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Es war Anfang Mai.
Svend spaziert mit Lisbeth und seinen Knaben in den Dünen.
Henning und Jörgen sind zwei frische Jungen. Sie haben die Augen ihrer Mutter, aber Svends Stirn und Nacken.
Obgleich Henning erst acht Jahre alt ist, hat er doch schon die Nackenhaltung, wenn er seinen Willen nicht bekommt, die Onkel Kasper als eine Familieneigentümlichkeit bei Svend erkannte, und deren auch Lisbeth sich aus der Zeit erinnern kann, als sie mit Svend zusammen in dem Garten des alten Hauses spielte.
Seit die Knaben da sind, sind Svend und Lisbeth mehr noch als sonst zusammen. Jeden Nachmittag spazieren sie nach derselben Stelle in den Dünen und atmen das starke Frühjahr ein, das über das Meer zu ihnen kommt und Unruhe in ihr Gemüt bringt. Lisbeth fühlt, was zwischen ihnen in der Luft liegt und jeden Augenblick zu Worten werden kann. Aber sie beherrscht ihre Unruhe und vermeidet es, mit ihm allein zu sein.
Sie hat es seit seiner Heimkehr erwartet; aber sie kann weder über sich selbst noch über ihn Klarheit bekommen. Es ist so einfach, fast selbstverständlich, daß sie jetzt zueinander gehören –, daß sie Furcht davor hat. Es ist, als sei ein Zwang dabei, und sie liebte ihre Freiheit über alles.
Aber sie hat angefangen, sich nach ihm zu sehnen, wenn sie des Nachts wach liegt; und sie tröstet sich damit, daß er auf den Augenblick wartet, wo Worte überflüssig zwischen ihnen sein werden.
Bisweilen, wenn er es nicht sieht, sucht ihr Blick ihn voll und dunkel, als flüstere sie ihm zu: »Sag es jetzt, Svend, dann sind wir uns einig.«
Aber wendet er sich dann um und sieht sie an, dann schlägt sie hastig ihren Blick nieder, ruft die Knaben zu sich, läuft mit ihnen an den flachen, weißen Strand, wo die Brandungswellen ihren Fuß netzen; hinterher fragt sie sich dann, weshalb sie eigentlich fortgelaufen ist.
Sie fühlt sich zwischen den Wogen wie ein junges Mädchen, so ausgelassen und lebenslustig. Sie sehnt sich nach Küssen und Umarmungen und denkt an ihn, der ihr langsam aus den Dünen nachkommt.
Aber dennoch. –
Das, was sie zurückhält, ist, daß sie ihrer selbst wegen erwählt werden will.
Sie will nicht des Hotels wegen geheiratet werden, denn sie weiß selbst, was sie auf ihrem Posten wert ist. Sie will auch nicht als Mutter für die Knaben engagiert werden, obgleich sie die Kinder in ihr Herz geschlossen hat.
Sie ist noch jung und stark und warm. Sie will von seinen Armen und seinem Mund, nicht von seinen Interessen erwählt werden.
Und das ist es, worüber sie keine Klarheit bekommen kann. Denn Svend ist ein anderer wie der, der in jener Neujahrsnacht verzweifelt und ratlos in ihrer Stube saß – ein armer Vogel mit gebrochenen Flügeln, dem sie geradeswegs in das verwundete Herz hineinsehen konnte.
Er hat es in diesen Jahren gelernt, seine Gefühle zu verbergen.
In seinen Augen ist ein kalter Glanz, als dächte er nicht mehr mit dem Herzen, sondern nur mit dem Verstand. Es ist ja nur gut, daß er gelernt hat, wie man vorwärtskommt; sie hat ihn ja selbst dort hinaus gestoßen. Dennoch ist es das, was sie unsicher macht.
Sie haben lange schweigend nebeneinander gesessen.
Sie sind dem Spiel der Knaben unten am Strande mit den Augen gefolgt, haben ihre eifrigen Rufe gehört, während sie auf ihren nackten Füßen herumsprangen.
Svend ist in tiefe Gedanken versunken gewesen und hat den trockenen Sand durch seine Finger laufen lassen.
Da fängt Jörgen plötzlich an zu schreien. Der große, braune Hund des Leuchtturmwärters kommt auf ihn losgesprungen.
Er läuft auf die Dünen zu und ruft:
»Mutter! – Mutter!«
In seiner Herzensangst sagt er nicht »Lisbeth«, wie er zu tun pflegt und wie sie es ihn gelehrt hat, sondern »Mutter«.
Henning, der mutiger ist, jagt den Hund mit Rufen und Steinwürfen fort; und da Jörgen sieht, daß der Hund flüchtet, bleibt er stehen und wagt sich zurück.
Svend und Lisbeth haben sich erschrocken bei dem Ruf erhoben. Lisbeth ist ganz rot geworden und das zärtliche oder wehe Lächeln, das er so gut kennt, liegt um ihre Lippen. Er kann ihr ansehen, wie der Ruf »Mutter« noch in ihrem Herzen nachzittert.
