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Mirabeau hatte dem König gesagt, wenn für das Königtum in Frankreich noch Rettung zu hoffen sei, so müsse man sie nicht in Paris, sondern in der Provinz suchen. Man müsse ein Nationalfest feiern, bei dem der König sein Volk und das Volk seinen König sehen könne.
Gegen diesen Vorschlag erhob sich jedoch von allen Seiten Widerspruch.
Die Royalisten meinten, man wage einen ungeheuren 14. Juli, aber nicht im Kampfe gegen die Bastille, sondern gegen das Königtum.
Die Jakobiner fürchteten ein solches Eintrachtsfest nicht weniger als ihre Feinde, denn sie wußten wohl, welchen Einfluß Ludwig XVI. noch immer auf die Massen ausübte!
In den Augen der Jakobiner mußte eine solche Vereinigung den Gemeingeist unterdrücken, das Mißtrauen einschläfern, die alte Götzendienerei wieder ins Leben zurückrufen, mit einem Wort, Frankreich wieder royalistisch machen.
Aber es war nicht mehr möglich, dieser Bewegung Einhalt zu tun.
Die Nationalversammlung tat alles, um die Zusammenkunft minder bedeutend zu machen, als man erwartete. Die Kosten dafür wurden den Gemeinden zugewiesen, damit armen Provinzen die Entsendung von Delegierten unmöglich gemacht wurde.
Aber man hatte die Rechnung ohne die allgemeine Begeisterung gemacht; man hatte die Gastfreundschaft nicht in Anschlag gebracht, die an den Landstraßen rief: »Franzosen, öffnet eure Türen, es kommen Brüder aus den fernsten Gegenden des Vaterlandes!«
Es gab keine Fremdlinge, keine Unbekannten mehr; überall Franzosen, Verwandte, Brüder; überall ertönte der Ruf: »Hierher, ihr Pilger, zu dem großen Verbrüderungsfest! Kommt, Nationalgarden, Soldaten, Matrosen! Herein, Ihr alle: ihr findet Väter und Mütter und Gattinnen, deren Söhne und Gatten anderswo die Gastfreundschaft finden, die wir euch bieten!«
Zu der Feier brauchte man einen ungeheuer großen Schauplatz, um für fünfhunderttausend Menschen Raum zu haben; zum Schauplatz wählte man das Marsfeld; aber das Marsfeld bildete eine ebene Fläche; man mußte es zum riesenhaften Bassin umgestalten; man mußte es austiefen und die Erde ringsum aufhäufen, um Erhöhungen zu bilden; fünfzehntausend Arbeiter wurden von dem Gemeinderat dorthin geschickt; aber es blieben nur drei Wochen für diese Riesenarbeit, und nach zwei Tagen bemerkte man, daß man drei Monate brauchte!
Nun ereignete sich ein Wunder: Sobald sich das Gerücht verbreitete, das Marsfeld könne bis zum 14. Juli nicht fertig werden, erhoben sich hunderttausend Menschen und sagten: »Es soll fertig werden!«
Personen jeden Alters, jeden Geschlechts, jeden Standes fanden sich ein. Alle griffen zur Schaufel und zum Schubkarren. –
Unter den eifrigsten Arbeitern bemerkte man zwei in Uniform.
Es waren Billot und Pitou. Billot hatte schwere Sorgen; er wußte, wie es um Katharina stand, wußte, daß sie ein Kind erwartete – –, aber er kannte nicht ihren Aufenthalt. Oh, wenn er gewußt hätte, wie nah er ihr eines Tages war, als er vom Marsfelde nach der Stadt ging. Ein Wagen war an ihm vorbeigefahren, in dem Katharina saß, ein Kind auf dem Schoß, von Isidor von Charny begleitet.
Katharina hatte sowohl ihren Vater als auch ihren Jugendfreund gesehen. –
Die Arbeit, die aus einer unabsehbaren Ebene einen von zwei Hügeln eingeschlossenen, weiten Talgrund machen sollte, war wirklich am Abend des 13. Juli beendet worden.
Auch die Nationalversammlung war mit von dem elektrischen Schlag betroffen worden, der ganz Frankreich wie ein Erdbeben erschütterte. Sie hatte auf den Antrag Lafayettes den Erbadel abgeschafft, ebenso die Erblichkeit der Schmach, sie hatte den Beschluß gefaßt, daß eine Verurteilung die Ehre der Kinder und Verwandten des Verbrechers in keiner Weise mehr beeinträchtigen solle.
Der Einfluß Mirabeaus machte sich jeden Tag mehr bemerklich. Nicht nur auf der Rechten, sondern auch auf der Linken erwarb seine unwiderstehliche Beredsamkeit dem Hofe neue Anhänger. Die Nationalversammlung bewilligte fast mit freudiger Begeisterung eine Zivilliste von fünfundzwanzig Millionen für den König und vier Millionen Witwengehalt für die Königin.
