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So zwischen höheren und niederen Hofschranzen nahen wir uns nun dem Empfangssaal. Niemals darf man dabei an einen von Wänden umschlossenen Raum denken. Diese Hofräume sind immer offen. Die Decken sind aus Djatiholz, das mit Blattgold überzogen ist. Eine tiefe Stille liegt über diesen weiten Hallen. Nur hier und da vernimmt man das Klappern von Würfeln, mit denen die herumhockenden Trabanten spielen ...
Dies ist nun der eigentliche Kraton; dort drüben liegt das gelbe Haus – Gedong Koening –, in dem der Sultan wohnt, und unmittelbar daneben sind die Amtszimmer. In einem der Innenhöfe sitzen in ihren Käfigen ganz traurig die Kampfhähne und ein Nashornvogel. Und hier ist der Tanzsaal, in dem die Srimpi, die Töchter des Regenten, wohl an einem dieser Tage tanzen würden, wenn nicht strenge Trauer um den alten Sultan Hamangkoe VII. angeordnet wäre. Die Initialen H. B. VII sieht man überall ringsum, besonders auffällig aber auf einem großen Wandschirm aus Spiegelglas, einem durchsichtigen Wandschirm ... Solcherlei Prunk ist hier oft etwas unlogisch und keineswegs immer geschmackvoll.
Wieder begegnet man in diesem Allerheiligsten des Kraton dem symbolischen Hochzeitsbett, das mit erhabenem und vergoldetem Schnitzwerk verziert ist. Auch werden hier in vergoldeten Kästen und Schreinen die heiligen »Poesakas« verwahrt, die wir auf Fürsprache des Residenten an jenem Abend dank allerhöchster Erlaubnis werden bewundern dürfen. Eine ewige Lampe steht vor dem Bett und mitten zwischen diesen heiligen Gegenständen. Alte Frauen besorgen allein diesen geweihten Teil des Kraton; kein Mann hilft ihnen bei ihrer Arbeit. Um sechs Uhr morgens öffnen sie die Türen, um sechs Uhr abends werden sie wieder geschlossen. Bei Festlichkeiten bieten diese Frauen geweihte Waffen jedem dar, der das Recht hat, sie zu tragen.
Der Thronsaal liegt gerade gegenüber; die Decke des Raumes – geschnitzte Holzarbeit, mit Blattgold überzogen – ist prächtig kassettiert: zahlreiche schmale Linien schimmern wie ebenso viele goldene Sonnenstrahlen.
Wenn eine Frau an dem heiligen Lager und an den Waffen und an den verschlossenen Poesakas vorübergeht, so macht sie selbst aus der Ferne die Geste des »Semba«, etwa so, wie die Katholiken das Kreuz schlagen, wenn sie an einer Kirche vorübergehen.
Nun sind wir wieder draußen. An der Pforte steht eine Schildwache mit einem uralten Vorderlader. Was sind das für alte Waffen, was für veraltete Kanonen! Welch seltsame Überbleibsel einer allmählich ganz vergehenden Macht! Und was ist das wohl auch für ein Wespennest voller Intrigen, die von diesen vornehmen und niederen Frauen gesponnen werden! Der regierende Sultan war lange Zeit in Holland, um sich diesem Ränkespiel zu entziehen. Zwischen Ratoes und Nebenfrauen, Söhnen der ersteren und Söhnen der letzteren – welch ein Haß! Was für Verbrechen; was für geheime Gifte, die in tiefster Verborgenheit geheimnisvoll gemischt werden; was für Geheimnisse, die niemals entschleiert werden ...
