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Als wir in Tandjoeng-Poera vor dem Hause des Vizepräsidenten anlangten, sahen wir durch die Königspalmen- und der Sennastrauch-Allee einen »Grobak« heranrollen, der von einem bedächtigen Stier gezogen ward. In dem Grobak unter einem Tuche liegt, o Wunder, ein toter Tiger. Eine Menge Volks folgt in einigem Abstande und tauscht voller Ehrfurcht und Scheu Bemerkungen aus. Ich gerate selber ein wenig unter den gleichen Eindruck, zumal ich in der letzten Zeit so viele Geschichten von Tigern gehört habe ... »Wenn man es gewagt hat, dieses Tier zu erlegen, so ist es demnach wohl kein sogenannter Folgetiger?« frage ich Herrn Auer, der uns willkommen heißt.
Herr Auer zweifelt daran. Was aber ein »Folgetiger« eigentlich ist, dies, o Leser, will ich dir ein andermal erzählen, nicht jetzt um diese sonnige Mittagsstunde ... Nein, von den »Folgetigern« will ich lieber berichten, wenn geheimnisvolles Dunkel sich über Wald und Feld herabgesenkt hat ... Dann werden meine Leser empfänglicher dafür sein und lieber von den sumatranischen »Folgetigern« hören, jenen Tigern, die einem Prinzen oder Jäger folgen und ... ihn bewachen; ja, wir werden sogar von einem »Folgekrokrodil« hören, und es wird ein großes Staunen geben – aber wir müssen dennoch daran glauben. Geduld, meine Leser, Geduld!
Jetzt ist die Stunde der Wunder noch nicht gekommen. Wie herzlich, wie gastfreundlich, wie mondän berührt einen solch ein Empfang zu mittäglicher Stunde! Wahrlich, ich muß wohl Beamtenblut in meinen Adern haben, denn ich brauche nur die hohe Fahnenstange auf dem Rasenplatz vor dem Hause eines Beamten – eines Residenten, Assistenten, Präsidenten oder Kontrolleurs – zu sehen, so fühle ich mich schon sympathisch berührt. Wäre ich nicht zum Dichter geboren, so wäre ich zweifellos Beamter in Ostindien geworden.
An diesem Nachmittag kamen wir an vielen Kautschukplantagen vorbei, die anscheinend nur vorübergehend verlassen waren, und gelangten endlich nach Pankalan Brandon, wo wir gleichfalls aufs herzlichste empfangen wurden.
Vor dem Diner Musik im Klub: ein Wanderorchester, anscheinend Russen, die sehr gut spielen. Am nächsten Tage große Exkursion. Der Inspektor der Bohrarbeiten hält sich bereit, uns zu begleiten, desgleichen der Prokurist der batavischen Petroleumgesellschaft. Im Auto geht es zu früher Morgenstunde nach Besitan. Dort steigen wir am Flusse aus, wo uns das Motorboot »Quinto«, das fünfte seiner Art, erwartet. Wir fahren flußabwärts. Ungeachtet des modernen Fahrzeugs ist doch alles voller Poesie: die Ufer mit Bambus, Bananen, Kokos und Nipa bewachsen; dazwischen immer und immer wieder Rhizophoren, die sich mit ihren Luftwurzeln über die sumpfigen Ufer erheben. Sogar die idyllischen Häuschen zu stiller Einkehr mit ihren Blätterdächern über geflochtenen Bambuswändchen wirken poetisch, wie sie sich so auf Pfählen aus dem spiegelglatten Wasser erheben.
»Liegen da nicht ›Boeaias‹, Krokodile, träumend am Ufer?« frage ich ausspähend. »Seht nur, dort!«
Aber es ist nur ein Stück von einem faulen Baumstumpf, das langsam weitertreibt. Wir haben keine Boeaias gesehen, keinen Elefanten, der neugierig den Rüssel durch die Rhizophoren steckt; auch kein Rhinozeros, das da badet.
Ich höre, daß in systematischen, geologischen Untersuchungen das Terrain für die Gesellschaft geprüft wird. Und ich erfahre, daß an der allerersten Quelle, Telaga Said, die Frauen noch immer Opfer bringen, auf daß ihr Schoß fruchtbar werde.
Vor zwanzig Jahren griffen uns hier an der Grenze feindliche Atjeher an. Jetzt haben wir hundertfünfzig anstellige Bohrkulis, die alle vom Stamme jener Atjeher sind. Wir legen bei dem neuen Versuchsgebiet Tamboeng Toelang an; gerade im letzten Monat wurde da mit den Bohrungen begonnen.
