Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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27

Als Svend in Weltens halbdunklem, unfreundlichem Wartezimmer stand, mußte er so lebhaft an die furchtbare Wartezeit denken, die er hier an dem kritischsten Tag seines Lebens verbracht hatte, daß sein altes Herzklopfen, von dem die Jahre ihn geheilt hatten, plötzlich zurückkehrte.

Er ärgerte sich über sich selbst, nahm sich zusammen und dachte an Weltens Abschiedsworte von damals: Wenn Sie festen Grund unter den Füßen bekommen und das Leben kennen gelernt haben, wird es mir angenehm sein, Sie wiederzusehen – auch als Gegner.

Jetzt sollte es sich zeigen. –

Svend gab seine Karte ab.

Es dauerte nur einen Augenblick, dann kehrte der lautlose, immer flüsternde Diener zurück und öffnete ihm die Tür.

Dort hinten unter dem hohen Fenster saß Geheimrat Welten über seine Papiere gebeugt und schrieb. Es war so genau dasselbe Bild, das sich damals in Svends Bewußtsein eingebrannt hatte, daß er sein Herz abermals unruhig klopfen fühlte. Dann faßte er sich schnell und ging mit raschen Schritten auf den Schreibtisch zu, ohne darauf zu warten, daß Welten die Feder aus der Hand legen und ihn bitten würde näherzutreten.

Auf dem Wege dorthin sah er, daß der Geheimrat kleiner, vertrockneter, gleichsam eingeschrumpfter geworden war. Das Haar war über dem platten Nacken dünner und farbloser geworben. Welten blickte über die Lorgnette auf. Es war ein strenger Blick in den Metallaugen, als ob er sagen wolle: »Wer sind Sie, der Sie näher zu kommen wagen, bevor ich das Zeichen gegeben habe?« Svends Karte hatte nicht verraten, in welcher Angelegenheit er kam.

»Ich sehe, Herr Geheimrat, Sie erkennen mich nicht!« sagte er und nahm ohne weiteres auf dem Stuhl Platz, auf dem er schon einmal gesessen hatte.

Weltens Blick umspannte ihn, wie er es damals getan hatte. Dann schienen plötzlich seine Pupillen größer zu werden. Er legte die Feder aus der Hand und richtete sich höher auf.

»Byge!« sagte er und betrachtete die Karte, »Sie waren Kruses Schwiegersohn und Assessor in Tithoffs Ministerium?«

Es war dieselbe trockene Stimme. Kein Zug in den eingefrorenen Runzeln verriet, daß das Wiedersehen einen Eindruck auf den mächtigen Mann gemacht hatte.

Svend aber ließ sich nicht mehr verblüffen. Jetzt war er es, der die Karten in der Hand hielt.

»Darf ich fragen, Herr Geheimrat, ob Sie von dem Verein zur Förderung der dänischen Hochseefischerei gehört haben?«

Welten nickte. »Ich bin es, der diese Sache gestartet hat, ich bin Vorsitzender des in Aaberg gebildeten Reichskomitees.«

»Sind Sie der Byge, der Agitationsreisen durch das ganze Land gemacht hat?« fragte Welten scharf und beugte sich vor.

»Derselbe!«

Es blitzte in den Metallaugen auf. Dann reichte Welten ihm über den Schreibtisch die Hand und sagte:

»Ich bin erfreut Sie wiederzusehen!«

»Besten Dank! – Es sind bis heute zwei Millionen im ganzen Lande gezeichnet worden.«

»Das weiß ich.«

»Das Komitee hat nun die Absicht, mit den vereinigten Privatbanken in Verbindung zu treten.«

»Unter welchen Bedingungen?«

»Wir übertragen dem Banksyndikat die finanziellen Geschäfte des Unternehmens gegen die Verpflichtung, den gleichen Betrag zu zeichnen – also zwei Millionen Kronen.«

Welten sah einen Augenblick zum Fenster hin, als wolle er sehen, ob es von dort her zöge. Dann erhob er sich, ging langsam durchs Zimmer, nahm eine Zigarrenkiste aus einem Schrank an der Wand und kam damit ganz langsam auf Svend zu.

»Wollen Sie rauchen, Herr Byge?«

»Ich danke, Herr Geheimrat – ich rauche nie vor Tisch.«

»Das ist sehr vernünftig. Mein Arzt sagt immer – –« Wie Svend hier saß und den allmächtigen Mann durchschaute, der von gleichgültigen Dingen sprach, um Zeit zu gewinnen, da war ihm, als läse er in alten Briefen und fühlte, wie er seit damals gewachsen war.

Welten sollte nicht billig davonkommen. Es war eine Kraftprobe, die Svend vorhatte – ein letztes Examen, das er machen wollte.

»Entschuldigen Sie, Herr Geheimrat, meine Zeit ist knapp. Ich würde auf Ihre sofortige Entscheidung Wert legen.«

Welten richtete sich auf, als habe Svend ihn berührt. Seine Metallaugen umspannten ihn von neuem; aber Svend gab ihm seinen Blick ruhig zurück.

Da verstand Welten plötzlich, daß Svend sich mit ihm messen wollte. Der Schatten eines Lächelns trat auf seine schmalen Lippen.