Am Abend empfängt uns der Sultan. Er ist noch jung. Und welch gewaltiger Unterschied zwischen ihm und dem Soenân! Der Sultan ist ein durch und durch orientalischer Fürst, sehr vornehm, sehr ruhig, allzeit lächelnd, mit den feinsten Manieren. Während der Resident mich vorstellt, entschuldigt er sich gleich, daß er wegen der Trauer um seinen Vater weder Srimpis tanzen lassen noch seinen Wajang vorführen lassen könnte. Es ist also ein ganz privater Empfang. Erfrischungen werden von Dienern gereicht, die sorgfältig und schmuck in gutem alten javanischen Stil gekleidet sind; es fehlt ihnen aber das Unterwürfige, das mir vor zwanzig Jahren an den kriechenden Dienern mancher Regenten so mißfiel; offenbar wird es nicht mehr von ihnen verlangt, wohl dank dem Einfluß moderner Anschauungen. Und obwohl der Sultan nicht viel Holländisch spricht und ich nicht viel vom höfischen Malaiisch – ich beginne meistens mit einem sehr dürftigen malaiischen Satz, den ich dann holländisch beende! –, so richtet er doch immer wieder das Wort an mich und fragt mich nach meiner Reise, insbesondere nach meinen Eindrücken von Sumatra.
Dann erhoben wir uns. Drüben sind mittlerweile die »Poesakas« ausgebreitet; uralte, geheiligte Dinge: goldene Vasen, Sirihdosen, goldene Truthähne und Drachen, Garoedas – die Vögel Vishnus –, Schilde, Speere mit vergifteten Spitzen, Dolche, Lanzen. Jeder dieser Gegenstände hat einen Namen; aber ich will nicht so viele Namen aufzählen; alle diese Kostbarkeiten zusammen heißen »Depàtjàrà« oder »Kĕpraton«. Der Raum, in dem uns der Sultan empfing, sein offizieller Audienzsaal, der vor der Estrade mit dem geweihten Bett liegt, ist der »Poerbàjèka«; und ein Dolch wird »Kjahi Dewàperwàtà« genannt. Das sind gar poetische Benennungen, und so sind sie alle ... Aber der Leser mußte sich mit ihrem bloßen tönenden Klang begnügen: was die Namen bedeuten, weiß ich selber oft nicht zu sagen. Der Dolmetscher des Residenten hat sie mir leider nicht alle übersetzt. Eben erst erfahre ich die Übersetzung einiger solcher klangvollen Benennungen von Juwelen. Das kommt mir gerade zustatten. – Ich möchte also noch hinzufügen, daß ein Ring mit einem riesigen Brillant »Temonengoe-Sidji« heißt: »der mit dem einen Auge«, während kleinere Brillantringe »Melati-knoppen« genannt werden. Viele dieser prächtigen Boesaka-Ringe haben Namen wie »glitzerndes Meer« und »Weckerin des Lächelns«, und wenn sie als klein gelten, so sind sie für unsere bescheideneren Vorstellungen noch immer recht groß!
Nach unserem Begriff ganz besonders schön und stimmungsvoll ist die Ruine eines Wasserkastells in Djokdja. Das ist wie ein Märchen aus alten Zeiten. Ein Märchen von Sultan und Prinzessin. – Wenn man nur das geheime Zauberwort wüßte, mit dem die Schatten dieser javanischen Fürsten und Fürstentöchter in diese gar zu verwahrloste Ruine heraufzubeschwören wären! Indessen diese an sich so schreckliche Verwahrlosung hat dem ganzen Komplex dieser Türme, Treppen, Bassins, Weiher und steinernen Gemächer, in denen das Moos wuchert und die großen Blätter der Caladia, tropisches Unkraut, zwischen den Steinen aus regengefüllten Pfützen aufschießen, mit zu seinem höchst malerischen Eindruck verholfen. Gewiß schweben hier zur Dämmerstunde die Geister derer umher, die sich früher in ostländischer Pracht und ostländischem Prunk ergingen, als diese Weiher und Bassins noch voll klaren Wassers waren, als Barken hier anlegten, als man hier schwamm und badete, während Flöten und Lauten dazu erklangen. Es war wohl ein Lieblingsplatz aller Wasserfreunde, und nun ist es recht eigentlich ein nationales Denkmal, genau so wie der Boeroeboedoer. Aber die verwitterten, grün und grau überzogenen Steine bröckeln ab. Niemand kümmert sich um dieses Wasserschloß, außer den paar javanischen Frauen die hier Weihrauch – Doepa – und Blumen an manchen allerheiligsten Orten opfern, etwa in diesem seltsamen, ganz aus dem Stein herausgehauenen Schlafgemach mit seinem gleichfalls aus Stein gemeißelten schweren Wandschirm ...
