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Tänze bei Hof – Beim Fürsten der Fürstenlande – Bedojos – Die Göttin des Ozeans – Ehrfurcht vor dem Soenân

Hoftänzerinnen (Serimpi) auf Java

Am Abend ging es zum Kraton. Der Fremde muß sich gar sehr darob wundern, wie die Residenten so etwas zu arrangieren verstehen! Denn es wird zwar wohl öfter solch ein Abend, an dem die Hoftänzerinnen auftreten sollen, eigens für Fremde veranstaltet, aber das Fest ist doch immer von allen möglichen Zufälligkeiten abhängig. Einmal war noch Trauer aus Anlaß des Todes des alten Sultans von Djokjokarta. Dann starb, gerade als der Abend endlich bestimmt war, an dem der Soenân uns empfangen wollte, eines seiner vielen Enkelkinder, so daß die Festlichkeit wiederum verschoben werden mußte. Nun endlich sollten wir kommen. Wenn man nicht die Srimpis, die Bedojos, kaiserliche Prinzessinnen oder mindestens hochadlige Tänzerinnen, hat tanzen sehen, so ist die ganze indische Reise nichts wert! So ein Tanzabend bildet den Höhepunkt der Reise und ist noch viel interessanter als der Boeroeboedoer!

Und nun habe ich die Bedojos tanzen sehen, diese neun Tänzerinnen aus dem Palast des Soenân, und ich erkläre gern, daß ich ein so zierliches Schauspiel, solche Beweglichkeit und Grazie nie zuvor erblickt hatte!

Nachdem wir dem Soenân und der Ratoe – einer Tochter des jüngst verstorbenen Sultans von Djokdja – vorgestellt waren, nahmen wir, einem festgelegten Zeremoniell gemäß, auf den für uns bestimmten Sesseln Platz. Der Soenân saß zwischen dem Residenten und seiner Frau, die Ratoe an der anderen Seite des Residenten. Dann folgten, rechtwinklig zu diesen vier thronähnlichen Sesseln gestellt, die Sitze für die Beamten der inneren Verwaltung, für die Pangérans und andere Ratoes und Raden-Ajoes, für uns Fremde. Die Platzordnung war wohlüberlegt. Der Raum in der Mitte blieb leer. Der Tanz sollte weiter oben, in dem ungeheuren Pendopo, getanzt werden; dahinter saßen am Boden – nicht mehr auf Stühlen – die Fürstlichkeiten geringeren Ranges, Söhne und Enkelsöhne des Soenàn, mit ihrem Gefolge. An der einen Seite war der Gamalan aufgestellt, weiter das europäisch-javanische Orchester, das wir unter dem Dirigentenstab des Regenten Wrekso Diningrat schon bewundert hatten. Ich saß zwischen zwei Pangérans, dem Enkel des Soerân und dem Obersten seiner Truppen. Die Unterhaltung war nicht gerade leicht; im Gegensatz zu vielen anderen Regenten, denen ich auf Java begegnete, sprachen diese javanischen Prinzen wenig oder gar kein Holländisch, und mein Malaiisch – das sagte ich wohl schon – eignet sich nicht gerade für eine Konversation im Kraton von Solo.

Es war unerträglich heiß. Obwohl diese Pendopos und die anderen Gemächer mit Gärten und Höfen einen großen, offenen, wie von Pavillons weit und breit gebildeten Raum darstellten, war es an diesem Abend, an dem der Regen in der Luft lag und nicht herunter kam, unerträglich schwül. Wir mußten Geduld haben, warten, weiter warten und indessen ein wenig an unserem Whisky mit Soda nippen. Hin und wieder geht der Blick rundum. Dort sitzen Dienerinnen des Soenân mit all seinen Schmuckstücken für die kleine Gala. Was diese verschiedenartigen goldenen Gegenstände alle sollen, weiß ich wahrlich nicht: ein Dolch, ein Kasten, ein Spucknapf! Die Frauen tragen die übliche Hoftracht: Oberkörper mit Boreh mattgelb geschminkt, Kain oder Sarong unter den Achseln über den Busen geknüpft. Diamanten glitzern; vielfach sind sie nach europäischer Art gefaßt. Wieviel schöner aber ist doch die ursprüngliche altmodische, freilich etwas plumpere Art, diese Juwelen zu fassen!

