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Eurystheus, der auf seinem runden Marmorthron darüber nachsann, welches Werk er seinem Sklaven nunmehr auferlegen sollte, welches Werk so schwer, daß er ihm erliegen müßte und dem von Neid und Haß erfüllten Vetter nicht mehr vor Augen kommen würde, schrak empor:
»Was ist das für ein Lärmen auf den Straßen?« rief er seinem Herold zu, der in der Pforte der Thronhalle stand. »Was haben meine Mykener zu jubeln, und wem jauchzen sie so freudig zu? Gilt es vielleicht einem benachbarten König, der mich besuchen will, um mir, dem Perseussproß, seine Tochter als Gattin anzubieten?«
»Held der Helden, strahlender Fürst von Mykenä, der Ihr den Löwen von Nemea zu Tode brachtet und Eure Lande von dieser fürchterlichen Plage befreitet,« rief Kopreus, der Herold, seinem Herrn zu, »es ist nur Euer demütiger Sklave, der Bastard Alkeios, der naht, um Euren zweiten Befehl zu vernehmen.«
Eurystheus hatte sich zornig erhoben und eilte durch die Säulen an die geöffnete Pforte des Palastes: dann trat er aus dem weißen Portikus heraus auf die Treppenstufen und blickte unter der vorgehaltenen Hand auf die sonnenbeschienene Straße. Sah er recht, und hatte Kopreus die Wahrheit geredet? War es nur Alkeios, der Sklave, den Hera ihm, dem Eurystheus, zu Ehren demütigen wollte, der nun riesengroß, gleich einem unbekannten Gotte herannahte, und dem das zusammengeströmte Volk Mykenäs zujubelte? Die Säulen der Häuser waren festlich mit Laubgewinden geschmückt. Aus den Fenstern der Häuser hingen Purpurdecken herab. Auf den Treppen drängte sich die Menge, wie sie sich auf den Dächern drängte, und inmitten der einander stoßenden, freudig jubelnden, laut jauchzenden Scharen nahte wahrlich der Sklave Alkeios, den das Volk bereits Herakles nannte. Eurystheus erkannte ihn jetzt trotz der rasenden Wut, die ihn verblendete, weil der Held, der da kam, gleich einem neuen, noch nicht erschauten Gott voll Stolz und Kraft nahte: auf dem Haupte trug Herakles, der Riese, den Kopf des nemeischen Löwen, und der gewaltige Recke schien noch gewachsen, hob sich geradezu schaudererregend aus dem taumelnden Volk empor. Das tote Auge des gefällten Untiers in dem zum Helm gestalteten Kopfe funkelte grell wie ein Beryll: aus dem ungeheuren Rachen blitzten die entsetzlichen Zähne, und die rote Mähne fiel gleich wallenden Locken über des in stolzer Männlichkeit einherschreitenden Herakles breite Schulter herab. Das golden leuchtende Fell deckte des Helden Rücken, und um den Arm, der die Keule trug, fielen die Felle der Pfoten, an denen die scharfen Klauen sichtbar waren. So war er selbst einem Löwen gleich, einem Ungeheuer, das doch in seiner Wunderschönheit etwas Gottähnliches hatte, als er inmitten der anbetenden Menschheit näher heranschritt. Sein bronzefarbenes Antlitz, das der goldblonde Bart umrahmte, zeigte starke Züge und dabei eine bewundernswerte sanfte und liebeweckende Güte. Unter der niedrigen Stirn, in die sich bereits Runzeln eingegraben hatten und um die das dichte, goldbraune, lockige Haar unter dem Löwenhelm hervorkam, blickten die Augen, graublau wie der wechselnde Himmel, träumerisch und doch lachend über das herandrängende Volk hinweg, und seiner Lippen straff gewölbte Bogen entspannte ein wohlwollendes Lächeln. Die Männer bewunderten seine gleich Hügeln gewölbten Schultern, die verzweigten Stränge seiner starken Muskeln, die sich über seinen schweren Armen spannten, seine breite viereckige Brust, die sich hoch über die schlanken Rippen hob, die straffen Waden, den schwer auftretenden Schritt, den weiten Griff seiner guten, breiten Hand, damit er die Keule im Arm hielt. Die Frauen liebten ihn um seiner unwiderstehlichen Kraft und der so sichtbarlich ihm innewohnenden Güte willen, und sie fürchteten ihn nicht, wenngleich sie alle wußten, daß er seine Mutter Alkmene erschlagen, seine Gattin erwürgt, seine Söhne und Töchter in blinder Raserei zertreten und vernichtet hatte. Nein, sie fürchteten Herakles nicht, und sogar die Kinder fürchteten ihn nicht, ungeachtet des roten Fells, das ihn umhüllte. Sie fürchteten den Helden nicht und liefen sorglos heran, um ihn zu sehen. Vor ihm her schritten Mykenäs Jünglinge und trugen ihm Bogen und Köcher, die ihnen fast allzu schwer waren und daran sie, ihrer viele, zu schleppen hatten, und ihre Schwestern, Mykenäs Jungfrauen, streuten Rosen und Myrten vor seine Füße und schwenkten ihm Lorbeerzweige entgegen, gleich als wäre er der ersehnte Bräutigam.
