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Will ich meine schönsten Eindrücke von Bali niederschreiben, so darf ich den Tanz nicht vergessen, den wir am Abend von zwei ganz jungen Mädchen tanzen sahen: als Göttinnen gekleidet, als kleine feine »Dewi«, in goldenen Kains und Slendangs mit der großen, dreispitzigen Mitrakrone traten sie auf; Kinder von dreizehn, vielleicht vierzehn Jahren – in späterem Alter tanzen die Mädchen nicht mehr –, und sie stellten in ihrem Tanz ein Drama dar, das von allen möglichen Leidenschaften erfüllt schien. Wenigstens war das Gesichtchen der einen von einem ganz starken Gefühl bewegt; die andere – war es eine Nebenbuhlerin? – machte fast flehentliche Gebärden. Was der Dalang erklärte, verstand ich nicht. Hin und wieder wollte es mir scheinen, als ahme er die Stimmen von Dämonen nach. Die Gamelanmusik war sehr ausdrucksvoll, und alles war ganz anders, als wir es in Solo gesehen hatten. Übrigens waren das dort Hoftänze gewesen, während die Vorstellung hier in Bali besonders darauf berechnet war, dem einfachen Volk eine Legende zu vermitteln, die zwar anscheinend nur zwischen Göttern, Teufeln und Prinzessinnen spielte, aber dennoch auf die Volksseele außerordentlich stark zu wirken schien. Im Altertum unterschied man das »statuarische« und das »motorische« Schauspiel, das langsam-abgemessene und das lebendigere, bewegte. Darf ich die gleichen Ausdrücke gebrauchen, um diese beiden Tänze zu kennzeichnen, so nenne ich den Hoftanz der Bedojas zu Solo »statuarisch« – sogar der plumpe Pistolenschuß darin hatte etwas Feierliches –, während der Tanz dieser beiden Mädchen, als Ausdruck von Zorn und Rache, »motorisch« war. Sehr seltsam berührte es, daß auch dieser Tanz so wenig sinnlich wirkte wie der von Solo. Ungeachtet aller Leidenschaft, die mehr aus dem Gemüt als den Sinnen kam, war er sehr keusch und nicht ohne eine erhabene Würde, und die Kunst dieser beiden jugendlichen Tänzerinnen, die ganz bewundernswerte Steigerungen zu bringen wußten, war erstaunlich.
Möglich, daß diese Tänzerinnen im Grunde doch noch halbe Sklavinnen sind. Ihr Herr und Meister, um nicht zu sagen »Besitzer«, hat sie ungeachtet ihrer großen Begabung und ihres starken Kunstempfindens dennoch viel, und sicherlich mit großer Strenge, drillen müssen. Die Stellung der balischen Frau ist keineswegs beneidenswert. Sie bleibt, wenn auch die Sklaverei offiziell abgeschafft ist, doch die käuflich erworbene Dienerin ihres Mannes. Sie arbeitet und quält sich für ihn ab – und lieber heiratet sie darum einen Chinesen, lieber wird sie Haushälterin eines Europäers, als daß sie einem Manne ihres eigenen Landes angehört. Einen Augenblick aber gibt es, in dem sie den Triumph all ihrer Schönheit und Bedeutsamkeit auskostet: und das ist der Augenblick, in dem sie zum Opferdienst in den Poeratempel geht und sich anschickt, die »Sembaja-Dewa«, das den Göttern geweihte Opfer, darzubringen. Wir hatten das einmal in Schmutz und Dämmerung eines kleinen Tempels gesehen und erlebten es nun ganz unerwartet ein zweites Mal in einem sehr glänzenden Tempel bei strahlendem Sonnenschein, und das war nun ganz etwas anderes und offenbarte uns eine große Schönheit – und auch eine große Reinheit; denn in einem solchen Augenblick müssen die Tempelhöfe von allem Schmutz gesäubert und die unreinen Hunde entfernt sein. Über den Weg schritten die geschmückten Frauen in schleppenden