Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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24

Am Herbst wurden Svend und Lisbeth in der kleinen Kirche in Sandöre getraut.

Niemand wußte von dem Tage, ausgenommen die Fischer. Sie waren in ihrem besten Staat vertreten und begleiteten sie zum Wirtshaus, wo Svend ein Hochzeitsessen gab.

Erst Tags darauf wurde die Begebenheit in Aaberg bekannt.

Seit Svend bei Christensens aus und ein ging, hatten die Klatschbasen der Stadt genug zu reden bekommen. Es war durchgesickert und von dem Schiffsbauer selbst bestätigt worden, daß die Knaben ehelich geboren waren. Svend sei wirklich verheiratet gewesen und Lisbeth sei nicht ihre Mutter.

Nur »der Feine« von 1888 war noch immer zurückhaltend. Die Hochzeit veränderte nichts an der Sachlage. Das wäre ja nur die offizielle Bestätigung, daß etwas Wahres an den Gerüchten gewesen sei. Die Entrüstung war nun einmal in der guten Stadt geweckt worden.

Frau Christensen machte mit ihrem Mann eine feierliche Visite im Hotel. Agnete hatte eigentlich nicht mitgehen wollen; der Schiffsbauer aber, der den größten Respekt vor Svend hatte und ihn außerdem seit der Geschichte mit der Stadtratswahl etwas fürchtete, hatte ein Machtwort gesprochen. Er hatte es durchgesetzt, daß sie in dem neuen Coupé hingefahren waren, eine von Aabergs Sehenswürdigkeiten. Die ehemalige Büfettmamsell sollte doch wissen, in welche Gesellschaft sie durch die Verdienste ihres Mannes gekommen war.

Lisbeth war glücklich. Das zärtliche oder wehe Lächeln, das Svend nicht hatte vergessen können, war auf ihre Lippen zurückgekehrt und schien nicht wieder weichen zu wollen.

Svend fühlte so viele neue Kräfte in sich, daß er sich Gewalt antat, damit die unvorsichtige Übereilung seiner ersten Jugend sich nicht wieder seiner bemächtigen sollte, jetzt, wo es galt, vorsichtig und besonnen zu sein.

 

Der Bürgermeister saß eines Vormittags in seinem hübschen Studierzimmer, wo die eine Wand Reproduktionen bedeutender Künstler aus der Renaissancezeit geweiht, während die andere teils Familienporträten vorbehalten war, teils einer Auswahl bekannter Politiker, die seit dem goldenen Zeitalter der Nationalliberalen – ein Lieblingsausdruck des Bürgermeisters – die konservativen Interessen des Landes gewahrt hatten.

Er saß in seinem Lehnstuhl am Fenster und hatte einige Akten vor sich, von denen ein größerer Haufe auf dem Schreibtisch lag.

Als er zufällig seinen Blick hinter der Brille hob, sah er den Hotelbesitzer Byge schräg über die Straße auf seine Villa zukommen.

Was in aller Welt will dieser Mensch hier?

Der Bürgermeister wollte gerade klingeln, um sich verleugnen zu lassen, aber seine Neugierde siegte. Er setzte sich schleunigst zurecht, nahm Svends Karte entgegen und sagte dem Stubenmädchen, daß er zu Hause sei.

Einen Augenblick später stand Svend in der Tür und verbeugte sich.

Der Bürgermeister hatte sich halb erhoben, sagte guten Tag und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen.

Er war etwas erstaunt über Svends Auftreten. Merkwürdig, was solche Art Leute – Kellner oder Portier oder was er ursprünglich gewesen sein mochte – sich für eine Sicherheit im Auftreten anzueignen vermochten.

»Sie wünschen?«

Der Bürgermeister nahm seine Brille ab, setzte sich im Stuhl zurecht, schlug das eine Bein über das andere und gab mit einer Handbewegung zu verstehen, daß es seine Pflicht als Bürgermeister sei, alle Leute der Stadt, ohne Ansehen der Person, anzuhören.

Svend ging geradeswegs auf die Sache los. Er hatte sich genau überlegt, was er sagen wollte und faßte sich kurz.

Er käme, um den Bürgermeister zu bitten, Vorsitzender in einem Komitee zu werden, das aus dem Schiffsbauer Christensen, aus drei der angesehensten Sandörer Fischer und aus ihm selbst bestehe. Ein Komitee, dessen Aufgabe es sei, zur Förderung von Fischereiangelegenheiten zu wirken.

