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XIV

Das Matriarchat – Das Minang-kabau-Haus – Vor- und Nachteile des Matriarchats – Inmitten der Reisfelder

Malaien

Wie soll ich es wohl anstellen, meine Leser die Minang-Kabau-Atmosphäre empfinden zu lassen? Was ist Minang-Kabau? Es ist ein »Nagari«, ein Dorf, in dem man das Horn eines Büffelweibchens zeigt, das dereinst einem javanischen Fürsten gehört haben soll. Es heißt, daß dieser javanische Büffel alle malaiischen Büffel herausgefordert und daß als vereinbart gegolten hätte, wer Sieger bliebe, der hätte damit das Land für seinen Fürsten erobert. Es handelte sich hier also um einen Kampf zwischen der malaiischen Rasse von Sumatra und einer drohenden javanischen Unterdrückung.

Da ersannen die Malaien von Sumatra eine List. Sie hungerten ein Büffelkalb aus, schnürten ihm einen eisernen Pflock auf den Kopf und ließen das Tier los. In seinem Drange, den Durst zu löschen, stürmte es auf die javanische Gegnerin los, der es dabei den Pflock in den Leib rannte. Das Büffelweibchen verendete, und der malaiische Stier hatte der eingeborenen Rasse das Land gerettet: seither heißt es Minang-Kabau: »Der Stier hat gesiegt.«

Die Legende ist nicht allzu poetisch, doch konnte ich nicht umhin, sie wenigstens zu erwähnen. Auch der kleine Ort, der noch immer nach dieser Geschichte benannt wird, ist nicht sehr reizvoll. Wohl aber ist er die Jahrhunderte alte Wiege seltsamer und äußerst interessanter Sitten, denen in diesen ungewöhnlich zierlichen vier- und sechsseitigen Häusern gehuldigt wird; in diesen Häusern, in denen noch immer das Mutterrecht herrscht.

Nirgends hat sich das matriarchalische Verwandtschaftsrecht so rein erhalten wie hier. Blutsverwandtschaft besteht bei Abstammung von verwandten Frauen. Nicht die Brüder, sondern die Schwestern und ihre Kinder – die Kamanakans – bilden die Familie. Zwar ist der »Panghoeloe«, das Familienoberhaupt, ein Mann, und er führt sogar den üblichen Titel eines »Galar«, allein nach seinem Tode geht diese Würde auf seinen jüngeren Bruder oder auf den ältesten Neffen, das Kind seiner ältesten Schwester, über.

Der älteste Mann aus dem ältesten weiblichen Zweig ist der »Mamak«, der Verwalter des Familiengutes – harto poesaka –, des Eigentums dieser Frauenfamilie. Er handelt im Einvernehmen mit allen mündigen, auch angeheirateten Männern der Familie, aber auch mit allen Frauen. Der Mann kommt ins Haus seiner Frau. Spricht er von »seinem Hause«, so ist damit das Familienhaus seiner Frau gemeint. Das seiner eigenen Familie nennt er »das Haus meiner Schwestern«.

Ist der Mann krank, so kehrt er in »das Haus seiner Schwestern« zurück, und darum lautet ein Adat-Sprichwort: »Wie weit der Reiher auch ausfliegen möge, immer wieder kehrt er zu seinem Wassertümpel zurück.«

Ich weiß nicht, ob in diesen matriarchalen Häusern die Frauen tatsächlich das Regiment führen, aber ich halte es nicht für unwahrscheinlich. Wir hatten das Manindjau-Meer in der stillen Tiefe liegen sehen wie ein Zauberbecken, aus dem die Nebel höher und höher emporstiegen, bis das Wasser wie ein metallner Spiegel unter der strahlenden Sonne erglänzte. Plötzlich ertönte Hahnengekräh, Hundegekläff, Schreie einander höhnender Buben ... allein es waren weder Hähne noch Hunde noch Buben; es waren Affen, schwanzlose Affen, die in wilder Jagd durch die Bäume rasten.

