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»Diesmal wird er kommen!« jauchzte Deianeira in heimlichem Entzücken, während sie über den jetzt nicht mehr staubigen, sondern schneeweißen Weg schaute, während sie über die weißen Wiesen und Hügel blickte, als unter schwerer Schneeschicht die bereits dämmrigen Wälder zu dunkeln begannen. Diesmal würde er kommen, und frei von Buße und Knechtschaft würde sie ihn in ihre Arme schließen und, dank dem Zaubergewande, ihn ihrer Liebe allein bewahren. War es möglich, daß sie noch zweifeln konnte, seltsam bange in finsterer Ahnung, wie in jener Nacht nach dem zehnten Werk, da der Held unwirsch nicht erschienen, sondern, durch die Last der neuen Buße beschwert, seinem Heim und seiner Habe, seiner Gattin und seinem Sohn und seinen Freunden ferngeblieben war? War es möglich? Hatte sie es da nicht jählings vor sich gesehen wie in einer Vision, daß sie Herakles nimmermehr umarmen, daß Hyllos niemals mehr seinen Vater erblicken würde? Daß über die Triften, durch die Haine von Trachin einst entsetzliches Wehegeschrei ertönen würde? Daß Ioles Tränen über den ihnen beiden so teuren Helden sich mit denen der Deianeira mischen würden? Und daß die fürstlichen Freunde zu Trachin nicht Freude, sondern nur sehrenden Schmerz schauen würden, und das Schicksal grausam sein würde, ach, so grausam? Welcher Traum, welche Vision, welch trügerisches Traumbild, ihr von höhnenden Geistern vorgezaubert, während sie jetzt, mitten in rauher Jahreszeit, mitten in kaltem Winter, in wenigen Stunden, vielleicht schon in einer Stunde, ihren Gemahl in die Arme schließen, ihren Hyllos in den Armen emporheben sollte, und Freude, Freude jetzt immerfort unter ihnen und den fürstlichen Freunden herrschen würde! Keine Wimpel an hohen Masten, keine Lorbeergewinde hatte Deianeira an dem schneeweißen Wege angebracht, wie damals, um nicht wieder zu erleben, wie damals, daß sich derlei Schmuck als unnütz erwies. Doch sobald des Helden Kommen von den Hirten und Hütern gemeldet war, wollte sie ihm Fackeln. Tausende von Fackeln in der schneeweißen Nacht entzünden lassen, die alle umliegenden Hügel mit ihrer roten Farbenglut erhellen sollten. Sie wollte ihm nicht entgegengehen, sondern auf der Schwelle des Hauses mit ihrem Sohne und ihren Freunden ihn erwarten, mit offenen Armen und selig klopfendem Herzen. Oh, wie sie ihn liebte, ihren Helden, dem so viel Liebe entgegengebracht worden war! Wie sie ihn liebte mit ihrem einzigen und ewigen Gefühl! So war ihre Seele gewesen wie ein Strauch, an dem diese einzige, purpurn leuchtende Rose erblüht war. Es war in ihrem Leben nichts gewesen als ihre Liebe, ihre Liebe, die sie bei jedem erneuten Abschied stark gemacht hatte, und in der sie jedesmal nach immer schmerzlicherem Warten, voller Sehnen nach seiner Umarmung, ihre Eifersucht unterdrückt hatte. Oh, all das Leid würde jetzt vorübersein! Keinen Abschied sollte es mehr geben und kein Harren, und alles heiße Schmachten würde gekühlt in seinen Armen; Eifersucht sollte es nicht mehr geben, nun er den rotumrandeten Ocker tragen würde, der ihn mit zärtlicher Liebe zu ihr erfüllte und bezauberte. Die Stunde nahte, die Stunde! Oh, wie gnädig waren die günstigen Götter gewesen: endlich war die unversöhnliche Hera versöhnt! Jetzt wollte Deianeira die große Göttin auch ehren, so wie sie fromm die anderen ehrte: den Vater und die Brüder und die Schwestern des Herakles. Jetzt würde sie alsbald gemeinsam mit Herakles ihnen einen eigenen Tempel errichten inmitten der Heiligtümer, die schon um des Herakles Triften zu Trachin lagen.
