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In Trachin erwarteten alle den Helden, zweifelten nicht an seiner Freisprechung, nun die zehn Werke vollbracht waren, und unvermutet war, um den geliebten Helden zu ehren, der gute König Ceyx herübergekommen, der würdige hundertjährige Greis, mit dem jungen Iphitos, Oichalias Fürsten, und seiner Schwester, der Jungfrau Iole. Deianeira hatte, vor Freude ganz selig, an diesem Morgen mit den Fürsten und der fürstlichen Jungfrau in den umliegenden Tempeln Opfer dargebracht und in freudigster Erwartung ihres Gemahls das Dankfest befohlen. Am Wege, über den Iolaos mit dem Wagen daherkommen mußte, vor dem die zwei weißen wilden Rosse herliefen, prangten purpurne Freudenbanner, schlang sich der Lorbeer von Pfahl zu Pfahl, und das ganze Volk lief zusammen, dem Herakles entgegen, während auf den umliegenden Hügeln die Hüter und Hirten sich mit den reichen Herden der Rinder, der schwereutrigen Ziegen, der wolligen Schafe drängten, so daß es schien, als ob nicht nur Menschen, sondern auch Tiere den Herrn freudig erwarteten. Und vor dem Landhause erklangen die Lieder und die Flöten, sangen die Knaben mit ihren klaren Stimmen, und die lieblichen Jungfrauen tanzten ihre ländlichen Reigen in der Erwartung, daß der Herr und Gebieter nun heimkommen würde. – Schon war es Mittag, und noch sahen die am weitesten auf den Weg hinausgeschrittenen Männer nicht die weißen Staubwolken, die das endlich erwartete Kommen des Helden künden sollten. Und Deianeira versuchte als Hausherrin, ihre Gäste die erwartungsvolle Ungeduld vergessen zu lassen, die ihr selbst das Herz sehrte. weil Herakles noch immer nicht nahete. Endlich meinte der alte König Ceyx gutmütig:
»O würdige Frau, von uns allen geliebte Deianeira, nicht lange mehr wird er zaudern, der Held, den wir lieben, so wie du ihn liebst, und ich glaube, wir sollten, ihm zu Ehren, uns auf den Weg machen, auf dem er herannahen wird, damit er weiß, daß nicht nur unsere Gedanken, vor Liebe ungeduldig, ihm entgegeneilen.«
Deianeira stimmte bei, und sie schritt, Iole und den kleinen Hyllos an ihrer Seite, über den weißen, steinigen Weg zwischen den Lorbeergewinden und den Freudenbannern dahin, und hinter ihr kamen die Fürsten, während der jugendliche Iphitos dem hundertjährigen Ceyx ehrfurchtsvoll stützend den Arm bot. Und hinter ihnen kamen die Scharen der Diener, und zur Seite über die Hügel eilten mit ihren Herden die Hirten und Hüter. Und sie gingen, gingen, getrieben von der Ungeduld ihrer Liebe, bis endlich Deianeira seufzend und die Hände ringend, beinahe weinend, klagte: »Ihr ruhmreichen Fürsten, die ihr kamet, Herakles zu ehren: ich wähne, daß meinem Helden ein Unfall widerfuhr, und daß er wider seinen Willen genötigt ist, zwischen Mykenä und Trachin zu verweilen; doch wollet ihn, wie dem auch sei. entschuldigen, das bitte ich euch, wenn er, der nicht um die hohe Ehrung weiß, die ihr ihm erweisen wollet, sich nicht in eiliger Fahrt nahet und nicht bereits erfreut in unsere Mitte trat.«
Die Könige beruhigten die Frau mit gütigem Wort, und Iole umarmte sie zärtlich, wahrend Hyllos ängstlich fragte, wo der Vater denn bleibe, dieweil die Sonne bereits im Westen unterging und die Lichter in den Hütten aufzuleuchten begannen und die Hirten sich schweren Herzens dazu entschließen mußten, das Kleinvieh in die Ställe zu führen. Da zog in der sinkenden Dämmerung ein grauer Nebel näher, und die, welche am weitesten über die Hügel hinausgeschritten waren, riefen: »Es ist der Held, es ist sein Wagen, es ist Iolaos, der die zwei wilden weißen Rosse lenkt.« Und eine heftige Erregung fuhr durch die dichte Schar auf den Hügeln und am Wege. Und dann kam das Gespann trappelnd näher. Dann kam der Wagen dahergerollt. und der Nebel klärte sich, doch wehe, nicht hoben sich der Pferde Hufe freudig, nicht drehten sich des Wagens Räder freudig, nicht klatschte des Jolaos Peitsche freudig durch die Luft, und sie alle sahen zu ihrem Erstaunen und Schmerz den Lenker einsam hinter der runden Wagenwand stehen: den Kopf hatte er geneigt und so traurig schien er, daß ringsum die vielen Stimmen riefen: »Iolaos! Iolaos! Wo bleibt Herakles, den wir, erlöst aus Sklaverei und Knechtschaft, erwarten?«
