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29.

In der Nacht erwachte Herakles verwundert und überlegte, wo er sei, über ihm wölbte sich ein klarer Himmel voller Sterne, und ihm war, als schaute er den Göttern in die Augen. Rings um ihn verschwamm im Schatten der Saum des Waldes. Unter seinen Blicken lag das Meer tief unten, ruhig unter dem sternenklaren Himmel. Er kannte diesen Landstrich nicht. – Und wie er sich umblickte, wunderte er sich, daß er nicht allein war. Unter einem aus Zweigen und Ästen gebildeten Zelt lag ruhend eine Frau, die in einen dunklen Mantel gehüllt war. Sie schlief. Bei einem vierrädrigen Wagen lag. ebenfalls in einen Mantel gehüllt, ein Mann und schlief, wie die Frau. Und weiterhin, im Grase, hatten sich zwei lichte weiße Rosse hingestreckt und schliefen; das eine lag mit dem Kopf auf des anderen Flanke. Behutsam erhob sich Herakles und näherte sich voll Neugier, zu erschauen, wer mit ihm sei. Und wie er sich über die Frau herabneigte. erkannte er seine Gattin, des Meleagros Schwester Deianeira, und wie er sich über den Mann beugte, erkannte er Iolaos. Die Rosse hatte er bereits als die seinen erkannt; als er ihnen nun nahe kam, wieherten sie leise vor Freude und wollten sich erheben. Allein Herakles zwang sie sanft, sich wieder in das Gras zu legen.

Es war eine liebliche Sommernacht, und Herakles fühlte sich leicht und gesund, gleich als habe er nach ermattender Arbeit lange geschlafen, und wie er verwundert zu den zahllosen Sternen hinaufblickte, glaubte er, in die Augen der Götter zu schauen, und begriff plötzlich, daß Iolaos und Deianeira gekommen waren, ihn in Thrazien zu suchen. Und er besann sich auf mancherlei: auf die entsetzlichen Rosse ... auf Abderos, Diomedes und Iole ...

Er erinnerte sich fast an alles, und ihm ward sehr traurig zu Sinne. Wo war Iole? Wie hatte Abderos ihn geliebt! Wie grausam waren die Götter, seine aus ihren Sternenaugen auf ihn herabblickenden Brüder und Schwestern! Er selber fühlte sich, ach! so menschlich in all dem Leid, das über ihn kam, und so traurig, zum Weinen traurig. Und während er von Gattin und Freund etwas weiter entfernt sich wieder hinlegte, da, wo der Wald sich steil zum Ufer senkte, dachte er über die ihn erfüllende Traurigkeit nach und besann sich auf den Eid des Zeus, den Haß der Hera, auf Eurystheus, auf die vollbrachten Werke ... Welches Werk würde er wohl nun zu vollbringen haben?

Daran vermochte er sich nicht zu erinnern, und dennoch erinnerte er sich an Admete und verging vor Liebessehnen. Und vor seinen Augen stiegen die Frauen, die er geliebt hatte, wie schwebende Luftgebilde aus dem Meere empor. Durch die linde selige Sommernacht schwebten sie, entschleiert, durchsichtig, in Nebeln von Licht; weiße Schönheiten, die aus dem tiefen Silberspiegel des Meeres emportauchten. Aber sie alle betrauerte er nicht. Traurigkeit erfüllte ihn nur um seiner selbst willen, nicht um alle jene, die er besessen, die ihn geliebt hatten.

Sein Blick, der in die Schatten des fernab liegenden Zeltes drang, suchte die schlafende Deianeira, und sein Herz ward voll weicher Regungen für sie, denn er wußte, daß er nicht rechte Liebe für sie empfand, und daß darum ihr Besitz seine Liebessehnsucht nicht zu stillen vermöchte. Und während er sie schlafen sah, gedachte er der Jungfrau Admete und versuchte sich zu erinnern, wann sie ihm zum letzten Male als sein Trost in den tausendsäuligen Sälen des Eurystheus erschienen war. Allein es wollte ihm nicht einfallen. Er strich sich mit der Hand über die Stirn. Er fühlte, daß Haupt- und Barthaar ihm lang gewachsen waren, er wunderte sich darob. aber er wußte nun nichts mehr; ihm ward immer trauriger zumute, und er legte sich nieder und erwartete den neuen Tag.

Er sah über dem Meere das Morgengrauen mit dem ersten Tagesrot erwachen. Es war vor des Herakles Augen, als ob sich im Osten geheimnisvolle Pforten öffneten, als ob ein ferner, seiner Glanz sich über einen Weg aus Rosen breite. Nun die Sterne verschwunden waren, färbte schimmernder Perlmutterglanz des Himmels Wölbung, und über die leicht bewegten Wasser des lautlos stillen Meeres glitten glänzende blaue Linien auf und ab, nun die Windgötter mit geblähten Wangen die Morgenbrise darüber hinbliesen. Im Walde erwachten die Vögel, schlugen mit den Flügeln und begannen, noch schlaftrunken, mit ihren lieben Stimmen zu zwitschern. Und die zwei weißen Rosse wieherten freudig und erhoben sich und tummelten sich und begannen hungrig zu grasen.

Iolaos erwachte, und als er sich erhob, sah er, wie Herakles auf ihn zukam, und freute sich über des Helden so heiteres Lächeln. Ohne ein Wort wies Herakles auf Deianeira, die noch schlief, umarmte dann den Freund kräftig und drückte ihn an seine Brust. Und Iolaos begriff, daß der Held endlich genesen war und daß er wieder wußte, wo und mit wem er war; er weinte vor Freude an des Herakles Herz, indes der Held auf Deianeira blickte.

»Dreißig Tage währte die Reise,« sprach weinend Iolaos, »die trübe Fahrt nach Thrazien, woher Iole die traurige Botschaft brachte.«

»Weilt denn Iole in Trachin?« fragte der Held.

Iolaos bejahte. »Beinahe ebenso viele Tage währt bereits die Fahrt zurück,« begann Iolaos von neuem, »doch seltsam: die Pferde, die in Thrazien völlig erschöpft waren, scheinen neue Kräfte zu gewinnen, nun wir heimwärts ziehen.«

»Wo sind wir?« fragte Herakles.

»Wir nähern uns dem goldenen Lande des Ceyx, des guten Königs. Wir nähern uns dem gastfreien Trachin, und von dem breiten Euenosstrom sind wir nur eine Tagereise noch entfernt.«

Die Sonne ging über dem Meere auf. »Laß uns diesen Tag noch hier verweilen«, sprach der Held. »Sieh, Deianeira schlummert noch immer. Wir wollen sie nicht wecken, Freund. Laß uns beide hinabsteigen zum Meere und in den wogenden Wassern baden. Und zu ihrem Schütze wollen wir Keule, Bogen und Pfeile und das Fell des nemeischen Löwen um Deianeira legen, damit jeder, wer auch vorübergehen möge, Mensch oder Satyr, erkenne, daß sie des Herakles Gattin ist.«

»Sicher sind diese Wälder,« sprach Iolaos, »seit Herakles die Dryopen, die wüsten Räuber, vernichtete.«

Sie legten Bogen, Fell und Waffe rings um die noch immer schlummernde Frau und stiegen zum Meere hinab. Am Ufer der See, vor den Klippen, da die jetzt blauenden Wogen aufglänzten, hielten sie beide stille und beteten zu den günstigen Göttern Phöbus-Apollo und Poseidon, beteten zu Sonne und See und badeten nach dem Gebet in den wohltuenden Wassern.


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