Wir gehen an Land. Zweihundert Chinesen haben über den »Bakoe-Bakoe«, den Sumpf, quer durch die Rhizophoren hindurch, eine kleine Bahn angelegt. Hier wimmelt es von großen Krabben. Inmitten der düsteren östlichen Landschaft, die selbst in dieser morgendlichen Stunde unter der Sonnenglut melancholisch anmutet, ragen die modernen europäischen Maschinen empor: der mit Dampf betriebene Brunnen, der das für die Bohrungen erforderliche Wasser liefert, die Dampfkessel, die den Bohrmaschinen Dampf zuleiten. Vermittels eines ungeheuren, an einer kräftigen Stange befestigten Meißels, der dröhnend in die Erde eindringt, wird ein tiefes Loch gebohrt. Jedesmal, wenn wieder einige Meter tiefer gebohrt ist, wird das Gebohrte ausgepumpt. Dann senkt sich das Stemmeisen von neuem in das Loch. Und nach und nach, jeweils zwei Fuß tief und tiefer, werden die Rohre eingebaut, mit denen das Bohrloch ausgekleidet wird.
Ario! Ario! klingt der schrille Ruf der Kulis, die den Befehlen des europäischen Bohrmeisters folgen und sich gegenseitig anfeuern.
Es kostet mehrere hunderttausend Gulden, tief genug zu bohren; so groß ist also das Risiko, und soviel Geld ist verloren, wenn kein Öl gefunden wird. Indessen: wenn es gefunden wird ...
Nach der Besichtigung von Tamboeng-Toelang fahren wir im Motorboot weiter zu den fünf Meeresarmen bei Tandjoeng-Kranio. Links schimmern bläulich die Umrisse des Gajoergebirges. In diesen Gewässern, diesen Sümpfen hausten und herrschten noch bis vor kurzem Seeräuber. Wir nähern uns »Pangkalan-Soesoeh«: das will soviel sagen wie »Anlegestelle des Milchflusses«. Der ungeheure Petroleumbetrieb breitet sich, nachdem wir an Land gegangen sind, vor unseren Augen aus. Da erheben sich die Tanks, durch Buchstaben oder Zahlen bezeichnet, dort die Bohrtürme; bis an den Meeresrand findet man im Innern der Erde Petroleum. Was ist Petroleum? Woher kommt es? Möglich, daß es aus den Fetteilen, aus den Gebeinen vorweltlicher Tiere entstanden ist, deren Gerippe in die Erdschichten versanken und dort versteinerten.
Drüben liegt der »Sultan von Koetei«, ein Tankschiff, das Benzin für Singapore löscht. Das Benzin wird durch ein ungeheures Röhrensystem, das sich bis an das Meer hin erstreckt, in die Tanks des Schiffes geleitet: das heißt »Bulk« – »lose« Ladung, im Gegensatz zu der »verpackten Ladung« in farbigen Blechflaschen, deren Herstellung wir später in der Fabrik sehen werden. Die Leiter des Unternehmens und der oberste Sachverständige für das Bohrterrain in der Aroebucht, jener Bucht, die sich dort vor uns ausbreitet, bieten uns bereitwilligst ihre Begleitung an. »Rauchen untersagt« lautet natürlich überall das oberste Gebot. Wir sehen die Kesselbatterien, die Schuppen für die Verpackung in Blechkasten, das neue Zentralpumpenhaus, und bestaunen immer und immer wieder das ungeheure Röhrensystem, das zum Meer und den Tankschiffen führt. Zwei Treibmaschinen setzen die Pumpen in Bewegung, die das Benzin aus den Tanks saugen und es zu dem Schiff leiten. Der übriggebliebene Brennstoff, das überflüssige, nicht benzinhaltige Gas wird in Brand gesteckt und verbreitet am Abend den seltsamen Schein, den wir schon von Bord des Schiffes aus wahrgenommen hatten, als wir vor etwa einer Woche durch die Straße von Malakka fuhren.
