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XXI

Autonomie in Sicht – Noch einmal der Beamte der Inneren Verwaltung – Lebensideale – Hierarchische Tradition – Keine Gleichheit-Furcht vor Verantwortlichkeit

Niederländisch-Indien läßt sich auf verschiedene Art kennenlernen, und eine Betrachtung unserer Kolonien ist dem europäisch eingestellten Auge von mehr als einem Standpunkt aus möglich. Der Beschauer kann sich auf den Standpunkt des Beamten, des Militärs, des Pflanzers, des Kunst- und Naturliebhabers, des Reisenden, des Pensionierten stellen ... vielleicht sogar noch auf zehn andere Standpunkte. Von welchem Standpunkte aus man Indien aber auch betrachten mag: stets wird die beinahe mystische Weite und Riesengröße dieser Welt des Ostens, die so lange von einem kleinen europäischen Lande beherrscht worden ist, eigen berühren. Über diese »Beherrschung« mag man in unseren Tagen denken, wie man will, und das Wort mag für unsere moderne Mentalität einen unangenehmen Klang haben – sie ist jedoch heute ein fait accompli, das sich nicht einfach aus der Welt schaffen läßt. Und die »Beherrscher« sind bei den seit Jahrhunderten beherrschten Rassen nicht mehr so verhaßt, wie es Usurpatoren im allgemeinen zu sein pflegen. Das kommt daher, daß wir anscheinend von Anfang an eine Regierungsmethode angewandt haben, die sich als die einzig richtige erwiesen hat, wenn sie auch jetzt veraltet sein mag, wie eben alle Systeme mit der Zeit veralten.

Die Zeiten wandeln sich jetzt rascher als früher. Neue Ideale kamen aus dem heftig erregten und bewegten Europa herüber. Die Autonomie dieses Inselreiches ist nur noch eine Frage der Zeit. Sehr sympathisch berührt es, daß der Eingeborene von Rang heutzutage fast immer Interesse für unsere europäische Kultur hat. Beinahe alle Regenten sprechen ein reines Holländisch; vor zwanzig Jahren noch bildete ein holländisch sprechender Regent eine Ausnahme. Ungeachtet des Rassenunterschiedes, der so lange eine unüberbrückbare Kluft zu bilden schien, kann man heute eine sympathische Annäherung zwischen den östlichen und den europäischen Elementen beobachten. Der nicht sehr bevormundete Regent, der eingeborene Selbstherrscher, der bald auf eigenen Füßen wird stehen müssen, kann hier und dort schon überraschende Erfolge buchen. Wie sich die neuen Zustände entwickeln werden, läßt sich nicht vorausahnen. In diesen Ländern kann sich alles riesengroß offenbaren oder auch von stiller Mystik erfüllt sein. Die neuen Verhältnisse sind wie die Landschaft selber; wie die weiten Perspektiven dieser Bergabhänge inmitten von Vulkanen, die noch immer ausbrechen können, und anderen, die schon auf ewig erloschen daliegen.

Mit der größten Wehmut aber erfüllt die neue Zeit den Beamten. Ich denke hier insbesondere an den Beamten der inneren Verwaltung. Seine Stellung war lange Zeit hindurch sehr glänzend; die ideale Stellung für einen Mann, der nicht daran dachte, reich zu werden, der aber in sich den Drang fühlte, zu arbeiten, schöpferisch tätig zu sein, zu vervollkommnen, kurz ... zu herrschen. Das verhaßte Wort kommt unvermeidlich immer wieder! Dereinst war der Beamte der inneren Verwaltung, insbesondere der höhere Beamte, der Assistentresident oder Resident, wenn er eine Persönlichkeit war, wirklich ein Herrscher. Er war oft ein guter Herrscher, der es verstand, dem Lande und seinem Besten zu dienen, ohne in seinem Distrikt als Autokrat zu walten. Die Bureaukraten in Weltevreden oder Buitenzorg gaben zwar dem Mann, der selber handeln mußte, oft Grund zum Ärger. Doch wenn er seinen Willen durchzusetzen wußte, genoß er die Befriedigung, daß er sich in seinem wirklich nicht kleinen Reiche wie ein König fühlen konnte. Man vergleiche nur einmal auf der Landkarte einen Residentenbezirk auf Java mit dem ganzen Flächeninhalt unseres holländischen Heimatlandes!

