Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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13

Eines Abends kam eine elegante junge Dame in Begleitung eines sehr distingierten Herrn.

Sie war groß und schlank. Sie standen vor der Portierloge und sprachen mit Mr. Chanfoe, der sie gut zu kennen schien.

Als der Herr sich eine Zigarre anzündete, fiel der Lichtschein scharf auf ihr Gesicht. Es war sehr bleich. Svend sah zwei seltsam verschleierte Augen, mit Pupillen wie aus dunklem Samt.

Ihr Kavalier ging die Treppe hinauf. Sie blieb noch stehen und wechselte einige Worte mit Chanfoe.

Es war etwas in der Art, wie er seine geschmeidige Gestalt katzengleich gegen ihren Arm rieb, ohne daß sie die Berührung zu bemerken schien, die Svend sagte, daß zwischen diesen beiden ein besonderes Verhältnis bestehe.

Mr. Chanfoe flüsterte ihr einige Worte zu, worauf sie sich nach der Portierloge umblickte.

Trotz des Halbdunkels sah Svend einen Blitz des Wiedererkennens auf ihrem Gesicht. Eine Eingebung, die ihm selbst unverständlich war, sagte ihm, daß die Dame Mr. Johnstones Tochter sei – das schlanke junge Mädchen mit dem gesenkten Blick und dem mißvergnügten Gesicht, dessen er sich dunkel von seinem Besuch in dem Hausboot auf der Themse vor fünf Jahren erinnerte.

Er versuchte vergeblich ihr Gesicht in der Nähe zu sehen zu bekommen, am nächsten Morgen aber kam sie von selbst in die Loge und gab ihm einen Auftrag.

Sie heftete ihre Samtaugen auf ihn – sie waren mandelförmig und gaben ihrem blassen, mageren Gesicht etwas eigenartig Anziehendes.

»Ich erinnere mich Ihrer noch sehr gut!« sagte sie lächelnd.

»Sie haben mich damals kaum angesehen!« sagte Svend.

Sie kam häufig ins Hotel, entweder allein oder mit Herren, die Chanfoe mit ausgesuchter Höflichkeit behandelte und die scheinbar an eine erstklassige Bedienung gewöhnt waren.

Weder sie noch ihre Kavaliere gingen in die Bar. Dennoch war Svend überzeugt, daß sie dasselbe suchten, wie die anderen Gäste, denn der erste Angestellte der Bar servierte ihnen auf ihren Zimmern.

Svend konnte aus dem Verhältnis zwischen ihr, Mr. Johnstone und dem Chinesen nicht klug werden, bis er entdeckte, daß der alte Jack Bescheid wußte, den er eines Sonntagnachmittags bei einem Whisky zum Reden brachte.

Jane, wie er sie nannte, war eine Pflegetochter von Johnstones.

Da sowohl Mr. wie Mrs. Johnstone tagsüber von ihrer Arbeit in Anspruch genommen waren, war sie fast ganz sich selbst überlassen gewesen, und so kam es, daß sie von einem jungen Schauspieler, einem Vetter von Mr. Johnstone, verführt wurde, mit dem sie ein Kind bekam, das ihr gleich fortgenommen und irgendwo auf dem Lande in Pflege gegeben wurde. Kurz darauf nahmen Johnstones den Chinesenjungen ins Haus. Dies war ein so vorteilhaftes Geschäft, daß Mrs. Johnstone sich von der Arbeit zurückziehen und sich ihrem Heim widmen konnte. Jane, die früher ihre volle Freiheit gehabt hatte, mußte sich nach ihrem Abenteuer eine sehr strenge Behandlung gefallen lassen und es außerdem mit ansehen, wie Chinaboy bei jeder Gelegenheit vorgezogen wurde.

Sie wollte von Hause fort, aber sie bekam keine Erlaubnis dazu.

Auf diese Weise vergingen einige Jahre. Chinaboy entwickelte sich überraschend schnell und wurde so einschmeichelnd wie eine Katze. Sie verliebte sich in ihn, kokettierte mit ihm und brachte ihn dazu, sie zu entführen, als er kaum erwachsen war.

