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Zeitig im Frühjahr begann Svend seine große Agitationsreise, während Lisbeth zu Hause blieb und das Hotel leitete.
Er fing in Sandöre an, wo er von alt und jung gekannt und geliebt war. Von dort zog er die Küste hinauf, von Fischerdorf zu Fischerdorf.
Nachdem das erledigt war, ging er landeinwärts, reiste von Städtchen zu Städtchen und rief die Leute zu öffentlichen Versammlungen zusammen, damit sie hören sollten, was er ihnen zu sagen hatte.
Der Artikel des Bürgermeisters »Wahrer Patriotismus« war in den Provinzzeitungen nachgedruckt worden und schließlich in den Zeitungen der Hauptstadt. Die Sache war auf diese Weise Svend vorausgeeilt und hatte die Gemüter dafür empfänglich gemacht.
Svend hielt überall denselben Vortrag. Er begann theoretisch und historisch und endigte praktisch und modern. Er forderte jede Stadt, jedes Kirchspiel auf, ein örtliches Komitee zu bilden, bei dem die Leute der Gegend Beiträge zeichnen konnten. Er verwies die Zweifelnden, die nicht wußten, wo sie ihr Geld und ihre Knaben anbringen sollten zu einer Zeit, da alle Geldanlagen unsicher und alle Ernährungswege überfüllt waren – auf diesen neuen Erwerb, der all die jungen Kräfte gebrauchen konnte, die früher auswanderten, ja noch viel mehr, und auf diese Weise würden ihre Kräfte und ihre Erwerbsfähigkeiten dem Lande erhalten bleiben. Er bat sie, ihre Knaben einzuschreiben, solange sie noch klein waren, damit sie zeitig abgehärtet und der Tätigkeit, die sie erwartete, angepaßt werden könnten.
»Die beste Wehr für unser Land,« schloß er, »ist ein kräftiges Geschlecht. Was wir für Dänemark tun wollen, das müssen wir durch unsere Kinder tun. Unsere Kinder aber werden das, was wir und unsere Institutionen aus ihnen machen.«
Als Svend im Herbst zurückkam, war das ganze Land auf sein neues Unternehmen aufmerksam gemacht worden. Die seinen Vortrag nicht gehört hatten, hatten die Referate in den Zeitungen gelesen.
Auf Svends Aufforderung hatten die vielen kleinen Komitees in Gemeinschaft größere gewählt, eins für jeden Amtsbezirk.
Anfang September traten Ausgesandte aller Komitees zu einer Reichsversammlung in Aaberg zusammen, wobei der Bürgermeister den größten Tag seines Lebens hatte, indem er einer Versammlung angesehener Leute aus allen Gegenden des Landes präsidierte.
Die Delegierten wählten aus ihrer eigenen Mitte ein Reichskomitee von fünfzehn Mann. Und als dieses seine erste konstituierende Versammlung abhielt, erwählten sie einstimmig Svend zum Vorsitzenden.
Zum erstenmal seit die Glocken das neue Jahrhundert einläuteten, war Svend wieder in Kopenhagen.
Er hatte den Auftrag bekommen, Prinz Adolph, dessen Interesse für das Fischereiwesen allgemein bekannt war, als Protektor für das Komitee zu gewinnen.
Jetzt stand er im Palais und bat um eine Audienz. Während der Lakai den jourhabenden Offizier holte – es ging jetzt steifer zu, nachdem der Prinz sich mit einer österreichischen Prinzessin verheiratet hatte –, dachte Svend daran, wie anders sein Leben sich gefügt hatte, seit er zum erstenmal mit dem Prinzen zusammengetroffen war.
»Guten Tag!«
Es war Flindts kugelrunder Kopf mit dem schneidigen Schnurrbart. Das Haar an seinen Schläfen war etwas ergraut, die launigen Fältchen um die Augen waren zahlreicher geworden; sonst war er ganz der alte geblieben.
Er hielt Svends Karte in der Hand und versuchte sich zu orientieren; als Svend ihm aber lächelnd die Hand entgegenstreckte, erkannte er ihn.
»Sie sind es wirklich? Es ist lange her, seit' wir uns gesehen haben.«
»Aber Sie haben mich doch wiedererkannt, Herr Leutnant.«
»Hauptmann, wenn ich bitten darf!«
Er war außerordentlich liebenswürdig, klopfte Svend die Schulter, lächelte und sprach, wagte aber Vergangenes nicht zu berühren. Er wußte ja noch, wie Svend plötzlich nach der großen Enttäuschung wegen der Erbschaft aus seinem Kreise verschwand.
Als er Svends Auftrag hörte, wurden seine Augen rund vor Erstaunen.
»Was sagen Sie da? Sie sind das mit der Fischereiangelegenheit?«
Er drückte ihm in aufrichtiger Freude die Hand.
