfüllt mich mit dem tiefsten Schmerz; aber ich war darauf gefaßt, da Eure Majestät die Verhandlungen hinter der Tapete angehört haben. Ich stehe zwischen dem Könige und der Nation, aber vor allem gehöre ich dem Vaterlande.«
»Dem Vaterlande!« wiederholte Marie Antoinette. »Ist denn der König nichts mehr?«
»Der König«, versetzte Dumouriez, »ist immer der König; aber er hat die Verfassung beschworen, und seit dem Tage, wo dieser Eid geleistet wurde, muß der König dieser Verfassung gemäß handeln.«
»Ein erzwungener Eid ist null und nichtig!«
Dumouriez schwieg einen Augenblick.
»Die von Eurer Majestät verschmähte Verfassung«, sagte er, »ist allein imstande, Sie und den König und Ihre erlauchten Kinder zu retten.«
Die Königin unterbrach ihn mit gebieterischer Gebärde:
»Ich sage Ihnen, Herr General, Sie sind auf falschem Wege! . . . Nehmen Sie sich in acht!« setzte sie drohend hinzu.
»Madame,« antwortete Dumouriez mit der größten Ruhe, »ich bin mehr als fünfzig Jahre alt und habe im Leben viele Gefahren bestanden; ich habe mein neues Amt mit dem Bewußtsein angetreten, daß die ministerielle Verantwortung keineswegs die größte der mir bevorstehenden Gefahren ist.«
»Oh, das fehlte auch noch!« sagte die Königin, in die Hände schlagend; »mich so zu verleumden!«
»Ich – Ew. Majestät verleumden!«
»Ja, ich will Ihnen den Sinn Ihrer Worte erklären. Sie meinen, ich sei imstande, Sie ermorden zu lassen . . . Oh, das ist zu viel!«
Dumouriez war so weit wie möglich gegangen.
»Gott bewahre mich,« sagte er, »meine Königin so zu beleidigen. Der Charakter Eurer Majestät ist zu groß, zu edel, um Ihrem ärgsten Feinde einen solchen Argwohn einzuflößen; Sie haben heldenmütige Beispiele davon gegeben, die meine Bewunderung erregt und Ihnen meine treue Ergebenheit gesichert haben.«
»Ist das wirklich Ihr Ernst?«
»Ich schwöre es bei meiner Ehre! Ich habe durchaus kein Interesse, Eure Majestät zu täuschen; ich verabscheue Anarchie und Verbrechen. Ich besitze Erfahrung und bin besser in der Lage als Eure Majestät, die Ereignisse zu beurteilen. Was jetzt vorgeht, ist die fast einhellige Erhebung einer großen Nation gegen veraltete Bräuche. Wir brauchen nur unsere Blicke auf die noch keineswegs vollendete Revolution zu richten, um die Überzeugung zu gewinnen, daß der König und die Nation einander die Hand reichen müssen. Ich bin gekommen, um diese Vereinigung nach Kräften zu fördern. Helfen Sie mir, Majestät, anstatt meine Pläne zu durchkreuzen. Sobald ich für Eure Majestät in die Schranken trete, werden Sie entweder wieder die mächtige Königin, die glückliche Gattin und Mutter, oder ich lasse mein Leben in dem Kampfe.«
Er stand auf, verneigte sich und verließ schnell das Zimmer.
Die Königin sah ihm mit tiefem Schmerze nach.
»Die mächtige Königin?« sagte sie, »das ist vielleicht noch möglich . . . aber die glückliche Frau werde ich nie, nie wieder! Oh, Charny!«
Dumouriez hatte sich so schnell entfernt, weil ihm der Schmerz der Königin weh tat. Überdies erwartete ihn Brissot, um ihn in den Jakobinerklub einzuführen.
Niemand war auf sein Erscheinen vorbereitet; denn es war ein großes Wagestück für einen Minister des Königs, in den Jakobinerklub zu kommen. Aller Blicke richteten sich daher auf ihn, sobald sein Name genannt wurde.
Selbst Robespierre sah sich um; eine unheimliche, bange Stille herrschte im Saale. Dumouriez sah wohl ein, daß er seine Schiffe hinter sich verbrennen mußte.
Die Jakobiner hatten die rote Mütze als Sinnbild der Gleichheit angenommen.
Dumouriez faßte rasch einen Entschluß; er nahm dem ersten besten Patrioten die rote Mütze ab, setzte sie sich auf, bestieg die Tribüne und hielt eine Ansprache über das Sinnbild der Gleichheit.