Kinder boten uns Orchideen an, deren Wurzeln sie sorgfältig in Erde gebettet und mit einem Bananenblatt geschützt hatten. Auf dem Rückwege fiel mir in Lawang ein besonders schönes, großes Minang-Kabau-Haus auf. Auf Pfählen ruhte es und wies dabei doch die elegante Schiffsform der Seiten seines Daches auf. An den mittleren Teil werden links und rechts je zwei Seitenteile gebaut. Dann ragen die neuen Dächer links und rechts wie Vordersteven eines Schiffes aus den Seitenteilen des Hauptdaches ungefähr in gleicher Höhe empor. Die Familie ward für dieses Haus zu zahlreich, die Schwestern taten ihre Pflicht, und das Haus wurde durch Seitenpavillons erweitert. Dieses zweitemal wiederholte sich der Anbau in noch zierlicheren Formen; die äußersten Pavillons erinnerten an große Körbe. Diese Korbform weisen auch die drei, vier, fünf Padi-Scheunen auf, die vor dem Hause stehen.

Alle diese Häuser sind mit buntfarbigem, rotem, blauem, gelbem, goldenem Schnitzwerk reichverziert, allein die Padi-Scheunen vor dem Hause tragen den reichsten Schmuck und gleichen häufig großen Juwelenschreinen. Hin und wieder sind runde, spiegelnde Glimmerstückchen zwischen das rote und goldene und schwarze Schnitzwerk dieser Häuser gestreut. Das alles glitzert dann in der Sonne, und das ganze Haus ist von seltsamer, mit nichts zu vergleichender Zierlichkeit. Man denkt flüchtig an die Miniaturen eines mittelalterlichen Meßbuches, an die »illuminierten« Handschriften der Mönche. Allein ein solcher Vergleich steht natürlich in krassestem Widerspruch zu dieser orientalischen Kunst, die vielleicht noch älter ist als der mohammedanische Glaube der hier Ansässigen.

Wir wollen nun nach diesen paar allgemeinen Bemerkungen zu dem besonders schönen Hause in Lawang zurückkehren. Aus den vielen Fenstern kamen Frauenköpfe zum Vorschein, die uns, während wir in unserem Auto davor hielten, bewundernd ansahen: alte Frauen, junge Frauen, Kinder. Zweifellos eine Frauendynastie. Heimkehrende Frauen waren in sehr fein und reich gearbeitete Kains gekleidet, die hier gewebt werden, und eine von ihnen hatte einen golddurchwebten, seidenen Slendang zusammengefaltet über der Schulter: sie war jungvermählt und trug ihren Braut-Slendang noch ein paar Tage. Der Haarknoten dieser Frau war mit einem Tuch umwickelt, aus dem links und rechts zwei Hörner zum Vorschein kamen: das Stierhornmotiv der Minang-Kabauer. Und nun erkannte ich dieses Hornmotiv überall wieder. Die links und rechts vorstehenden Dachspitzen des Hauses, der Padi-Scheunen, der Kopftücher, ja sogar der kleinen Körbchen, die diese Frauen flechten und zu allen möglichen hauswirtschaftlichen Zwecken benutzen, weisen immer wieder das Stiermotiv auf – im Gedenken an den Stier, der gesiegt hatte. Das alles war sehr zierlich, sehr fein in der Farbe und verriet ein wohl unbewußtes, aber doch sehr starkes künstlerisches Empfinden. Denn diese Menschen wissen natürlich nichts von der Kunst. Sie haben niemals darüber nachgedacht. Was sie bauten, webten, wirkten, das war alles hübsch und zierlich, seit Jahrhunderten. Niemals aber hatten sie über diese wunderbare Schönheit nachgedacht, was ein Vorteil, zugleich aber auch ein Nachteil ist.

Ein alter Minang-Kabauer trat aus dem Hause. Er näherte sich uns sehr höflich, während wir vom Auto aus das zierliche Haus bewunderten. Er forderte uns auf, in das »Haus seiner Schwestern« einzutreten. Ich stellte mich vor, und er sagte mir, er sei der Tosangkoe Laras und »Galar«, und sein Titel laute: Tosangkoe Soetan Talembang. Er kannte den Gouverneur der Ostküste von Sumatra, der in diesen Gegenden früher dem Residenten beigeordnet gewesen war.