So sah Eurystyeus ihn nahen, und er ward noch um einen Schatten bleicher von Neid, und Haß verzerrte seine Züge, und endlich schrie er schrill und heiser seinem Sklaven und allen zu, die ihm wie im Triumphzug eines Königs folgten:
»Alkeios und ihr, Mykener, seid ihr denn alle mit Torheit geschlagen, daß ihr in den ruhigen Straßen einer Stadt, die meiner Herrschaft Wohlfahrt und Freude verdankt, einen solchen Aufruhr verursacht? Was soll dieser jubelnde Ehrenzug eines, der ein Missetäter, ein Büßender, ein Sklave ist, bedeuten?«
»Herrlicher Überwinder des nemeischen Löwen, ruhmreicher Vetter, Perseide!« rief Herakles dem Eurystheus zu, »zürne nicht deinem dankbaren Volke, weil es mich statt deiner ehrt, so wie es auch mir das Fell des Löwen umhing, anstatt es dir umzulegen. Denn wer wüßte nicht, daß ein Fürst, ein Feldherr und Held wie du seine Statthalter, seine Schwertträger und seine Diener besitzt, die ihm das ungeheure Werk abnehmen, dessen Ehre dank der weisen Fügung des Schicksals dennoch dem Gebieter zufällt? Ich, Herr, trage nur für dich dieses Fell, das für deinen bereits etwas schwachen Rücken zu rauh und zu weit sein dürfte: so wie ich für dich, Herr, den Löwen erschlug, der ein wenig wild und wüst für dich und deine so leicht schlotternden Kniee sein mochte, die ihm wohl schwerlich seine eisernen Riesenrippen hätten eindrücken können. Aber wenn du, o Herr und Held und Fürst, im Triumph durch dein Land ziehen willst, werden die Jungfrauen Mykenäs dir die Rosen und die Myrten streuen und dir die Lorbeerreiser entgegenschwenken, und ich, dein Sklave, werde mit ihnen allen, vielleicht am kräftigsten und aus stärkster Lunge, dir zujubeln.«
»Alkeios!« rief Eurystheus zitternd aus, »bei der göttlichen ehrwürdigen Hera, die mich beschirmt, bei dem strahlenden Phöbus Apollo, dessen heiligstes Orakel zu Delphi dich, du Mörder und Missetäter, meinem erhabenen Befehl unterstellte, ich befehle: tritt mir nicht mehr unter die Augen und vernimm diesmal mein Wort aus dem hell tönenden Munde meines Heroldes Kopreus: meine Majestät duldet nicht länger den entweihenden Anblick deiner Unwürdigkeit!«
Donnernd erscholl des Herakles Lachen, Eurystheus aber wich hinter die Säulen zurück und floh in seinen Palast, auf dessen Schwelle er dem Herold zitternd etwas zuflüsterte. Darauf schlossen sich die Pforten hinter dem Fürsten, und aus der vorderen Säulenhalle trat Kopreus und rief mit hell tönendem Munde, daß der eherne Klang über die lange Straße hinweg tönte:
»Töte die Hydra von Lerna!«
Das Lachen des Helden verstummte plötzlich, er stand da wie versteinert, denn jetzt fühlte er, daß ihm allzeit Dinge der Unmöglichkeit auferlegt werden würden bis zu seiner endlichen Schande und Schmach, und daß Hera mächtiger war als Zeus und Athena zusammen. Traurig und ratlos stand er da inmitten des erbleichenden Volkes von Mykenä. Dann wendete er sich ab und murmelte in seinen Bart: »Es ist gut.« Und er schritt dahin in der Richtung auf die schwülen Sümpfe.
... Auf dem Platz vor dem Palast blieb das Volk in Schmerz und trüber Hoffnungslosigkeit versammelt, und die Jungfrauen schütteten ihre Körbe aus und schluchzten und fielen einander in die Arme. Eine düstere Nacht senkte sich über die Stadt: in der grauen Ferne zuckte ein Wetterleuchten auf ...