Der ganze Saal brach in lauten Beifall aus. Aber mitten unter dem Jubel hörte man ein Zischen, das immer stärker wurde und den Beifall plötzlich zum Schweigen brachte.
Es war ein langgedehntes »St!« aus den dünnen Lippen Robespierres.
Dumouriez gestand nachher mehr als einmal, daß das Pfeifen der über seinem Kopfe fliegenden Kanonenkugeln nie einen so unheimlichen Eindruck auf ihn gemacht habe, wie dieses Zischen aus dem Munde des Abgeordneten von Arras.
Aber Dumouriez war nicht nur ein tapferer General, sondern auch ein tüchtiger Redner; er war auf der Tribüne ebenso schwer zu überwinden wie auf dem Schlachtfelde.
Mit ruhigem Lächeln wartete er, bis wieder tiefe Stille eingetreten war, dann hob er mit dröhnender Stimme an:
»Brüder und Freunde, es wird künftig meine Lebensaufgabe sein, den Willen des Volks zu vollbringen und das Vertrauen des konstitutionellen Königs zu rechtfertigen.
In meinen Verhandlungen mit dem Auslande werde ich eine würdevolle, nachdrückliche Sprache führen, wie sie eines freien Volkes würdig ist, und die Folge dieser Verhandlungen wird entweder ein dauerhafter Friede oder ein entscheidender Krieg sein.«
Der Beifallssturm brach von neuem so laut aus, daß man das Zischen Robespierres kaum noch hörte.
»Wenn wir Krieg bekommen,« fuhr der Redner fort, »so zerbreche ich meine politische Feder und nehme meinen Rang in der Armee, um mit meinen Brüdern zu siegen oder zu sterben. Eine schwere Last liegt auf meinen Schultern; Brüder, helfet mir sie zu tragen.«
Dumouriez schwieg und verließ unter lautem Beifall die Tribüne. Dieser Beifall verdroß Collot-d'Herbois, den so oft ausgezischten Schauspieler.
»Wozu dieser Beifall?« rief er. »Kommt Dumouriez als Minister hierher, so ist ihm nichts zu antworten; kommt er als Bruder, als Mitglied unserer Gesellschaft, so tut er nur seine Pflicht und teilt unsere Meinungen und Grundsätze; wir haben ihm daher nur eine Antwort zu geben: Er handle, wie er gesprochen hat.«
Hierauf bestieg Robespierre das Rednerpult und begann mit dem ihm eigenen feierlichen Ausdruck:
»Ich gehöre keineswegs zu denen, die es für ganz unmöglich halten, daß ein Minister ein Patriot sei; ich nehme sogar die Zusagen des Herrn Dumouriez mit Vergnügen an. Wenn er diese Zusagen erfüllt, wenn er unsere Feinde, die von seinen Vorgängern und von einigen noch jetzt am Staatsruder sitzenden Verschworenen gegen uns aufgehetzt sind, geschlagen hat – dann werde ich geneigt sein, ihm Lob und Dank zu spenden; aber selbst dann glaube ich, daß ihm kein guter Bürger nachstehen wird. Nur das Volk ist groß, ist verantwortlich in meinen Augen. Daher verlange ich aus Achtung vor dem Volke, vor dem Minister selbst, daß man sein Erscheinen unter uns nicht durch Huldigungen begrüße, die den Verfall des öffentlichen Geistes bekunden würden. Er bittet um unsern Rat: ich, für meine Person, werde in seinem Interesse und zur Förderung des Gemeinwohls diesen Wunsch erfüllen. Solange Herr Dumouriez durch glänzende Beweise von Vaterlandsliebe und zumal durch wirkliche Dienste beweisen wird, daß er der Bruder der guten Bürger und der Verteidiger des Volkes ist, soll es ihm hier an Beistand nicht fehlen. Diese Gesellschaft hat von der Anwesenheit eines Ministers durchaus nichts zu fürchten; aber sobald ein Minister hier mehr Einfluß und Geltung bekommt als ein Bürger, verlange ich seine Ausschließung. Doch dies wird nie der Fall sein.«
Am folgenden Tage leistete das neue Ministerium in der Nationalversammlung den Eid und begab sich sodann in die Tuilerien.
Roland war in der Reihe der Minister der letzte. Der Zeremonienmeister ließ die ersten fünf durch, dem neuen Minister des Innern jedoch verweigerte er den Eintritt. Roland wußte nicht, warum man ihn nicht einlassen wollte. »Ich bin Minister wie die übrigen,« sagte er, »sogar Minister des Innern.«
Dumouriez hörte den Wortwechsel und kehrte um.