»Dann sind Sie ja ein berühmter Mann geworden! Natürlich kenne ich die Angelegenheit, und ich will Ihnen sagen, daß der Prinz – oh, das wird Seine Durchlaucht freuen! Darauf können Sie sich verlassen! – Entschuldigen Sie mich einen Augenblick!«
Der Hauptmann eilte hinaus, daß seine Sporen klirrten. Svend konnte die Stimme des Prinzen unterscheiden. Dann kam Flindt wieder herein, ließ die Tür halb hinter sich offen stehen und verbeugte sich lächelnd: »Bitte!«
Der Prinz kam Svend mit ausgestreckter Hand entgegen.
Auch ihn hatten die Jahre gezeichnet. Der Schleier vor den Augen war dichter geworden, und der Kopf saß loser auf dem schlanken Hals als ehemals.
»Guten Tag, guten Tag, mein lieber Byge! Ich gratuliere zu Ihrem großen Unternehmen! Ich habe dasselbe mit allergrößtem Interesse verfolgt, habe auch Ihren Namen in der Zeitung gelesen, ahnte aber nicht, daß es derselbe Byge sei, den ich einst so gut kannte. – Hm! – Man sagte mir, daß Sie sich im Auslande aufhielten.«
»Dort bin ich auch fünf Jahre gewesen, Durchlaucht!«
Svend fühlte eine kribbelnde Lust, ihm zu erzählen, wo und was er gewesen war. Es hätte ihn belustigt, zu sehen, wie der Prinz es mit Anstand hinnehmen würde. Aber er beherrschte sich. Der Prinz fuhr fort:
»Eigentlich hätte ich mir ja denken können, daß Sie es seien. Ich erinnere mich Ihres warmen Interesses für – eh – auf eine Weise bin ich es ja, der Sie über die Taufe gehalten hat, nicht wahr? Ich und Juhl, Bürochef Juhl. – Ach ja, die alten Zeiten, als wir uns mit der voluminösen Fischereivorlage beschäftigten!« Der Prinz strich sich mit seiner flachen, weißen Hand über die Stirn.
»Aber setzen Sie sich doch, setzen Sie sich doch, mein lieber Byge!«
»Durchlaucht, ich komme zu Ihnen im Auftrage des Reichskomitees, dessen Vorsitzender ich bin. Ich möchte Sie bitten, uns die Ehre zu erweisen, das Protektorat zu übernehmen.«
»Ah – das Protektorat! – Ich soll der Protektor des Unternehmens sein!«
Die plötzliche Müdigkeit, deren Svend sich so gut erinnerte, legte sich über das Gesicht des Prinzen.
»Man meint, daß es die Sache stützen wird, teils dem großen Publikum, teils der Regierung gegenüber.«
»Sehr ehrenvoll! – Wollen Sie dem Komitee meinen Gruß und Dank übermitteln!« fügte er entschlossen hinzu. »Wie gesagt, ich interessiere mich lebhaft für das hübsche Unternehmen und bin gern bereit auf die – eh – gewünschte Weise zu tun, was in meiner Macht steht.«
Als die Feierlichkeit hiermit überstanden war, sagte der Prinz auf seine alte natürliche Art:
»Na, und jetzt wollen wir also die Stütze der Regierung suchen!« Es legte sich ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel.
»Ich denke, es wird nicht schwierig sein, sie zu erlangen; wir sind jetzt ja so demokratisch geworden.«
»Ja!« sagte Svend und lächelte verständnisvoll.
»Kammerherren gibt's nicht mehr im Ministerium,« fuhr der Prinz heiter fort und strich sich übers Gesicht. »Ach ja, ja, erinnern Sie sich unseres alten Freundes Tithoff? Er genießt jetzt eine wohlverdiente Ruhe auf seinem Landgut und züchtet Truthähne. Und darin soll er eine hervorragende Autorität sein.«
Svend konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, der Prinz aber bewahrte seinen Ernst.
»Sehr verdienstvoll,« sagte er, »aber dann ist da ja Welten – wie? – haben Sie an den nicht gedacht?«
»Ich glaubte nicht, daß Geheimrat Welten nach dem Systemwechsel – –«
»Bewahre, lieber Byge – Geheimrat Welten ist der Mann, der er immer gewesen ist, er ist eine Institution.«
»Durchlaucht meinen vielleicht, daß es klug wäre, die ökonomische Seite der Sache in seine Hand zu legen?«
»Ja, Sie sollten versuchen, die vereinigten Privatbanken zu gewinnen.«
»Als Protektor haben also Durchlaucht nichts dagegen, daß ich mich an Welten wende?«
Der Prinz sah schalkhaft zu ihm auf. Svend verstand, woran er dachte. Der Prinz kannte ja die ganze alte Geschichte, die Svend seinerzeit den Hals gebrochen hatte.
Svend erwiderte das Lächeln und sagte:
»Ich habe ja die Ehre, Geheimrat Welten von früher zu kennen.«
»Ah – ja so!« Sie lachten alle beide. Der Prinz erhob sich, drückte ihm die Hand zum Abschied und sagte:
»Sie dürfen gern verraten, daß ich das Protektorat übernommen habe.«