Sie warf sich glücklich der Iole in die Arme, die aus dem Hause auf die Schwelle trat und Hyllos an einer Hand führte. »Die Flocken fallen,« sprach Deianeira, »die Nacht bricht herein. Doch, o Iole, ist diese weiße Nacht nicht eine frohe Nacht? Niemals schien mir eine Nacht glücklicher. Die Stunde naht, die Stunde nahet! Diese Nacht führt mich dem Glücke, der endlichen Seligkeit entgegen! O ihr Fürsten,« sprach Deianeira dann wieder zu Ceyx, der an des Iphitos Arm erschien, »o ihr Freunde, erschienen seid ihr diesmal in Trachin, um die endliche Seligkeit zu schauen. Weiße, selige Nacht wird zu roter seliger Nacht erblühen! Entzündet die Fackeln! Entzündet die Fackeln!«
Und ringsum wurden die Fackeln entzündet. Sie flammten auf: von roten Feuerbränden floß ein Schimmer über die weißen Felder und Hügel, an dem weiß überschneiten Waldessaum entlang, über den weißen Weg hin. Die Schneeflocken fielen rascher herab, wirbelten, zischten in die Glut, ohne ihrer Herr zu werden. Die weiße Stunde waberte in rötlicher Erwartung, in rotem Rauch, der den Himmel erhellte.
Plötzlich ertönte vom Wege her ein Summen wie von Tausenden von Stimmen, aber es waren nicht Stimmen, die jubelten. Es war ein Klang voller Schrecken, voller Entsetzen, der erst dumpf noch von dem Rauch und dem Schnee erstickt wurde, bis er deutlich hörbar wurde. Auf dem Vorplatz waren die fürstlichen Freunde blaß geworden, und entsetzt fuhr Deianeira auf. Allein in der Freude darüber, daß er doch sicherlich jetzt nahete, währte dieser Schrecken kaum mehr denn einen Augenblick. »Er kommt, er kommt!« rief Deianeira und stürzte ihm entgegen.
Über den Weg wogte die Menge, und jetzt war nicht mehr daran zu zweifeln, war nicht mehr an dem klagenden Jammer, an dem näher und näher heranbringenden Entsetzen zu zweifeln. Ein Meer von Menschen wogte dem Landhause entgegen, alle Hände waren vor Entsetzen hoch emporgehoben, und heulend wogte es heran wie ein Meer des Schmerzes. »Was ist geschehen?« stammelte Deianeira. die allen voran auf den Weg hinausstürzte. Die ersten Wogen der Menge umstauten sie. Doch wie in Ehrfurcht vor dem Schmerz, der ihr Teil sein würde, schied sich das Meer in zwei Ströme und wogte in der roten Glut der Fackeln die Hügel empor, auf die weiße Flocken herabwirbelten. Und Deianeira stand jetzt auf dem Wege inmitten des Meeres, das noch zögerte, sie zu verschlingen. Und sie sah den Wagen ihres Gemahls sich nähern und sah Jolaos, der die wilden weißen Rosse lenkte. Allein er lenkte sie behutsam, und sie gingen im Schritt, und des Wagens Räder drehten sich langsam, und hinter dem Lenker sah Deianeira nicht ihren Gemahl stehen, während das Meer, das angeschwollene Meer des Entsetzens, das Klagemeer, die schaudererweckende Menschenmenge den Wagen dicht, dicht umwogte.
Die Frau hatte, indes ihr das Blut erstarrte, die Arme emporgeworfen. Und während ihr die Augen aus den Höhlen traten, rief sie und erkannte den Klang ihrer eigenen Stimme nicht: »Herakles! Herakles! Wo ist er?«
Da sah Deianeira aus der wogenden Menge inmitten aller Klagen und alles Entsetzens ihren Gemahl auftauchen. Er reckte sich hinter des Jolaos Rücken riesengroß empor aus seiner schmerzvoll gebeugten Haltung. Sein Haar und sein Bart waren wirr, die Augen wie im Wahnsinn weit geöffnet, der Mund weit aufgerissen in dem verzerrten Antlitz, das weiß war wie der Schnee selber, als wäre alles Blut daraus gewichen. Und um die jetzt schmerzvoll sich hochreckende Riesengestalt, an den mächtigen, breiten Schultern, an den mächtigen Flanken klebte zerknittert das furchtbare Gewand wie gelbe Flammen, über die purpurrote Glut züngelte. Die von Deianeira gezeichneten Arabesken, die Verzierungen, die mit dem geronnenen Nessosblut gemalt waren, die rote Randlinie: alles schien zu leben, sah aus wie Schlangenwindung. schien wie ein gräßliches Ungetüm des Herakles Fleisch zu zernagen. Und der Held, der Vertilger so vieler Ungeheuer, stand da ohnmächtig, dies Ungeheuer von sich zu werfen, das ihn langsam aufzufressen schien.
