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23.

Der Held war langsam die Felsen emporgestiegen und spähte von droben über die rauhe Landschaft herab. Ringsum war ein von Mensch und Tier verlassenes Chaos: aufgestapelte Steine, verstreut riesengroße Felsblöcke, zwischen denen sich sandige Ebenen hinzogen, und an diesen Felsblöcken entlang streckten nur die Pinien ihre armseligen Zweige aus und schienen sich in dunkler Verzweiflung zu winden. Von der vor des Helden spähendem Blick tief unten liegenden Küste wogte das graue Meer unter den tief hangenden grauen Wolken dem grauen Horizont entgegen, und trostlos traurig war dieses rauhe Thrazien, zwischen dessen Felsen nicht einmal ein Wind wehte, diese wilde wüste Verlassenheit voll öder Wasser und endlosen Tandes, über die nicht einmal ein Wind hinstrich.

Der Held stand sinnend still. Riesengroß stand er da, und vom grauen Himmel hob sich sein gewaltiger Umriß mächtig ab, wie er in rauher Schönheit dastand, wie das schwere rote Fell ihm über die Schultern herabhing, und wie er die schwere Keule in den muskelstarken Arm gepreßt hielt, während der gewichtige Bogen und der Köcher schwer aus dem fellbekleideten Rücken lasteten. Ungeachtet seines Mutes empfand er in seinem zweifelnden und doch bedachtsamen Sinne einen beinahe frommen Schauder vor dem, was er dem Sohn des Ares antun sollte, und jeden Augenblick glaubte er, in dieser schauererfüllten Atmosphäre, die ihm fremd war, von ihn hindernden Mächten umringt oder plötzlich von lähmender Krankheit geschlagen zu werden. Der Morgen ward nicht heller, und auch das spätere Tageslicht blieb grau, wie es das Dämmergrauen gewesen war, das kein rosiger Saum gefärbt hatte. Aber dieweil die rosenfingrige Eos diesem grauen Tag so geringe Gunst zu erweisen schien, wunderte sich Herakles um so mehr, daß er zu seinen Füßen eine blutrote Rose zwischen dem Felsengestein erblühen sah. Er bückte sich, um sich zu vergewissern, ob er auch recht sähe, und pflückte die Rose, und aufblickend und weiterschreitend, gewahrte er, daß viele blutrote und dornenlose Rosen tief unten an dem Felsgestein aus unzähligen Knospen erblühten, die er aufbrechen sah, obwohl jeder Sonnenstrahl fehlte. Es war wie ein Pfad aus Rosen, der sich lieblich über die Felsen schlängelte, und der Held fragte sich verwundert, ob diese Rosen durch süßen, doch unerklärlichen Zauber erblüht seien, bis er plötzlich erschrak und in seiner riesengroßen rauhen Schönheit stehen blieb und die rote Rose in den Fingern sinken ließ. Dort drüben auf dem Felsen erhob sich die strahlende Gestalt einer nackten Göttin; perlweiß stiegen in dem sonnenlosen Morgenlicht aus den rings um sie erblühenden blutroten Rosen ihre schlanken, schönen Beine empor, wölbte sich ihr üppiger Schoß, bog sich gleichsam schüchtern die weiche Linie ihres Rückens, und ihre eine Hand deckte ebenso schüchtern und zart mit gespreizten Fingern die spitzen rosigen Brüste, während die andere Blumen als bergendes Gewand für ihre Nacktheit sammelte. Allein es war vergeblich, da diese wie ein silberner Glanz zwischen den Rosen hindurchleuchtete. Ihre azurblauen Augen waren sanft und lieblich in der Lässigkeit ihres Blickes, ihr Mund blieb, von verlegenem Lächeln umspielt, so klein wie eine Knospe der roten Rosen, und um ihr anbetungswürdiges perlenweißes Antlitz wogte wie schimmerndes Gold der glänzende Wunderschein ihres zu schwerem Knoten geschlungenen Haares.

Herakles erkannte, von wunderseltsamem Schrecken durchbebt, die blonde weiße Göttin. Er trat, die Rose in der Hand, ein freudiges Lächeln um die bärtigen Lippen, auf sie zu und sprach also:

»O göttliche Aphrodite, du frohe Lust der Götter und der Menschen, wie blüht deine leuchtende Schönheit aus den blutroten Rosen so erstaunlich schön zwischen den rauhen Felsen Thraziens empor! Zu welch seliger Überraschung ward dein Anblick dem unseligen Irrenden! Mit welchem Glück erfüllst du dies Herz, mit welch freudigem Reichtum seine traurige Armut! Rosen sind zu deinen anbetungswürdigen Füßen erblüht, und wie Sonne leuchtet dein eigener goldener Glanz! Und ringsum liegt das Chaos nun in weißem, strahlendem Schein, der von dir ausgeht, und deine Augen scheinen den Himmel selber blau zu färben.«

