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Wir verließen Solo und wollten nach Djokjokarta. Wir fuhren an den vielen Zuckerfabriken vorüber. Der Merapi drüben am Horizont war gerade in wildem Aufruhr und entsandte schwere Rauchschwaden, die sich mit den weißen Wolken am blauen Himmel mengten. Das Zuckerrohr glänzte auf dem Felde – hoch aufgeschossen waren die Zuckerstengel, an denen lange, schmale Blätter zierlich herabhingen, und von jedem Blatt tropfte das Sonnenlicht herab wie Tropfen flüssigen Goldes. Allein die Maschinen in den Fabriken waren auseinandergenommen, wie uns der Administrator der Zuckerfabrik Tjepper sagte, und so war nichts zu sehen. Und auch für all die Kaffeeplantagen war der schönste Augenblick nun schon vorüber, in dem die weiß-blühenden Kaffeesträucher unter dem Schatten der scharlachrot blühenden Dadapbäume in voller Blüte stehen. Ein Märchen voll Schönheit, das nur zwei Tage währt – dessen glaube ich mich von früher her zu erinnern ... Alles Blühen, alle Schönheit hängt hier in Java von einem raschen Augenblick ab, von wenigen Tagen, von den Jahreszeiten. Und jetzt herrschen die Regen-Monsune. Trotz allem eine gute Zeit zum Reisen, denn es regnet nie den ganzen Tag: auf Sturzregen folgt der herrlichste Sonnenschein, der über der frisch gebadeten Natur ruht; niemals hatten wir auf unseren Autofahrten unter Staub zu leiden, auch war es meist verhältnismäßig kühl. Zu der Zeit der Ostmonsune hätten Staub und versengende Hitze sicher einen ständigen Programmpunkt gebildet. Der Resident, Herr Jonquière, empfing uns mit der wohltuenden Herzlichkeit, die sämtliche Chefs der europäischen Verwaltungsbehörden auf Sumatra und Java Touristen und Journalisten gegenüber zu zeigen pflegen und die ich so außerordentlich zu schätzen weiß. Denn diese Beamten sind so sehr überlastet, daß es wohl verzeihlich wäre, wenn sie sich den Pflichten der Gastfreundschaft einfach entzögen. Ist nicht der Reiz ihrer hohen Stellung, ihrer einst so beneideten Stellung – darin sie sich wie Könige in ihren Distrikten fühlten –, im Grunde jetzt geschwunden, da neue Ideen sich Bahn gebrochen haben? Würde das vielleicht unseren modernen Zeiten ideal erscheinen – was mir noch sehr fraglich ist –, so müßte doch andererseits die »Dezentralisation« mit ihrer Wegnahme von Verwaltung und Aufsicht über bestimmte Dienstzweige, die doch erst einmal durch hohe Beamte der inneren Verwaltung organisiert worden sind, für diese europäischen Herren des Landes, dessen Verweser sie sind, eine Quelle steter Verbitterung sein. Um ihr Königtum ist es geschehen; zu beneiden sind sie nicht mehr. Von dem Reiz ihrer hohen Stellung ist wirklich nicht mehr viel übriggeblieben, und zwar nicht nur deshalb, weil der »Pajong«, das Symbol der Autorität, ihnen genommen worden ist (eine Neuerung, die kein echter Javane mit seinem von uralten Traditionen erfüllten Hirn jemals recht zu fassen vermag); und es ist kein Wunder, daß diese Männer, denen unser Indien so unsagbar viel zu danken hat, nun verbittert wurden. Mit einem monatlichen Gehalt von 1500 bis 1800 Gulden müssen sie einen Palast bewohnen, der in den Fürstenlanden sogar noch einen Thronsaal enthält. Versuche man doch einmal, mit einer so kleinen Summe in Europa solcherart auszukommen! Dennoch sind sie nicht etwa hauptsächlich deswegen verbittert, sondern weil sie Männer sind, deren kraftvolle Persönlichkeiten, zum Organisieren geschaffen, in der letzten Zeit mitsamt ihren Beamten, Assistenten, Residenten und Kontrolleuren mehr oder weniger beiseitegeschoben wurden. Bedarf man ihrer überhaupt noch, wenn die Regenten selbständig gemacht, auf eigene Füße gestellt werden? Das ist die Frage, die von den »Reformern« gestellt wird.
Einen solchen Residentenpalast muß man an einem »großen« Tage, z. B. am Geburtstag der Königin, im vollen Lichterglanz und mit seinem Blumen- und Pflanzenschmuck sehen. Dann kommt er erst so recht zur Geltung. Im alltäglichen Leben aber bedarf jeder, der ein solches Haus, einen solchen Palast bewohnt, einer Schar von Bedienten; der Park braucht die sorgfältigste Pflege, die einstens Scharen von Sträflingen oblag. Heutzutage bezeichnet man so etwas als »unmoralisch«, und der Park wird von vier bis fünf Kebons instand gehalten.
