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Der Morgen des nächsten Tages.
Über die noch in roter Glut schwelenden Trümmer schaute das rosige Tageslicht, und hier und dort flatterten die letzten Flammen des Brandes zwischen den gestürzten Säulen des Palastes hell auf. Hier und dort lagen Leichen von des Königs Anhängern. Um Herakles sammelte sich das Volk von Oichalia: aus allen Richtungen des Landes eilten sie herbei und riefen ihn als König aus. Er aber winkte abwehrend mit der Hand, und seine straff gewölbten Lippen entspannte ein wohlwollendes Lächeln, dieweil er sprach: »O ihr Männer von Oichalia, nicht kann ich euer König sein, wenngleich mein Vater Zeus mir die Herrschaft über Hellas zu geben trachtete. Fern von hier weg treibt mich meine Pflicht, obwohl eures Schicksals Lenkerinnen mich nach eurem Lande gelockt haben. Wenn ich euch von der Tyrannei erlöste, so geschah es, weil Zeus und Apollo, Poseidon und Athena mich für würdig erachteten, euer Erlöser zu werden und Iphitos zu befreien. Mir aber ward nicht beschieden, hier zu herrschen, denn Hera haßt den, der ihrem Hasse seinen Namen und Ruhm verdankt. Ich landete an eurem Strande wie ein müder Fremdling und ahnte nicht, was meiner harrte. Der Wettstreit lockte mich nach Oichalia wie ein unwissendes Kind, das nichts anderes dachte, als sich freundschaftlich und ehrlich mit dem König in dem lieben Bogenspiel zu messen. Eurytos besiegte alle die Schützen, die vor mir den Bogen spannten, Herakles aber besiegte den Eurytos. Aus des Herakles Bogen, den nur er zu spannen vermag, surrten die stählernen Pfeile, Schuß auf Schuß, unübertrefflich und unfehlbar dem stets weiter und weiter gesteckten Ziel zu, mitten ins Schwarze ... Herakles siegte ehrlich im männlichen Spiel, o Freunde! Doch es war ihm nicht gegeben, als Freund zu siegen, denn Iole hatte ihm das dunkle Geheimnis ihres Lebens enthüllt. Und als Eurytos, zum Ingrimm wütend entflammt, den Sieger nicht anerkannte und ihm die Jungfrau weigerte, die seines Sieges Preis war, da beseelten die Götter den Fremdling auf Oichalias Strand und gaben ihm ein, daß er die Keule ergreifen und den Bösen zerschmettern sollte. Des Zeus Wut traf dieses Haus voll geheimer Ungerechtigkeit mit seinem Blitz, und die dem Eurytos treu blieben, fielen gleich ihm unter des Herakles Streichen. Jetzt aber sage ich euch, o Freunde, richtet eure Blicke auf jenen Turm, der, o Wunder, von den Flammen verschont blieb. Seht, meine Gefährten haben die Pforte bereits eingeschlagen: sehet, Iole führt ihren Bruder wankend aus seinem Grabe dem Leben wieder zu, und er, o ihr Männer von Oichalia. wird rechtmäßig über eure Lande herrschen, die in neuer Üppigkeit und Wohlfahrt blühen sollen, wenn Herakles schon fern von hier weilt.«
Und der Held wendete sich ab, indes das Volk seinen neuen Fürsten und dessen Schwester umringte. Durch den Lorbeerhain des Apollo eilte Herakles rasch von dannen und kam an den Strand, wo seine Gefährten sich schon zur Fahrt rüsteten und Abderos angstvoll Ausschau hielt. Der Wind blies aus günstiger Richtung, und die See lag erwartungsvoll in glatter Bläue. Aus dem Dunkel des Eichenwaldes stieg in dem golden aufleuchtenden Morgen der letzte Rauch des Brandes kräuselnd empor.
»Gefährten!« rief Herakles. »Nach Thrazien! Nach Thrazien! Ich bin voll guten Mutes. Wenn ich bei Löwe und Hydra auch schwankte, wenn ich vor dem Eber verzweifelte, wenn ich auch mich weigerte, die Hirschkuh einzufangen, bis Artemis selber es mir vergönnte, und wenn auch die Stymphalischen Vogelfedern mir beinahe den Untergang brachten; wenn ich mich auch ob der erniedrigenden Arbeit im Stalle des Augias entrüstete: froher als dereinst vertraue ich nun mich den Göttern an, seit sie mich so sichtbarlich behüten. Würdiges Werk war es, den Stier zu opfern. Auf, ihr Gefährten, nach Thrazien, zu Diomedes, zu den grauenerregenden, zu den menschenfressenden Rossen! Auf, ihr Gefährten, nach Thrazien!«
Und des Herakles Ruderer jubelten laut. Allein aus dem Eichenwald erklang ein Ruf: der schrille, angsterfüllte Ruf einer verzweifelten Frauenstimme. Und aus dem schwarzen Morgendämmer der Bäume, zwischen deren gewundenen Stämmen die Morgensonne noch nicht hindurchdrang, eilte ein flatternder Peplos einher, streckten sich zwei schlanke weiße Arme aus, wehte bei verzweiflungsbeschwingtem, raschem Lauf zartblondes Haar; keuchend eilte Iole herbei, und ihre Stimme sprach nach dem schrill aufgellenden Ruf schluchzend:
»Herakles! O Herakles! Herakles, verweile noch! Ihr Gefährten des Herakles, verweilet noch, auf daß Iole mit euch das Schiff besteige.«
Schon waren die Taue gelöst, schon waren die Segel gehißt, schon stand, die Hand an das Steuer gelegt, der Held da. Er rief: »Ach, warum bleibt die Schwester nicht treulich bei dem Bruder?«
