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XV

Der Boeroeboedoer – Der Traum einer Königin – Die Prambanan-Tempel

Eine Galerie des Boroboedoer

Das ist der Boeroeboedoer, diese aus der Ferne schon mit ihrer dunklen Silhouette auffallende architektonische Masse, die sich dann, wenn man näher kommt, von dem Hügel abhebt und aus dem Kokoshain als erhabener Gipfelpunkt herausragt? Es ist kein Tempel, in den man hineintreten kann. Doch darf der Gläubige sich vielen dieser Buddhabilder, die hier unter »Stupas« – glockenförmigen, durchsichtig gebauten Kuppeln – aufgestellt sind, stets in Ehrfurcht nahen, nicht minder vielen der Basreliefs, die Buddhas Leben, in Stein gehauen, darstellen. Nein, der Boeroeboedoer, das Heiligtum mit Tausenden von Buddhas, könnte viel eher als eine Art von Reliquienschrein gelten, in dem ein Stück von Buddha selber, ein Glied seines geheiligten Körpers, als Heiligtum verwahrt würde ...

Diese Vermutung drängt sich dem auf, der an den höher und immer höher hinaufgeführten Galerien vorüberwandelt. Der Zauber, der von all diesem Unbekannten ausgeht, ist ungeheuer stark. Dieses riesengroße Bauwerk ist voller Geheimnisse. Hat man sich ihm genähert, so ist der massige, schwarze Bau in dem vom Morgen zum Mittag immer heller werdenden Lichte ganz grau geworden. Und wird immer grauer und grauer, bis hier und da einige Teile in dem grellen Sonnenschein fast weiß schimmern, und bis schließlich das Ehrfurcht gebietende Heiligtum vom Mondenschein weiß, elfenbeinweiß beleuchtet, kreideweiß aus dieser weiten Umgebung von Palmenhainen hervortritt, die sich unter dem kaum noch blauen, auch fast weißen Nachthimmel bis zum Horizont erstrecken.

Über vier stets höher ansteigenden, vielwinkligen, nicht überdachten Galerien, deren kaum mannshohe Wände geschnitzte, das Leben Buddhas darstellende Friese aufweisen, erheben sich die drei runden Terrassen, auf denen die verschiedenen Kuppeln ruhen. Und von der höchsten Terrasse ragt die glockenförmige Stupa empor, in der vermutlich die heilige Reliquie verwahrt liegt – ragt hinein in den Himmel, in den Sonnenschein, in den Wind, in die Mondeshelle. Nichts ist erhabener als dieser Gedanke, daß hier die Überreste des vergänglichen Körpers dieses Menschengottes, hier sein fleischloses Gebein, vielleicht sogar nur eine Haarlocke, der geheime Zauberkraft innewohnt, in geweihtem Schreine verwahrt werden. Den inbrünstig verehrten Fetzen eines von ihm getragenen Mantels umschließt die Spitze eines mächtigen Bauwerkes, das sich, bis an den fernen, blauen Horizont sichtbar, zum Himmel emporreckt.

Riesige Löwen halten wie Doppelposten Wache auf der Schwelle, und durch geheimnisvolle schmale Pforten geht es auf engen Treppen empor. Wasserspeier und Regentraufen sind in Formen von Märchentieren ausgestaltet. Blumengewinde umranken die Basreliefs. Kreislinien verschlingen sich zu dichten Arabesken und füllen den Raum zwischen den steinernen Gemälden, die nun beinahe wie Hochreliefs wirken. Aus Stein gehauene Blumen in Vasen bilden die Ruhepunkte zwischen den verschiedenen legendarischen Darstellungen dieser Skulpturen.