Der Bürgermeister ließ vor Überraschung die Unterlippe hangen. Er beugte sich vor, um besser hören zu können.

Dies war eine große Überraschung. Sein alter Gegner, der Matador Christensen, hatte nach ihm geschickt!

Svend gab ihm nicht viel Zeit zum Grübeln. Er schilderte in großen Zügen, um was es sich handelte. Man meinte, daß man hier in Aaberg als in der am meisten interessierten Hafenstadt den Anfang machen und die ersten Geldbeträge zeichnen lassen wollte. Man hatte sich die Sache nämlich als ein Aktienunternehmen gedacht.

Dem Bürgermeister imponierte die Sache gegen seinen Willen.

Es war ein schöner Plan. Er erkannte, daß etwas Bedeutendes für die Stadt daraus werden konnte und verstand sofort, daß Christensen die Schiffe bauen sollte. Es würde durch die Zeitungen des ganzen Landes gehen. Nichts weniger als eine nationale Sache.

Aber es war ja ganz unmöglich, daß – –

So eine Sache mußte von oben ausgehen. Man mußte zur Hauptstadt reisen und mit dem Ministerium konferieren. Bis es so weit war aber – –

»Das ist ja ein sehr hübscher Gedanke, den Sie mir da entwickelt haben,« sagte er schließlich, »ich will auch nicht behaupten, daß ich ihn an und für sich für undurchführbar halte. Aber Sie übersehen, mein Lieber, daß diese Sache von oben ausgehen muß, ebenso wie es ganz unmöglich ist, die Subvention – ich meine die Stütze des Staates zu entbehren.«

»Es ist auch die Absicht des Komitees, die Hilfe der Regierung in Anspruch zu nehmen. Die Initiative aber muß doch von außen kommen – ich meine von den interessierten Parteien selbst.«

»Die Initiative muß von außen kommen –« woher hatte ein ganz gewöhnlicher Provinzhotelwirt solche Worte?

Der Bürgermeister wurde gereizt. Das war der Geist der neuen Zeit. Es endigte noch damit, daß alle Beamten ganz überflüssig würden, wenn ein paar gewöhnliche Bürger und drei einfache Fischer derartige Sachen hinter ihrem Rücken ins Leben riefen. Es war gewiß das Beste, abzuwinken.

»Ich erkenne den guten Willen, der dem Plan der Herren zugrunde liegt, gern an, aber ich will Ihnen nicht verbergen, Herr – Herr Byge –, daß zwischen den Sachverständigen im – eh – Ministerium kaum Stimmung sein wird, sich dieser Sache auf diesem Wege anzuschließen!«

»O doch,« meinte Svend und lächelte, »ich glaube, Sie unterschätzen die Herren.«

Der Bürgermeister warf ihm einen konsternierten Blick zu.

»Sie – Sie glauben? –«

»Ich kenne die Herren ein wenig und –«

»Hier handelt es sich nicht um die Abgeordneten!« platzte der Bürgermeister heraus. Es würde ihn nicht wundern, wenn diese Leute sich bereits einige Volksvertreter gesichert hätten.

»Nein,« sagte Svend ruhig, »ich meine das Departement für Fischerei und Hafenangelegenheiten.«

»Sie kennen die Herren im –?«

Der Bürgermeister starrte ihn mit runden Augen an. War es Frechheit oder –?

»Ich habe selbst dort gearbeitet.«

»Sie –?«

»Ich habe vor acht Jahren meinen Abschied als Assessor genommen.«

Der Bürgermeister hatte sich unwillkürlich erhoben.

»Sie? – Assessor –? Ja, haben Sie denn –?«

»Ja, ich habe Jura studiert.« Svend unterdrückte ein Lächeln.

Der Bürgermeister war zuerst sprachlos. Dann zog er seine Weste herunter, strich sich seinen grauen Schnurrbart und nestelte an seinem Kragen. Er betrachtete Svend mit ganz anderen Augen und verstand plötzlich, daß er einen akademisch gebildeten Mann, einen Mann aus seiner eigenen Klasse, vor sich hatte. Hier mußte er schleunigst einen Fehltritt gutmachen.

Der Bürgermeister streckte ihm die Hand entgegen und lächelte kollegial, fast vertraulich.

»Es freut mich sehr, Herr Byge, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.«

Dann ging ihm ein neues Licht auf. Er behielt Svends Hand in der seinen und sah zu der Wand hinüber, wo die alten verdienstvollen Politiker hinter Glas und Rahmen hingen und mit ernsten Mienen auf die Nachkommen herabsahen.