Sie stand jetzt am Rande des Meeres, angsterfüllt, weiß wie ein Luftgebild, zart wie ein ganz junges Mädchen, hilflos wie ein Kind: »Weil ich, o Herr, deine Sklavin bin,« antwortete sie unterwürfig und leise und streckte die Arme aus. »Weil du mich im Wettspiel erobertest, wiewohl Iole nicht des Eurytos jungfräuliche Tochter war. Weil ich meinem Herrn folgen muß, wo immer er hingeht, da ich ihm gehöre. Weil mein Bruder, der jetzt geehrt auf dem Thron meines Vaters sitzt, der Sorge Ioles nicht mehr bedarf. Und weil ich, o Herr, dich von fern und in wunschloser Demut liebe und dem Wohltäter meines Hauses und meines Landes mein Leben dienend weihen will. Weil ich. nur dir dankbar ergeben, mir selber nicht mehr angehöre.«
Der Held am Steuer zauderte. Gerührt blickten seine guten Augen auf Iole herab, als er sprach: »Edles Kind, verweile in dem Lande deiner Väter, bleibe an der Seite des königlichen Bruders und erkür dir unter den Helden, die seinen Thron umringen werden, einen Gemahl, der dich um deiner Schönheit und deines edlen Herzens willen lieben wird. Was willst du Alkeios folgen, was willst du Alkeios dienen? Weißt du nicht, wer Alkeios ist, den du Herr heißest und dem du Sklavin sein willst, weil er dich ein Fürst dünkt? Weißt du nicht, daß er selber des Eurystheus, des Perseiden Sklave ist, des Königs von Mykenä Diener, und der willenlose Vollbringer all seiner Befehle? Weißt du nicht, daß er der ewig Unbehauste ist, der ewige Büßer. der ewige Missetäter, dessen Schuld nie mehr zu sühnen ist? Weißt du nicht, daß sein Jähzorn tödlich ist, daß seine Aufwallungen allen zum Verhängnis werden, die ihm nahe sind: daß er der Mörder seiner Mutter, seiner Gattin, seiner Kinder war und viele Mykener fällte, die er liebte? O Iole, edle Jungfrau, kehre zurück, geh hinweg von mir, hinweg! Folge nicht dem Alkeios in das ferne, ferne Land Thrazien, wo er den fürchterlichen Diomedes bekämpfen und seine menschenfressenden Rosse vertilgen muß. Frommt so entsetzliche Fahrt zarter Jungfrau? Soll eine Königstochter so unheilvolles Ziel aufsuchen? Eine Königstochter, die für ihr Land Spenderin neuen Heiles war, und die ihr Volk dankbar an der Seite des Iphitos ehren wird? Soll sie dem Elenden, Verfluchten an so grauenerregende Orte folgen? Iole, o Iole, edle Jungfrau, holdes Kind, bleibe in dem Lande deiner Väter! Dort harret deiner noch ungeahntes Glück: Liebe und neues Leben!«
Und schon erhob der Held die Hand zum Zeichen, daß die Ruderer sich in die Riemen legen sollten. Allein Iole rief: »O Sohn des Zeus, Herakles, du Wohltäter von Hellas, wo immer du den Fuß hinsetzest: höre mich an! Neues Leben und Liebe und ungeahntes Glück ist für Iole nur an deiner Seite, in deinem Schatten, und so du es nicht duldest, daß deine Sklavin dein Schiff betritt, stürzt sie sich in die schäumende, weiße Flut, um mit ihren schwachen Armen die Wellen zu teilen und schwimmend dir zu folgen, bis sie untergeht.«
Wehmütig lächelte der Held und sprach: »Wenn verzücktes Schwärmen wirklich deinen edlen Geist zu solcher Tat beseelte, o Kind, so würde es dein Tod nicht sein. Denn von allen Seiten würden Amphitritens Najaden auftauchen, um dich auf treuen Armen zu tragen, dich auf den Wassern zu wiegen und dich, wo nicht an Thraziens finstere Ufer, so doch an das Gestade eines glücklicheren Landes zu tragen. Allein es sei, wie du es wünschest. Alkeios widerstrebt nicht länger. Steige denn an Bord, Iole; folge dem Irrenden, Iole, der deiner Liebe und Dankbarkeit unwert ist. Sei mir, Iole, neben Abderos, dem Bruder, eine Schwester, und sei dem Abderos eine Schwester. Iole und Abderos, die ihr beide so lieblich seid, flechtet den zarten Kranz eurer Liebe um die harten Tage des Alkeios. Komm, o Iole, und ziehe mit uns.«
Der Held streckte die Hände aus. Laut und freudig jubelten die Ruderer, indes Abderos Iole half, an Bord des Fahrzeuges zu steigen. Sie setzten sich beide, gleich zwei blonden Kindern, zu Füßen des Helden, der das Steuer umklammert hielt. Die See breitete sich im goldenen Morgen glatt und in ungetrübter Bläue bis an den nördlichen Horizont. Die Nereiden tauchten aus dem Meere auf: sie warfen sich rückwärts über die Wogen oder umschwammen spielerisch das Fahrzeug auf ihren Delphinen, die hohe Wasserstrahlen spieen. Meer und Himmel, goldener Sonnenschein. Leierklang und süßer Tang des Abderos schien alles harmonisch zu einem grenzenlosen weiten Glück zu stimmen, das der seligen Fahrt lachte. Die Ruderer lächelten freudig, fielen mit aufmunternden Rufen ein, hoben die Riemen aus den Wogen und senkten sie wieder in die Wogen hinein. Nur an dem Steuer stand reglos der Held, und unter dem endlosen Blau, in dieser großen Freudigkeit empfand er tief in seinem Herzen eine tiefe Traurigkeit.