Und so haben wir nun alles in Djokdja gesehen und verlassen diese Stadt mit jener immer wieder neu empfundenen Wehmut, ich möchte sagen: jenem Heimweh des Reisenden, der sein Herz an jeden Fleck eines Ortes hängt, der ihm interessant ist, und den er eben nur deshalb verläßt, weil er doch nicht immer dort bleiben kann. Und wir verlassen die Fürstenlande – alles, was von dem großen ehemaligen Reiche von Mataram noch übriggeblieben ist. Ist das nicht viel, so ist es wenigstens etwas von all der einstigen hochherrlichen Größe ... Dicht beieinander liegen der Boeroeboedoer, die Tempel von Mendoet, von Prambanan, von Tjandi-Sewoe: alles Stätten einer uralten Kultur. Und am allerseltsamsten ist dies: Verlegt man die Erbauung des Boeroeboedoer ungefähr in das Jahr 900 nach Christus, so vergesse man dabei nicht, daß die hindustanische Kultur sich schon etwa ein Vierteljahrhundert später nach dem Osten von Java hinübergezogen hat. Vermessen freilich wäre es, anzunehmen, daß die Erbauung des Boeroeboedoer nicht länger gewährt haben sollte als diese rasch vergangenen fünfundzwanzig Jahre. Wenn jedoch die Zeitrechnung der »Urkunden« stimmt, dieser beschriebenen Steine und Kupferplatten, die allein uns die Annalen aus jenen Tagen gelten, so hat in jener Zeit tatsächlich eine große politische Bewegung nach Osten hin eingesetzt; dann ist das Reich von Kediri in diesen Zeiten zur Macht gelangt. Wie wenig ist, mit Ausnahme der genannten grandiosen Tempel, aus jenen historischen Zeiten noch übrig, übrig von dieser Macht und Größe Matarams, die wankte und fiel, von dieser Macht und Größe von Kediri, die damals erst im Aufblühen war.
Wie gehen die Jahrhunderte, von denen jedes seine eigene Kultur hat, übereinander hinweg, gleich wie Wogen über Wogen hinwegfluten! Und wie wenig lassen sie von dem zurück, was Millionen von Menschenseelen während so vieler Jahrhunderte zustande gebracht, von dem, was diese Seelen alles durchlebt und durchlitten haben! Kaum, daß noch ein einziger gewaltiger Felsen aus dieser Flut der Zeiten emporragt, wie der Boeroeboedor oder jene anderen Tempel, die uns neben diesem Felsen nur wie Riffe und Klippen erscheinen. Riffe und Klippen, darauf sich die bedrohte Schönheit jener Zeiten flüchtete und bis zum heutigen Tage hielt. Und sonst: nichts als die paar beschriebenen Steine, als die paar erzenen Blätter der Chronik, nichts als ein paar Namen von Fürsten und heiligen Asketen, denen man Kultstätten errichtete, und eine einzige »Lingga« (ein Phallus-Symbol), darauf beinah unentzifferbare Lettern stehen. Erlangga heißt im Jahre 1000 der große Fürst, der über Kediri herrscht bis zum Osten hin, bis nach Janggala. Er führte Kediri auf den Weg zur höchsten Macht. Kaneçwaza ist noch ein anderer König, der uns interessiert, weil er der Raden Pandji der Pandji-Romane ist, aus denen der Stoff jenes Wajang-Wong-Spiels geschöpft war, das wir sahen. Was sonst aber wissen wir noch von den ältesten Zeiten dieser Lande, die heute der Kaffee- und Zuckerkultur und der Jagd nach dem Gelde zum Opfer fielen? Helden und Götter haben hier gekämpft: Legenden tragen ihre Namen noch von Berggipfel zu Berggipfel ...