»Warum verweigern Sie Herrn Roland den Eintritt?«
»Aber mein Gott!« rief der Zeremonienmeister händeringend, »ein runder Hut und keine Schnallen!«
»Ja, Sie haben recht,« antwortete Dumouriez mit der größten Kaltblütigkeit; »ein runder Hut und keine Schnallen – es ist alles verloren!«
Dann schob er Roland in das Zimmer des Königs.
Das neue Kabinett hatte es nicht leicht.
Am 1. März war der Kaiser Leopold gestorben. Sein Nachfolger war Franz II., an dem die ausgewanderten Franzosen einen eifrigen Beschützer hatten; er war der Verbündete Preußens und natürlich der erklärte Feind der französischen Nation.
Herr von Noailles, der französische Gesandte in Wien, war als Arrestant in seinem Palais zu betrachten.
Preußen glaubte damals an der Spitze des deutschen Fortschritts zu stehen, es zehrte an den sonderbaren philosophischen Überlieferungen des Königs Friedrich.
Die sichtbaren Feinde Frankreichs waren also Franz II. und Friedrich Wilhelm; die noch unsichtbaren waren: England, Rußland und Spanien. Der kriegerische König von Schweden, Gustav III., sollte das Haupt dieser Verbindung werden.
Kaiser Franz II. erließ bald nach seiner Thronbesteigung eine diplomatische Note, in der folgende Forderungen gestellt wurden:
Es war klar, daß diese Note mit den geheimen Wünschen des Königs und der Königin übereinstimmte.
Am 16. April wurde König Gustav auf einem Ball ermordet. Zwei Tage nach diesem in Frankreich noch unbekannten Morde erhielt Dumouriez die österreichische Note. Er begab sich sogleich zu Ludwig XVI.
Marie Antoinette wünschte den Krieg, weil sie von einem Kriege die Rettung erwartete; Ludwig XVI. hingegen fürchtete ihn.
Als er indes die Note las, sah er wohl ein, daß für Frankreich die Stunde gekommen sei, das Schwert zu ziehen und daß man nicht mehr zurückkönne.
In dieser verhängnisvollen Stunde gab es in Frankreich vier scharf gesonderte Parteien:
Die starren Royalisten hatten in Frankreich, abgesehen von der Königin, kein erklärtes Oberhaupt. Im Auslande wurden sie durch »Monsieur«, durch den Grafen von Artois, durch den Prinzen von Condé und den Herzog Karl von Lothringen vertreten. Breteuil in Wien und Mérêe d'Argenteau in Brüssel sind die Bevollmächtigten der Königin bei dieser Partei.
Die Häupter der konstitutionellen Partei sind Lafayette, Bailly, Barnave, Lameth, Duport.
Der König ist sehr geneigt, das unbeschränkte Königtum aufzugeben und mit ihnen Hand in Hand zu gehen; er neigt sich jedoch mehr rückwärts als vorwärts.
Die Häupter der republikanischen Partei sind Brissot, Vergniaud, Cadet, Pétion, Roland, Isnard, Ducos, Condorcet, Couthon.
Die Häupter der Anarchisten sind Marat, Danton, Santerre, Gouchon, Camille Desmoulins, Hébert, Legendre, Fabre d'Eglantine, Collot d'Herbois.
Dumouriez ist bereit, zu sein, was man verlangt, wenn er nur Vorteil und Ruhm dabei findet.
Robespierre ist in die Dunkelheit zurückgetreten und wartet.
Am 20. April wird der Krieg an Österreich erklärt.
Am 29. April rücken Bison und Dillon, die sich mit Lafayette vereinigen sollen, gegen die Maas vor; aber beide Truppenkörper wurden in den ersten Gefechten geschlagen. Die Schuld hierfür gab das Volk der Königin und dem König. Wer anders konnte der Urheber dieser schmählichen Niederlage sein, die keinen andern Zweck hatte, als die Parteien verzagt zu machen und den Feinden Zuversicht einzuflößen? Der erste Gedanke war, sich an Marie Antoinette zu rächen! Aber man hatte dem Königtum Zeit gelassen, sich mit einem Schutzwall zu umgeben. Die Königin hatte die von der Constituante bewilligte »Konstitutionelle Garde« auf einen sehr achtunggebietenden Stand gebracht.