Der Deianeira Schrei durchschnitt die Klage der Tausende. Und durch den entsetzlichen roten und weißen Nachtspuk erklang plötzlich zitternd des Herakles schwache Stimme wie die eines siechen Mannes: »Deianeira! Deianeira! Sieh, Herakles kehrt zurück! Herakles kehrt nach Trachin zurück, um die ungetreue Gattin zu überraschen! Sie glaubte, ihn mit diesem vergifteten Gewände auf der Schwelle vor des Zeus Heiligtum zu Tode zu bringen! Allein Herakles überlebte ihre List. Deianeira! Deianeira! Warum schreitet ihr alle mir entgegen? Wo ist der Buhle, wo ist der Buhle, der gemeinsam mit dem ungetreuen Weib meiner spotten möchte? Sieh, machtlos ist Herakles jetzt, kraftlos und ohnmächtig, das feurige Ungeheuer zu erwürgen, das ihm mit seiner flammenden Zunge das Blut ausleckt, ohnmächtig ist er auch, den Buhlen zu töten. Ohnmächtig, sich an dir zu rächen, an der ungetreuen Deianeira!«
»Ungetreu ich?« schrie die Frau schmerzvoll auf. »Ungetreu Deianeira, die niemals einen anderen liebte als Herakles? Oh, wie war ich von Sinnen, als ich den Mantel mit des Nessos giftigem Blut verzierte! O ihr Götter, wie hattet ihr mir die Sinne verwirrt! O du verfluchte Athena, wo warst du, als ich das Blut aus dem Ball auf den ockerfarbenen Mantel strich? Herakles, Herakles, glaube mir: nichts anderes wollte Deianeira, als den Herakles in steter Liebe an sich fesseln, wie sie ihm mit des Zentauren Blut das unheilvolle Gewand purpurn bemalte. Herakles, o glaube mir! Wen habe ich jemals geliebt außer Herakles? Seid meine Zeugen, ihr Männer von Trachin, bezeuget es, o ihr Männer und ihr Frauen, bezeuget es, ihr Hügel, ihr Felder, ihr Wiesen, bezeuget es, alles und alle, die uns umringen: wen hat Deianeira jemals geliebt außer Herakles? Wo ist ein Buhle? Wer ist mir Buhle? O Mann, du einzige Liebe der Deianeira, glaube, glaube und steige vom Wagen herab, komm in die Arme des Weibes, tritt ein in das Haus! Salben werden dir die Fetzen des Gewandes vom Körper fallen lassen, Bäder werden dir den giftigen Brand des Blutes kühlen. Der Artemis Balsam wird dir die Wunden heilen! Komm, Herakles, komm!«
Und in ihrer Verzweiflung streckte Deianeira die Arme aus. Dort drüben an dem Wagen wagten der mitleidigen Männer Arme nicht den vor Schmerzen zusammenzuckenden, schluchzenden Helden zu stützen, während er den Wagen verließ. Vor dem Landhause hatte der junge König Iphitos seinen Mantel über das Kind Hyllos geworfen und führte es in das Innere des Hauses hinweg, in die Frauengemächer, auf daß es seinen Vater nicht sähe, indes der greise Ceyx und die Jungfrau Jole einander umarmten und weinten. Noch immer streckte Deianeira die Arme aus. Allein Herakles sprach:
»Frau, umarme mich nicht. Ich glaube dir, ich glaube Deianeira. Ich glaube, daß ihr die Sinne verwirrt waren, als sie mit des Nessos Blut, das vom Hydrablut vergiftet war, den Mantel bestrich, den sie ihrem Gemahl sandte. Ich glaube der Deianeira, doch niemals wird sie den Herakles mehr umarmen. Frau, um unsere Liebe ist es geschehen. Dieser Körper, so kräftig dereinst, ist unter den Flammenbissen dieses Ungeheuers, das sich nicht abschütteln läßt, zu einer einzigen unheilbaren Wunde geworden. In diesem Augenblick – vielleicht, weil Herakles Trachin wiedersieht und sein Heim und Deianeira – scheint der entsetzliche Schmerz erträglich, scheint der entsetzliche Schmerz wahrhaft erträglich, doch wisse, o Frau, daß weder Salbe noch Bad noch Balsam den Herakles zu heilen vermögen.«
Schluchzend war Deianeira zu des Herakles zuckenden Füßen hingesunken. Verzweiflungsvoll aufschluchzend lag sie am Boden und rang die Arme, und ihre Hände streckten sich ihrem Gatten entgegen, um seine Kniee zu umfassen, Vergebung zu erflehen, zogen sich aber gleich wieder zurück.