Wenn man nicht allzu hastig, sondern mit östlicher Geduld und voller Andacht durch das Osttor tritt und an der Wand der Galerie entlang geht, so erschaut man die Menschwerdung und das Leben Buddhas, und da kann es geschehen, daß die in den Raum gebannten Kunstwerke sich vor der Phantasie des Beschauers beseelen und ein höheres, idealeres Leben gewinnen. Hier in dieser stimmungsvollen, von einer sanften Brise nur leicht bewegten Atmosphäre kann der Betrachter, eben erst der Erde enthoben, alles vertiefter, geistiger erfassen und sich loslösen von dem gemeißelten Stein. Das Kunstwerk wird ihm zur Wirklichkeit. Der Buddhisatwa – das ist er, der alsbald zum Buddha werden wird – ist sich im Himmel seiner Mittleraufgabe bewußt geworden und verkündet Göttern und Engeln, daß er zu Fleisch werden und zur Erde hinabsteigen will. Vor ihm steigen die heiligen Himmelswesen hinab und lehren das Volk die Vedas. Die Götter beratschlagen, welche Gestalt der Buddhisatwa annehmen soll. Seine Göttlichkeit soll sich in vielerlei Gestalten voller Demut wandeln. Zum letzten Male beten ihn die göttlichen Wesen im Himmel an. Hier sind seine zukünftigen Eltern: ein König und eine Königin. Sie, die Königin Maya, träumt, daß sie einen weißen Elefanten gebären wird; sie erwacht und begibt sich, von frommen Empfindungen bewegt, in den Acokawald. Brahmanen deuten ihr den Traum: sie wird den Herrn der Welt gebären. Ihr Gemahl zieht sich voller Ehrfurcht in eine Einsiedelei zurück.

Nun geschehen Wunder: Löwen lagern sich als Torhüter vor die Schwellen des Palastes; ein Zug von Elefanten naht, um dem König seine Huldigung zu erweisen; himmlische Wesen schweben aus den Wolken hernieder.

König und Königin beten einander an. Dann gebiert sie das Kind. Strahlend sitzt es auf einer hochstieligen Lotosblume. Sieben Schritte macht es jedem der Elemente und den Windrichtungen entgegen. Die Götter selber spenden ihm das Wasser zu seinem Bade.

Asita, ein Brahmane, prophezeit dem König, sein Sohn werde der Buddha sein. Und wirklich bringen ihm die Götter auf Erden ihre Huldigung dar, und die Fürsten schenken ihm Schätze und Paläste.

Allein all dieser Glanz ist nur blasser Schein neben dem Glänze des Kinderkörpers. Wenn der Buddhisatwa als Knabe zu seinem Lehrer geht, so schwinden diesem vor Ehrfurcht die Sinne, sobald er ihn nur nahen sieht. Er nimmt wunderbar zu an Weisheit. Sitzt er grübelnd unter dem Bodhibaum, so wendet dieser seinen schützenden Schatten nicht ab von ihm ...

Und so rollt sich die sinnreiche Legende weiter und weiter ab. Es würde zu weit führen, alle Basreliefs in diesen höheren und tieferen Galerien zu erläutern. Diese Skulpturen sind sehr weich geformt und zeugen von großer Reife. Mir will es scheinen, als seien sie nicht archaistisch-naiv genug; sie muten manchmal sehr weltlich an und haben nichts von primitiver Schönheit. Alle Verzückungen und alle Anbetungen sind zu bewußt als Apotheosen ausgestaltet. Ich könnte mir denken, daß es in früheren Zeiten Bildhauer gegeben haben muß, die alle diese Dinge in größerer Schlichtheit und Frömmigkeit darstellten. Diese Kunst nähert sich hier schon höchster Vollkommenheit.

Fühlen wir uns nun ein wenig müde nach all diesen lieblichen Darstellungen blühenden Lebens, und blicken wir empor, sehen wir in den blauen Himmel und die grünen Palmenhaine über uns, so empfinden wir doch, daß diese Kunst sich bereits der Überreife, der Dekadenz nähert. Die verschiedenen Buddha-Inkarnationen neigen schon ein wenig zu theatralischer Pose. Die ganze Konzeption des Boeroeboedoer ist eine Stein gewordene, dem Himmel Hymnen singende Verzückung; die Details dieser Friese aber muten durchaus weltlich an. Möglich, daß hieran das Material – der poröse Stein – schuld ist, das sich nicht immer stark genug vergeistigen läßt. Möglich aber auch, daß der Bildhauer zu viel Künstler und zu wenig Brahmane war.