»Es sieht wohl alles ein wenig verwahrlost aus«, sagte entschuldigend der Resident, mit dem ich hier umherwandelte. »Aber wenn man hier eben etwas angefangen hat, so wuchert dort schon wieder das Unkraut!«
*
Mittelalterliche Bentengs, Forts und starke Mauern würden dem Komplex des Kratons zu Djokjotarta stellenweise das Aussehen einer Festung verleihen, wenn das alles nicht so niedrig und so turmlos wäre und nicht so stillose, weit zurücktretende Dächer hätte. Architektonisch ist dies hier, wie alles in Solo, uninteressant. Dieser weiße Gebäudehaufen vermag keinerlei Eindruck zu machen. Die ganze fürstenländische Schönheit birgt und erschließt sich erst hinter diesen Mauern. Die Stadt selbst wirkt im hellen, lichten Morgen, namentlich in den alten Vierteln, sehr verfallen, aber man ist dabei, für die stetig wachsende Bevölkerung ganz neue Straßenviertel mit kleinen modernen Häusern anzulegen, wie sie jetzt Mode sind.
Als wir eines Morgens den Kraton besuchten, staunte ich vor allem über den »Siti Tingil«, das ist wörtlich »die hohe Erde«; der Eindruck war hier ungleich stärker als an gleicher Stelle in Solo. Vor dem Palast liegt der überdeckte »Pendovo« auf einer kleinen Anhöhe – sein Dach ruht auf sehr einfachen eisernen oder hölzernen Säulen. An einer geweihten Stelle thront dort bei festlichen Gelegenheiten der Sultan, ihm zur Seite der Resident, der ihm den Arm reicht und ihn dann zu seinem Sessel führt. Einem Sessel, der dem des Residenten völlig gleich ist. Sonst ist dieser geweihte Ort gewöhnlich durch eine Art Käfig abgeschlossen, um zu verhindern, daß irgend jemand ihn betritt.
Sehr schön ist das Innendach aus geschnitztem Djatiholz. Auf einer ebenfalls von einem Gitter umgebenen Estrade rechts steht bei Festlichkeiten der Sessel für den Kronprinzen. Links hocken die Staatswürdenträger mit den Reichskleinodien.
An diesem hellen Morgen machte diese ganze Kratonanlage einen beinahe geheimnisvollen Eindruck. Der Ordonnanzoffizier des Regenten begleitete mich. Er machte uns aufmerksam auf die geweihten, verschnittenen Waringinbäume, die sich hinter Balustraden aus Stuck vor dem Siti-Tingil erheben. Bricht ein Zweig von diesem heiligen Baume ab, so bedeutet das den Tod eines Familienmitgliedes des Sultans. Von der Höhe des Thrones herab blickt man wie aus einer persischen Apdâna, einem Thronsaal, über den weiten Platz, und bei festlichen Anlässen kann die ganze dort zusammengeströmte Menge den Sultan neben dem Residenten sehen. So ist es auch in Solo.
Es sind ein paar hübsche Anekdoten über frühere Sultane und Soenâns und frühere Residenten im Schwange. Die Pajongs des Fürsten und Residenten mußten von gleichem Umfange sein. Hin und wieder aber ließ der Sultan insgeheim seinen Pajong größer machen, als es die Vorschrift gestattete. Der Resident, der sich also gefoppt sah, sagte dann kein Wort, sondern bestellte unverzüglich einen neuen Pajong von gleichem Durchmesser wie den des Sultans.
Die Sessel von Fürst und Resident mußten genau in einer Linie stehen, aber der Fürst stellte sich dann manchmal, als sei er kurzsichtig, kniff die Augen zusammen und zog dann seinen Sessel an den Armlehnen nach vorn, so daß sein Stuhl vor der vorgeschriebenen Linie stand und der Resident infolgedessen seinen Sitz ein wenig hinter ihm hatte, wenn auch nur ein paar Zentimeter. Der Resident aber ließ sich solches nicht gefallen, sondern zog mit der gleichen Bewegung auch seinen Stuhl nach vorn, so daß er wiederum in gleicher Linie mit seinem »Sohn« thronte – galt er doch offiziell als »Vater« des Fürsten! Und dieser ließ nun wie zufällig sein Taschentuch fallen und hoffte, der Resident würde es aufheben, was ihn natürlich in den Augen der javanischen Höflinge ringsum außerordentlich herabgesetzt hätte. Der Resident aber winkte einem aus dem Gefolge und befahl ihm, des Fürsten Taschentuch aufzuheben ... Doch von all solch kleinen Scharmützeln spricht man jetzt nur noch wie von Anekdoten aus der Zeit vor dreißig und mehr Jahren. Die Fürsten sind heuzutage wirklich loyaler geworden und empfinden durchaus richtig, was für eine Stütze sie an den Residenten haben.