Einzig und allein der Soenân hat das Recht, neun Bedojos zu halten; die Pangérans, fürstliche Anverwandte, dürfen nur sieben haben. Nun kamen sie alle neun – es sind Nebenfrauen des Soenân, Prinzessinnen, oder doch Frauen aus adligem Geblüt – aus einer hinter uns gelegenen Seitentür, und schon der erste Eindruck war allerliebst. Eine nach der andern trat sehr langsam ein: wie eine Blume, die hereinweht. Wie tropische Blumen, wie Blumen aus vorderindischen Landen, Blumen, die am Ufer eines vorderindischen heiligen Flusses erblühten. Erstaunlich, wie vieles in diesen Landen noch an frühere, unendlich viel feinere Kultur erinnert, als alles buddhistisch, insbesondere hindostanisch war, und wie vieles noch davon Zeugnis ablegt! Diese Gesichtchen, die unter ihrer Borehschminke niemals das stereotype Lächeln europäischer Tänzerinnen zeigen, sondern stets ernsthaft dreinblicken, wirken unter dem altertümlichen hindustanischen Diadem wie weibliche Buddhas. An diesem Diadem befestigt sind Flügel, die denen eines Garoedavogels gleichen, des Vogels von Vishnu, der halb Tier und halb Mensch ist. Hinten herab hängt ein schwarzer Schleier; der mit Boreh geschminkte Busen hebt sich aus einem Samtmieder heraus, und der Kain, in den ein besonderes Muster »Parang roesak« gebatikt ist, wallt sehr tief über die Füße nieder. Diese Schleppe und der »Slendang«, eine Schärpe, die um die Taille und über die Arme flattert, spielen bei ihrem Tanze eine große Rolle. Ihre Ohrgehänge – »Soembings« – glitzern märchenhaft, sind wie Tautropfen an diesen Blumen.

Die Ratoe-Alit – die Tochter des Soenân, eine sehr redselige, aufgeweckte Prinzessin – erzählte meiner Frau, daß die Borehschminke entsetzlich, kaum zu ertragen, daß sie geradezu eine Qual sei. Sie schließt alle Poren und läßt keinen Schweißtropfen heraus, so daß man darunter wie im Feuer glüht. Dazu kommt, daß die Bedojos an Tagen, an denen sie auftreten, keinen Tropfen trinken dürfen und eine besondere Diät innehalten müssen ... Da stehen sie nun in dem Pendopo vor der Estrade, auf der jetzt der Soenân und die Ratoe mit ihren Gästen Platz nehmen. Der Gamalan präludiert, der Dalang gibt mit kurzen Schlägen das Tempo an. Die Bewegung entwickelt sich sehr langsam, und bei allen neunen ist es immer das gleiche – eine scheint die Anführerin und das Vorbild für die acht anderen zu sein. Wie wissen sie während dieses sehr langen Tanzes nur so genau, was sie jederzeit tun müssen? Nie berühren sie einander. Sie wahren einen stets gleichen Abstand. Haben diese Blumenbewegungen eine Bedeutung? Ein Pangéran behauptet es, der andere bestreitet es. Jedesmal, wenn man die Javanen selbst um Erklärungen bittet, wird man enttäuscht, erhält keine Gewißheit. Es scheint fast, als sollte immer noch ein Geheimnis über all dem bleiben, was hier getan, was hier gezeigt wird.

Die Bedojos tanzen: doch ist das eigentlich kein Tanz. Es ist eine andächtig und zierlich mit unendlicher Grazie ausgeführte rhythmische Bewegung zum Klange dieser gläsernen Töne, die von rhythmischen Schlägen des Dalangs geregelt werden. Immer wieder treten Schleppe und Slendang in Funktion. Es ist ein wahrer Schleppen- und Slendangtanz: immer wieder wird das lange, dünne, schleppende Ende des Kain mit den Zehen weggestoßen, immer wieder wird der lange, dünne Slendang mit den starr abwärts gerichteten Fingerspitzen beiseite geschoben. Und jedesmal wird eine halbe Sekunde gewartet – jedesmal, wenn die Schleppe fortgestoßen, wenn der Slendang beiseite geschoben ist. Ankleiderinnen kauern daneben und sind unaufhörlich bemüht, die Schleppe richtig zu ordnen. Das Ganze wirkt ungemein anmutig, obzwar beinahe etwas zu maniriert. Wenn die neun Bedojos gleichzeitig so wippen und stoßen, ist es, als wehe ein Wind durch Blätter und Bäume. Und darüber nun immer diese ernsthaften Buddhagesichtchen, die so unendlich zart sind und so andächtig dreinblicken. Dies alles ist überfeinert, überkultiviert. In den letzten Jahrhunderten, im achtzehnten und neunzehnten, ist nichts geschaffen worden, das noch feiner oder noch kultivierter wäre. Es ist ein eigenes Gefühl, daran zu denken, daß diese Tänze, die einst aus heiligen Gebräuchen und Gottesdienst hervorgingen, nun schon durch Jahrhunderte überliefert sind.