Sie merkt seinen Blick auf ihren Wangen. Das Blut steigt ihr zu Kopf.
Wenn er jetzt seine Arme um sie legen würde, so daß sie fühlte, daß er es ihretwegen, nicht der Knaben wegen täte, dann wäre alles gut.
Sie wendet den Kopf halb zu ihm um, so daß sie von der Seite seinen Blick fängt. Sie liest darin, daß er seine mutterlosen Knaben nennen will.
Das tut ihr weh. Sie wendet ihm ihr Gesicht enttäuscht zu und schüttelt den Kopf, als habe er bereits gefragt.
Dann läuft sie zu den Knaben an den Strand und ruft sie beim Namen. Sie fassen ihre Hände und zeigen ihr eifrig die Festung, die sie gebaut haben.
Svend folgt ihr langsam, mit festgeschlossenen Lippen.
Die neue Büfettmamsell, Fräulein Franzen, war eine lange und dünne Person, mit strohgelbem Haar und sehr viel Selbstbewußtsein.
Sie hatte sich gleich in den Kopf gesetzt, daß sie Hotelbesitzersfrau werden wollte; und kaum hatte sie sich zurechtgefunden, als sie anfing, ihre Netze nach Svend auszuwerfen, indem sie ihm auf dem Gang auflauerte, wo es dunkel und eng war, sich jeder Zeit diensteifrig erwies und seinen Blick festzuhalten versuchte. Er entdeckte es nicht, bevor Lisbeth ihn eines Tages auf ihrer gewöhnlichen Spaziertour damit neckte. Da ärgerte er sich darüber und gab von nun an seine Befehle durch Lisbeth.
Fräulein Franzen fühlte sich gekränkt und ging einige Tage mit einer roten, verweinten Nase umher.
Der alte Hagensen aber, der, nachdem er sich auf das Altenteil gesetzt hatte, überall und nirgends war, sah und merkte alles – er hatte eines Abends gehört, daß Svend »Lisbeth« zu Fräulein Ström gesagt hatte. Seit der Zeit war er auf dem Posten.
Er stand manchen Abend auf seine Stöcke gestützt und guckte von seiner Dachetage über das Geländer, wenn er hörte, daß Svend und Lisbeth unten auf der Treppe mit Abschließen beschäftigt waren. Obgleich es ihm nie glückte, den Laut eines Kusses aufzufangen, war er doch davon überzeugt, daß die beiden etwas miteinander hatten.
Er glaubte, daß nur sein langsamer Gang an den beiden Stöcken, die noch dazu Spektakel machten, schuld seien, daß er nie etwas entdeckte. Da bekam er den Einfall, Fräulein Franzen aufzuhetzen.
»Es nützt Ihnen doch nichts,« sagte er eines Tages zu ihr, während er seinen Nachmittagskaffee am Büfett trank, »daß Sie Ihre Augen auf ihn werfen.«
»Ich? Was soll das heißen?«
Fräulein Franzen fuhr beleidigt in die Höhe und stemmte ihre Hände in die Seiten.
Hagensen fuhr ruhig fort:
»Er hat alles, was er braucht. Können Sie das nicht sehen?«
Hagensen machte eine Bewegung nach Lisbeth hin, die gerade mit ihrer Schürze voll Eier, die sie aus dem Hühnerhaus geholt hatte, über den Hof ging.
Fräulein Franzen vergaß es, beleidigt zu sein. Es ging ihr ein großes Licht auf, und von diesem Augenblick an steckten sie und der alte Hagensen die Köpfe zusammen.
Lisbeth merkte bald, das etwas vorgefallen war.
In dem Gruß des Hausknechtes lag etwas Unbestimmbares, das ihre Aufmerksamkeit wachrief.
Der Portier nickte familiär, wenn sie vorbeiging, als habe er Lust, das eine Auge zuzukneifen, wenn er es nur gewagt hätte.
Die Mädchen lächelten auf eine eigene Weise, wenn sie ihnen einen Auftrag gab. Nur Fräulein Franzen schien um verändert. Sie war eher höflicher und ehrerbietiger als früher.
Selbst der alte Hagensen, mit dem Lisbeth Mitleid hatte und dem sie es so gemütlich wie möglich zu machen versuchte, schmunzelte, wenn er von Svend sprach.
Fräulein Franzen erfand einen ganzen Roman, an den sie schließlich selbst glaubte –, von den Knaben, die in Wirklichkeit Lisbeths seien; sie sprach verblümt davon, daß man eigentlich zu gut sei, um diesen Skandal mit anzusehen.
Als es Lisbeth schließlich klar wurde, worüber man munkelte, sagte sie es Svend. Er aber lachte und meinte, man solle sie reden lassen. Sowohl sie als auch er seien ja selbständige Menschen.