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Namen haben ihre magische Symbolik, insbesondere die Namen der Himmelsrichtungen. Für die Bewohner des Nordens hat der Süden einen zauberischen Klang, und umgekehrt. Wir kamen aus dem Norden von Java; nun wollten wir den Süden sehen und stellten ihn uns aus einer gewissen naiven Erwartung heraus ganz anders vor.
Von Garoet nach der Südküste. Die drei Riesen, Papandajan, Goentoer und Tjikorai, in der Ferne rings um uns. Der Papandajan mit seinem weißglühenden Spalt, gleich einer offenen, brennenden Wunde, der fort und fort Dampf entsteigt. Der Goentoer (»Donnerberg«) mit seinen beiden, jungen Fürstinnen gleichenden Töchterbergen. Der Tjikorai wie eingehüllt in die herabwogenden Falten eines Herrschermantels. Was für ein Rhythmus, was für eine Harmonie liegt vor allem in diesem Tjikorai.
In Nebel und Regen beginnt unsere Fahrt. Aus Nebel und Regen dämmern die Berge hervor. Fortwährend wechseln Farben und Umrisse. Eine sanfte Sonne wird siegreich bleiben und, ohne zu sengen, segenspendend ihren Schein verbreiten.
Immer und immer denkt man in dieser gigantischen Natur an das alte Epos, den Kampf zwischen Licht und Schatten, zwischen Gut und Böse. Diese gewaltigen, uranfänglichen Dinge, von denen der Mensch sonst nur träumen kann: hier stehen sie vor einem, zwischen diesen Bergen, die ihre Gipfel gen Himmel recken.
Berge und titanisches Naturepos ... Touristen und Hotels. Wir sind keine Helden, nur einfache Reisende. Und die Niederländisch-Indische Hotel-Vereinigung hat uns eingeladen, die Kurhotels in Tjisoeroepan und Ngamplang zu besichtigen. Frische, gesunde Lage und Zufluchtsorte für alle, die überanstrengt, überarbeitet sind.
Gemächlich schlängeln sich die Wege dorthin. Tee und Rubber. An den Gummibäumen sieht man nur wenige Leute, die den Saft abzapfen; dagegen gewahrt man viele Teepflückerinnen, die mit ihren geschäftigen Fingern an der Arbeit sind. Köstlichstes Schwelgen in Weite und Höhe (6000 Fuß!). Über Pamegalan geht der Zug. Ein überwältigendes Panorama; diese grünen Kokoshaine, die sich in die Tiefe hinabsenken, die hohen Farnwälder, die an den steilen Hängen emporklimmen wie grüne Sonnenschirme, wie stattliche Fächer, die da für unsichtbare Wesen ausgebreitet liegen. Hier breiten sich Märchenreiche, hier herrschen, inmitten dieser Wälder und Schluchten unseren Augen verborgen, Könige über Städte und Paläste. Hin und wieder verschwindet eine Frau aus einem Kampong, ein paar Monate später findet man sie verzückt oder schlafend wieder. Beim Erwachen berichtet sie, sie sei in den unsichtbaren Reisscheuern des unsichtbaren Königs gewesen, der hier herrsche. Durch dieses Schattenreich ziehen wir nun in dem strahlend schönen Morgen dahin. Ein Mann ging dereinst hier vorüber und erblickte die Sawahs, und als er abends auf demselben Wege zurückkehrte, waren keine Sawahs mehr da, sondern nur Bäume. Dies ist eine Wunderwelt, voller Rätsel und weit, unermeßlich weit erstreckt sie sich bis zu den Wolken und Himmeln und Horizonten.
Es kommt mir vor wie Sakrileg, daß wir in einem Auto da hindurchrasen. Ihr Berge und Bäume, verzeiht mir, was ich tue! Ihr Riesen und Götter, ich bin ein kleiner, sündiger Mensch der »modernen Kultur«, wie man das bei uns zu nennen pflegt. Ein Mensch, der euch sehen will, auf die einzige Art, die ihm das ermöglicht. Mit nervöser Hast wendet sich Auge und Herz euren unzähligen Schönheiten zu. Dennoch habe ich euch lieb, und dennoch bete ich euch an, ihr Götter und Riesen; nur bin ich und bleibe ich, was ich bin. Mich will es dünken, als sei ich hochmütig. Doch, glaubt mir: mit euch möchte ich diese herabstürzenden Wasser in meinen Händen auffangen und daraus trinken, trinken voller Durst nach eurer Schönheit. Verzeiht mir meine Torheit und meine Träume, lacht meiner, doch gestattet meinem Wagen, daß er dreist und tollkühn an euren Schluchten vorbeirast.