Der beredte Tribun erstattete also beiden die zweihundertachttausend Franken Schulden, die sie für ihn bezahlt hatten, und sein monatliches Gehalt von sechstausend Livres reichlich zurück.
Übrigens schien Mirabeau den Geist der Provinzen richtig beurteilt zu haben; vor dem Bürgermeister Bailly schwenkte man die Hüte und rief: »Es lebe die Nation!« Aber vor Ludwig XVI. knieten sie nieder, legten ihre Degen zu seinen Füßen und riefen: »Es lebe der König!«
Endlich kam der 14. Juli; er erschien mit düsterer, wolkenumhüllter Stirn und trieb Wind und Regen vor sich her. Aber das französische Volk besitzt die beneidenswerte Eigenschaft, über alles zu lachen, selbst über den Regen an Tagen, wo Feste gefeiert werden. Die seit fünf Uhr früh auf den Boulevards stehenden, vom Regen durchnäßten, vom Hunger geplagten Nationalgarden lachten und sangen mit ihren Brüdern aus der Provinz um die Wette.
Die Verbündeten zogen trotz Sturm und Regen durch die drei Tore des Triumphbogens in den weiten Zirkus auf dem Marsfeld. Als die ersten zwanzigtausend Mann, die man ihre Vorhut nennen konnte, einen ungeheuren Kreis gebildet hatten, kamen die Wähler von Paris, dann die Vertreter der Gemeinde, endlich die Nationalversammlung.
Jedes Departement erschien mit seiner Fahne. In dem Augenblick, als der Präsident der Nationalversammlung in seinem Sessel Platz nahm, setzte sich der König in den seinigen, und die Königin nahm auf ihrer Tribüne Platz.
Ach, die arme Königin! Ihr Gefolge war klein; ihre besten Freundinnen hatten sie furchtsam verlassen. Mit ihren Gedanken suchte sie Olivier.
Da er nicht gegenwärtig war, so wünschte sie wenigstens einen treuen, bewährten Freund zu sehen, und sie fragte nach Isidor von Charny.
Niemand wußte, wo Isidor von Charny war, und wenn ihr jemand geantwortet hätte, daß er zu dieser Stunde eine Bäuerin, seine Geliebte, nach Bellevue in ein kleines, prunkloses Haus führe, so würde sie gewiß mitleidig die Achseln gezuckt, vielleicht auch eine eifersüchtige Regung empfunden haben.
Ja, sie dachte an den abwesenden Charny und an die erloschene Liebe, und zwar mitten unter dem Wirbel von fünftausend Trommeln und dem Klange von zweitausend Instrumenten, die man unter dem lauten Ruf: »Es lebe der König! Es lebe das Gesetz! Es lebe die Nation!« kaum hörte.
Diesem Getümmel folgte plötzlich tiefe Stille.
Zweihundert Priester in weißen Chorhemden näherten sich dem Altare. Der Bischof von Autun las eine Messe!
In diesem Augenblicke wurde das Wetter stürmischer als zuvor. Es schien fast, als ob der Himmel protestierte gegen diesen falschen Priester, dessen Mund in der Folge so viele Meineide sprach.
Nach beendeter Messe stieg Herr von Talleyrand einige Stufen hinunter und segnete die Nationalfahne samt den Bannern der dreiundachtzig Departements ein.
Dann begann die feierliche Eidesleistung.
Lafayette sprach mit fester Stimme:
»Wir schwören, der Nation, dem Gesetze, dem Könige treu zu sein und zu bleiben, – mit unserer ganzen Macht die von der Nationalversammlung beschlossene und vom Könige angenommene Verfassung zu wahren – die Sicherheit der Personen und des Eigentums, den freien Verkehr im Innern des Landes, die Eintreibung aller öffentlichen Steuern dem Gesetze gemäß zu schützen, – mit allen Franzosen durch die unauflöslichen Bande der Brüderlichkeit vereinigt zu bleiben!«
Dann erhob sich der Präsident der Nationalversammlung und sprach im Kreise sämtlicher Abgeordneten:
»Ich schwöre, der Nation, dem Gesetze, dem Könige treu zu sein und die von der Nationalversammlung beschlossene und vom Könige angenommene Verfassung nach Kräften zu wahren!«
Nun erhob sich der König.
Still! Hört alle, mit welcher Stimme er den Nationaleid sprechen wird.
»Ich, König der Franzosen,« sprach Ludwig XVI., »schwöre, alle durch das verfassungsmäßige Staatsgesetz mir übertragene Macht anzuwenden, um die von der Nationalversammlung beschlossene und von mir angenommene Verfassung zu wahren und die Gesetze in Ausführung zu bringen!«
Krachender Donner folgte den Worten des Königs. Die hundert aufgestellten Kanonen waren gleichzeitig abgefeuert worden.