Mrs. Johnstone, die längere Zeit leidend gewesen war, nahm sich dies sehr zu Herzen und starb kurze Zeit darauf. Das Heim wurde aufgelöst, und Johnstone sagte sich vollkommen von seiner Pflegetochter los.

Svend erinnerte sich ihres stummen, mürrischen Wesens, als er bei Johnstones zu Gast gewesen war. Er erinnerte sich der Kälte, die sie mit sich ins Zimmer brachte, als sie den Tee servierte. Und er begriff, weshalb Mr. Johnstone, der ihm damals so freundlich begegnet war, ihn diesmal vollkommen außerhalb seines Privatlebens hielt.

Jane hatte ihre Samtaugen auf Svend geworfen. Er war etwas Neues, etwas Fremdartiges für sie. Mr. Chanfoe sah es und lächelte.

Sie sorgte dafür, daß Svend gute Trinkgelder von den Herren bekam, die sie mitbrachte. Wenn sie allein war, stellte sie sich neben seine Logentür und unterhielt ihn leise, während sie ihr Gesicht über ihn beugte und ihre Samtaugen in den seinen ruhen ließ. Ihr Blick machte ihn unruhig; aber sie war zu groß und zu mager für seinen Geschmack, und ihr Lächeln war ihm zu sehr vom Leben gezeichnet, um ihn zu reizen.

Als sie sah, daß ihre Annäherungen vergeblich blieben, hielt sie sich einige Zeit von ihm fern. Wenn sie spät abends mit einem Herrn im Smoking kam, glitt sie schnell an Svend vorbei, ohne ihn anzusehen. Trotzdem bekam er größere Trinkgelder von ihren Kavalieren als von den anderen Gästen.

Kurze Zeit darauf trat sie eines Abends, als Chanfoe nicht zu Hause war, zu Svend in die Loge, reichte ihm die Hand und bat ihn um seine Freundschaft.

»Man kann sehr gut befreundet sein, auch wenn man sich verachtet!« sagte sie mit einem Lächeln und fügte hinzu:

»Denn ich verachte Sie auch, weil Sie sich damit abfinden, wie ein Gefangener in dieser Hölle zu leben.«

Von da an sprachen sie häufiger zusammen, auch wenn Chanfoe es sah. Obgleich er freundlicher als je lächelte, wenn er sie im Gespräch antraf, so hatte Svend doch den Eindruck, als sähe er ihre Vertraulichkeit nicht gern.

Als Svend ihr eines Tages etwas davon sagte, meinte sie:

»Er haßt mich zu tief, um mir einen Freund zu gönnen.«

»Er haßt Sie? Ich dachte im Gegenteil – «

»Ja, damals. Aber dann ließ ich mich von ihm entführen; das kostete ihn Mrs. Johnstones Freundschaft. Jetzt hält er sich schadlos, indem er sich über das Leben freut, das ich führe, was übrigens mit der Zeit eine gute Einnahme für ihn geworden ist. Aber er sieht es nicht gern, wenn jemand gut gegen mich ist. Früher konnte er mich vor Liebe nicht entbehren, jetzt kann er mich vor Haß nicht lassen.«

»Und Sie selbst?«

»Was ich –?«

Sie betrachtete ihn mit einen, Blick, der plötzlich leer wurde.

»Mir geht es ja sehr gut so.«

Svend schwieg. Trotz allem, was er in diesem Jahre gesehen und wogegen er sich abgehärtet hatte, griffen ihre Worte doch ans Herz.

Es entstand wirklich eine Art Vertrauen zwischen ihnen nach diesem Gespräch.

Sie fand, daß er ein freudloses Leben führe und begriff nicht, wie er es in diesem halbdunklen Gefängnis aushalten könne.

Svend gestand ihr, daß es ihm schwer genug falle; aber er müsse Geld haben, Geld um jeden Preis.

Dann wunderte sie sich, daß er kein Opium nähme. Sie erzählte davon mit leuchtenden Blicken, während sie in seiner Loge saß und auf dem Stuhl zusammensank:

Es sei das einzige, was sie mit dem Leben aussöhne. Man müsse nur vorsichtig sein, nicht übertreiben, ganz langsam vorgehen. Weder Liebe noch sonst etwas könne damit verglichen werden.