»Zwei Millionen können Sie nicht bekommen. Ich werde dem Aufsichtsrat vorschlagen, eine Million zu Ihrer Disposition zu stellen; doch geschieht dies unter der Voraussetzung, daß der Staat eine entsprechende Unterstützung gewährt. Sind Sie schon bei der Regierung gewesen?«

»Noch nicht!« sagte Svend und erhob sich, »Prinz Adolph aber hat heute eingewilligt, das Protektorat zu übernehmen, darum nehme ich an – – ja, dann bedaure ich, Herr Geheimrat!«

Svend erinnerte sich so lebhaft seiner ersten Unterredung mit Welten, Wort für Wort stand sie vor ihm, daß er der Versuchung nicht widerstehen konnte. »Guten Morgen!« sagte er, und merkte selbst, daß es ebenso trocken und kalt klang wie damals, als Welten ihn mit denselben Worten verabschiedet hatte.

Welten hatte sich auch erhoben. Jetzt erst durchschaute er die Situation vollkommen. Er hatte diesen Mann unterschätzt, der sich den Prinzen gesichert hatte, bevor er zu ihm gekommen war. Er saß hier vielleicht nur, weil er dazu delegiert war, erinnerte sich der alten Geschichte mit Kruses Papieren und war im Herzen froh darüber, daß er ihn, Geheimrat Welten, umgehen konnte.

Die Zeiten waren andere geworden; seit dem Systemwechsel hatte er mit ganz neuen Leuten zu tun. Hier war eine Chance für ihn.

Entschlossen und schnell machte er eine Schwenkung.

»Es freut mich, Herr Byge,« sagte er mit väterlicher Liebenswürdigkeit, »zu sehen, welch vortrefflicher Geschäftsmann Sie geworden sind. Ich schätze schnelle Handlungen; aber wird dem Komitee auch mit einer so eiligen Erledigung, wo es um Millionen geht, gedient sein?«

»Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, Herr Geheimrat, daß es noch nicht endgültig beschlossen ist, ob wir überhaupt fremde Bankhilfe in Anspruch nehmen oder es vorziehen wollen, unser eigener Bankier zu sein. Das hängt natürlich davon ab, welche Angebote wir erhalten. Wir haben ja erstklassige Kräfte, darunter auch bankkundige Leute im Komitee selbst. Meine Anfrage ist darum so aufzufassen, daß wir es den Privatbanken anheimstellen, uns ein annehmbares Angebot zu machen, zu dem wir später Stellung nehmen werden.«

Der Geheimrat antwortete nicht gleich. Er ging durchs Zimmer, um zu untersuchen, ob das Fenster auch wirklich ganz geschlossen sei. Dann rückte er an einem Haufen Akten, der etwas schief lag, legte ein Papiermesser von einer Stelle auf die andere und kam dann ganz langsam auf Svend zu.

»Sind Sie denn auch sicher, daß Sie so leichtes Spiel mit der Regierung haben werden,« fragte er, »wieviel wollen Sie von derselben haben?«

Svend zögerte. »Soweit ich mich erinnere – also mit Vorbehalt – eine halbe Million!«

Welten wandte sich erstaunt zu ihm um.

»Das ist zu wenig!« sagte er entschieden.

Dann ging er wieder durchs Zimmer, suchte sich eine Zigarre aus, schnitt sorgfältig die Spitze ab, zündete sie langsam an, sehr langsam, und kam wieder zurück.

»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen!« sagte er und verfolgte aufmerksam den blauen Rauchstreifen, »Sie wollen zwei Millionen von uns haben und eine halbe Million vom Staat. Wenn Sie die Verhandlungen mit der Regierung den vereinigten Privatbanken überlassen wollen, so werden wir es übernehmen, Ihnen anderthalb Millionen vom Staat zu verschaffen, und selbst den gleichen Betrag zeichnen. Auf diese Weise erhalten Sie eine halbe Million mehr als Sie gerechnet haben.«

Svend war von dem Komitee bevollmächtigt worden, nach eigenem Gutdünken in der Hauptstadt zu wirken. Er war sich sofort klar darüber, daß er dieses Angebot annehmen müsse; denn es war ersichtlich, daß der Geheimrat weit gegangen war.

Es stieg eine unfreiwillige Heiterkeit in ihm auf, als er daran dachte, wie ihm vor acht Jahren eine außeretatsmäßige Referendarstellung von diesem Mann angeboten war, dem er jetzt eine Chance bot, die sich um Millionen drehte.

Er dachte daran, welch reiche Erfahrung der Geheimrat besaß, wenn es galt, mit der Staatskasse zu verhandeln. Welten selbst hatte es sicher nicht vergessen, welche geheime Kenntnis sein ehemaliger Gegner von der Methode hatte, die sich einst so fruchtbringend für das Interesse der Bank erwiesen hatte.

Als Svend schließlich antwortete, begleitete er seine Worte mit einem Lächeln, das eine besondere Bedeutung in seine harmlosen Worte legte:

»Gut, Herr Geheimrat, ich akzeptiere. Eigentlich sind ja Staatsanleihen Ihre Spezialität, aber ich nehme an, daß Sie auch eine Subvention wie die fragliche ordnen können.«

Welten nahm die Bemerkung ohne ein Zucken entgegen.

»Wir wollen es hoffen!« sagte er und begleitete Svend zur Tür, wo er ihm die Hand drückte und wiederholte: »Es hat mich gefreut, auf Wiedersehen, Herr Byge!«


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