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In dem weiten, granitenen Saal, darin niedrige granitene Säulen das niedrige Gewölbe trugen – des grauen Tanais düstere Wasser waren zwischen den düsteren Säulen hindurch sichtbar –, lag auf dem Lager aus Bärenfellen die Amazonenfürstin verzweifelt danieder und rang nicht anders denn eine andere schwache Frau die streitbaren, von Bronzeringen umschlossenen Arme. Ihr zur Seite saß mit gerunzelten Brauen der Held. Die Löwenhaut hatte er abgelegt, die Keule zur Seite gestellt, Bogen und Köcher in die Ecke des Saales geworfen. Ihn umhüllte nun ein skythischer Mantel. Um seine Stirne schlang sich ein skythischer Kronreif aus Erz, und die breiten Riemen der Sandalen umschnürten ihm Fuß und Wade bis hinauf zum Kniee. Und auf die Frau, die verzweiflungsvoll ihre Arme rang, blickten seine graublauen Augen kalt und mächtig herab, und ein grausames Lächeln umspielte seinen blondgekräuselten Bart. So saß er da wie ein Sieger, wie ein Herrscher, wie ein König, dieweil die Amazone sich nicht anders denn eine Sklavin vor ihm wand.
»Es kann nicht anders sein, Hippolyta,« erklärte der Held, »die Götter sind erzürnt. Verehrt haben die Amazonen sie niemals. Sie glaubten Artemis zu ehren, ohne ihr doch so Ehre anzutun, wie sie es wünschte. Artemis ist vor allen anderen erzürnt. Es kann nicht anders sein. Artemis hat sich vor allen anderen Göttern abgewendet von diesem verfluchten Lande, von den verfluchten Frauen, die ihr alle seid, und nur Aphrodite kann euch jetzt noch gnädig sein. Ihr müsset ihr einen Tempel erbauen.«
Plötzlich richtete sich die Amazone in all ihrer Größe und Kraft auf. Edel und schön war ihr Antlitz, aus dem die dunklen Augen schmerzvoll blickten und das von dem dunkel wogenden Haar umrahmt war wie von einem rabenschwarzen Fell, auf dem Sonnenglanz lag. Nun sie den Panzer abgelegt hatte, umschloß ein weites Gewand ihr den Leib, das eine Schulter und Brust unbedeckt ließ und bis auf die Fersen herabfiel. Die purpurnen Falten wurden von einem breiten goldenen Gürtel unter den Brüsten zusammengehalten. Die Amazone war durch dieses Gewand. durch den langen Rock, durch das gelöste Haar und durch ihren Schmerz aus einer Streitbaren, Männergleichen zum Weibe geworden. – Stolz widerstrebend fuhr sie empor und rief dem Helden zu: »Wer sagt mir, daß du mir die Wahrheit meldest, und daß du von den Göttern weißt?«
Voller Wut richtete sich der Held auf; der Mann stand der Frau gegenüber. »Bin ich nicht Herakles?« rief er stolz und ballte die Fäuste, »bin ich nicht des Zeus Sohn? Sind mir die Götter nicht Brüder und Schwestern? Schenkte mir Apollo nicht mein goldfarbenes Roß, ließ mich Dionysos nicht seinen eigenen Wein trinken, den er jahrelang in dem Fasse für mich verwahrt hatte? Fing ich nicht im friedlichen Wettspiel der Artemis heilige Hirschkuh, weil die Göttin mir vergönnte, es zu tun? Glättet nicht Poseidon die Wogen seines beweglichen Meeres, wenn ich es befahre; erschienen nicht Aphrodite und Eros auf meinem Wege, um mich zu führen, mir zu raten? Zweifelt Hippolyta an des Herakles Macht, an des Herakles Wissen um das, was seine strahlenden Brüder und Schwestern, die Götter des Lichtes wünschen? Und ward in dem herrlichen Hellas jemals ein so finsterer Kult geduldet wie in dem finsteren Skythenland? Und vertraut Hippolyta mir nicht, wenn ich sage, daß nur Aphrodite diesem Land und diesem Frauenvolk zu helfen vermag? Zaudert Hippolyta noch immer, zum Heil aller Amazonen Aphrodite den Tempel zu erbauen?«