Der Dorf- und Familienälteste war von der Regierung pensioniert worden. Er erhielt 32,50 Gulden monatlich. Ein mit 32,50 Gulden pensionierter »Radja«?? Er lächelte, er nannte sich nicht »Radja«. Er war ein höflicher, feiner, alter Mann. Wir warfen einen Blick in das Haus, das eigentlich nur aus einem einzigen langen Innenraum bestand, an dessen einer Seite sechs, sieben Kämmerchen lagen: die Gemächer der vielen Frauen, die hier herrschten, und die ihrer Kinder. Ein hübscher kleiner Knabe, vermutlich der künftige Träger des Titels, begrüßte den fremden Gast außerordentlich höflich, lächelnd und mit leichter Verneigung.

Die kleinen Zimmer blieben alle geschlossen, und wir zeigten keinerlei unziemliche Neugier.

Aber ich erinnerte mich dessen, was ich gehört hatte: daß die angeheirateten Männer an bestimmten Tagen ihre Frauen in deren Familienhause besuchen. Vergißt das einer, oder kommt er einen Tag später, so ist ihm eine heftige Eifersuchtsszene in dem engen Gemache gewiß, und die übrigen Schwestern und Tanten und Großmütter horchen voller Schadenfreude in den dicht aneinandergrenzenden Gemächern an den dünnen Wänden. Solch ein Mann besitzt zuweilen mehrere Frauen in verschiedenen Familienhäusern. Aber ich glaube, daß dies eine Ausnahme ist, und daß die Monogamie mehr dem Brauche entspricht. Des Mannes Kinder gehören nicht zu seiner Familie, und er empfindet für sie auch keinerlei verwandtschaftliche Zuneigung. Es ist kaum zu verstehen, daß das Vatergefühl bei diesem Matriarchat so völlig in zweiter Linie steht.

Zweifellos ist das Matriarchat wirtschaftlich nicht sehr dazu geeignet, die Initiative des einzelnen zu fördern. Indessen strebt es die Erhaltung des Familiengutes, des unteilbaren »harto-poesaka«, an, und fördert dadurch den Volkswohlstand: Armut kommt in diesen Gegenden nicht vor. Kinder werden durch das Matriarchat gegen die Eltern geschützt, Frauen gegen die Männer, und Prostitution gibt es nicht.

Diese Einrichtung des Matriarchats, die in China und auch sonst fast überall verschwunden ist, hat sich hier lebendig erhalten. Der Minang-Kabauer pflegt von dem Matriarchat zu sagen, daß es »nicht birst wie der Erdklumpen in der Sonnenhitze und nicht fault wie das Holz im Regen« ...

Der Reisende weiß diese Institution ebenso zu würdigen wie die Wohlfahrt, die das gute Einvernehmen zwischen Sawah und Familienhaus sichert. Was indessen gelten sie somit in der Welt, diese selbstgenügsamen Menschen? So fragte ich mich, als wir den Tosangkoe verließen und das zweite Knäblein, dem ich eine Kußhand zuwarf, diese auf anmutigste Weise zurückgab. Ich weiß nicht, was sie eigentlich tun. Sie haben ihre ausgedehnten »Perkaras« und wachsen im Kreise der Familienräte darin auf. Wenn man den Versuch macht, von einem Minang-Kabau-Soekoe (das ist: einer Vereinigung entfernt verwandter Familien) ein Stück Land zu kaufen, so wird der Familienrat mit Priestern und Panghoeloes auf dem betreffenden Grund und Boden zusammentreten, dort in weitem Kreise niedersitzen und beratschlagen, bis die Sonne sinkt. Ob die Beratung dann wirklich zu Ende gekommen ist und das in Frage stehende Stück Land dem Bewerber zufällt? Wahrscheinlich nicht. Es wird ein zweiter »Koempoelan« ausgeschrieben, und die »Perkara« zieht sich hin wie das endlose Motiv einer Mäanderborte.