Kains, durchsichtige Slendangs um die stolze Brust geschlungen, wiegenden Schrittes, die zierlichen Opferkörbe mit Obst und Blumen gefüllt. Sie schritten die hohen geschnitzten Treppen empor, mit kult-geheiligen, edlen Schritten. Männer waren nicht zugegen, nur jugendliche Mädchen und Knaben, und alle waren prunkvoll gekleidet. Alle trugen Blumen im Haarknoten, am Kopftuch oder hinter dem Ohr, und alles glitzerte von Gold, das in Leinewand oder in Seide eingewebt oder aufgedruckt war. Und die Frauen fühlten ihren Triumph. Niemals sind sie so schön wie bei dieser Übung der Frömmigkeit. Niemals sind sie so würdevoll wie in diesem Augenblick, da sie ihre Opferkörbe vor das Angesicht der unsichtbaren Götter auf lange Opfertafeln stellen. Auf geweihtem Wasser schwammen Blumen. Der Pedandja ging unter den Frauen umher – als einziger Mann. Und außer diesem Priester war auch noch eine Priesterin zugegen, eine noch jugendliche Frau, sie kniete vor den Göttern nieder – man bedenke, daß diese allzeit unsichtbar sind und die Gläubigen nur annehmen, daß sie in den leeren Tabernakeln hinter den Opfertischen thronen! –, sie betete, sang, rührte die Altarglocke, sprengte mit einer Blume Weihwasser über die Opfergaben, die aus Blumen, Obst, Kuchen, Gebäck, zuweilen auch aus Gebratenem bestanden. Dies alles wirkt durchaus antik, und in diesem Augenblick voll antiker Schönheit erlebt die balische Frau vor dem Angesicht ihrer Götter, erlebt diese Priesterin mitsamt allen anderen Frauen und den ganz jungen Mädchen und Knaben, die mit ihr niederknieen, ihren höchsten Triumph. Nein, hieran sollten Missionare nichts ändern oder verbessern wollen. Dieser von Gefühl erfüllte, glückliche – wenngleich heidnische – Augenblick muß diese opfernden und betenden Frauen für den ganzen Jammer ihres Geschlechts entschädigen. Man sieht es an dem frommen Ausdruck ihrer Gesichter, man liest es aus ihren sanften Augen, und wenn die Männer ihre Hähne und ihre Hahnenkämpfe haben, so haben die Frauen dafür dieses Opferfest, ihr Gebet und ihren stillen, glücklichen Augenblick vor dem Angesicht ihrer unsichtbaren Götter, an deren wirklicher Anwesenheit für sie kein Zweifel besteht.
Mitten in Bali, bei Goenoeng-Kawi, liegt, beinahe unzugänglich und nur über die Sawahterrassen hinab und dann durch eine aus Feldsteinen gehauene, viereckige Pforte erreichbar, das vom Residenten Damste entdeckte Hindukloster. Es ist sehr schwer zu finden. Der Sonnenschein umflutet uns an diesem strahlenden Morgen wie ein Lichtmeer. Auf einer Sänfte geht es zwischen den glitzernden Spiegeln der Sawahterrassen den Kiesweg abwärts. Die Sänfte kippt beinahe um, die Männer wanken. Dann durch die Pforte, die geheimnisvolle Pforte. Seltsam geborgen, verwunschen fast, liegt dieses Hinduheiligtum, diese Jahrhunderte alte Klosterruine, mitten in Bali; es ist aus den Felsmassen herausgehauen, die von einem Fluß, dem Pekrisan, durchschnitten werden. Ein tiefes, geheimnisvolles Tal, ein geweihter Ort, der vermutlich immer nur durch diese Pforte zugänglich war. Nun webt eine geheimnisvolle Mysterienstimmung unter dem herabflutenden Sonnenschein durch dieses geweihte Tal inmitten all der rauschenden Springbäche, die ringsum Wasser auf die Sawahs niederstürzen lassen. Nur die Musik dieser Wasser erklingt – singender Wasser, die sich über die Sawahs ergießen, brausender Wasser, die der Fluß zwischen den Felsblöcken hervortreibt.
