Alexander Dumas
Die Gräfin Charny
Alexander Dumas

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Siebzehntes Kapitel

Wir erinnern uns, daß Billot von Doktor Gilbert in die Heimat beurlaubt war und Ange Pitou mitgenommen hatte. Pitou wußte, daß Katharinens Herz bei der unerwarteten Trennung von Isidor gebrochen, und daß sie an der Stelle, wo er sie gefunden, ohnmächtig niedergesunken war. Aber das würde er dem Vater Billot um alles in der Welt nicht gesagt haben.

Das Stillschweigen, das er in bezug auf Katharinen beobachtete, vermehrte die Unruhe Billots, der sein Pferd zu höchster Eile antrieb.

Kaum hielt der Wagen vor dem Gutshof in Pisseleux an, so stieg Billot ab und eilte in das Haus.

Aber vor der Kammer seiner Tochter trat ihm in der Person des Doktor Raynal ein unerwartetes Hindernis entgegen. Der Arzt erklärte, daß in Katharinens Zustand jede Gemütsbewegung gefährlich sei. Das war ein neuer schmerzlicher Schlag für Billot.

Es hatte sich eine Gehirnentzündung eingestellt, die im höchsten Grade gefährlich zu werden drohte; Katharine hatte seit dem Vormittag stark phantasiert.

Die Kranke mochte in diesen Fieberphantasien wohl gar seltsame Dinge sprechen, denn der Arzt hatte ihre Mutter schon von ihr entfernt, wie er jetzt ihren Vater zu entfernen suchte.

Mutter Billot saß in der Küche am Kamin; als sie die Stimme Billots hörte, raffte sie sich auf.

»Ei, Vater Billot!« rief sie und sah den Herrn vom Hause mit starren Blicken an.

Dann breitete sie die Arme aus und sank an seine Brust.

Billot sah sie bestürzt an; er schien sie kaum zu kennen.

»Was geht denn hier vor?« fragte er, während ihm der Angstschweiß von der Stirn floß.

Der Doktor Raynal nahm für die trostlose Mutter das Wort.

»Ihre Tochter«, sagte er, »ist sehr krank, sie darf nur bestimmte Personen sehen; binnen zwei bis drei Tagen darf außer mir und den von mir zu bezeichnenden Personen niemand in ihre Kammer.«

Billot seufzte. »Aber sehen darf ich sie doch?« fragte er wie ein Kind.

Der Doktor öffnete die Tür der Kammer, und Vater Billot konnte die Kranke sehen. Katharinens Gesicht erglühte im Fieber, ihr Blick war verwirrt; sie sprach abgebrochene, nur schwer verständliche Worte, und als Billot seine zitternden Lippen auf ihre feuchte Stirn drückte, glaubte er den Namen Isidor zu hören.

Vater Billot zog sich, nachdem er seine Tochter geküßt hatte, zurück, aber sein Gesicht hatte einen finsteren Ausdruck angenommen und er schien voller Sorgen.

»Ich sehe wohl«, sagte er für sich selbst, »es war wirklich Zeit, daß ich nach Hause kam . . .«

Nach fünf Minuten tat sich die Tür des Krankenzimmers wieder auf und man hörte die Stimme des Arztes, welcher Pitou rief.

»Was ist gefällig, Herr Raynal?« fragte dieser.

»Komm und hilf Frau Clément, die Katharinen nicht allein halten kann; ich werde jetzt zum dritten Male Ader lassen.«

Pitou wunderte sich sehr, daß er dem Doktor Raynal einen Dienst erweisen sollte.

Der Arzt hatte nämlich bemerkt, daß Katharine in ihren Fieberphantasien, wenn sie von Isidor sprach, auch den Namen Pitou nannte.

Katharine sprach diese beiden Namen indes nicht in gleichem Tone, und der Doktor Raynal hatte daraus geschlossen, daß Ange Pitou der Freund und Isidor von Charny der Geliebte der Kranken sein müsse. Er hielt es daher für angemessen, der letzteren einen Freund zuzuführen, mit welchem sie von ihrem Geliebten sprechen konnte.

Pitou mußte vorläufig die Dienste eines chirurgischen Gehilfen verrichten. Der Doktor zog den Arm Katharinens sanft aus dem Bette, nahm den Verband ab, drückte mit beiden Daumen gegen die noch nicht vernarbte Wunde, und das Blut schoß hervor.