Die Frau legte die Hände zusammen, und gleich als bete sie, sprach sie leise: »O Held, höre auf Hippolyta! Wir ehrten Ares und Artemis, und wir glaubten, das Rechte zu tun. Die Göttin ehrten wir in den weißen Nächten und opferten ihr die Männer, und wir glaubten, recht zu tun, solange uns niemand besiegte. Wehe, jetzt sind wir besiegt von den blonden, starken Helden, und unsere Priesterinnen opferten sich selbst in Verzweiflung auf den verlassenen Altären. Wir haben, seit sie starben, keine mehr, die unsere Göttin versöhnen könnten, denn die Amazonen lieben die Helden, die sie besiegten, und opferten ihnen ihre Keuschheit. Jetzt lieben wir sie alle! Unsere Besieger lieben wir, und Hippolyta liebt Herakles, ihren Überwinder. Wisse, geliebter Held, Artemis schauten wir niemals anders denn als den weißen Mond, niemals sahen wir ihren Schritt an den finsteren Ufern des Tanais vorübereilen, und ich glaube Herakles wohl, wenn er uns kündet, daß seine göttliche Schwester das Menschen- und Männeropfer nicht wünscht. Doch weißt du, wen wir am Ufer des Tanais sahen?« Liebevoll hatte sich die Amazone dem Helden genaht, und sie drückte ihn mit sanfter Gewalt auf das Bärenfell nieder und schaute ihm durch ihre Tränen liebebegehrend in die zürnenden Augen. »Weißt du, wen wir sahen?« wiederholte sie und war dabei voll Liebessehnen, »wir sahen Ares, der Artemis und des Herakles göttlichen Bruder. In klirrenden Waffen stieg er aus dem Himmel herab auf seinem kupferbeschlagenen Kampfwagen aus Ebenholz, den schwarze Rosse jagend durch die Wolken führen. Er stieg herab, der mächtige Gott, und die Amazonen verehrten ihn, und zum ersten Male empfanden sie Furcht in ihren pochenden Herzen. Doch er, der entsetzliche Gott, war zärtlich; die Amazonen wußten nicht, daß der streitbarste aller Götter so zärtlich sein könne: und er liebte die Amazonen, die seine Umarmung voll Furcht erduldeten und ihn nur anflehten, daß er sie Töchter gebären ließe und keine Söhne. Des Ares Töchter kämpften in den streitbaren Scharen mit, so wie sie jetzt gleich den, ach, nicht mehr streitbaren Gefährtinnen die goldblonden Helden lieben. Doch wen Ares einzig liebte, mit seinem ganzen Herzen liebte, o Held, das war Hippolyta. Sie allein duldete seine Liebe nicht nur aus Furcht. Hier im Dunkel dieses Saales barg sich Geheimnis, hier umschlossen Hippolytas Arme den Gott in seliger heimlicher Liebe. O Held, o Bruder des Ares, schon bevor du die Amazone besiegtest, kannte die Amazone die Liebe, die Liebe, die Seele und Sinne entzündet, die Liebe, die schmerzt und entzückt. Deinen Bruder, o Held, deinen grimmigen Bruder liebte ich, und er verschmähte nicht der Hippolyta Liebe. Hier lag er auf diesem nämlichen Lager, wo du, Herakles, jetzt Hippolyta suchst. Hier lag er, und die Amazone schlang bebend vor Lust ihre in der Liebe zärtlich gewordenen Arme um sein dunkles Haupt, so wie sie die Arme jetzt um dein goldblondes Haupt schlingt. Hier lag er, und er war bei all seiner Gewaltigkeit doch zärtlich zugleich. Hier lag er, und er war das heimliche Glück der von seiner Liebe besiegten Amazone. Dann sprach er, daß der Kampf ihn riefe, der Kampf zwischen Titanen und Göttern, sprach, daß er gehen müsse. Wie groß war die Verzweiflung der Hippolyta, ihre erste Verzweiflung! Ihr Gott, ihre Liebe ging von ihr. Doch bevor er ging, wehe, für immer ging, schenkte er der Hippolyta diesen Gürtel aus Gold, den Hephaistos selber geschmiedet; diesen Gürtel, der ihr das weite Gewand unter dem Busen festschnürt, und er sprach: »So du jemals in Gefahr bist, Hippolyta, so rufe durch den Gürtel Ares an, und er wird dir durch die Wolken auf dem rasselnden Streitwagen zu Hilfe eilen, so du ihm getreu warst.«
»Wehe,« fuhr die Amazone fort, »Hippolyta war dem Göttergeliebten nicht treu, und Ares wird nicht kommen, wenn sie ihn bei diesem Gürtel anruft. Nach dem Liebesglück kam der Trennung Schmerz, so wie ich jetzt nach dem Liebesglück, o Herakles, den Schmerz der Trennung zwischen uns wie zwischen all den Amazonen und all den Helden kommen sehe!«