Dagegen ankämpfen – einen Tag oder zwei – gegen die Lust und das Verlangen, und dann am dritten Tag den Kampf aufgeben, sich in ein Cab setzen und mit der süßen Unruhe bebender Erwartung im Blute sich dem Ort nähern, wo Seligkeit einen erwartet – wie zur ersten Liebesvereinigung!

Sie überredete ihn, es einmal zu probieren. Es war nach düsteren Stunden schmerzlicher Verzagtheit, als er sich dazu entschloß.

Sie kam zu einer späten Stunde, als alles im Hotel ruhig geworden war, mit ihren lautlosen Schritten die Treppe herunter aus ihrem Zimmer und brachte ihm eine Pfeife.

Sie entzündete sie für ihn und wies ihm den Gebrauch an. Ihre langen Hände bebten, als sie sie ihm reichte; und als er sich auf sein Bett streckte, glitt ihre Hand einen Augenblick liebkosend über sein Haar, bevor sie ihn verließ.

Er merkte, wie die Schläfrigkeit sich seiner bemächtigte und träumte, daß es ihre lange, schmale, bebende Hand war, die ihn mit sich zog. Er fühlte wie der Raum sich hob, sich weitete und mit Licht und ferner Musik erfüllt wurde, Lisbeth kam zu ihm und alle frohen Erinnerungen seines Lebens. Er fühlte sich groß und heilig und unnahbar in seinem Glück.

Am Morgen erwachte er ganz verstört. Der Kopf schmerzte ihn; die Glieder waren ihm schwer wie Blei; als er sich schließlich mit Anstrengung erhoben hatte, bekam er einen furchtbaren Anfall von Erbrechen.

Da kam die Reaktion. Sie kam mit einer Gewalt, daß er sich selbst wunderte. Er wollte fort aus dieser Höhle, deren Halbdunkel sich bereits über seine Seele zu breiten begann.

Als sie spät am Tage zu ihm kam, das Gesicht grau und schlaff, mit dunklen Ringen unter den halbgeöffneten, mattglühenden Augen, das schmerzlich lasterhafte Lächeln um den Mund, da sah sie den festen Entschluß in seinen Augen. Und als sie seine entschlossenen Worte hörte, da bereute sie, was sie getan hatte.

Sie konnte dieses Vertrauen nicht mehr entbehren, das von keiner Berechnung getrübt wurde und an dem ihr Herz mit seinem letzten Rest von Menschlichkeit hing.

»Ja,« beeilte sie sich zu sagen, »Sie sollen hier nicht länger bleiben. Ich will Ihnen etwas anderes, etwas Besseres verschaffen. Oder bin ich es, die Sie nicht mehr sehen mögen?« fragte sie und sah demütig zu ihm auf.

»Nein! – Obgleich – was wollen Sie eigentlich von mir?«

Ihre lange Gestalt fiel in einer plötzlichen Schlaffheit auf dem Stuhl zusammen.

»Ich will jemand haben, mit dem ich mich aussprechen kann, jemand, der mich weder kaufen noch verkaufen will!«

Dann nahm sie sich zusammen, erhob sich und reichte ihm die Hand.

»Haben Sie Geduld! Ich habe eine Idee. Ich werde Ihnen morgen Bescheid bringen. Ich denke an etwas, was viel, viel besser ist, als dieses.«

Am nächsten Abend kam sie in einem Cab, das sie draußen halten ließ. Sie wußte, daß Chanfoe nicht zu Hause war.

»Der Inspektor bei Wilkins ist vor einer Woche gestorben. Wenn Sie seine Stellung haben wollen, können Sie sie bekommen. Ich habe mit dem Geschäftsführer gesprochen.«

»Wer ist Wilkins?«

»Das ist das vornehmste Nachtrestaurant in Picadilly.«

»Wohin soll ich mich wenden?«

»Bitten Sie sich morgen früh frei und wenden Sie sich dort an den Geschäftsführer. Sie können ihn von mir grüßen.«


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