Als Pitou das Blut sah, fühlte er seine Kräfte schwinden. Er sank in den Armsessel der Frau Clément, drückte die Hände auf die Augen und rief schluchzend:

»Oh Jungfer Katharine! . . . arme Jungfer Katharine! . . .«

Was der Doktor erwartet hatte, traf ein: dieser kleine Aderlaß setzte das Fieber herab. Der Doktor gab noch der Frau Clément die nötigen Weisungen, unter anderm die sonderbare Weisung, ein paar Stunden zu schlafen, während Pitou bei der Kranken wachen würde. Dann gab er Pitou einen Wink und begab sich wieder in die Küche.

Pitou folgte dem Doktor, der die Mutter Billot am Hause sitzend fand.

»Nur Mut gefaßt, Mutter Billot,« sagte der Doktor; »es geht ja so gut, als man nur erwarten kann.«

Pitou erhielt jetzt den Auftrag, eine Medizin zu holen und die Nacht bei der Kranken zu wachen.

Katharine schlief ziemlich ruhig.

Pitou setzte sich ans Fenster, um Katharine recht gut sehen zu können.

Etwa eine Stunde nach seiner Rückkehr regte sich Katharine, ließ einen leisen Seufzer hören und schlug die Augen auf.

Pitous Gesicht strahlte vor Freude, als er sah, daß Katharine ihn anschaute.

»Pitou!« lispelte die Kranke.

»Ach, Jungfer Katharina,« sagte er, »ich wußte wohl, daß Ihr ihn liebtet; aber ich wußte nicht, daß Ihr eine Gehirnentzündung bekommen würdet, wenn er fortginge!«

Katharine, ermutigt durch diese Worte des Mitleids, suchte nun Ihre Gefühle nicht mehr zu verbergen.

»Ach, Pitou,« antwortete sie, »ich bin sehr unglücklich!«

»Jungfer Katharine,« erwiderte Pitou, »es macht mir zwar kein großes Vergnügen, von dem Junker Isidor zu sprechen, aber wenn's Euch angenehm ist, kann ich Euch erzählen, wie es ihm geht; ich weiß, daß er glücklich in Paris angekommen ist.«

»Er ist also in Paris?« fragte Katharine hastig.

»In diesem Augenblick wird er wohl nicht mehr dort sein«, erwiderte Pitou. »Ich weiß nur, daß er abreisen sollte . . . ich glaube, nach Spanien oder Italien.«

Bei dem Worte ›abreisen‹ sank Katharina seufzend auf das Kissen zurück und brach in Tränen aus.

»Jungfer Katharine,« sagte Pitou, dem diese Tränen sehr weh taten, »wenn Ihr durchaus wissen wollt, wo er ist, so kann ich mich erkundigen.«

»Nein, Pitou, ich danke dir . . . es ist nicht nötig, ich werde morgen früh gewiß einen Brief von ihm bekommen.«

»Einen Brief von ihm! . . . Nicht möglich«, sagte Pitou, der verlegen an den Nägeln kaute. »Ich wundere mich nicht, daß er an Euch schreibt . . . Aber ich fürchte, daß der Brief Eurem Vater in die Hände fällt.«

»Was, meinem Vater?« fragte Katharina erstaunt. »Ist denn mein Vater nicht in Paris?«

»Er ist in Pisseleux, Jungfer Katharine, und zwar dort in seiner Stube . . . Herr Raynal hat ihm verboten, in Eure Kammer zu kommen . . . weil Ihr phantasiert, sagte er, und ich glaube, er hat wohlgetan.«

»Warum denn?«

»Weil Herr Billot in diesem Punkte keinen Spaß zu verstehen scheint. Denn als er hier war und seinen Namen aus Eurem Munde hörte, schnitt er ein gar grimmiges Gesicht. Ich hörte ihn sogar zwischen den Zähnen murren: ›Es ist gut; solange sie krank ist, will ich nichts sagen; aber nachher wollen wir sehen!‹«

»Höre, Pitou,« sagte Katharina, indem sie seine Hand so heftig faßte, daß er erschrak, »du hast recht, seine Briefe dürfen meinem Vater nicht in die Hände fallen . . . er würde mich umbringen!«

»Was kann man da machen?«

»Du müßtest zu der Mutter Colombe gehen . . . zur Briefträgerin.«

»Aha, ich verstehe . . . ich soll zu ihr sagen, daß sie Eure Briefe nur an mich abgeben soll. Morgen will ich hingehen . . . und dann alle Tage.«

»Morgen ist zu spät, lieber Pitou; du mußt noch heute gehen.«

»Gut, ich will heute gehen . . . auf der Stelle, wenn's sein muß.«

»Du bist ein braver Mensch, Pitou,« sagte Katharina, »und ich bin dir von Herzen gut, was du für mich tust, ist besser als alle Mixturen der Welt.«

Als Pitou gegangen war, sank Katharina, erschöpft von dem langen Gespräch, auf das Kissen zurück.