»›Byge‹ – Sind Sie vielleicht –?«

Der Bürgermeister zeigte auf, die bekannten Züge des Konferenzrates.

Jetzt mußte Svend offen heraus lachen:

»Ja, Herr Bürgermeister, Kasper Byge war mein Onkel.«

Der Bürgermeister sah einen Augenblick feierlich aus. Dann drückte er Svend wieder die Hand.

»Aber so setzen Sie sich doch, mein lieber Herr Byge! Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten ? – So, Sie rauchen nicht vor Mittag – Sehr vernünftig! – Was ich sagen wollte, ich kann nicht vergessen, daß Sie solange uns allen gegenüber Ihr Inkognito gewahrt haben.«

Der Bürgermeister überlegte einen Augenblick, ob er ihn seiner Frau vorstellen sollte. Aber er gab den Gedanken doch wieder auf. Dann erinnerte er sich der bedauernswerten Angelegenheit mit der Volksschule.

»Erlauben Sie mir eine Frage rein privater Natur. Eine Sache ist mir vollständig unerklärlich, jetzt, wo ich weiß, wer Sie sind. Warum haben Sie eigentlich Ihre Knaben in die Volksschule geschickt? Der Umgang dort muß sie ja herabziehen – selbst mit dem besten häuslichen Beispiel vor Augen,« beeilte der Bürgermeister sich hinzuzufügen, da ihm im selben Augenblick die Gerüchte, die über das Privatleben des Hotelbesitzers im Umlauf waren, einfielen.

»Solange meine Knaben die einzigen aus den sogenannten besseren Klassen sind,« sagte Svend, »werden die anderen, die Arbeiterkinder, natürlich den Ton angeben. Aber sowohl Herr Christensen wie mehrere andere sind ja bereits meinem Beispiel gefolgt. Und Sie werden sicher einräumen, Herr Bürgermeister: wenn alle es täten, so würden schließlich unsere Kinder den Ton angeben und die anderen mit nach oben ziehen.«

Der Bürgermeister dachte nach. Von der Seite hatte er die Sache noch nicht betrachtet, möglich, daß Herr Byge recht hatte.

»Übrigens hat es noch einen anderen Grund. Ich wollte meine Knaben abhärten und sie daran gewöhnen, von Kind auf mit einfachen Leuten wie Kameraden zu verkehren.«

»Abhärten!« Der Bürgermeister verweilte nachdenklich bei dem Wort, »sehr anerkennenswert. Aber dazu haben wir ja Sport und dergleichen – Ihre Knaben sollen doch keine Handwerker werden –«

»Nein, aber sie wollen in die Fischereilehre.«

Der Bürgermeister schnappte nach Luft.

In die Fischereilehre! hatte er richtig gehört?

»Ach so – in die Fischereilehre?« wiederholte er unsicher.

Svend wurde eifrig. Das Erstaunen des Bürgermeisters wirkte auf ihn wie ein Angriff von derjenigen Schicht der sozialen Gesellschaft, der er selbst durch Geburt angehörte. Er entwickelte jetzt auch den Teil seines Planes, den er bis jetzt verschwiegen hatte: Daß es darauf ankäme, die Fischerei als Erwerb mit der Landwirtschaft, dem Handel und dem Handwerk gleich zu stellen.«

»Wir müssen nicht nur Geld, sondern auch junge Leute haben,« schloß er, »wenn die Fischerei ein wirklicher neuer Erwerb, eine neue Einnahmequelle für das Land werden soll.«

Der Bürgermeister war unter demselben Geist des Idealismus aufgewachsen, von dem auch Svend seinerzeit getragen worden war und der tief in dem dänischen Gemüt wurzelte. Als darum die persönlichen Schwierigkeiten und Standesvorurteile überwunden waren, so daß der rechtschaffene Wille des Gemütes sich frei zu rühren vermochte, war er gleich für die Sache gewonnen. Um nichts zu übereilen, bat er sich einige Tage Bedenkzeit aus. Svend aber merkte, daß dies nur ein Opfer sei, das er seiner Bürgermeisterwürde brachte. Er würde sicher Vorsitzender des Komitees werden. Jetzt galt es nur dafür zu sorgen, daß er sich auf keine andere Weise betätigte als – das Unternehmen durch seinen Namen zu schmücken, die notwendigen Reden zu halten und zu unterschreiben.


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