Eine solche Stellung, die nicht ohne Gefahr war, erforderte überlegene Kräfte. In der Geschichte der inländischen Verwaltung sind indessen ausgezeichnete Residenten die Regel, mittelmäßige die Ausnahme. Der im Range sehr hoch stehende Resident hatte die höchste Stufe der Beamtenlaufbahn erreicht. Bereits als Aspirantkontrolleur befleißigte er sich bei allem frischen jugendlichen Vorwärtsstreben der Tugend der Selbstbeherrschung, einer Tugend, die ihn darauf vorbereiten sollte, später auch über andere herrschen zu können. Als Kontrolleur der inneren Verwaltung mußte er schon eine Persönlichkeit sein. In seinem Ressort mußte er ohne alle Unschlüssigkeit auftreten, zugleich im Umgang mit denen, die nicht von seiner Rasse waren, mit den eingeborenen Beamten, mit den Häuptern der Dessas und der Kampongs, mit den Wedonos und Patis stets den größten Takt zeigen. Er mußte sowohl Diplomat sein wie präsumptiver Thronfolger. Ohne starke innere und angeborene Kultur konnte er das alles nicht erreichen. In jungen Jahren schon mußte er sich darauf vorbereiten, in übertragenem Sinne des Wortes »Vater« zu werden. Als Assistentresident galt er ja dann als der »Vater« des Landes und Volkes. Man verlangte von ihm Liebe zum Volk und zum Land, in dem er seine Karriere machen wollte. Man verlangte von ihm, daß er diese Karriere nicht nur als Selbstzweck ansehe.

Auch der jüngere Beamte der inneren Verwaltung mußte ein anderes Ideal haben als den Wunsch nach Gelderwerb. Es mußte ihm Freude bereiten, für alles zu sorgen, alles zu pflegen und die Wohlfahrt nach Kräften zu fördern. Er mußte seine Belohnung finden in dem Bewußtsein, eine Persönlichkeit zu sein und nicht nur für sich, sondern auch für andere, ja sogar für einen möglichst weiten Kreis möglichst viel zu leisten. Dieser Kreis hat sich in den letzten Jahren sehr erweitert, und das ist der Herrschaft des Autos zuzuschreiben. Früher besaß der Kontrolleur eines nicht allzu ausgedehnten Gebietes kein Auto. Er fuhr in seinem »Bendie« oder er ritt sein Pferd. Er begab sich für zehn Tage oder noch länger auf eine Rundreise und fühlte sich glücklich auf seinem Pferde, in seinem kleinen Wagen, glücklich, obzwar er seine junge Frau und sein Kindchen zurücklassen mußte. Die ganze Sache spielte sich damals in behaglichsten Formen ab. Er kannte jedes Haus, jeden Kampong, jedes Reisfeld, jeden Baum. Saß er während seiner Rundfahrt des Abends in dem Pasangrahan, und hatte er seine Notizen ausgearbeitet, so fand er wohl manchmal Gelegenheit, den Wedono zu sich einzuladen, mit ihm vertraulich zu plaudern und auf solche Weise vielerlei zu erfahren. Jetzt rast sein Auto so rasch durch den Distrikt, daß er Namen, Gesichter, Persönlichkeiten der ihm untergeordneten eingeborenen Oberhäupter kaum kennen oder behalten kann.