Diese Garde ist eine furchtbare Waffe in den Händen des Königtums; sie kann ja auf Befehl des Königs die Nationalversammlung umzingeln und die Deputierten vom ersten bis zum letzten Mann verhaften oder niedermachen!
Oder sie kann den König aus Paris wegführen und an die Grenze geleiten. Eine zweite Flucht wird gewiß gelingen.
Am 22. Mai schrieb der neue Bürgermeister Petion an den Kommandanten der Nationalgarde, um ihm seine Besorgnisse über eine neue Flucht des Königs auszudrücken und ihm die größte Wachsamkeit, insbesondere die Verdoppelung der Patrouillen in den Umgebungen, anzuempfehlen. Es war der Auftakt zur Abschaffung der Königsgarde.
Auf einen Bericht Barrères hin wurde die Auflösung der konstitutionellen Garde und die Verhaftung ihres Anführers Brissac beantragt.
An demselben Tage wurde der Antrag zum Beschluß erhoben, gegen den Herzog von Brissac ein Verhaftungsbefehl erlassen und die Posten in den Tuilerien der Nationalgarde übergeben.
Der König legte gegen diesen Beschluß sein Veto ein, jedoch ohne Erfolg.
Der zweite Vorstoß gegen das Königtum war das Dekret gegen die Priester. Demnach wurde jeder Priester, der den Eid verweigerte, des Landes verwiesen. Die Anregung zu diesem Dekret gab Roland.
Am 14. Juli sollte die Erstürmung der Bastille mit großem Pomp gefeiert werden. Servan verlangte die Zusammenziehung von 20 000 Mann in der unmittelbaren Nähe von Paris. Dumouriez wandte sich gegen einen solchen Antrag.
Am meisten empört war die Königin.
»Bedenken Sie doch,« sagte die Königin in einer Unterredung zu Dumouriez, »wie hart es für den König ist, ein Dekret zu bestätigen, das zwanzigtausend Meuterer nach Paris ruft.«
»Die Gefahr ist groß«, erwiderte Dumouriez; »eben deshalb muß man ihr ins Angesicht schauen, aber sie nicht übertreiben. Dem Dekret zufolge wird die vollziehende Gewalt diesen zwanzigtausend Patrioten den Ort der Zusammenkunft anweisen; der Kriegsminister wird ihnen Offiziere geben und Verhaltungsbefehle erteilen.«
»Aber der Kriegsminister ist Servan!«
»Nein, Sire, sobald Servan austritt, bin ich Kriegsminister.«
»Sie wollen das Kriegsministerium übernehmen?« fragte die Königin.
»Ja, Madame, und ich hoffe, das über Ihrem Haupte hängende Schwert gegen Ihre Feinde zu kehren.«
Ludwig XVI. und Marie Antoinette sahen einander fragend an.
»Angenommen,« fuhr Dumouriez fort, »ich lasse das Lager bei Soissons aufschlagen.«
»Aber,« entgegnete der König, »wissen Sie auch gewiß, daß Sie dazu die Bewilligung erhalten?«
»Ich bürge dafür.«
»Wenn das ist,« sagte der König, »so übernehmen Sie das Kriegsministerium.«
»Erteilen dann Eure Majestät dem Dekret über die zwanzigtausend Mann die Sanktion?«
»Wenn Sie Kriegsminister sind, vertraue ich mich Ihnen unbedingt an.«
»Jetzt ist noch das Dekret über die Priester zu bestätigen.«
»Sie wissen, daß ich dieses Dekret nie bestätigen kann.«
»Sire, nach der Bestätigung des ersten Dekrets haben Eure Majestät keine Wahl mehr: Sie müssen auch das zweite bestätigen.«
»Ich habe einen Fehler gemacht,« erwiderte Ludwig XVI.; »ich mache mir ihn zum Vorwurf; aber daraus folgt noch nicht, daß ich einen zweiten Fehler machen müsse.«
»Wenn Eure Majestät diesem Dekret die Bestätigung nicht erteilen, so ist der zweite Fehler weit größer als der erste.«
»Sire . . .« sagte Marie Antoinette.
Der König sah sich um.
»Auch Sie, Madame?«
»Sire,« sagte die Königin, »ich muß gestehen, daß ich nach den Erklärungen, die uns Herr Dumouriez gegeben, über diesen Punkt gleicher Meinung mit ihm bin.«
»Nun, dann willige ich ein,« erwiderte der König, »aber unter einer Bedingung.«
Dumouriez sah den König fragend an.
