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Als wir von diesem prächtigen Ausflug an den Meeren entlang und über die Berge zurückkehrten, wurden wir daran erinnert, daß diese Monate die der Regenperiode und die der Erdrutsche seien. Von einem ungeheuren Erdrutsch war uns gemeldet worden. Der Weg war zerstört, aber schlecht und recht wieder instand gesetzt worden. Autos wurden noch nicht durchgelassen. Mit einer besonderen Erlaubnis konnten wir indessen hindurchkommen. Und so passierte das Auto – nachdem wir ausgestiegen – erst über Bretter hinweg den gefährlichsten Punkt, und dann ging es über die Matten, die den reparierten Weg bedeckten. Ein großartiger Anblick war das: der Bergabhang hatte sich gesenkt; die Sawahs erschienen wie geborstene Riesenspiegel, Kokospalmbaume lagen entwurzelt, mit ihren hohen Stämmen unter dem Chaos der Wipfel, abgerissener Kokosnüsse und in die Tiefe versunkenen entwurzelten Gestrüpps. Und inmitten dieses Chaos fuhr das Auto wieder über die Matten, langsam, langsam, und es schien, als müßten die sich darüberneigenden Bäume jeden Augenblick über unseren Wagen hinstürzen. Und doch war das alles nichts weiter, als daß sich die Erde verschoben hatte, wie es in diesen Regenperioden in den Preanger-Gebieten so häufig geschieht. Nur wenige Sawahs und einige Palmbäume waren in die Tiefe gestürzt. Das alles aber erschien wie ein riesengroßer Kataklysmus. Und nun begriff ich plötzlich, daß vulkanische Eruptionen oder Erdbeben, wenn sie jemals in diesen Landen zwischen den Flanken dieser Berge sich ereignen würden, titanisch sein müßten. Denn jedes Naturgeschehen offenbart sich im Osten weit grandioser als im Westen. Ein nachmittäglicher Regenschauer mutet an wie eine Sturzflut, kurz, heftig, überwältigend. Dieser Erdrutsch wirkt wie eine Katastrophe. Und es erscheint fast wie Tollkühnheit, daß wir uns nach der Ebene von Tasik-Malaja begeben. Dort unter uns breitet sie sich, ruhig, weit, mattgrün und golden – ein Idyll. Die Bauern bestellen, den Stier vor der Egge, ihre Sawahfelder, friedlich helfen dabei ihre Frauen und Kinder, die in den Bibitfeldern die Grasbüschel pflücken, um sie in den Sawahs, denen die Göttin des Reises im Augenblick günstig gesinnt war, wieder einzupflanzen.
In Tasik-Malaja statteten wir dem Regenten und seiner Frau, der Raden-Ajoe, einen Besuch ab. Diese javanischen Herren sprechen heutzutage oft ausgezeichnet holländisch, was uns Europäern, soweit wir nicht die malaiische Sprache vollständig beherrschen, sehr willkommen ist. Mit den Bedienten spreche ich malaiisch, allein ich lernte mein Malaiisch als Kind in Batavia, und was ich spreche, ist wirklich nicht schön zu nennen. Es ist ja auch ein wesentlicher Unterschied, ob man mit einem Regenten malaiisch spricht oder mit der Kinderfrau und dem Boy. Im ersteren Falle sind elegante Redewendungen erforderlich. Auch muß man über einen großen Wortschatz verfügen und auf mehr oder weniger batavianisch-chinesisch angehauchte Ausdrücke verzichten, die sich in die dort übliche malaiische Sprache eingeschlichen haben.