»Nein, Deianeira,« sprach stöhnend der Held, »um die Liebe, um unsere Liebe ist es geschehen. Möge der Tod kommen! O die Leiden, die Leiden auf dem Wege hierher, auf dem Wagen, auf dem ich so oft hoch aufgerichtet stand! Ja, in diesem Augenblick ist es noch erträglich, doch wie wird es in einer Stunde, wie wird es in wenigen Augenblicken schon wieder sein?«
Deianeira hob die Blicke vom Boden empor, auf dem sie noch immer lag, und sah Herakles sich aufrichten: doch in dem zusammengeschrumpften Gewände, von den purpurroten Arabesken umschlungen, mit den weitgeöffneten Augen, erschien er ihr wie ein Ungeheuer aus dem Tartaros. Und als sie ihn also sah, zuckte sie, vor Schmerz stöhnend, dicht zu seinen zitternden Füßen auf dem Schnee zusammen, doch ohne daß sie es gewagt hätte, ihn zu berühren. Und sie vernahm seine Stimme:
»Diener, ihr alle, und Gefährten, Herakles ist frei von aller Buße nach Trachin zurückgekehrt, doch nicht, um der endlichen Ruhe zu genießen bei seiner Habe, in seinem Heime, bei Weib und Sohn, bei allen, die ihm teuer sind: Herakles ist nach Trachin zurückgekehrt, um zu sterben. Seht, dies ist das Haus, das er nicht mehr betreten wird, dies sind die Felder, auf denen er die Ähren nicht mehr wird reifen, die Wiesen, auf denen er die Herden nicht mehr wird werden sehen. Dies ist der Weinberg, an dem er die Trauben nicht mehr wird schwellen sehen, und in dem Haus, dahinein Iphitos es liebevoll barg, weilt das Kind, das Herakles nicht mehr sehen wird, und zu seinen Füßen liegt das Weib, das Herakles nimmermehr umarmen wird. Deianeira, Deianeira, erhebe dich! Oh, nicht Deianeira war es, die Herakles tötete, es war das Schicksal, das Schicksal allein! Sei darob nicht also verzweifelt, mein Weib! Nur darüber empfinde Leid, daß dein Mann sterben muß. Doch den Mord sollst du dir nicht zurechnen. War Deianeira nicht die verkörperte Liebe? Diener, ihr alle, und ihr Gefährten, Deianeira und ihr fürstlichen Freunde, tut jetzt, was Herakles euch heißt: Legt ihn nieder auf die Bahre, denn seine zitternden Füße weigern sich, ihn zu tragen, und tragt ihn dann an dem neuen Tag, den er bereits erwachen sieht, hinauf, auf die schneeigen Hänge des Oita, auf daß er dort sterbe, auf des Zeus eigenem Berge, im Angesicht des Zeus selber.«
Wirklich begann im Osten die bleiche kraftlose Sonne des neuen Tages zu leuchten, und die Flocken, die herabwirbelten, ballten sich und fielen wie in der noch schimmernden Dunkelheit, so dann in dem langsam erwachenden Morgengrauen herab. Eine Bahre wurde gebracht, von starken Männern getragen, und sie wurde mit Tierhäuten bedeckt, und Herakles versuchte, sich auf die Bahre zu legen. Keiner half ihm. keiner stützte ihn, keiner rührte ihn an, während er stöhnte, während er stöhnend sich niederlegte. Denn sobald er nicht mehr auf den zitternden Füßen stand, sondern sich auf den wunden Rücken legte, sich auf die verwundete Seite wandte, fraß das flammende Gift, das brennende Blut sich wie ein Hydrazahn in sein Fleisch ein und bohrte sich wie mit glühenden Zungen in sein Blut und in sein Mark und saugte beides ihm aus...
Mit dem bleichen neuen Tage bildete sich der Zug derer, die in Verzweiflung und voller Liebe zu Tausenden den Helden umdrängten. Denn die Taufende wichen nicht von der Bahre, der Jolaos mit dem Wagen und den zwei wilden weißen Rossen voranschritt, der Deianeira mit den fürstlichen Freunden folgte, der all die Diener des Herakles nachgingen. In dem schneeigen Morgen stieg die traurige Schar schwerfällig und strauchelnd die beschneiten Berghänge empor. Und Tiere und Menschen suchten mühsam den verlorenen Weg in dem flockigen Schnee, der tief lag und in unbefleckter Weiße erstrahlte, bis er, zertreten, als trauriger Schlamm an den Felsen hinabfloß. Und die Klage scholl zum Himmel empor, zu den Göttern, zu Zeus im hohen Olymp. Die wehe Klage der Tausende, die Arme und Hände rangen und das nahende Ende des Helden beweinten. Der schrille Verzweiflungsschrei der vom Wahnsinn geschlagenen Frau, der fast in ein Lachen voll Sinnlosigkeit ausklang, nun sie, Deianeira, die am schwersten Betroffene, in den Armen des Iphitos und der Iole mitging. Ein schmerzvoller Bittgang war es für den alten König, den Herrscher Ceyx, der inmitten der Priester der günstigen Götter, die, wehe, nur bis zum gestrigen Tage günstig gewesen, mühselig dahinwankte. Und Hirten und Hüter, Diener und Dienerinnen. Argiver und Mykener, sie alle zogen mühselig mit durch das weiße Land, bis der Weg unter ihrem strauchelnden Schritt schmutzig ward, und die wehvolle Klage scholl tausendstimmig empor wie schrille Schreie – bis plötzlich über alles hinweg Herakles selber seine unerträglichen Schmerzen hinausschrie, bis der Held brüllte wie ein verwundeter, wie ein schon am Feuer gerösteter Stier, der noch lebend über der Flamme hing; er brüllte so laut, daß die Rosse an dem leeren Wagen vor seiner Bahre voller Angst wieherten und sich hoch aufbäumten, indes die zitternden Hände des immerfort schluchzenden Jolaos sie kaum im Zaum zu halten vermochten. Der Schmerz einer ganzen Welt schlug verzweiflungsvoll auf zum geschlossenen Himmelsdom, verstummte in dem dichten Schneefall, um dann aufs neue wieder zu dem Berge emporzutönen. Herakles, Herakles starb. Herakles, Herakles war von dem heiligen Opfergewand zerfressen! Herakles, Herakles starb, verbrannt von dem roten Zauber des Nessosblutes!