Dann kommt plötzlich etwas Merkwürdiges: jede der Bedojos hat sich – ohne daß wir es merkten – eine Pistole in den Gürtel gesteckt, und während sie sich weiterbewegen, nehmen sie nun die Pistolen zur Hand und geben einen Schuß ab.

Der Soenân strahlt.

»Habt ihr das wohl bemerkt?« ruft er. »Sie alle haben ganz gleichzeitig geschossen!«

Dann schwebten sie davon – in strengem Rhythmus, mit Slendang und Schleppe. Ihre Buddhagesichtchen waren ganz unbeweglich geblieben. Nach dem anstrengenden Tanz war auf Stirn und Brust infolge der Borehschminke auch nicht der kleinste Schweißtropfen zu sehen. So schritten sie wiegend davon, voll süßer Melancholie und voller Grazie, und verschwanden langsam durch die Seitentür. Die dünne Schleppe der letzten entglitt wie eine sich hinwegringelnde Schlange.

Wir erhoben uns. Paarweise, im feierlichen Zuge, sollten wir den Kraton betrachten. Die muntere Ratoe-Alit nahm meinen Arm. Wir gingen alle durch den Saal mit dem symbolischen Brautbett, vor dem die fürstlichen Vermählungen geschlossen werden. Merkwürdig, dieses Brautbett, an dem man so vorübergeht, als sei es irgendein ganz alltägliches Möbel. Nun sahen wir elektrisch beleuchtete, hohe Bäume: ich glaube, Waringen oder Fikus; das vermochte ich nicht zu erkennen. Dann kamen kleine Treppen und Brücken; man schritt beinahe zwischen den erleuchteten Baumzweigen dahin. Eine seltsam phantastische Idee!

Dann schrieben wir unsere Namen in ein Fremdenbuch.

Und die Ratoe-Alit erzählte mir mancherlei, zeigte mir auch die Innenhöfe; dort kauerten im Dämmer all die in Hoftracht gekleideten Dienerinnen. Dort sahen wir auch den Turm, auf dem der Soenân hin und wieder mit Njai Loro Kidoel, der Göttin des Indischen Ozeans, eine Zusammenkunft hat ... Hin und wieder warnt sie ihn vor drohenden Katastrophen. Einmal, als er eintrat und strauchelte, erschrak sie und rief: »Anâk! (Kind!).« Seither sieht der Soenân sie als seine Mutter an – früher galt diese Göttin als die himmlische Gemahlin des Soenân. Die Ratoe-Alit erzählte mir das alles, und nachher bestätigte es mir der Resident. Glaubt wohl der Soenân selber daran, daß er seine himmlische Mutter sieht? Ich weiß es nicht. Doch ist er davon überzeugt, daß er Regen und Wind kommen oder aufhören lassen kann, wenn die Göttin des Indischen Ozeans ihm beisteht. Rein mohammedanisch-strenggläubig scheint mir das gerade nicht! Gibt es denn doch mehr Götter und Göttinnen, als den einzigen Allah – neben ihm? um ihn? Das sind uralte Traditionen, die noch aus hindostanischer Zeit stammen.

Nach der so verbrachten Pause setzten wir uns wieder auf unsere Plätze und sahen nun den Kriegstanz – Wirêng –, der von Rades Mas Soediro, einem der jüngsten Söhne des Soenân, getanzt wurde: der ist erst sechzehn Jahre alt, Mulo-Schüler, Fußballchampion, und dabei tanzt er den Wirêng mit geradezu vollendeter Anmut. Sein Partner war, wenn ich nicht irre, ein Vetter, der als Fürst von Borneo auftrat und natürlich besiegt wurde. Der Sohn des Soenân, der Javane, ephebenhaft, fein und doch kräftig gebaut, erschien mit nacktem, borehgeschminktem Oberkörper, die hindustanische Heldenkrone – »Makontah« – um die Schläfen. Er trug den langen, tuffig zusammengesteckten Kain und einen bunten Lendenschurz, der sich rückwärtig in zwei Bahnen teilte. Und er besiegte den verräterischen Prinzen von Borneo mit nicht immer sehr überzeugend geführten Schwerthieben ...


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