»Unter der Bedingung, daß Sie mich sobald wie möglich von den drei Aufwieglern Servan, Clavière und Roland befreien.«
»Ich versichere Eurer Majestät,« antwortete Dumouriez, »daß ich die erste Gelegenheit benutzen werde, und ich bin überzeugt, daß diese Gelegenheit sich sehr bald bieten wird.«
Dumouriez verneigte sich vor dem König und der Königin und entfernte sich.
»Sie gaben mir einen Wink«, sagte der König; »was haben Sie mir zu sagen?«
»Bestätigen Sie vorläufig das Dekret über die Zusammenberufung der zwanzigtausend Mann«, erwiderte die Königin; »lassen Sie ihn sein Lager bei Soissons errichten . . . nachher werden Sie sehen, was mit dem Dekret über die Priester zu machen ist.«
»Aber er wird mich an mein Wort erinnern.«
»Das mag er immerhin tun«, sagte die Königin kalt.
Dumouriez hatte wahr gesprochen. Es fand sich bald eine Gelegenheit, die drei Minister zu entfernen. Sie schieden aus der Nationalversammlung aus, die ihnen das Lob ausstellte, daß sie sich um das Vaterland verdient gemacht hätten. Ihre Nachfolger wurden: Mourgues für Inneres und Finanzen, Naillac für das Auswärtige.
Der neue Ministerrat war in den Tuilerien versammelt. – Der König bestätigte das Dekret über das Lager von zwanzigtausend Mann; allein, die Sanktion des Dekrets über die Priester verschob er auf den folgenden Tag. Er schützte einige Gewissensskrupel vor, die sein Beichtvater beseitigen müsse.
Die Minister sahen einander an; es hatte sich der erste Zweifel in ihr Herz eingeschlichen. Am folgenden Tage kamen die Minister auf den Gegenstand der letzten Beratung zurück. Der König erklärte, daß er gegen das Dekret sein Veto einlege.
Die vier Minister, Dumouriez zuerst, antworteten mit ehrerbietigen, aber ernsten, nachdrücklichen Worten. Aber der König hörte ihnen mit geschlossenen Augen zu; seine Haltung und Miene bewies, daß sein Entschluß gefaßt war.
»Meine Herren,« sagte Ludwig XVI., »ich habe an den Präsidenten der Nationalversammlung einen Brief geschrieben, um ihm meinen Entschluß mitzuteilen. Einer von Ihnen wird das Schreiben unterzeichnen und dann tragen Sie es zusammen in die Deputiertenkammer.«
Dies war ein Befehl ganz im Sinne des alten Regimes.
»Sire,« sagte Dumouriez, nachdem er seine Kollegen fragend angesehen hatte, »haben uns Eure Majestät nichts weiter zu befehlen?«
»Nein«, antwortete der König und entfernte sich.
Die Minister beschlossen, für den folgenden Tag um eine Audienz zu bitten. Der Verabredung gemäß, wollten sie sich in keine Erklärungen einlassen, sondern insgesamt ihre Entlassung nehmen.
Dumouriez begab sich nach Hause. Er fand drei Billetts vor, die ihm Zusammenrottungen in der Vorstadt St. Antoine und geheime Zusammenkünfte im Hause Santerres anzeigten.
Er schrieb sogleich an den König, um ihn hiervon in Kenntnis zu setzen.
Eine Stunde später erhielt er folgendes, von Ludwig XVI. eigenhändig geschriebenes, aber nicht unterzeichnetes Billett:
»Glauben Sie nicht, Herr Dumouriez, daß ich mich durch Drohungen einschüchtern lasse; mein Entschluß ist gefaßt.«
Dumouriez schrieb sogleich zurück:
»Sire, Sie beurteilen mich falsch, wenn Sie mich der Anwendung eines solchen Mittels für fähig halten. – Ich bitte Eure Majestät untertänigst, mir einen Nachfolger zu wählen, der binnen vierundzwanzig Stunden an meine Stelle treten kann, und meine Entlassung huldreichst anzunehmen.«
Es war keinem Zweifel unterworfen, daß in den Tuilerien gegenrevolutionäre Pläne geschmiedet wurden. Man hatte wirklich Streitkräfte, auf die man sich verlassen konnte: die beurlaubte, aber jeden Augenblick schlagfertige, aus sechstausend Mann bestehende konstitutionelle Garde; ferner sieben- bis achttausend Ludwigsritter, deren rotes Ordensband das Erkennungszeichen war; dazu drei Bataillone Schweizer von je sechshundert Mann auserlesener Kerntruppen, unerschütterlich wie die Felsen ihrer heimatlichen Berge.