Ich hatte nicht die Absicht, in dem Padangschen Hochlande ein Minang-Kabau-Grundstück zu kaufen, und habe infolgedessen auch nichts mit den Perkaras zu beschaffen bekommen. Als Reisender wußte ich die Häuser, die Padi-Scheunen, das golddurchwirkte Kostüm der Frauen zu schätzen. Wenn diese Frauen sich zu Markte begeben, so tragen sie, die in dem zierlichen Hause das Regiment führen, auch die Lasten. Und mit welch einer Grazie tun sie das! Man sehe doch nur, wie sie die hohen, schwankenden Körbe auf dem Kopf halten und über diesem Korbe noch einen Toedoeng oder Hut tragen und nun die Galangans der Sawahs emporsteigen – steigen, immer höher, ohne ihre Last auch nur mit den Händen zu berühren. Was für eine Anmut! Die Männer aber, die hinter ihnen gehen, tragen nichts anderes als ein Vogelbauer, über das ein dunkler, mit vier goldenen Eicheln oder Quasten beschwerter Lappen hängt. In dem Bauer hockt des Mannes geliebter Kampfvogel, den er alsbald gegen den eines anderen ins Gefecht führen will. Oder er trägt seinen Kampfhahn auch in den Armen, und der Hahn ruht, halbbetäubt von der Wärme der menschlichen Hände, schlafend an der Brust seines Herrn.

Elf Tage sind wir in Fort-de-Kock gewesen, und jeden Tag gab es Autotouren durch die Berge, hinauf an den Hängen des Merapi oder zwischen den Brautschleiern des Singalang hindurch: zauberhafte Schönheit ward mit allen Sinnen genossen. O, wie schön waren vor allem die Reisfelder! Soeben erst gepflanzt oder schon voll reifer Halme, gleichen sie Wolkenmassen, in denen weiße Reiher auf ihren Stelzfüßen stehen, oder durch die sie mit langgereckten Hälsen hindurchschweben. In den »Bibit«-Feldern, auf denen die hochaufgeschossene Saat üppig wuchert, pflücken Frauen und Kinder mit einer einzigen geschickten Bewegung ihrer Finger die Büschel zarter Halme und Pflanzen und gedenken dabei der Gottheiten, denen Opfer dargebracht werden. Dort wieder liegt ein bepflanztes Feld feuchtspiegelnd so weihevoll da, und ringsherum breiten sich die Felder, die schon früher bepflanzt worden sind, und auf denen die »Padi« bereits schwer und in üppigem Grün stehen. Und weiterhin erstrecken sich die Felder, auf denen noch das Unkraut wuchert, nächsten Tages aber gepflügt werden soll. Vorüber an den Reihen junger Padi-Pflanzen zieht der Stier die Egge. Es scheint fast, als fühle selbst das ungeschlachte Tier, daß hier der kostbare Reis entsteht, die geweihte Nahrung der Menschen. Abwechselnd tritt es mit den schweren Füßen in das Wasser und auf die fette Erde und hebt sie wieder heraus; die Zähne der Egge streifen hart an den Pflanzen vorüber, und die Füße des Stieres zertreten nicht ein einziges zartes Hälmchen. Dies alles erscheint uns fast wie ein Gottesdienst von Mensch und Tier, und dieses ganze ländliche Treiben ist rührend wie ein Gebet. Und nun sehe man die kleinen Bambushäuschen, die auf Pfählen mitten auf den Sawah-Feldern stehen, oftmals unter einer Palme, die etwas krumm gewachsen ist und doch den langen Stamm wieder aus dem Wasser emporreckt und mit ihrer Krone gen Himmel strebt. Von diesen Hütten aus ziehen sich vielerlei Schnüre über die Reisfelder hin, und daran hängen Quasten, kleine Stoffetzen, glitzernder Tand, lange Blättergewinde und noch so mancherlei anderes. Die kleinen Reisdiebe, diese lieben Räuberchen, flattern scharenweise über die reifenden Padi. Und Kinder, Knaben und Mädchen – lebende »Vogelscheuchen« – sitzen in den offenen Hütten und ziehen an den Leinen und lassen sie auf- und abtanzen. Und all diese Quasten und Fetzen und Blätter bewegen sich im Takte über den Reisfeldern, und die kleinen Reisdiebe, diese lieben, kleinen Räuberchen, flattern hin und her, und die Kinder schimpfen und singen, wollen sie wegschimpfen und wegsingen, mit schrillem Ruf davonjagen, diese kleinen Räuber, die vom frühen Morgen bis in den späten Abend hinein von den reifenden Reiskörnern angelockt werden.


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