»Wehe!« rief der Lenker laut aus, »nicht wollte Herakles mich heimbegleiten, seit die Priester der Hera zusammen mit Eurystheus sein zweites und sein sechstes Werk für ungültig erklärten, so daß ihm jetzt noch zwei neue Werke auferlegt wurden.«
Einen schrillen Schrei stieß Deianeira aus, stieß Iole aus, und die beiden Frauen stürzten einander in die Arme, während Hyllos sich weinend an die goldenen Eicheln von seiner Mutter purpurnem Festgewand klammerte. Und Taufende von Armen reckten sich klagend gen Himmel, und aus Tausenden von Kehlen stieg die Wehklage empor. Und Jolaos stieg ab und berichtete, indes er zwischen dem alten und dem jungen König stand, den weinenden Frauen und all den herandrängenden Bauern von dem unfrohen Beschluß des Rates und der grausamen Eröffnung und von dem kaum zu beherrschenden Zorn der Mykener, bis über die dunkelnden Hügel unter der dunkel hereinbrechenden Nacht der Menschen und Herden gemeinsamer Aufschrei des Schmerzes laut zum Himmel aufdrang, und die Hirten fluchend die Wimpel einzogen, schreiend das purpurne Tuch zertraten, und die Hirtinnen klagend die Lorbeern und die langen Festgewänder zerrissen: bis der alte König, der Herrscher, der hundertjährige Ceyx, ausrief:
»O ihr alle, die ihr Herakles liebt und die ihr ihm dienet: beherrschet, ich bitte euch, den heftigen Schmerz vor dem heiligen Willen der Götter, der Mykenäs König und seinen königlichen Ratschluß beseelte! Denn was frommt es, zu fluchen, wenn es besser wäre, zu bitten, daß Herakles die zwei neuen Werke ruhmreich vollführe? Und was fruchtet es. in Aufruhr sich, nicht gegen König und Nat, sondern gegen das Schicksal zu empören, das die Olympier selbst beherrscht?«
Allein Deianeira rief, gleich als wäre ihr Geist durch den ihre Sinne beinahe verwirrenden Schmerz verklärt, in Ekstase aus: »O ihr alle, die ihr Herakles liebt, ihr Fürsten, ihr Freunde, ihr Diener, die ihr ihm zugetan seid: jetzt, jetzt erst weiß Deianeira. daß sie nimmermehr den Gemahl an ihrem Herzen, in ihren Armen halten wird, daß ihre sehnsüchtig ausgebreiteten Arme leer bleiben werden, daß Hyllos nie mehr seinen Vater wiedersehen wird, daß nur diese Haine und Triften einstmals von dem fürchterlichen Weh widerhallen werden, daß du. Iole. deine Tränen mit denen Deianeiras vermischen wirst, um den Helden zu beweinen, der uns so teuer ist: daß diese Fürsten nie mehr zu freudigem Anlaß in Trachin erscheinen werden, sondern nur in teilnehmendem Schmerz, und daß das Schicksal grausam sein wird, so grausam, ach so grausam, wie es vielleicht niemand auf der Welt, doch sicherlich Herakles nicht verdient. Grausam ist es durch der Hera Haß, grausam durch der Hera unversöhnlichen Haß, durch den Haß der Hera, die auch Deianeira haßt.«
Und in der Nacht ballte die Frau die Fäuste gen Himmel und stand da, als fordere sie verächtlich den Zorn der Göttin heraus. Dann aber stürzte sie laut klagend in die Arme der Iole, und wieder flossen die Tränen der beiden Frauen zusammen. Und klagend kehrten alle heimwärts. Jetzt ging der König Ceyx, gleichfalls weinend, hilflos, allein an seinem Stock inmitten der ihren Schmerz hinausschreienden Hirten und Hirtinnen, inmitten der Diener des Herakles dem Hause entgegen, in dem noch immer die Lichter blinkten. Und der jugendliche König Iphitos hielt in seinen Armen das verlassene Kind, den weinenden Hyllos, den Sohn des Herakles, den er hochgehoben hatte, und versuchte seinen kindlichen Schmerz zu stillen, indes er sein schluchzendes Köpfchen in dem purpurnen Königsmantel barg – versuchte ihn mit selber schmerzdurchzitterter Stimme zu trösten.