Noch mehr als alle diese Wächter des Thrones war ein Schreiben Lafayettes geeignet, die Zuversicht der Royalisten zu erhöhen. In diesem Schreiben kam folgende Stelle vor:
»Bleiben Sie beharrlich, Sire; auf die Ihnen von der Nationalversammlung erteilte Machtvollkommenheit gestützt, werden Sie alle guten Franzosen um Ihren Thron geschart finden.«
Um zehn Uhr morgens waren die Minister bei Ludwig XVI. Es war der 16. Juni. – Der König empfing sie in seinem Zimmer. Duranton führte das Wort. Im Namen aller überreichte er ehrerbietigst die Entlassung seiner Kollegen und die seinige.
»Wohlan«, antwortete der König mit finsterer Miene, »da Ihr Entschluß feststeht, so nehme ich Ihre Entlassung an. Ich werde die geeigneten Vorkehrungen treffen.«
»Sire,« sagte Dumouriez, »ich verlasse diese entsetzliche Stadt mit Freuden; nur eins tut mir weh: Eure Majestät in Gefahr zu wissen.«
»Ja,« erwiderte der König mit scheinbarer Gleichgültigkeit, »ich kenne die Gefahr.«
»Sire,« setzte Dumouriez hinzu, »ich bin nicht mehr Minister und stehe Eurer Majestät nicht mehr nahe. Ich bitte Sie daher aus reiner Ergebenheit und Vaterlandsliebe, aus Zuneigung für Ihre erhabene Person, für die Königin und Ihre Kinder, ich beschwöre Sie bei allem, was dem Menschen teuer und heilig ist: beharren Sie nicht bei Ihrem Veto! Diese Hartnäckigkeit wird Eure Majestät ins Verderben stürzen!«
»Reden Sie nicht mehr davon«, sagte der König; »mein Entschluß steht fest.«
»Sire, dasselbe sagten Sie mir in diesem Zimmer, in Gegenwart der Königin, als mir Eure Majestät versprachen, die Dekrete zu bestätigen.«
»Ich hatte unrecht, Ihnen dieses Versprechen zu geben und bereue es.«
»Sire, es ist das letztemal, daß ich die Ehre habe, Eure Majestät zu sehen. Verzeihen Sie daher meine Offenheit; ich bin dreiundfünfzig Jahre alt und habe Erfahrung. Man treibt Mißbrauch mit Ihrem Gewissen, man treibt Sie zum Bürgerkrieg . . . Sie sind machtlos, Sie werden unterliegen . . . und die Geschichte wird Sie beklagen, aber Ihnen auch den Vorwurf machen, daß Sie Frankreich ins Unglück gestürzt haben.«
»Mir, glauben Sie, werde man das Unglück Frankreichs vorwerfen?« fragte Ludwig XVI.
»Ja. Sire.«
»Gott ist mein Zeuge, daß ich nur das Glück Frankreichs will.«
»Ich zweifle nicht daran, Sire; aber Eure Majestät sind Gott nicht nur von der Reinheit, sondern auch von der vernünftigen Ausführung Ihrer Absichten Rechenschaft schuldig. Sie glauben die Religion zu retten, und geben ihr den Todesstoß; die Priester werden als Opfer einer unseligen Verblendung fallen. Ihre zertrümmerte Krone wird in Ihr Blut, in das Blut der Königin, vielleicht Ihrer Kinder fallen . . . Oh, mein König! mein König! . . .«
Dumouriez schien zu tief ergriffen, um länger reden zu können – er drückte seine Lippen auf die Hand, die ihm Ludwig XVI. reichte.
Der König erwiderte mit vollkommener Heiterkeit und mit einer Würde, deren man ihn nicht fähig geglaubt hätte:
»Sie haben recht, Herr General; ich bin auf den Tod gefaßt und verzeihe im voraus meinen Mördern . . . Sie haben mir treu gedient, ich achte Sie und danke Ihnen für Ihre warme Teilnahme . . . Leben Sie wohl.«
Nach diesen Worten konnte Dumouriez nicht länger bleiben; er entfernte sich.
Das Königtum hatte seine letzte Stütze von sich gestoßen, der König seine Maske abgeworfen . . . er stand nun mit entblößtem Antlitz vor dem Volke.