Diese Annahme erscheint vielleicht seltsam. Und wie vermessen ist es doch eigentlich, über etwas zu urteilen, das vor Jahrhunderten durch Vermittlung von Künstlern entstand, die unserer modernen Seele vollständig fremd geworden sind! Wer aber vermöchte die Spontanität seiner Eindrücke zu unterdrücken?

Während ich so kritisiere, empfinde ich eine gewisse Ungerechtigkeit. Schaue ich dann um mich und hinauf in den Himmel, so ist es mir gleich wieder, als strömte etwas von diesem früheren Gottesdienst, von dieser einstigen Kunst versöhnend mir entgegen, dieweil ich noch dort auf jenem Felsen stehe, der einsam herausragt aus dem Meer der Zeiten, das all dieses tiefe Nachdenken über himmlische Dinge verschlang.

Die verschiedenen Atavaras, die Reinkarnationen, bleiben in dieser Bilderreihe doch stets sehr interessant. Der Buddhisatwa wird als der Sohn eines Brahmanen dargestellt und bietet seinen Körper einer hungrigen Tigerin dar, die ihre Jungen nicht säugen kann. Als Sohn eines Fürsten schenkt er seine Augen einem blinden Bettler, der sich dann als der Gott Çakra zu erkennen gibt und ihn reich belohnt. Stets bildet seine außerordentliche Wohltätigkeit das vorherrschende Motiv. Er wird als der Gott Çakra selber geboren. Wird geboren als König der Schwäne. Geboren als ein großer Affe, der einen im Walde Verirrten vor einem Abgrund rettet. Dem Geretteten, der undankbar den Buddhisatwa töten will, verzeiht er ... Er wird geboren als ein Hirsch, der mit melodischer Stimme bei Hofe Wahrheiten predigt. Er wird ein Elefant. Ein andermal ist er ein Stier, er ist Prinz, Asket, Holzhacker. Er befreit einen Löwen von einem Knochen, der ihm querdurch im Maule steckt. In den durchsichtigen, aufeinandergeschichteten Kuppeln aber, die ihre Glocken von den Terrassen erheben, sitzt – oder saß – der Buddha als Grübler. Dort ist er der historische Çakyamuni oder einer der fünf Dhyani-Buddhas, die nach den »Mudras«, der Haltung beider Hände, unterschieden werden. Beim Herrscher über den Zenit senkt sich die linke Hand mit Daumen und Zeigefinger über die Brust, wie um die Argumente seiner Predigt zu deuten. Der Herrscher über den Osten läßt die linke Hand geöffnet im Schoße ruhen, während die rechte über das Knie herabhängt. Mit dieser Bewegung berührt der Buddha die Erde, gleichsam um sie zur Zeugin seiner Göttlichkeit aufzurufen. Als Herrscher über den Süden läßt er die linke, mit der Innenseite aufwärts gerichtete, geöffnete Hand im Schoße ruhen; die Rechte liegt mit ebenfalls geöffneter Handfläche auf dem Knie. Dies ist die »Geste« der Wohltätigkeit. Als Herrscher über den Westen läßt Buddha beide Hände übereinander umgekehrt im Schoße ruhen, wobei die Spitzen der Daumen einander leicht berühren. Dies ist die Dhyana-Mudra. Erscheint er als Beherrscher des Nordens, so ruht des Buddha linke Hand nach oben geöffnet im Schoße, die rechte hebt er vor die Brust, um seine Furchtlosigkeit anzudeuten.

Stets verrät die Haltung des Hauptes edelste Ruhe. Stets ist der Schädel in Form einer Kugel dargestellt, die »Urva« der zu den Sternen reichenden Erhabenheit als Juwel oder Perlen rings um die Stirn gelegt. Die Ohrläppchen reichen weit herunter, das dichte und lockige Haar ist kurz gehalten. Die Mönchskutte mit ihrem edlen Faltenwurf öffnet sich über der Brust und schmiegt sich eng um Knie und Füße.