»Ich habe ihn vergiftet! Ich habe ihn getötet.« schrie verzweifelt Deianeira, »ich habe ihn vernichtet. Deianeira brachte Herakles den flammenden Tod. Herakles, wehe, fürchtete dereinst, daß er Hyllos und Deianeira den Tod bringen wurde. Nun aber, ach, brachte Deianeira ihrem Herakles den Tod, und niemals doch fürchtete sie, daß sie dem Gatten den Tod bringen könnte! O hätte Herakles lieber Deianeira und Hyllos getötet! Glücklich wäre sie mit ihrem Sohn gestorben, wenn des Herakles Hand sie getroffen! Der Tod würde ihr von des Gatten Hand willkommen sein. Doch wehe; ihm kommt sein Tod nun von ihr! Niemals glaubte Herakles, der Hera Haß versöhnen zu können. Eher war es ihm möglich, zu glauben, daß er aus Deianeiras Hand den Tod empfinge. Unmögliches wurde möglich: Deianeira brachte dem Herakles den flammenden Tod! Ich habe ihn vernichtet! Ich habe ihn getötet, getötet ihn, den ich doch über alles liebte, mehr als mich selber, mehr als meinen Sohn! Deianeira hat ihn gemordet; Artemis, was vermag dein Balsam? Dionysos, was dein Trank? Zeus, wessen ist deine Macht fähig? Was, o ihr günstigen Götter, vermöget ihr?«
Die Klage der verzweifelten Frau an der Bahre des sterbenden Mannes ward übertönt von der schmerzlichen Klage der Tausende. Sie sahen Herakles, der höher den Oita hinaufgetragen ward, sich vom Rücken auf den Leib, vom Bauch auf den Rücken, vom Rücken auf die eine Seite und dann auf die andere Seite wälzen. Sie sahen, wie seine zitternden Füße ohnmächtig traten, wie seine zitternden Hände sich ohnmächtig rangen, sie sahen ihn gleichsam mit dem zusammenschrumpfenden Gewände selber zusammenschrumpfen.
Noch immer höher stieg der Zug empor. Bleich, wie weinend, schien die Mittagsonne über die schneeigen Felder, als der Gipfel des Oita erreicht ward, wo Herakles im Angesicht des Zeus sterben wollte. Allüberall über die Hänge des Gebirges drängte der Schwarm der Tausende durch die fahlen Flocken des unaufhörlich fallenden Schnees. Auf dem Gipfel angelangt, versuchte Herakles sich aufzurichten, und ob er gleich anfangs vor Schmerz laut aufbrüllte, erhob sich der Held schließlich von der Bahre. Seine Augen blickten wie wirr, den bärtigen Mund hatte er schmerzvoll verzerrt, und so stand er in dem Schnee. »Wie lange noch?« schrie er, »wie lange noch, ihr Götter, dieses Leiden? Dieses langsam fressende Leiden? Dieses glühende Jucken auf dem Fleisch, diese versengenden Flammen, die mir wie Glut der Wüstenwinde Libyens durch das Blut gejagt werden? Wie lange noch? Wie lange noch? Wehe, weg mit dem Gewände. Hinweg, hinweg das Gewand!« Und er riß und zerrte an den zusammengeschrumpften Lumpen aus ockerfarbenem Stoffe, die dort, wo die Zeichnungen das Hydrablut mit dem seiner Wunden vermischten, gleich roten, gelben und orangefarbenen Flammen an seinem Körper herabzutropfen schienen. Und er riß und zerrte und schrie seine Seele hinaus vor Schmerz, nun er ganze Stücke Fleisch mitriß. Rings um ihn über das Gebirge schrien alle vor Schmerz gleich ihm selber, riefen zu den Göttern um Hilfe und Erbarmen für Herakles. Und es schneite, es schneite immerfort, dichter und dichter, doch die Flocken vermochten des Helden nicht mehr erträgliche, folternde Schmerzen nicht zu lindern, die schneeige Kälte schien die giftigen Flammen