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Deianeira aber entbot am folgenden Tage den leichtfüßigen Lichas, den Boten, zu sich und zeigte ihm einen Ring aus rotem Golde, groß und dick genug für des Herakles breiten Finger, und gab ihm einen vollen Säckel und sprach:
»Du Bote, dessen leichter Fuß über die irdischen Wege nicht weniger flink dahineilt, wie des Hermes geflügelte Sohle die Wolken durchmißt, nimm diesen Ring, den ich für meinen Gemahl schmieden ließ, schnüre ihn fest in deinen Gürtel und begib dich, so schnell du es vermagst, an das Ufer des Ägäischen Meeres, wo du gewißlich einen Schiffer finden wirst, der dich zu dem Lande im Osten hinüberfährt, zu dem lieblichen Lydien, wo, wie es scheint, verlockende, duftende Rosen an den Ufern der schäumenden Wasser erblühen. Rasch, mach' dich auf, o Lichas, zu dem goldumzinnten Tmolos und reiche meinem Gemahl, der dort thront, wenn er auch zu der Omphale Füßen liegt, den Ring, den ihm Deianeira sendet, auf daß Herakles, wenn er fern von hier den Ring an den Finger steckt, bedenken möge, daß er zu Trachin eine Gattin und einen Sohn bei seinen Freunden zurückließ.«
Blaß vor Leid starrte Deianeira dem leichtfüßigen Boten nach. In den Ring hatte sie einen Tropfen aus dem Wunderball einschmieden lassen, einen Tropfen von des Nessos geronnenem Blut, das sie in der Kugel aus Blattgold verwahrte, denn in ihrem Schmerz wußte sie nichts Besseres zu tun, als dem Herakles dieses Kleinod zu senden, damit der Zauberpurpur, der einem unsichtbaren Rubin glich und in dem roten Gold des Ringes verborgen war, die Liebe zu denen, die er verlassen hatte, in des Herakles Herzen wieder wachrufen möchte. Und vor Schmerz stöhnend und die Hände ringend, irrte sie durch die Lande, über denen die Nacht hereinbrach, und sah in der Dämmerung immerfort das quälende Bild vor sich, wie Herakles, ihr Held, vom Zauber jener Frau umfangen war, wie Herakles weiß und enthaart, die weibisch langen Locken goldüberstäubt, in dem lydischen langen Gewände von der Farbe des Sonnenscheins zu Füßen der Omphale saß und sich gütig lächelnd dem Willen jener Zauberin fügte, in deren weißen Armen er anderes Glück kennenlernte als in der keuschen Umarmung der Deianeira, die ihn doch immer noch liebte, so sehr liebte wie nichts in dieser Welt; die ihm ewig mit ihrer großen, unwandelbaren, ihre ganze Seele umfassenden Liebe anhangen würde. Und weinend und schluchzend sank sie vor dem Bilde der Aphrodite nieder und fragte die Göttin, der Herakles den seinen Gürtel geholt, ob sie denn schwächer sei als die fremde Astarte, die jene Zauberfürstin dort im fernen Lydien verehrte.
Doch bevor noch der leichtfüßige Lichas vom Gestade des Meeres abgefahren war und die Wasser durchquert und schnell wie der Wind in raschem Laufe Lydien durcheilt hatte, erschien in der Nacht nach tagelang währendem Fest Athena vor dem üppigen Lager, auf dem Herakles sich im Schlafe hin und her warf. Inmitten der Säulen aus Gold und Elfenbein stand die strenge Göttin, und das Dunkel des Gemaches war durchleuchtet von ihrem eigenen Glanz, der auf dem Marmorboden entlangglitt, gleich als ob der Mondenschein Boden und Säulen silbern färbe. Und nun erkannte Herakles Athena mit ihren leuchtenden Augen in dem schuppenglänzenden Panzer, über dem der Mantel wie eine mondlichtumsäumte Wolke auf ihren jungfräulichen Schultern wogte. Von ihrem eigenen Glänze umleuchtet, kam die Göttin aus den Falten ihres Peplos zum Vorschein, wie wenn sie vor einer gerieften silbernen Säule stände. Silbern war ihr Schild, silbern ihr Helm und ihre Lanze, und mit ihrem eigenen heiligen Schein umstrahlte sie Herakles. Der Held richtete sich entsetzt auf. Auf dem üppigen, seidenen Lager, auf dem er ruhte, lagen seine schweren, noch muskelstarken Glieder weiß und enthaart, wie die eines großen Knaben, doch von seinen blonden Locken war der Goldstaub herabgeglitten, und sie fielen jetzt verwirrt und von grauen Fäden durchzogen um sein bartloses, durchfurchtes Antlitz. Das nahende Alter verriet sich jetzt an seinen verweichlichten Zügen, so wie eine trüb leuchtende Flamme durch berstenden Alabaster hindurchscheint. Seiner trüben Augen Blau ward grauer vor Wehmut und bangem Entsetzen. Und er wußte nicht, ob er träumte oder ob es Wirklichkeit war, was er sah.