Auf der einen Seite des Flusses stehen vier aus Felsstein gehauene, monumentale Grabmale. Zum mindesten scheinen es Grabmale zu sein. Von Königen? Wer weiß es? Alles ist hier voller Rätsel. Wenig läßt sich über diesen heiligen Ort in Erfahrung bringen, trotz seiner sanskritartigen Inschrift. Vieles läßt sich erraten, mehr noch läßt sich ahnen. Auf der anderen Seite des Flusses sind fünf solcher Tjandis oder kolossalen Grabsteine – beinahe ägyptisch in der Bauart, sonst aber im Stil der Hindus. Keinerlei Skulptur. Strenge Schlichtheit. Wozu die Hohlkehlen unter den Sarkophagen? Wen, was umschließen sie? Und was wurde durch diese Rillen gegossen? Oder waren es geheime Gänge, die ins Innere führten?
Vermutlich nicht. Allein wir wissen es nicht. Sind diese viereckigen, abgerundeten Steine etwa kleine Opfertafeln?
Doch hier seitlich ist der Tuffstein ausgehauen ... ein Kloster. Zellen, kleinere, größere – für Einsiedler oder für die Wächter dieser Königsgräber? Hier war vermutlich ein Weiher – blühten hier Lotosblumen?
Wir wissen nichts davon. Indessen: derartige Orte, die frommen Empfindungen und dem Kult der Götter oder Könige geweiht waren, fesseln mich stets derart, daß ich mich auch hier in dem abgeschlossenen Tal kaum aus dem Zauberbann zu lösen vermag. Drüben ruhen unsere Sänftenträger. Einige von ihnen schwimmen und spielen im Wasser. Und ich sitze auf einem Felsblock, unfern des Klosters – unweit dessen, was anscheinend dereinst ein Kloster gewesen ist, und hinter mir und vor mir erheben sich die ungeheuren Sarkophage, und um mich streben die Sawahs zum Sonnenhimmel empor, rauschen die Hunderte von Wasserfällen. Zwischen dem Grün und Gold und Blau von Padi und Sonne und Wasser liegt geheimnisvoll unter einem hochgewölbten Himmel diese geweihte Stätte, die zu schauen ich gekommen bin, und von der wir nichts anderes wissen als das, was wir erraten und ahnen können. Allein das genügt, um zu erkennen, daß unsere Gegenwart nicht mehr als ein Atemzug der Ewigkeit. Denn auch dies alles hier war einstmals Gegenwart, und heute ist es nicht mehr als unbekannte Vergangenheit.
Und hinter dieser hindustanischen Vergangenheit birgt sich, älter noch, ehrwürdiger, die vielfältige antike Legende. Die Legende von Keboe-Soewa dem Riesen, dem Gierschlung, der zu stark war und seine Eltern arm fraß, so daß sein Vater sich seiner entledigen wollte. Darum ließ er einen Baum nur halb fällen, auf daß der Sohn, wenn er an ihm vorüberginge, von dem stürzenden Stamme zerschmettert würde. Allein Keboe-Soewa fing ganz einfach den über ihn herniederfallenden Riesenbaum wie einen Strohhalm in seinen beiden Armen auf und schleuderte ihn wieder in die Luft. Dennoch durfte er nicht in das Elternhaus zurückkehren, und seitdem irrte er durch Bali und wurde der Erbauer des ältesten Tempels, und mit seinen starken Nägeln schnitzte und ziselierte der kunstfertige Riese den porösen Stein und war der erste, der die Dämonen- und Ungeheuermotive erfand, die seither stets den Schmuck der Bali-Poeras bilden.