Was von diesen Bildnissen in den »Stupas« oder offenen Nischen noch übriggeblieben ist, stimmt mehr noch als die durchgearbeitete Feinheit der Basreliefs zu frommer Andacht. Es ist, als seien sie voll schlichterer, großartigerer, göttlicherer Beseelung, da der Künstler nun nicht mehr der allzu wandelbaren Legende zu folgen brauchte, sondern sich ganz der plastischen Gestaltung des erhabenen, ruhevollen, des allumfassenden Gedankens widmen konnte. Und es ist ein Wunder der Schönheit, wie der sinnende Buddha so dasitzt: mit gekreuzten Beinen, Knie und Hände in der »Mudra« des Grübelns gespreizt, krönt er in diesem hocherhabenen Platze oberhalb der Frieswand gleich einem Diadem die sein ausgearbeitete Nische. Man geht gerade auf die dort plötzlich erscheinenden Buddhabilder zu, und dieser Gang wird gleichsam zur Anbetung ...

Neben diesem Jahrhunderte alten Fels, dem Boeroeboedoer, gibt es noch die Heiligtümer des Mendoet und Tjindi-Sewoe; sie gleichen wundervollen Riffen, auf denen sich Hinduismus und Buddhismus inmitten der Sturmflut der Zeiten noch immer fest behaupten. Möglich, daß der Mendoettempel in seiner gedrängten Form das allerschönste ist, was von diesem Gottesdienst und dieser höchsten Kultur noch erhalten blieb. Die drei Bilder der »Trimoerti« – der Dreieinheit von Brahma, Vishnu und Çiwa – oder vielleicht gar Buddhas selber zwischen Avalokiteçara und Manguri, die sich hier jedes für sich in einem ziemlich kleinen Raum erheben, wo noch immer Blumen- und Duftopfer dargebracht werden – gleich als hätte niemals Mohammed von dem einigen Gott gesprochen –, erheben sich hier unter dem typisch-hindustanisch pyramidenartig aufgebauten Dache in geradezu verblüffender Pracht vor dem überraschten Blicke. – Wenn je ein Bildhauer der sich auftürmenden Steinmasse, die er fromm mit seinem Meißel bearbeitete, den Ausdruck der Göttlichkeit zu verleihen wußte, so ist das in höchster Vollkommenheit bei diesen Kolossen gelungen, die weiß wie Marmor dort in dem geheimnisvollen, von Dämmerlicht erfüllten, pyramidenförmigen Heiligtum thronen: Çiwa, der Matadswa, der »Große Gott«; Vishnu, der Reiter auf dem Fabeltier Garuda, dem Sonnenadler, und zwischen ihnen beiden Brahma, der Schöpfer des Alls: es ist kaum möglich, sich von der überwältigenden Schönheit dieser plötzlich dem Blicke sich darbietenden himmlisch-schönen Titanen loszureißen!

Die Schönheit des Prambanan-Tempels will mir fast noch feiner erscheinen als die des Boeroeboedoer; der Komplex dieser prächtigen, harmonisch und hierarchisch übereinander erbauten Heiligtümer, in denen die »großen Götter« in ihren erhabenen Tempeln thronen, erinnerte mich geradezu an das Rokoko. Der Tjandi-Sewoe gleicht einer Tempelstadt, deren Tore von den rauhen Râksasas bewacht werden; er macht einen intimeren, beinahe zur Wehmut stimmenden Eindruck; insbesondere der mit gekreuzten Beinen dasitzende Buddha, über den sich keine Stupa mehr glockenförmig wölbt, dem auch kein Bodhibaum den Schutz seines unbeweglichen Schattens spendet, weckt trauernde Empfindungen. Wolken und ferne Bergumrisse hinter dem reglosen Haupt, saß er da wie erstarrt im Grübeln, das schon Jahrhunderte währte, wie die Verkörperung einer vergänglichen Stimmung, wie die Materialisierung eines heiligen Traumes, die ungeachtet des Sonnenbrandes und der Regenfluten, die seit Jahren, seit Jahrhunderten schon den heiligen Schädel getroffen haben, nicht von dieser Stelle gewankt und gewichen ist.


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