»Alkeios,« sprach die göttliche Schwester mahnend mit ihrer tiefen Jünglingsstimme, »Alkeios, erwache! Wo bist du, o Alkeios – Herakles? Wo verbringst du gedankenlos deine Tage? Ist Lydien nicht der verbotene Osten? Sind zwischen Hylas und Omphale die zwölf Werke vollbracht worden, und ist die Buße vollendet? Oder ward der Büßer unwillig, das letzte Werk zu vollbringen?«
»Und warum«, fragte Herakles, »sollte er willig sein, der Unmöglichkeit zu trotzen? Warum sollte er in den Tartaros hinabsteigen, um durch die Bisse des Zerberus umzukommen, den er nicht einmal töten darf, den er lebend zur Erde heraufbringen und dann in den Hades zurückführen soll? Durchschaut Herakles nicht des Schicksals Vorhaben, das ihn am schließlichen Ende dennoch fällen, das ihn ungeachtet alles dessen, was er vollbracht, dennoch vernichten will?«
»O Herakles, Herakles!« sprach mahnend die strenge Athena, »hast du denn nicht immer geglaubt, daß die dir erteilten Aufträge Unmöglichkeiten seien? Meintest du nicht, daß es unmöglich sei, den Löwen zu töten und die Hydra und den Eber und die Stymphalischen Vögel, unmöglich die Hirschkuh einzufangen und die Ställe des Augias zu reinigen?«
»Habe ich mich geweigert, als mir der ehrende Auftrag ward, den Stier und die Rosse zu vertilgen?«
»Hast du nicht vergessen, Admete zu rechter Zeit den fernen Gürtel zu holen?«
»Wer sonst als Athena hatte das Hirn des Herakles umdüstert?«
»Sind nicht selbst die Götter dem Schicksal gehorsam, o Herakles? Und du wolltest ihm nicht folgsam sein, auf daß um deines eigenen Ungehorsams willen die Rache des Schicksals über Trachin komme, über die verlassene Gattin, den Freund und den Sohn? Auf, Alkeios, auf! Erhebe dich! Noch konnten wir alle den menschlichen Bruder beschirmen, doch wisse, Herakles, es gibt eine entsetzliche Macht, die selbst wir fürchten, die selbst Zeus fürchtet. Es gibt eine entsetzliche Macht, die wir jetzt noch beschwören und zurückhalten. Es gibt eine entsetzliche Macht, die Hera anruft, damit sie endlich die Untreue ihres Gemahls gerächt sieht! Es gibt eine Macht, die Apollo mit uns allen, o Herakles, dir zuliebe noch zurückhält, Apollo vor allem, obwohl sein eigenes Orakel von dir nicht geachtet wurde. Allein wenn du unfügsam bleibst, werden wir mit all unserer Liebe nichts mehr vermögen. Wir sind nicht allmächtig! Wir sind nur Götter, und mehr, wehe, mehr nicht! Alkeios! Alkeios. Herakles, ermanne dich! Auf, auf. noch ist die Nacht nicht zu Ende, noch schwebt ihr Dunkel über Tmolos und dem Mäander! Omphale schlummert. Nimm aus dem Saale der Freude die Keule zurück, die sich als ein ungetreuer Freund erwies, weil ihr der Freund untreu ward. Nimm den Bogen und den Köcher, nimm das nemeische Fell und schleiche dich heimlich von dannen, bevor sich die Zauberin vom Lager der Wollust erhebt und Herakles das letzte Mark aussaugt. Athena wird Herakles führen! Doch auf dann, auf, o du wiedererstandener Held, gen Westen, gen Westen, wo die Tore des Hades weit geöffnet sind!«
Strahlend im silbernen Schein, der von ihr ausging, streckte die Göttin ihre Hand aus, und Herakles richtete sich entsetzt über das, was er ihr zu weigern gewagt hatte, von dem Lager auf und ergriff der Schwester strahlende Finger. Noch lag die Nacht unbeweglich auf Omphales Paläste zu Tmolos. Die Säulen standen noch wie verschlafen da. Die Springbronnen rauschten noch nicht: die gezähmten Löwen schliefen in einem Winkel des Hofes, und die Tauben ruhten auf dem gemeißelten Fries. Und Athena führte den Helden an ihrer Hand durch die schlummernden Höfe und Gärten. Sie selber milderte ihren Glanz und glitt vor ihm her wie ein Mondenstrahl so matt. Sie näherten sich den Frauengemächern. Ihre leisen Schritte trugen sie durch die Lager der schlafenden Frauen hindurch. Herakles hielt den Atem an. Wie ein Lichtgebilde glitt Athena, wie ein Lichtgebilde glitt Herakles ihr nach. Hier auf dem Lager der Wollust schlief in dem von den Lampen ausstrahlenden silberhellen Schimmer Omphale. Ein Lächeln der Lust spielte noch um ihren Mund. Göttergleich lag sie da in silberner Nacktheit auf purpurnem Lager. während ihr dünnes Gewand von dem Lager herabfiel bis auf die großen balsamischen Duft ausströmenden Amphoren, die zu Füßen des Lagers standen, und bis auf die purpurnen Rosen, die entblättert rings um sie lagen. – Im Winkel bei der hohen Lampe ruhte die Keule, wie in tiefem Schlaf: Bogen und Köcher lagen auf den Dreifüßen, über denen das Löwenfell hing.
Athena bedeutete dem Helden strenge, daß er die Keule ergreifen sollte, und es war, als ob der träumende, schlafende Freund freudig erwache und Herakles auf die Schulter küsse. Der Held warf sich das Fell über den Rücken, und die Rosenblätter rings um Omphale wirbelten empor. Dann ergriff er den Bogen und hing sich den Köcher um.
»Ich bin bereit«, sprach Herakles zu der Göttin. Sie reichte ihm wiederum die Hand. Er ergriff sie zitternd: sie führte ihn an der schlummernden Omphale vorüber. Dort verlangsamte er seinen Schritt, wie zaudernd... »Sie hat mich, so gut sie es vermochte, getröstet und geliebt«, flüsterte Herakles. Die Göttin zog den Helden mit sich fort. Draußen, über dem sich windenden Flusse, dämmerte bereits der frohe Morgen, und die Vögel erwachten zwitschernd...