Dieser Weg ist gefürchtet ob seiner Erdrutsche. Schwere Regengüsse sind niedergegangen; wohin unser Blick reicht, ist die Bergerde verrutscht, sind die Tawahs gleich kristallenen Palastterrassen unten abgebröckelt und eingestürzt, liegen Kokosstämme wie Säulen quer über Weg und Abgrund, breitet sich ein Bambusbusch wie ein Haufen verworrener Riesenstraußfedern über einen toll schäumenden Bach. Braune Menschenhände strecken sich uns von ferne entgegen; hier wird unserem Übermut eine Grenze gesetzt. Der Weg, den Menschen schufen, ist bedeckt von Erde und Schlamm und gestürzten Stämmen – ein Chaos. Wir halten. Sollen wir umkehren? Das Auto überwindet jederzeit alle Hemmnisse, dieser kleine, rücksichtslose demokratische Herr der Wege, der stracks durch Märchenwelten und Traumlegenden hindurchrast. Vor das Auto werden ein paar Bretter gelegt, und es muß schon sehr schlimm kommen, bis wir glauben, einmal vorsichtig aussteigen und zu Fuß die gefährlichsten Stellen überschreiten zu müssen. Dieser Wagen, der Beherrscher der Wege, nimmt spielend jedes Hindernis. Jetzt ist die Strecke wieder eben; wir sausen dahin und winden und wenden uns voller Heimweh der See zu – denn wer aus den nördlichen Bergen kommt, sehnt sich nach den südlichen Wellen. An diesem Tage aber können wir das Meer nicht mehr erreichen. Es ist zu weit.
Doch da sehen wir plötzlich in der Ferne die Brandung; in weiter Ferne die südliche Brandung! Es ist, als würde unser Heimweh ein wenig gestillt; zu uns herüber leuchtet der Glanz eines fernen Zauberreiches der Najaden.
Wir kommen bis nach Tjisompet; dann ist es Zeit, zurückzufahren. Ein Wou-Wou, ein großer heiliger Affe, schwingt sich von Baum zu Baum, hockt sich dann im Ästegewirr nieder und starrt uns an. Diese Fahrt nach Tjisompet ist wunderbar schön. Bevor wir in unser Hotel zurückkehren, besichtigen wir noch die warmen Quellen bei Thipanas. Rechts und links Fischweiher, große, viereckige, grasumsäumte Bassins, die gleich den Sawahs stufenweise ansteigen. Im späten Nachmittagslichte leuchtet das Wasser so kristallklar, daß die Kokospalmen sich darin widerspiegeln und das Abbild kaum unwirklicher ist als die Wirklichkeit selber. Zwiefach, aufgerichtet und nach unten gekehrt, erglänzen die Palmbäume und ihr Spiegelbild in den flach ausgebreiteten Terrassenspiegeln der Weiher, die keine noch so leichte Brise bewegt. Der Besitzer eines solchen Fischweihers ist ein vermögender Mann. Hier werden die Goerrhames gefangen, köstliche Fische. Nahe bei der sehr primitiven Badeanstalt entspringen hier und da warme Quellen, heiße Strahlen schießen empor, die Fischweiher selber sind stets lauwarm, und die Fische fühlen sich gar wohl in ihrem Element, in dem der arme Goerrhame schon gleich von Natur aus ohne jede Grausamkeit auf das Kochen vorbereitet wird. Sehr einfache Badekammern reihen sich aneinander. Vorwiegend Einheimische suchen diese warmen Quellen auf; man ist verwundert, daß hier kein großes Badehotel anzutreffen ist.
Will man in Caroet in bunten Farben und im Gewühl der Menschen schwelgen, so begebe man sich zu früher Stunde auf den Markt. Hohe Stapel von Gemüse und Früchten strahlen Glut und Glanz aus. Chinesische und einheimische Garküchen, in denen allerlei Gebäck und ein kühler grüner Trank bereitet wird, locken die Besucher des Marktes an. Sie erstehen bei besonderen Händlern das »Sirih«, das Betelblatt, das sie kauen, und alles, was dazu gehört, und verschließen es dann in den runden messingnen Sirih-Dosen: ein wenig Kalk, Gambir (Cachou), ein viereckiges Stückchen einer duftenden Wurzel, die vornehmlich aus China kommt, und schließlich noch feingeschnittene Pinangnüsse. Das mit diesen Ingredienzien zubereitete Blatt scheint nicht mehr so allgemein gekaut zu werden wie früher. Der Mund der Frauen ist nicht mehr so blutrot vom Betelsafte wie vordem. Diese sundanesischen Frauen mit ihren weichen, oft sehr schönen Gesichtern fallen insbesondere durch die helle rosenrote Farbe ihrer Kabaias auf, im Gegensatz zu den indigoblauen, die in Mittel-Java allgemein getragen werden. Und diese Frauen mit ihren geblümten »Sarongs«, ihrer hellfarbigen »Kabaia« und dem häufig gelb und schwarzen »Slendang« über der Schulter sind nicht ohne eine gewisse Gefallsucht. Keine Eingeborene verläßt ihr Haus ohne diesen Slendang, eine Art langer Schärpe. Das Haar erglänzt von Öl; in den Haarknoten sind Nadeln und Blumen aus Edelsteinen gesteckt, und auch hier bei den Händlerinnen kaufen sie Blumen: Kenanga-Blumenblätter, Rosenblätter, Melatie-Knospen, die sie zwischen ihre Kleider in die Truhen legen oder an Schnüren hier und dort aufhängen.
