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In Trachin, am sonnenumglühten Fuße des von leuchtendem Schneegipfel gekrönten Öta, der sich vom strahlenden Azur abhob, erstreckten sich rings um ein niedriges Landhaus die Ländereien und Weiden, die Herakles vom Könige Ceyx zum Geschenk geboten worden waren, nachdem der Held dessen Reich von dem dreisten Räubervolk der Dryopen befreit hatte. Auf den Kornfeldern fielen unter den blitzenden Sensen die gefüllten Ähren, auf den hochhalmigen Weiden grasten die üppigen, fetten, breiten Rinder. Auf den grünen Hängen der Hügel weideten Hirten und Hirtinnen schwereutrige Ziegen und wollige Schafe, und Wohlfahrt und Üppigkeit waren ringsum, gleich als ob Demeter und Pan das Auge nicht von dem abwendeten, was dem Helden gehörte, den sie liebten. Auch des Dionysos Trauben begannen an den Weinstöcken zu schwellen, die sich um die eichenen Säulen rings um die niedrige Wohnung rankten, und lieblich war der Anblick der ländlichen Besitzung, die einem Lusthofe des Friedens glich. Noch aus der Behausung selber, von des Herakles Lager her, war das Schreien des Helden zu vernehmen, der schwerverwundet in lange währendem Fieber sich auf dem Lager wälzte, und erfüllte das ganze Haus, und weithin trug es das Echo, wo die Mähenden entsetzt in ihrer Arbeit innehielten und die Hirten und Hirtinnen angsterfüllt aufhorchten, wie jammernder Schrei auf jammernden Schrei folgte.
Auf dem von Deianeira gewebten weißen Linnen lag der Held, und sein Körper wand sich: zerstochen war er von den giftigen Federn, welche die Stymphalischen Vögel aus ihren Harpyienkörpern und Geierflügeln auf ihn geschossen hatten. Im Antlitz, im Halse, im Rumpf, in den Armen, den Schenkeln, den Füßen staken die stählernen, seinen, scharfen Federn der entsetzlichen Vögel, die am See Stymphalis so Mensch wie Vieh durchschossen und dann verschlangen. Herakles hatte auf des Eurystheus Befehl ihre höllische Schar bekämpft, doch dann hatte Jolaos den Helden ohnmächtig und durchschossen über die Vorderwand des Wagens legen und ihn nach Trachin führen müssen. Abgesandte hatten die Leichen der Riesenvögel, dreihundert an Zahl, nach Mykenä geführt, wo Eurystheus, als er ihren Zug erscheinen sah, in ein unterirdisches Gewölbe geflohen war.
Heulend schrie der Held auf, während ihn das rasende Fieber schüttelte: »Die Klauen des Löwen in meinen Rippen und sein flammender Atem, den er mir in die Augen fauchte, war so feurig nicht wie diese Federn. Deianeira! Deianeira, hilf mir, zieh mir die brennenden Pfeile heraus! Die Bisse der neun Hydrarachen, die tiefbohrenden Hauer des Ebers verwundeten nicht so schmerzend mein Fleisch. Deianeira, Deianeira, warum ziehst du mir nicht rascher die Pfeile heraus?«
Deianeira indessen, von ihren Frauen umringt, zog behutsam Pfeil um Pfeil heraus und sprach tröstend: »Habe Geduld, mein Gemahl! Sieh, ich ziehe dir die Federn alle heraus, und alsbald salben wir die Wunden mit dem kräftigen Balsam, der lindert und heilt. Wenn wir nicht so vorsichtig wären, o Herakles, würden wir dich wohl gar töten. Habe Geduld, habe Geduld, mein Gemahl. Sieh, wiederum ziehe ich dir einen stählernen Pfeil aus der Brust, und das Blut fließt auf dein Lager herab. Habe Geduld, habe Geduld, mein Gemahl, dann werden wir dir den so schwer verwundeten Körper heilen.«
So tröstete und salbte die Frau, die geschickte Deianeira, die Schwester von Herakles' Freund Meleagios, die er von dem Drängen ihrer vielen Freier und Feinde befreit und geehelicht hatte, weil sie ihn liebte. Und sie liebte ihn so sehr, daß sie sich nicht fürchtete, wenngleich sie von der Megara entsetzlichem Ende wußte und von dem ihrer Söhne und Töchter, und wenngleich sie um das fürchterliche Ende der Alkmene wußte, die gleich jenen allen von Herakles in blinder Wut, die Hera ihm eingab, erschlagen worden war ... Sie liebte ihn so sehr, daß sie ihm nach Trachin gefolgt und die Gebieterin seines Hauses geworden war. Oh, sie liebte, sie liebte ihn, den unüberwindlichen Überwinder des Löwen, der Hydra, des Ebers, den sanften Jäger der zarten Hirschkuh, um die Artemis gezittert hatte. So wie die Hirschkuh dem Herakles, frei neben seinem Wagen her eilend, bis nach Mykenä gefolgt war, wo das Volk herbeiströmte, um den Liebling der Göttin zu bejubeln, so war die zarte, sanfte Deianeira dem Herakles als treue Gattin nach Trachin gefolgt, von seinem ganzen Volk, den Landbauern und Hirten und Hütern, bewundert, geliebt und verehrt. Und als er gegangen war, um die Stymphalischen Vögel auszurotten, hatte sie in dem Heiligtum, das der Artemis geweiht war, die reichsten Opfer dargebracht und die hehre Göttin angefleht, sie möge ihren Schutz dem angedeihen lassen, der zu dieser entsetzlichen Jagd auszog. O wie hatte sie gejubelt, als der getreue Jolaos ihn nicht tot zu ihr zurückbrachte, wie sie es gefürchtet hatte, sondern nur durchstochen von den stählernen Federn, die gleich scharfen Pfeilen von den entsetzlichen Vögeln abgeschnellt worden waren! Hatte sie nicht in weiser Voraussicht schon nach der Vorschrift der Artemispriester den Balsam bereitet? Hatte sie nicht in weiser Voraussicht ihm das weiße, von ihren lieben Händen gewebte Linnen über das Lager gebreitet? Und bei jedem giftigen Pfeil, den sie herauszog, bei jeder klaffenden Wunde, die sie auswusch und mit dem duftenden Balsam bestrich, jubelte es freudig in ihrem Herzen auf, weil sie ihm wieder etwas vom Leben zurückgeben durfte. O über die Freude und das selige Glück, als er nun still wie ein Toter und so bleich dalag – so bleich, so blutleer das sonst so kräftig gebräunte, blühende Antlitz und die schwelenden bronzefarbenen Glieder, aber ohne noch eine einzige jener stählernen Federn in seinem Fleisch zu spüren, und als sie ihm nun den ganzen starken Körper, so wie die klagenden Nymphen des Adonis zarten Leib, mit Balsam bestrichen und gesalbt hatten! Nachdem die Frauen sich mit ihren Schalen und Kannen und Tüchern zurückgezogen hatten, wachte nur sie allein noch an seinem Lager in einem maßlosen Glück darüber, daß sie ihn gerettet hatte. Und betend kniete sie an dem Fußende des Lagers nieder und küßte behutsam, auf daß sie ihn nicht störe, die Wunden an seinen Füßen.