Und dann kündet die Legende von jenem anderen Riesen mit den Hauzähnen, Begawa Kasisapan, der Dewi Danoe zur Frau nahm, die Göttin des Batoermeeres, das gleich einem hohen, zerbrechlichen Spiegel oberhalb des Tales schimmert. Sie erschien ihrem grauenerregenden Geliebten in all ihrem Glanz, und ihre strahlende Schönheit besiegte sein rauhes, barbarisches Wesen. Und ihrer beider Sohn war der stolze Masa-Danawa, der Riese, der »aus Glanz geboren«. Und so stolz war er, daß nur ihm noch geopfert werden durfte und nicht mehr anderen Göttern. Ein Zauberer war er, und auf sein Geheiß erblühten an den Kapokbäumen lange Kains und farbige Slendangs, und die Padihalme hingen voller Koetoepats – so heißt der auf geflochtenem Kokosblatt gekochte Reis. Die zürnenden Götter, die ihre Opfer ungern entbehrten, verließen Bali und zogen in das Innere Javas und ließen sich dort in den Bergen nieder. Und zwischen den Göttern und dem stolzen Sohne der schimmernden Wassernymphe entbrannte ein Kampf, und natürlich wurde er – ungeachtet seines Heeres von Zauberern und Dämonen – geschlagen, weil zu jenen Zeiten die Götter allzeit siegreich blieben ...
An Bord meines Schiffes, wo geknebelte Schweine, aufeinandergeworfen, still ihrem Schicksal entgegenfuhren, wollte ich auf der Rückreise diese Legende gerade noch einmal durchlesen, als ich Ma-Patimah erscheinen sah. Sie verkauft jetzt golddurchwebte Stoffe, doch dereinst war sie eine der Frauen des Kronprinzen von Bali. Und als dieser starb, sollte sie mit allen seinen anderen Frauen verbrannt werden, ein Opfer dem Toten zu Ehren. Es sollten ihr gleich allen anderen Frauen die Füße gefesselt werden, erst mit Schnüren und danach mit Blumengewinden, und dann sollten sie alle von einem schwanken, hohen Brett aus, das über dem Scheiterhaufen des Toten lag, beim Klang des Gamelan und mit dem einem hymnischen Sang gleich klingenden Ruf: »Ich komme! Ich komme, o Herr und Gebieter« ... ins Feuer gestürzt werden. Ein schwerer Stein sollte die mit Blumengewinden gefesselten Füße beschweren, auf daß sie senkrecht ins Feuer stürzten, und nicht seitlings in die ihnen entgegenzüngelnden Flammen fielen. Im streng bewachten Palast (»Poeri«) harrte Ma-Patimah mit ihren Gefährtinnen ihres Schicksals. Sie hatte in den Feuertod gewilligt, weil eine Weigerung Schmach über ihre Eltern gebracht hätte. Allein in der Nacht vor dem Totenfeste empfand sie, daß ihr das Leben doch zu lieb war, und wußte über die Mauern des Poeri hinweg zu entfliehen, und siebzehn Gefährtinnen, die mit ihr verbrannt werden sollten, entkamen mit ihr. Ma-Patimah floh von Kloengkoeng nach Singaradja und bat dort die niederländische Verwaltung flehentlich um Hilfe. Nun war sie in Sicherheit ...
Seitdem wurde das grausame Gesetz der Witwenverbrennung abgeschafft. Ma-Patimah ist keine Radjafrau mehr, sondern sie verkauft ihre schönen Stoffe, und mit uns reist sie auf dem Schiff nach Soerabaia, um dort einmal recht ihren Vorteil wahrzunehmen und ein gutes Geschäft zu machen, wenn sich ihr dazu Gelegenheit bietet. Niemals wohl war ihr in dem Poeri des Kronprinzen von Bali der Gedanke gekommen, daß sie in späteren Jahren noch eine ehrsame Handelsfrau werden könnte.