»Überraschen mag den menschlichen Bruder der Anblick seiner göttlichen Schwester,« sprach die Göttin lieblich lächelnd, »doch nur um den Willen unseres Vaters Zeus zu erfüllen, o Herakles, zauderte Aphrodite auf dem Wege, den du einschlagen solltest, denn er selber rief mich zu sich und sprach, während er mich liebevoll an seiner Brust barg: ›O Tochter, die ich liebe, besorgt ist mein Herz um den Sohn der Alkmene, dem durch Heras Haß so mühevolle Tage beschert sind! Herakles macht sich auf nach Thrazien, wo der grausame Diomedes herrscht und sich in unmenschlicher Lust daran ergötzt, die menschenfressenden Rosse durch die eigenen Lande zu hetzen. Und durch der würdigsten Mykener Mund ließ Eurystheus dem Helden befehlen, daß er den Unmenschen sowie seine Untiere vertilgen solle. Allein Zeus fürchtet, o teure Tochter, daß Hera selber ihren wilden Sohn, den kupferbehelmten Ares, wecken wird, auf daß er über seinem Sohn Diomedes wache und der wilden unwiderstehlichen Kraft des Herakles sich widersetze und ihn zum Kampf herausfordere: ungern nur dulde ich Uneinigkeit zwischen Brüdern, die beide meine Kinder sind, mag auch der eine der Sohn der göttlichen Hera, der andere nur das Kind der Alkmene, der lieblichen Königstochter sein. Darum ruft Zeus dich, o Aphrodite, zu sich und fragt dich, zärtlich Geliebte, kannst du nicht dem Herakles beistehen?‹ So sprach Zeus, unser Vater,« fuhr lieblich lächelnd die Göttin fort, »und ich eilte zur Erde herab und schritt auf meinem Rosenpfad durch das felsige Thrazien dahin, um dir, o Held. den Aphrodite liebt und dem sie oftmals der Frauen Liebe gönnte, zu zeigen, wo sich des Diomedes Schloß erhebt, auf daß dein Fuß sich nicht verirre, auf daß du nicht plötzlich von den stürmenden Rossen überrascht werdest, die selbst Herakles verschlingen würden, wenn er nicht auf seiner Hut wäre und heimlich durch die düsteren Felsen an sie heranschliche. So folge mir denn, o Herakles, denn Aphrodite weiß durch Thrazien dir die Wege zu weisen ...«

Der Held folgte durch Klüfte zwischen hohen Felsen hindurch, vorüber an den senkrecht aufsteigenden Steinwänden, der lichten Göttin, die ihm durch den grauen Tag voranschritt wie ein schimmernder Glanz, und Herakles war so bezaubert von der herrlichen Schönheit seiner Führerin, die sich immerfort umschaute und ihm zulachte und dabei den Finger an die Lippen legte, um ihm zu bedeuten, daß er den Schritt seines schweren Fußes dämpfen sollte, daß er kaum mehr des schwierigen Werkes und der entsetzlichen Gefahr gedachte, die seiner harrte. Endlich stand Aphrodite still, winkte den Helden näher zu sich heran, und ihr lieblicher Finger deutete gerade vor ihn hin. Dort erhob sich auf breiten Felsen das unwirtliche Schloß: grau wie der Felsstein selber wuchs es in die grauen Wolken empor, und an den Gräben reckten sich Türme hoch, deren Zinnen gleich Riesenzähnen alles Licht des Himmels zu fressen schienen. Voller Geheimnisse, unheilkündend lag es da, und den Helden durchschauderte es. Er blickte der Göttin zitternd in die goldglänzenden, azurblauen, lachenden Augen und sprach:

»O Aphrodite, wenn ich mich nun in dieses geheimnisvolle Schloß einschleiche, werde ich den Diomedes töten und seine Rosse vernichten können, wenn Ares über seinem Sohne wacht?«

Allein die goldene Aphrodite lächelte, und zwischen ihren langen Augenlidern kam ihr blauer Blick hervor: er blitzte gleich azurnen blauen Funken durch ihr schüchternes Blinzeln, während sie flüsterte: »Ares aber, o Herakles, wacht nicht ... Er schlummert, er schlummert zwischen Tausenden meiner roten Rosen, die ich rings um sein Lager erblühen ließ. Er schlummert zwischen den rosentragenden Felsen Thraziens, er schlummert fern von seinem finsteren Sohn, der Aphrodite nicht so teuer ist, wie ihr der Vater ist. Er schlummert, und wenn er erwacht, o Herakles, so wird Aphrodite ihm zur Seite sein, zur Seite des wilden Ares, dessen kupfernen Helm, dessen schweres Schwert, dessen klirrenden Schild, dessen rasselnden Speer Aphrodites Liebesgötter unter Rosen begraben werden. Und Ares, o Herakles, wird dem Bruder nicht widerstreben: kein Bruder wird den Bruder bekämpfen, dieweil Zeus Aphrodite um ihren Beistand bat und sie es, mächtig genug, verhindern wird, daß Bruderblut fließt. So geh denn, o Held, und siege.«

Bevor Herakles verzückt der lieblichsten Göttin zu Füßen fallen konnte, war sie in silbernem Nebel verschwunden, hatte sich wie ein verschwimmender Glanz am grauen Himmel aufgelöst. Und vor dem Blick des Helden erhob sich dort drüben das unwirtliche Kastell, wuchs grau wie der Felsen selber empor und schaute ihn wie mit Augen aus den zwei dunklen Fenstern in den geheimnisvollen Mauerflächen an ... An den senkrechten Steinwänden entlang schlich Herakles näher.


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