Vom Bazar ging es in das Leihhaus der Regierung. Hier fiel uns auf, daß auch die vermögenden Sundanesen ihre goldenen Schmuckstücke beleihen und sie sozusagen wie bei einer Bank in Verwahrung geben. Wir sahen dort sehr schöne, feingetriebene, halbkugelförmige, goldene Mützen und allerlei Kopfschmuck. Findet ein Fest statt, so holen die Besitzer diese Erbstücke aus der Pfandleihe zurück, um sie nächsten Tages von neuem zu beleihen und sie dort sicher und geborgen in feuerfesten Schränken verwahren zu lassen.
Durch eine Djati-Allee – gerade Stämme, breite, schifförmige Blätter, gefiederte Blütendolden – zwischen Sawahs und Fischweihern, wo immer wieder Himmel und Bäume sich in den glatten Wasserflächen spiegeln, geht's zu dem Meer bei Bagendit. Dies ist so recht ein Meer für Reisende, und es ist noch schöner als das Lélés-Meer, das mir vor zwanzig Jahren als ganz besonders schön in Erinnerung blieb. Die Besucher werden dort stets mit Angkloeng-Musik empfangen; die Musikanten wissen wohl, wie wohltuend das Ohr der Fremden von diesen hellen Tönen berührt wird. Der Angkloeng, ein ganz primitives Instrument, das aus losen, schräg abgeschnittenen Bambusstielen von ungleicher Länge verfertigt wird und einer einfachen Harfe aus Bambus ähnelt, wird ganz einfach geschüttelt. Die Bambusrohre erklingen dann unsagbar fein und kristallklar, und es ist, als sänge die Natur selber so, wie der Wind im Schilfe am Wasser entlang singt.
Mädchen bieten uns Marö-Blumen mit gelben Kelchen dar und Kajapiring: das ist die bei uns früher so beliebte Knopflochblume, die alabasterweiße Gardenie. Und auf einer Art von überdachtem Floß, das quer über zwei Kähnen liegt – »Prauen«, wie sie aus hohlen Baumstämmen geschnitten werden –, lassen sich die Reisenden auf Stühlen nieder. Mädchen setzen sich in die Prauen und stoßen das Floß vorwärts. An den Ufern hohes Schilf, auf dem Wasserspiegel aufgeblühte Narzissen. Ein Meer der Idylle, wie die Natur so häufig idyllisch anmutet. Ein Pastorale inmitten mächtiger Bergkonturen und gewaltiger Größe ringsum.
Wir fahren zum Hügel gegenüber: dort steht ein Gartenhaus. Die Mädchen rudern, nackte braune Knaben ersinnen allerlei Spiele, um den Reisenden die Zeit zu vertreiben. Sie tauchen ins Meer nach »Djeroeks« (Apfelsinen), die mit Geldstücken gespickt sind. Sie führen »Hahnenkämpfe« auf, wobei sie sich die Beine zusammenschnüren und in kauernder Stellung immerfort aufeinander einhauen, bis einer von ihnen den Hügel hinabtaumelt. Mittlerweile waten Frauen durch das seichte Wasser und fischen. Sie legen ihre Netze aus und treiben die Fische und Krabben scharenweise zwischen zwei solcher Baumstammkähne, wo ihrer das ausgespannte Netz wartet. Die vollen Netze legen sie dann in den Korb, der auf ihrem Haupte schwankt.
Plötzlich zeigen sich Wolken, während wir langsam über das Meer treiben. Ein Unwetter droht. Regenschauer gehen schräg über das Wasser. Unser blumenbekränztes Floß wird jetzt von den Mädchen, die in den Prauen sitzen, rascher vorwärtsgestoßen, dem Ufer entgegen. Die Frauen, die beim Fischen sind, eilen sich, und die nackten Knaben, die gleich Hähnen kämpften, tummeln sich ebenfalls und suchen Schutz unter eilig abgeschnittenen Pisangblättern.
Gegen Sonnenuntergang sind wir daheim. Es regnet nicht mehr. Vor unserem Pavillon streut der riesengroße Kenanga-Baum unablässig die duftigen Blättchen seiner Sternenblüten herab. Die Waringihbäume, deren Stämme an Elefanten erinnern und wie mit Rüsseln und dickhäutigen Gliedmaßen ineinander verschlungen sind, erfüllen den Garten mit ihrem fremdartig schweren, berauschenden Duft. Und der Angkloeng der Musikanten, die wohl wissen, daß die Reisenden diese zarten, glashellen Klänge lieben, läßt seine Töne langsam durch diese geheimnisvollen Stunden tropfen.