Wir gingen durch Höfe und Gärten. In Wachthäusern kauerten hier und dort »Regenten«. Ich darf daran erinnern, daß sie ungeachtet dieses hochklingenden Namens nichts anderes sind als Ordonnanzoffiziere und Kammerherren, die jedes Winkes gewärtig sein müssen. Man verwechsle sie daher nicht mit den europäischen Statthaltern und Verwaltungschefs, die anderswo an der Seite des Residenten stehen. Die Wache wurde gerade abgelöst; die Soldaten schienen schon recht betagt; sie trugen altmodische Säbel, uralte Speere und Feuerrohre, und im großen und ganzen machten diese »Verteidiger« des Sultans einen etwas jämmerlichen Eindruck. Ich brachte in Erfahrung, daß er im ganzen über acht Fahnen und achtzig Soldaten verfügt.
Wir gingen weiter. Keinerlei Prunk – die alte Pracht früherer Zeiten sollten wir erst später sehen. Dafür aber ein geheimnisvoller Zauber. Hier ist alles so seltsam, so starr, so zauberhaft. Man fragt sich unwillkürlich, wie das in der nächsten Zukunft werden soll. Ein Prinz – mir schien er ein älterer Bruder des Sultans, wohl der Sohn einer Nebenfrau, zu sein – hockte mitten im Garten am Boden, vor sich das Rauchgerät, hinter sich sein Gefolge. Er beachtete die Reisenden gar nicht. Reglos saß er dort und träumte, rührte sich nicht, starrte vor sich hin. Als wir nach einer Stunde an gleicher Stelle wieder vorüberkamen, saß er noch immer in der gleichen Haltung dort. Nun, da ich wußte, wer er war, glaubte ich, ihn grüßen zu müssen; er aber blickte nicht auf, stellte sich, als sähe er mich nicht. Reglos verharrte er da in seiner Versunkenheit und verachtete vermutlich alle, die vorübergingen.
Nun sahen wir den Gerichtshof, in dem sich wiederum ein vergitterter, erhöhter Platz mit einem Thronsessel befindet, den keines Ungeweihten Fuß betreten soll. Dort ist die Wand, an der verurteilte Missetäter erdolcht wurden. – Ein paar Prinzen gehen an uns vorüber – ihr Turban ist eng um die Schläfen gelegt und von hinten zur Seite hin in eine lange Spitze gezogen. Schlanke, sich in den Hüften wiegende Gestalten sind es; der Dolch steckt jedem hinten im Gürtel. Überall kauern reglos Menschen. Manche von ihnen trinken auf ihrer kleinen Matte ihren Morgenkaffee. Sie haben hier geschlafen. Steht ihnen kein anderer Raum zur Verfügung, daß sie hier um und auf dem Gerichtshof die Nacht verbringen mußten?
Nackte Kinder springen umher. Ein kleines Amulett baumelt ihnen über den Leib. Ein Auto mit Diener und Pajong fährt vor einer Tür vor. Die älteste Schwester des Sultans kommt zu ihrem Bruder zu Besuch. Am Abend werden wir sie kennenlernen. Jetzt wirft sie nur einen flüchtigen Blick auf die Fremden und geht dann weiter; ihre Dienerinnen hinterdrein. In einem Palankin aus Glas werden ganze Berge von Obst hereingetragen – gewiß ein Geschenk, eine kleine Huldigung – ich weiß nicht von wem. Ganz eigenartig sehen diese Pisangs und Mangis und Ramboetans aus, wie sie so zierlich in Körben aufgestapelt und in gläsernen Palankins fortgebracht werden. Eine ganz überraschende Einzelheit ostindischer Huldigung ... Dann plötzlich ein Duft von schweren Parfüms und Blumen, ich weiß nicht, woher er weht ...
Ich freue mich, schon am frühen Morgen etwas vom Kraton zu sehen, bevor wir am Abend dem Sultan unsere Aufwartung machen dürfen. Und wir gehen weiter. Noch so vieles soll uns gezeigt werden. Hier hocken über ihren Karten, ihren Würfeln, ihren Kaffeetassen zehn, zwölf alte Frauen und fragen unsere Führer neugierig:
»Wer ist das? Haben sie eine besondere Erlaubnis? Es ist doch heute nicht Freitag?«
Das sind die Haremswächterinnen, denen es gar nicht recht ist, daß wir so eine besondere Erlaubnis haben; sie fragen und schwatzen hinter unserm Rücken her wie unzufriedene Papageien, indes wir weitergehen.