So nun war die Konversation mit dem Regenten zwanglos und interessant. Wir sprachen über allerlei: über die schlecht besoldete Stellung der Beamten der inneren Verwaltung, die doch wohl einen Anspruch auf größere Anerkennung hätten. Über die zunehmende Selbständigkeit der Regenten, die mehr und mehr aus eigener Initiative werden schaffen müssen; über die ethische Richtung, wie sie sich unter dem General-Gouverneur Van Limburg-Stirum entwickelt hat. Wir sprachen von Gamelan und Wajang und von den antiken Heldengedichten, aus denen das Najangspiel seine Motive wählt. Und es wollte mir so scheinen, als wisse die Raden-Ajoe von Tasik-Malaja über Mahabarata und Ramayana völlig Bescheid. Diese javanischen Aristokraten, deren Vorfahren häufig von den Helden der buddhistischen und javanischen Epopöen abstammen, pflegen sehr höfische Umgangsformen und sind außerordentlich gastfreundlich. Hierin folgen sie noch durchaus der uralten Tradition. Diese ist förmlicher, als wir es gewöhnt sind, aber darum nicht weniger sympathisch. Im Gegenteil, man fühlt stets eine innerliche Echtheit, eine große Herzlichkeit heraus: »Warum sind Sie im Hotel abgestiegen? Warum haben Sie sich nicht bei uns angemeldet? Wir hätten es so sehr zu schätzen gewußt, wenn wir Sie als unsere Gäste in dem Kaboepaten, dem Regentenhause, hätten begrüßen dürfen. Wenn Sie jemals wieder nach Tasik-Malaja kommen sollten, so teilen Sie es uns doch bitte rechtzeitig mit!« Das Gespräch dreht sich dann um die Erziehung der javanischen Kinder aristokratischer Familien und die Kartini-Schulen; das Niederländische wird allgemein gelehrt; auch die javanischen Mädchen lernen es jetzt. Manche wollen aber gar nicht so sehr gescheit werden, sie sind in der Regel noch nicht sehr für »Frauenbewegung«, ungeachtet des Vorbildes ihrer begabten Schwester Raden Adjeng Kartini, deren Ruf dank ihren Ideen und Schriften bis nach Amerika drang. Diese körperlich so früh erblühten Jungfrauen denken in den dunklen Träumen ihrer reifenden Weiblichkeit selten an etwas anderes, als an zukünftiges Eheglück, an Mann und Kinder. Sie sind deshalb nicht weniger zart und lieblich; wenn Kartini eine Ausnahme bildet, die wir zu schätzen wissen, so folgt doch die Mehrzahl dieser jungen Aristokratinnen nur auf atavistischen Wegen dem Rufe des Blutes ihrer sehr alten Geschlechter, in denen die Frau niemals etwas anderes als Frau und Mutter, oftmals kaum Geliebte war.
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Jetzt locken uns die Fürstenlande mit all ihrem Geheimnis, mit ihrer für uns Europäer so schwer verständlichen Tradition und mit der beinahe unergründlichen Seele. Ich war hier noch nie; stets kam etwas dazwischen, das unsere beabsichtigten Ausflüge nach Soerakarta und Djokjakarta unmöglich machte. Jetzt scheint es aber doch dazu zu kommen. Wir fahren mit der Bahn, und die Palmen, die Kokospalmen, die schönen, stattlichen Bäume, die ich so sehr liebe, sind nicht zu zählen. In Biskra hat Baedeker die Dattelpalmen gezählt und sie, wenn ich nicht irre, auf 60 000 bis 70 000 geschätzt. Diese Kokospalmen aber scheinen mir unzählbar. Zehntausende und immer wieder zehntausende. Eine unerhörte Üppigkeit. Wie echt javanisch und östlich wirken diese ungeheuren Täler voller Palmen und abermals Palmen, durch die sich der Zug hindurch bewegt. Wie ein Symbol fürstlichen Reichtums reiht sich ein Palmental an das andere.