Der Held umfaßte zärtlicher die Frau mit seinen Armen, und sie schluchzte an seiner Schulter. Und während er seine tiefe Stimme zu verführerischer Sanftmut dämpfte, sprach er: »O Hippolyta, die du die Liebe bereits kanntest, so wie du sie nun wieder kennst, die du sie als nachtverhohlenes Geheimnis kanntest, so wie du sie jetzt in strahlender Sonne kennst, o liebenswerte Amazone, die dem Herakles das herrliche Glück bescherte, warum willst du Aphrodite nicht ehren, warum nicht für sie den Tempel errichten?«
»War sie nicht allzeit unsere Feindin?«
»Kann die Göttliche euch nicht Freundin werden?«
»Werden die streitbaren Amazonen zu feilen Sklavinnen des Mannes werden?«
»Warum sollten die Wilden, Männergleichen nicht in glückseliger Liebe zu Frauen werden?«
»Müssen wir nicht an die Verheißungen denken, die uns Männergleichen den Untergang künden, so wir anderer Gottheit als der Artemis dienen?«
»Wüßten eure Sibyllen um die Wahrheit, wenn eure Priesterinnen um die Wahrheit nicht wußten? O Hippolyta, errichte den Tempel, weihe der Aphrodite den Tempel und laß alle Amazonen ihr das Kleinod oder den Schatz opfern, der ihnen am teuersten ist.«
»Meine Frauen tragen nicht goldenes Geschmeide wie deine hellenischen Frauen dort drüben. Unsere bronzenen Stirnbänder werden der verwöhnten Aphrodite nicht wohlgefallen. O Held, des Ares goldener Gürtel war das einzige Gold in Skythien, bevor du, mein blonder Herakles, kamest.«
»So opfere Aphrodite den Gürtel.«
»Den Gürtel des Ares?«
»Sollte der Aphrodite nicht willkommen sein?«
»Des Ares Gürtel?«
»Nun Hippolyta dem Ares untreu ward.«
»Des Ares Gürtel, o Held? Schon der Gedanke daran, ihn fortgeben zu sollen, läßt Hippolyta vor Angst erzittern.«
Der Held stieß sie rauh von sich.
»Weil du trotz unserer Umarmungen Ares noch immer liebst! Weil du Ares nicht vergessen kannst. Weil du selbst in meinen Armen seinen Gürtel unter der Brust trägst.«
Langsam, schmerzvoll lächelnd löste die Amazone den goldenen Gürtel.
»Held, o mein Held«, murmelte sie. »So du glaubst, daß dieser Gürtel Zeugnis davon ablegt, wie des Ares Liebe noch in meinem Herzen wohnt, so nimm, noch bevor wir Aphrodite den Tempel der Liebe errichten, dieses Kleinod, das mir plötzlich die Brust beengt. Warum hat Hippolyta ihn in des Herakles Armen behalten? Kann etwas anderes sie zu ihrem Glück umzirken als des Herakles Arme? Hier, nimm den Gürtel des Ares. Was liegt an ihm! Was liegt mir noch an seinem Golde? Was liegt mir noch an dem Talisman, der seine Kraft bereits vor neuem Glück verlor? Was soll Hippolyta noch auf die stille Stimme in ihrem Herzen lauschen, die da flüstert: Trenne dich niemals von dem Gürtel. Dieser Gürtel war ja nicht die Kraft! Dieser Gürtel bedeutete die Schwachheit, und wenn Schwachheit das Glück der Frauen bildet, warum sollte dann Hippolyta nicht schwach sein und Aphrodite zuliebe auf den Gürtel verzichten? Werde ich untergehen, wenn ich den Gürtel opfere? Wird die Hingabe des Gürtels Aphrodite versöhnen? Wird eine Gottheit, die lieblichste, dem düsteren Lande Skythien zulächeln? Was weiß ich! Hier, Held, nimm den Gürtel, dir biete ich ihn, noch bevor ich ihn der Aphrodite darbiete, auf daß kein güldenes Band, keine greifbare Erinnerung uns in unserer innigsten Umarmung scheide.«
Aus den Händen der Amazone nahm Herakles den Gürtel entgegen. Seine goldenen Glieder klirrten in den kraftvollen Händen, die zitterten, denn der Held dachte an Admete. Doch zugleich erfüllte ihn, nun Hippolyta ihm freiwillig den Gürtel reichte, Mitleid mit der besiegten Streiterin, vor der er seine wahren Empfindungen und sein Ziel verbarg. Und seine tiefe Stimme klang zärtlich, als er sie fragte: »Hippolyta, hast du Ares sehr geliebt?«