vielmehr noch aufzuschüren, und stehend wand sich Herakles wie rasend, während die Augen ihm aus den Höhlen traten, während der verzerrte Mund sich weit öffnete. Um ihn in ratlosem Entsetzen standen alle, bis er schluchzend ausrief: »O ihr Freunde, dies heißt Sterben! Doch allzu langsam ist das Sterben! Ich kann nicht länger diesen endlosen Schmerz ertragen. Wahrlich, Stunden um Stunden ertrage ich ihn schon. Macht ihm ein Ende, ich flehe euch an! Wenn nicht diese Zauberflammen durch andere Flammen verzehrt werden, auf daß sie zu einem großen Feuer werden, so gewahre ich kein Ende meines Sterbens! O ihr Freunde, gebt mir endlich den Tod, ich flehe euch an, habt Gnade! Laßt mich sterben, laßt mich sterben! Und segnen wird Herakles alle inmitten der Flammen, die ihn verzehren! Ihr Freunde, ich flehe euch an! Fällt die beschneiten Pinien ringsumher, schichtet den Scheiterhaufen. König Ceyx, mein Wohltäter, mein Herrscher. Herakles erfleht von dir als letzte Wohltat, daß du ihm den Scheiterhaufen schichten lässest.«
»Fället, ihr Mannen, die Pinien!« rief die zitternde Stimme des Königs. »Schichtet, ihr Männer, den Scheiterhaufen und bereitet dem Herakles das letzte Lager!«
»O Herakles!« rief Deianeira und breitete die Arme aus, »werde ich dir selbst im Todeskampf mit meiner Umarmung fernbleiben müssen? Wird kein Kuß mir Verzeihung bringen? Wird meine Hand, die dich so oft pflegte, nicht den geliebten Leib berühren dürfen, den ich zerstört – verblendet durch die Götter, denen ich geschlagene Frau nun fluche?«
»Weib,« rief der leidende Held, »keine Umarmung, keinen Kuß, doch mein ganzes Verzeihen, denn Herakles weiß, daß Deianeira nichts anderes wollte als des Herakles Leben und Liebe! Doch schichtet die Scheite, schichtet ohne Zaudern den Scheiterhaufen!« An den Hängen des Berges fielen bereits die ersten Stämme, und selbst König Iphitos hatte ein Beil zur Hand genommen. Stamm auf Stamm fiel, und die Argiver und Mykener schleppten die Stämme auf den Gipfel des Oita und häuften Stamm auf Stamm. Und so lieb hatten sie alle den Herakles, daß ein jeder von ihnen, wo nicht einen ganzen Stamm, so doch einen Ast oder einen Arm voller Zweige anbrachte oder auch nur ein paar Tannenzapfen, die er zwischen die Stämme warf. Selbst die Frauen warfen, vor Schmerz aufschreiend, gleich den Männern und Kindern Zweige dazu.
Breit und hoch war der Haufen geschichtet und alsbald von dem stets dichter fallenden Schnee überdeckt. Und Herakles näherte sich jetzt frei, ungestützt, wankend und strauchelnd dem gewaltig getürmten, vierkantigen Bau. Er erklomm ihn mit seinen letzten Kräften. Er erklomm ihn wankend und strauchelnd, doch jetzt stand er nach übermenschlicher Anstrengung hochaufgerichtet auf dem höchsten Pinienstamm und rief: »Ihr Freunde, zaudert nicht: werft die Fackel in den Scheiterhaufen!«
Aber ein verzweiflungsvoller Schmerzensschrei erhob sich von den Hängen des Berges. Wenngleich die Männer mit den Frauen und Kindern die Stapel geschichtet hatten, so schien es doch jetzt, als hätte ein jeder von ihnen geglaubt, daß Zeus selber den Blitz hineinschleudern müßte, auf daß er entbrenne. Doch anstatt der Donnerwolken und Blitze kam nur unaufhörlich Schnee aus dem unerbittlichen Himmel, schneite es immerfort, immerfort.