An der Reparaturwerkstatt für Maschinen vorüber begeben wir uns in die Fabrik der Blechbüchsen. Das Material dafür wird aus Amerika und England bezogen. Und nun werden in einer ganzen Reihe von Zauber- und Wundermaschinen – o Stolz unseres Jahrhunderts! – die » sides« abgeschnitten, dann werden diese » sides« in der » trimming machine« gleichmäßig zugerichtet, dann heftet die » hemming machine« einen stets gleichmäßig breiten Rand daran, und die Seiten-, Deckel- und Bodenpresse macht unter ohrenbetäubendem Lärm diese verschiedenen Teile – Boden, Deckel und Seiten – vollkommen fertig; dann preßt ein » sqeezer« die vier Seiten leicht zusammen, und endlich tritt die Lötmaschine in Kraft und lötet die Seiten zusammen. Hiernach wandeln diese Blechbüchsen wie lebende Wesen von dannen und werden umgedreht, damit auch Boden und Deckel gelötet werden können. Es wirkt beinahe wie Hexerei. Man kann es kaum glauben, wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Eine nun noch folgende, mit Hilfe einer Lötlampe von der Hand ausgeführte Lötung verleiht der Blechdose vollkommene Undurchlässigkeit, und vor den staunenden Blicken der Zuschauer werden dann auch noch die Griffe und die Schraubenwindungen maschinenmäßig hergestellt und in die berühmte »Petroleumbüchse« eingesetzt, die in jedem indischen Hause, in jedem indischen Garten zum unentbehrlichen Gebrauchsgegenstand geworden ist. Dreitausend Drahtgriffe pro Tag! Mir schwindelt. Die Büchsen wandeln wieder, fast wie lebendige Wesen, wie Seelen aus Blech, auf Transportwagen zur Füllstelle. Sind sie nicht wirklich lebendig? Und ist das alles in der Tat nur Maschinenwerk? O Triumph der Technik und der Maschine! Wann werden wir dummen Menschen, wir gescheiten Menschen dahin kommen, nur noch maschinenmäßig zu leben, zu essen, zu atmen?
Aber dies ist nicht der rechte Augenblick zum Spotten, und es wäre auch undankbar. Ich folge mit meinen Blicken den entschwindenden Petroleumbüchsen, die gleich schimmernden Spukwesen vor meinen Augen in langer Reihe dahingleiten. Kronenöl, Langkat, Kerosin oder Lampenöl, Motoröl mit der kleinen Muschel: es ist geradezu überwältigend. Warum habe ich das alles nicht erfunden, ausgedacht und ausgeführt – von der Bohrung bis zur Büchse –, statt daß ich es jetzt, nachdem Hunderte, nein, Tausende daran steinreich geworden sind, nur anschaue und Bleistift und Notizbuch in der Hand habe und den Versuch mache, etwas darüber zu schreiben? Aber ich will sachlich bleiben und nicht versäumen, meinen Lesern mitzuteilen, daß alles Petroleum, das hier untersucht wird, völlig wasserfrei sein muß.
Die Kistenfabrik. Hier werden die » drums« verfertigt: eiserne Fässer. Doch was scheren mich jetzt diese Fässer und Kisten? Es gibt weit interessantere Dinge zu sehen.
In dem Füllraum, der wie eine Art Karussell wirkt, drehen sich die Büchsen von neuem um und um und werden gefüllt. Dann werden die gefüllten Büchsen, nachdem sie gelötet, auf Probiertischen geprüft. Hier ist eine undicht. Weg damit! Besser löten, damit kein Tropfen entweichen kann!
Ich will meine Leser nicht mit allzu viel technischen Einzelheiten ermüden und sie nicht erst zu der Öltransportstation führen, von wo das Rohöl zu weiterer Verarbeitung nach Pangkalan Brandon befördert wird. Auch will ich mich nicht bei der Kühlwasserstation und den Kühltürmen aufhalten, von denen aus das kostbare Wasser einen Kreislauf beschreibt, bei dem kein Tropfen verlorengeht, sondern wir wollen nur noch rasch die Hand unter das komprimierte Benzin halten, das sich eiskalt anfühlt. Oh, wie wohl tut das in dieser mittäglichen Wärme!
Und dann müssen wir den bereits produzierenden Ölbrunnen anschauen, aus dessen Tiefe das Petroleum mit eigener Kraft emporschießt wie ein Springquell goldenen Öles. Der Weg dorthin ist wahrlich nicht für ein Auto geeignet, und der Wagen weigert sich denn auch bei der Rückfahrt hartnäckig, auf dem Schlammboden weiterzugehen. Da stehen wir nun, steigen aus, steigen ein, werden eine Strecke weit von chinesischen Kulis fortgezogen, steigen wieder aus und ein, bis wir endlich dank der Energie des jungen Bohrmeisters, der selbst das Steuer zur Hand nimmt, wieder aus den Schlammfurchen heraus und auf einen besseren Weg gelangen.