»Er gab mir erstes Glück und ersten Schmerz. Um seinetwillen habe ich den Schwestern gelogen, machte sie glauben, daß ich nur seinem Zwang unterläge, weil er der Stärkere war, so wie sie nur dem Zwang erlagen. Dem Zwang, der unserem Volke zum Heile gereichte, da wir ihm Töchter gebaren, neue streitbare Jungfrauen für unsere Heeresscharen. Um seinetwillen habe ich heimlich und stetig meine Seele vor den Schwestern verborgen, und niemand wußte um mein Glück, noch um meinen Schmerz. Dir, o Sieger, Sohn des Zeus, Bruder des Ares, sprach ich zum ersten Male von diesem Schmerz, von diesem Glück, zum ersten Male von meiner ersten Liebe! Erste Liebe! Sie flog dahin wie ein Vogel, der von fern mit den Flügeln schlägt; hat Hippolyta jetzt noch die Erinnerung lieb? Jetzt, da sie Herakles liebt? Nein, nichts in ihrer Seele vermag ihr zweites Glück aufzuwiegen, trotzdem sie zweiten und vielleicht noch ärgeren, tieferen Schmerz vorausahnt.«
Herakles betrachtete den goldenen Gürtel, den er in beiden Händen hielt. »Hippolyta,« fragte er, »wer erfüllte Hippolytas Herz mit Liebe, wenn nicht Aphrodite?«
»War sie es, so sei die Göttin gesegnet, und wir, mein Geliebter, wollen ihr den Gürtel im Tempel weihen, den die Amazonen ihr erbauen werden.«
»Gibt nicht sie alle Liebe ein, o Hippolyta, die sanfte, doch zuweilen auch grausame Göttin, die Mutter zweier Söhne, des Eros und auch des Anteros?«
»Der Liebe und der Gegenliebe...«
»Die sie manchmal trennt und manchmal wieder vereint, und deren eine ohne die andere dahinschwindet...«
»Doch die, vereint, gemeinsam blühen... O schöner als unsere Göttin, die ihr uns anders verstehen lehrt, als wir sie verstanden, sind eure lichten Götter, ihr Hellenen!«
»Eros und Anteros, sind sie dir jemals erschienen, Hippolyta?«
»Sind mir andere Götter als Ares und Herakles erschienen?«
»Eros und Anteros, sie erschienen mir, o Hippolyta, und sie, die ich liebe, liebt auch mich.«
»Also liebt der Held Hippolyta, so wie Hippolyta den Herakles liebt? Sollte dieses unaussprechliche Glück nun, da das goldene Band uns nicht mehr trennt, durch Aphroditons Wunder macht mir geworden sein?«
Der Held lächelte sein wehmütiges Lächeln, und über seine blauen Augen breitete sich ein grauer Schatten; er dachte an Admete und betrachtete von neuem den Gürtel, vermochte aber, zweifelnd, trotz Anteros und Eros, an eines Glückes Zukunft nicht zu glauben, wenngleich ihm geoffenbart worden war, daß die Tochter des Eurystheus den Sklaven ihres Vaters liebte. Und er blickte auf Hippolyta, und in diesem Augenblick ward sein Mitleid beinahe zur Reue.
»Hippolyta,« sprach der Held, indes er sich erhob und die Frau in seine Arme schloß und sie voll zärtlichen Mitleidens mit ihr und mit sich selber auf die Augen küßte, »Hippolyta, habe Dank für den Gürtel. Jetzt weiß ich, daß Hippolyta den Herakles liebt und nicht mehr den Ares. Und wenn Herakles in den Kampf gegen Titanen und Giganten, gegen Riesen oder Ungeheuer ausziehen wird, wo immer sein Schicksal ihn hinführen möge, so glaube mir, Hippolyta, daß doch in dieser Stunde sein Herz dir geweiht war.«
Sie blickte zu ihm auf und lächelte glücklich durch ihre Tränen. Sie ward sich dessen bewußt, daß er ihr nur ein wenig von seiner Liebe gab, doch das wenige schon dünkte sie herrlicher als alles Gold und als der Gürtel des Ares. Und während sie aufjauchzend ihre Arme um ihn schlang, sank sie an seiner Brust auf das Lager herab.
Indes breitete die Nacht über den Tanais und zwischen die Säulen in dem dunklen Saal ihre Schatten, die voll zukünftiger Geheimnisse waren.