»Werft die Fackel in den Scheiterhaufen,« bat flehentlich der Held, »zaudert nicht länger. Erbarmen! O der Schmerz, der Schmerz, nun ich meinen Körper berühre, nun ich an dem Mantel zerre, nun ich mir Stücke flammenden Fleisches abreiße! Erbarmen, Erbarmen. Erbarmen!«
Plötzlich entriß sich Deianeira den sie umschlingenden Armen der Iole. Sie stand in jäher Eingebung bleich und groß da wie eine der Göttinnen, denen sie geflucht hatte. Sie schaute um sich, gleich als suchte sie etwas. Ihr Blick entdeckte, daß einer der Knaben, die Herakles in der Nacht von Argos gefolgt waren, noch eine erlöschende Fackel in der Hand hielt. Sie eilte auf den Knaben zu und entriß ihm die Fackel. Sie kniete in den Schnee nieder, die Frau im purpurn leuchtenden festlichen reichen Prunkgewande. Sie strich mit den beiden Händen den weißen Schnee weg und suchte den Stein, der, am Stein gerieben, den Funken entfachen würde. Sie rieb und rieb und schlug Stein gegen Stein: der Funken schoß hervor. Der helle Funken fiel in die harzige Fackel, und sie lohte in heller Flamme empor. Deianeira erhob sich, die brennende Fackel hielt sie in der Hand. Sie weinte nicht mehr, ihre Verzweiflung, ihre Ratlosigkeit waren vorüber; sie schritt wie in Verzückung auf den Scheiterhaufen zu. Herakles, dem die Augen aus den Höhlen traten, blickte ihr in die ihren, die jetzt leer und tränenlos waren. Und in ihrem Blick las er nichts als Liebe, eine Liebe so groß, daß sie nicht länger zauderte. Ja, sie lächelte ihm sogar mit einem Lächeln der Verzückung, mit einem Lächeln der Anbetung zu und warf ihre brennende Fackel auf den Scheiterhaufen, um den sich die Aste und die Tannenzapfen und das Reisig häuften.
Ringsumher erklang ein Entsetzensschrei der Tausende. Aus dem Stapel leckte sogleich die Flamme hervor, gelb wie das Gewand, rot wie das Hydrablut, orangefarben wie die Stellen, da ihrer beider Farben sich gemischt hatten. Die Schneeflocken vermochten die Flamme nicht zu löschen, sie zerschmolzen zischend an der Lohe. In einem einzigen Augenblick stand der Scheiterhaufen in lichtem Brande, gleich als hätte sich der Oita in einen Vulkan verwandelt, als speie sein Krater Feuersglut aus. Inmitten der Flammen wand sich der Held, und es wollte den Tausenden scheinen, als ob er ihnen erleichtert zulächle, nun das wirkliche Feuer ihn umleckte, nachdem er vom giftigen Zauberfeuer die langen, langen Stunden hindurch schon gemattet worden war.
Er lächelte, wahrlich: Herakles lächelte. Jetzt – jetzt sahen es alle. Und weil sie auf ihn starrten, sahen sie nicht, daß Deianeira ohne Zögern die ersten Stämme des Scheiterhaufens betrat. Jetzt – jetzt erst erschauten sie es voller Entsetzen. Ihr rotes Festgewand verschmolz sich mit den Flammen, die es umlohten, und durch die lodernden Flammen schritt sie weiter, stieg sie höher empor ...
Plötzlich ertönte ihr freudiger Schrei, und sie sahen, sie sahen alle, daß Herakles, o Glück, in den Flammen ihr die Arme entgegenstreckte wie zu einer Umarmung. Sie sahen, daß Deianeira an der Brust des Helden, in dessen Armen ruhte. Dann sahen sie nichts mehr, denn das Feuer schlug lohend empor...
Lautes Wiehern erklang, und sie erblickten Jolaos. Der Lenker hatte den Wagen bestiegen und peitschte die zwei wilden Rosse vorwärts. Und plötzlich sahen sie, sahen sie alle, wie die feuerschnaubenden, schneeweißen Rosse mit dem Wagen und dem, der darauf stand, sich in das Feuermeer hineinstürzten, das auf dem Gipfel des Oita hell aufglühte und hoch emporlohte. über den ganzen Berg schollen Rufe des Entsetzens, klagte der Schmerz Tausender.
Wer von ihnen sah die weiße, zarte, fast durchsichtige Gestalt, die sich nach dem Lenker mit Wagen und Zweigespann in des Herakles leuchtenden Scheiterhaufen stürzte? Wer von ihnen sah die stille Liebe, das stille Leid, die stille Treue und Dankbarkeit, die wie ein lieblicher weißer Falter in das rote rasende Feuer flog? Vielleicht ein Bruder nur, ein junger Fürst, der sich in die väterlichen Arme eines alten Königs warf...