Viel konnte der Assistentresident für alle diejenigen tun, die unter seinen Schutz gestellt waren. Wenn er einen monatlichen Koempoelan für alle geringeren javanischen Beamten ausschrieb: Pati, Wedono, Assistentwedono, Dessahaupt – die ganze Hierarchie, an der jeder Eingeborene, insbesondere aber der Javane, mit seinem eingeborenen Sinn für alles Aristokratische, sehr hängt –, so war es ihm möglich, über alle Angelegenheiten zu sprechen, alle Differenzen nach Möglichkeit auszugleichen oder beizulegen. Nach einer solchen Besprechung, die oft viele Stunden dauerte, war er der Vermittler zwischen allen jenen und dem Regenten, den der Eingeborene immer noch hoch verehrt, als das fast immer noch erbliche Oberhaupt seines Geburtslandes, und dem Residenten als unmittelbarem Vertreter und Ausübenden der niederländischen Staatsgewalt.

Diese aufsteigende Linie, diese ganze hierarchische Tradition habe ich immer sehr schön gefunden. Vielleicht, weil ich als Künstler für Harmonie und Rhythmus einen besonderen Sinn habe, und weil ich in dieser Art des Regierens, des Dienens und des Herrschens Rhythmus und Harmonie zu finden glaube. Doch nicht jeder Beamte ist ein Künstler, und daher freute es mich doppelt, aus ihrem Munde oft zu hören, daß meine Auffassung auch die ihre sei und nicht nur die eines weltfremden und dichterisch ideal empfindenden Literaten, und aus ihrem Munde auch zu hören, was ich selbst mir immer dachte: daß Malaien, Sundanesen, Javanen infolge ihrer Beschaulichkeit, ihrer sozusagen stets auf einen einzigen Punkt gerichteten Mentalität, nicht leicht zu eigner Initiative gelangen, daß sie dem Treiben ihrer wenigen fortschrittlich gesinnten Führer im Grunde genommen mit einer halb ängstlichen Antipathie zuschauen; daß Kommunismus für sie ein leeres Wort und ein Rätsel bleibt, ein europäisches Hirngespinst, das sie nicht zu schätzen vermögen, weil ihr Instinkt sie die einfache Wahrheit gelehrt hat, daß es Gleichheit niemals gegeben hat und niemals wird geben können. Neben dem Waringin schießt der zarte, gebrechliche Schilfstengel empor, und die Ameise krümmt sich unter des Tigers Tatze. Mit einem »Semba« den höheren Fürsten »Hormat« zu erweisen, scheint dem Eingeborenen ebenso natürlich wie dieses andere: daß der Schilfstengel vor dem Waringin sich neigt. Man mag Semba und Hormat abschaffen: der Eingeborene wird sich der Vorschrift fügen, allein in seinem Herzen wird er solche Maßregel nicht gutheißen und sie nie verstehen können, wenngleich vereinzelte Fanatiker ihm zu erklären suchen, daß er genau so ein Mensch sei wie der Soenân von Solo. Er empfindet das eben durchaus nicht so. Seine Fürsten stammen von Göttern und Helden ab, die ihm der Dalang bei den Wajangspielen vorführt. Und trotzdem versagt er auch dem europäischen Herrscher nicht seine Verehrung. Wenn er mit der neuen Masse – was ich »Masse« nenne – wirklich einmal mitbrüllt, so ist das purer äußerlicher Übermut. Kommt er wieder zu sich, so denkt er sehnsüchtig an die früheren Zeiten zurück.

Dinge von einst, Dinge von heute; die Zeiten wandeln sich. Die Reorganisation schreitet fort. Unvermeidlich wird der Drang nach Neugestaltung viel Verbitterung mit sich bringen; wie könnte das anders sein? Die immer klüger gewordenen Regenten werden nun auch immer selbständiger regieren. Der Kontrolleur, der in der letzten Zeit nicht mehr so sorgfältig ausgesucht wurde wie früher, da er noch ein schweres Examen zu bestehen hatte und seine moralischen Fähigkeiten einer gründlichen Prüfung unterzogen wurden – der Kontrolleur also wird in Zukunft ausgeschaltet werden; der Assistentresident wird sozusagen mehr Aufsichtsbeamter werden und weniger jener europäische »Pflegevater« bleiben, der er dereinst war. Die engen Bande werden sich lockern ...


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