Aber ich will nicht weiter von diesen Dingen und Menschen reden, von denen wir so wenig wissen. Diese Schatten lassen sich in dieser Atmosphäre auch kaum aufrufen – während man sich doch die antike Welt von Hellas und Rom gar leicht heraufbeschwören kann. Liegt es vielleicht daran, daß die gewaltige Natur hier mit so mächtiger Kraft stets so stark fortschreitet, daß unter den breiten Blättern und schweren Baumkuppeln durch heftige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche all das vernichtet wird, was vor kaum hundert Jahren noch sichtbar war oder sich doch leicht erraten ließ? Es ist leichter zu verstehen, daß Athen und Rom existiert haben, als daß hier gänzlich verschwundene Städte des Mataram-Reiches unter ihren Statthaltern und Wesiren bestanden haben, deren Namen kaum eine Legende bewahrt hat.
Und dennoch ist von allem etwas übriggeblieben: das Volk dieser Männer mit den langen Haaren, die Mitteljavanen. »Heiratet keinen Mann mit langen Haaren, ihr Jungfrauen, wenn ihr glücklich werden wollt«, so lautet in Ost- und Westjava ein Sprichwort, in dem die Frau vor den Männern aus den Fürstenlanden gewarnt wird. Sind sie von vornehmer Herkunft, so zeigen sie nicht die geschmeidige Anpassungsfähigkeit der Sundanesen und Westjavaner. Sie lernen das Niederländische nicht so leicht wie jene beiden. Sie sind dazu auch zu stolz und zu hochmütig. Etwas Spöttisches und Verächtliches liegt in ihrer Art; sie fühlen sich, wie sehr sie sich auch mit späteren Elementen vermischt haben mögen, immer noch als die Nachkommen der Männer von Mataram. Sie sind ihrer äußeren Religionsübung nach Mohammedaner, doch wieviel Hindustanisches hält sich noch in ihrem Nebenglauben (wenn wir ihn nicht geradezu »Aberglauben« nennen wollen)! Sie fühlen sich als die geborenen Aristokraten. Ich möchte hier ein Wort zitieren, das ich früher einmal hörte: »Noch der geringste javanische Kuli ist ein Aristokrat.« Und sind ihre Großen vielfach feine, sensible Naturen mit allzeit von Geheimnissen erfüllten Seelen, so ist das gewöhnliche Volk viel derber und rauher veranlagt als z. B. das der Sundalande ... Die mitteljavanische Frau mit ihrem unordentlichen, linkerseits angebrachten Haarknoten und ihrer dunklen Tracht kann sich mit der sundanesischen nicht vergleichen, die immer zierlich gekleidet geht und im tadellos glänzenden Haar freundlichen Blumenschmuck trägt. Die javanische Frau schleppt ihre Last auf dem Rücken die Wege entlang: alle anderen eingeborenen inländischen Frauen, die wir Lasten tragen sahen, trugen diese wie Königinnen, wiegten sich in den Hüften, hielten den Kopf hoch aufgerichtet und berührten diese Lasten kaum jemals mit den Händen. Es liegt hier ein gewisser Dünkel und Hochmut in der Luft, und ich vermag den Gedanken nicht mehr loszuwerden, daß in diesen Landen mit dem ungeheuren Kraton, zu denen wir Zugang hatten, in diesen Soerakarta- und Djokjakarta-Landen viel Geheimnisvolles in den Seelen und hinter den Mauern erhalten geblieben ist, das fortwuchern wird – trotz aller vielleicht naiven Versuche, einzudringen, die wir Europäer machen, die wir namentlich hier als unliebsame Usurpatoren empfunden werden. Nimmer noch sind wir in diese javanische, in diese mitteljavanische Seele eingedrungen, und sie wird uns auch bis ans Ende aller Tage verschlossen bleiben.