In Solo sind wir Gäste des Residenten Harloff und seiner Frau, was ich sehr zu schätzen weiß, weil ich hoffe, daß der Resident bereit sein wird, mich in diese geheimnisvolle, rätselhafte Welt der mitteljavanischen Fürsten etwas einzuweihen. Das Residentenhaus ist weit und geräumig. Diese Häuser werden heutzutage häufig auf Staatskosten möbliert. Man kann einem Residenten nicht zumuten, daß er in diesen schweren Zeiten eine derartig große Wohnung aus eigenen Mitteln ausstattet, noch dazu für die wenigen Jahre, die er hier verweilt. Auch ist die Zeit der vorteilhaften Versteigerungen längst vorüber, bei denen die Eingesessenen sozusagen als liebenswürdigen Abschiedsgruß die Preise hinaufzutreiben pflegten, so daß der abreisende Beamte mit einem hübschen Sümmchen nach Holland zurückkehren konnte. Wer kann noch standesgemäß leben? Und wer leidet hier in Indien wohl mehr unter den Schwierigkeiten, als gerade die hohen Beamten, die gezwungen sind, mit einem monatlichen Gehalt von 1500 bis 2000 Gulden in weiten Parks gelegene Paläste zu bewohnen? Man versuche das nur einmal! Jeder Ausländer würde aufs höchste erstaunt sein, wenn er hinter die Kulissen schauen könnte. In einem solchen Palast wohnen – mit kaum 2000 Gulden monatlich? Früher war das alles anders. Da war alles billiger. Da gab es Gefangene, die reihenweise hinter dem Mandoer den Garten des Residentenhauses – » residènan« – durchschritten, zwanzig, dreißig an der Zahl, den Rasen pflegten und das Unkraut jäteten. Nun müssen ein paar Kebons die nie endende Gartenarbeit verrichten. Und dabei duldet es die Energie der Gattinnen hoher javanischer Beamten, ungeachtet aller »Malaise«, aller finanziellen Schwierigkeiten, niemals, daß diese palastähnlichen Wohnungen verwahrlosen. Die Bedienten mögen in geringerer Zahl vorhanden sein als früher. Allein sie werden sorgfältig ausgewählt und gehören oftmals zum sogenannten Familieninventar. Nirgends wird man so gut bedient wie in Java.
Vor dem Hause, im Garten, die traditionelle Fahnenstange für die niederländische dreifarbige Flagge. Diener in dunklen Uniformen. Frau Harloff empfängt uns. Der Resident hält noch seine Sprechstunde ab. Ein Thronsaal, eine ungeheure Galerie, an deren Ende unter einer Samtdraperie ein Thron mit drei Sesseln steht; ein großer für den General-Gouverneur, falls Seine Exzellenz kommen sollte, daneben einer für den Soesoehoenan (meist Soenân genannt), einer für den Residenten. Diese beiden Sessel einander ganz gleich in Form und Größe. So schreibt es die Etikette vor.
Frau Harloff hat uns in die Hintergalerie geführt. Diese ist so groß, daß in früheren Zeiten oftmals Gastmähler darin stattfanden, an denen siebenhundert Gäste teilnahmen.
Hinter diesen Prunkgemächern breitet sich der Park. Unmittelbar hinter der Galerie erhebt sich der fabelhafte Fikusbaum, der Baum aus Legende oder Epos. Seine Wurzeln hat er in verschiedenen Stämmen, die oft wieder herabschießende Luftwurzeln waren, über die Erde ausgebreitet wie ein großes Nest von Schlangen und Drachen. Sie ringeln sich über die Erde, in die Erde, wieder aus ihr heraus, und nur in unmittelbarer Nähe des Hauses werden sie dem Erdboden gleichgemacht, auf daß ein Pfad erhalten bleibe und sie nicht die Gebäude untergraben können. Sieht man einen solchen Baum an und stellt man sich dann vor, daß er jahrhundertelang mit seinen Ästen und Wurzeln ungehemmt fortwuchern könnte, so kann man sich leicht ausmalen, daß er einmal die ganze Erdkugel beherrschen und daß es nichts anderes mehr geben würde als einen einzigen großen Fikusbaum, der die ganze Welt zu einem einzigen weltumspannenden Urwald machte.