Keiner sonst achtete der Iole, denn es war plötzlich, als habe eine daherjagende Woge den Schneehimmel von Nebel und Grau gesäubert, und als wirble sie nun mit den Flocken abwärts. Und über der Winterwelt leuchtete ein klarer Himmel, nicht mehr blau, sondern in gleichmäßiger silberner Klarheit, gleich als ob der geschlossene Himmelsdom sich endlich öffne, gleich als ob die silbernen Vorhöfe des Olymp sichtbar würden. Aus diesem breiten Glanz grollte es wie leichter Donner, und plötzlich sahen die Tausende, die um des Oita Gipfel sich drängten, rings um des Herakles Sterbeglut die Götter selber, die aus dem Himmel herabstiegen! Es waren Athena und Hermes: die Jungfrau stand auf einem Siegeswagen, der vom schneeichten Gespann der vier silberweißen göttlichen Rosse gezogen und von blitzeschießenden Rädern beflügelt ward, und Hermes, angetan mit dem Flügelhute und den beflügelten Sohlen, schwang den Schlangenstab in der Hand, damit er das Viergespann der göttlichen Schwester aus der silbernen Klarheit hinablenkte. Und Entzücken erfüllte die Tausende alle, die Herakles liebten, als sie die Götter so schnell unter dem hellen Blitzen des von ihnen ausstrahlenden silbernen Glanzes herabsteigen sahen, schwindelerregend schnell, gleich als fielen sie aus dem offenen Zenit auf den Oita herab: Heilige Freude brachte die Zuschauenden in Verzückung, als sie Athena sahen, wie sie über dem noch immer hoch emporlohenden Scheiterhaufen schwebte und die strahlenden Hände ausstreckte, um die verklärte Gestalt des Helden mit ihrem schwesterlichen Arm zu umfangen. Dann wiederum sahen sie, wie der silberne Wagen mit dem heiligen Viergespann in rasender Schnelligkeit emporgerissen ward, sahen, wie er in dem silbernen Himmel verschwand, von dessen ihnen geoffenbarter Herrlichkeit sie nun zu Tausenden auf allen Seiten den Berg hinabstiegen in dem neuen Schneesturm, der wieder wirbelte.
*
Allein über die goldene Flur des Olymp selber, inmitten der zahllosen goldenen Säulen sah Herakles, in Jugend und in unsterblicher Göttlichkeit wiederauferstanden, an der Hand der Athena und des Hermes wie ein göttlicher, jugendlicher Riese einherschreitend, vor sich in unsäglichem Glanze die großen Götter, seine Brüder und Schwestern, aufleuchten. Und er sah seinen Vater Zeus in blendender Majestät auf dem Thron sitzen. Und er sah, wie Hera ihm entgegenschritt, die endlich versöhnte Hera selber, und wie die erhabene Frau an ihrer Hand eine Jungfrau führte, lieblich wie ein Kind, das kaum zur Jungfrau herangereift war – die blonde, schüchterne Hebe, ihre eigene Tochter. Und die Himmelsfürstin sprach:
»Herakles, der du auf Erden ewig berühmt bist durch meinen Haß, wisse, daß deine Buße der Hera Groll versöhnte, und daß nach allem von dir erlittenen Leid dich jetzt in dem olympischen Himmel auch die Liebe deiner Nährmutter berühmt machen wird, o Held, die dir ihre und des Zeus Tochter als dein göttliches Gemahl schenkt...«
Und Hera führte die liebliche Jungfrau Hebe, das zarte Götterkind, vor den Helden. Er aber sprach:
»Hera, du Versöhnte, du bietest mir dein Kind als Gattin dar. Doch wisse, daß Herakles niemals in seiner himmlischen Seligkeit und an der Seite der lieblichen Hebe derer vergessen wird, die er auf Erden liebte, und die sein Schicksal dem Untergange weihte.., Wo sind sie?«
Hera hob die Hand. Vor dem Blick des Helden entschleierte sich aus silbernem Nebel und perlfarbenen Dämpfen eine weite, weite Fernsicht am Rande der Erdscheibe, und aus einem roten fernen Morgendämmer stiegen die Traumgärten der elysischen Gefilde empor, weißblumige Wiesen an silbernem Flusse, ein Hain voll Wunderblumen, die aus Licht und Glanz geschnitten zu sein schienen, und von deren Zweigen und Stengeln Glanz tropfte: der Glanz eines jeden Blattes und einer jeden Blume. Und inmitten so lieblicher Schönheit irrten selige Schatten umher. Und Herakles erkannte von weit her – doch in göttlicher Verklärung schien es ihm ganz nahe –, was er selber so sehnlich gewünscht hatte: rings um den Schatten der Deianeira die Schemen Alkmenes, der Mutter, und Megaras, der Gattin, die Schemen seiner von ihm vorzeiten in rasender Verblendung erschlagenen Söhne und Töchter, die Schattengestalten Admetes. der Lieben, und Ioles, der Treuen, des Hylas, des Abderos und des Jolaos, an dessen Seite die weißen Rosse auf blumigen Gefilden grasten ...
Und es war Herakles, indes er dahin schaute, als vermöchte er nun kraft seiner göttlichen Verklärung in einer einzigen Umarmung alle, die er geliebt hatte, alle, die ihn geliebt hatten, an sein göttliches, unsterbliches Herz zu drücken.