Pitou eilte nach Villers-Cotterêts und erhielt von der Frau Colombe einen Brief in elegantem Kuvert, der an Katharina Billot adressiert war. Mit sehr gemischten Gefühlen trat er den Heimweg an.

Trotzdem war Pitou ein so gutmütiger Mensch, daß er, um den verwünschten Brief schneller abgeben zu können, unwillkürlich aus dem Schritt in den Trab und aus dem Trab in den Galopp kam.

Fünfzig Schritte vor dem Meierhof stand er plötzlich still; er bedachte mit Recht, daß es den Vater Billot mißtrauisch machen könnte, wenn er so atemlos ankäme. Er beschloß daher ein paar Minuten zu opfern und schritt mit der gravitätischen Haltung des Vertrauten eines Tragödienhelden auf das Haus zu. Als er an dem Krankenzimmer vorüberging, bemerkte er, daß die Wärterin das Fenster geöffnet hatte.

Pitou steckte zuerst die Nase, dann den ganzen Kopf in das Fenster. Katharina war wach und erwartete ihn; sie bemerkte sogleich, daß er ihr winkte.

»Ein Brief!« stammelte sie beglückt, »ein Brief!«

Ohne den Dank, der ihm ohnehin nicht entgehen konnte, abzuwarten, ging er auf das Hoftor zu, wo er Billot fand, der ihn zum Frühstück einlud.

Gerade als er damit fertig war, ging Katharinas Tür auf, und Frau Clément erschien mit ihrem süßlichen Krankenwärterlächeln in der Küche. Frau Billot ging auf sie zu, und auch der Herr des Hauses eilte in die Küche. Beide erkundigten sich nach Katharinas Befinden.

»Es geht recht gut«, antwortete Frau Clément; »aber ich glaube, daß Jungfer Katharina in diesem Augenblicke wieder etwas phantasiert.«

»Was, sie phantasiert wieder?« fragte Billot.

Pitou schaute auf und lauschte.

»Ja,« erwiderte Frau Clément, »sie spricht von einer Stadt namens Turin und von einem Lande, das sie Sardinien nennt, und sie ruft den jungen Herrn Pitou, um über das Land und die Stadt etwas zu erfahren.«

»Hier bin ich«, sagte Pitou, indem er seinen Becher leerte und sich den Mund mit dem Ärmel abwischte.

»Es ist gut,« sagte Billot, »da Katharina dich ruft, so geh nur hinein . . . Vielleicht kommt ein Augenblick, wo sie ihre Eltern auch rufen wird.«

Pitou merkte, daß ein Ungewitter im Anzuge war, und obwohl er bereit war, dem Sturm der Elemente nötigenfalls Trotz zu bieten, so sah er sich doch im voraus nach einem Obdach um.

Dieses Obdach war Haramont.

In Haramont war er König, ja noch mehr als König . . . er war ja Kommandant der Nationalgarde, er war Lafayette!

Überdies hatte er Pflichten, die ihn nach Haramont riefen.

Katharina erwartete ihn mit Ungeduld. Aus dem Feuer ihrer Augen und der Glut ihrer Wangen hätte man mit Frau Clément wirklich schließen können, daß sie wieder vom Fieber befallen sei.

Kaum hatte Pitou die Tür hinter sich geschlossen, so richtete sich Katharina schnell auf und reichte ihm beide Hände.

»Ich danke dir, lieber Pitou,« sagte sie, »ich werde wahrscheinlich noch mehr Briefe bekommen . . . Da du nun einmal so gütig gewesen bist . . .«

»Ich will sie Euch holen«, versicherte Pitou dienstbeflissen.

»Du siehst wohl ein, daß mein Vater mich scharf beobachtet, und daß ich daher nicht zur Stadt gehen kann . . .«

»Ja, aber mich beobachtet er auch, der Papa Billot . . . ich habe es an seinen Augen gesehen.«

»Aber er kann doch nicht mit nach Haramont gehen, und wir können ja einen Ort bestimmen, wo du die Briefe versteckst.«

»Das ist wahr«, antwortete Pitou; »zum Beispiel in dem hohlen Weidenbaum nahe bei der Stelle, wo ich Euch in Ohnmacht fand.«

»Gut,« sagte Katharina, »das ist nicht weit, und man kann die Stelle vom Fenster aus doch nicht sehen . . . Es bleibt also dabei, die Briefe werden in den hohlen Weidenbaum gelegt?«

»Ja, Jungfer Katharina. Aber wie könnt Ihr denn die Briefe holen?«

»Ich?« fragte Katharina lächelnd, »ich will recht schnell wieder gesund werden.«

In diesem Augenblick ging die Tür auf, und der Doktor Raynal trat ein.

 


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