Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Zweiter Band
Laurids Bruun

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7

Als Svend auf die Straße kam, war es halbdunkel.

Die Laternen wurden gerade angezündet. Geschäftsleute eilten nach Hause. Es lag ein festlicher Ausdruck auf allen Gesichtern: der letzte Tag des alten Jahrhunderts!

Ein Schuljunge knallte gerade vor seinen Ohren eine Pistole ab. Er schreckte zusammen, während der Junge und sein Kamerad eine schallende Lache hinter ihm hersandten.

Eine Straßenbahn klingelte und klingelte, um durch das Wagengedränge hindurchzukommen.

Kutscher knallten mit den Peitschen und riefen sich gegenseitig »Prost Neujahr« zu.

Überall war ein Leben, eine Erwartung und eine Freude, als gäbe es ein Jubelfest im Lande.

Der Lärm tat Svends Ohren weh. Das Licht blendete ihn. Unwillkürlich bog er in eine stille Seitenstraße ein. Weltens trockene Stimme klang ihm noch in den Ohren; er konnte nicht über seine letzten Worte hinwegkommen.

Sein Bewußtsein war wie gelähmt. Ihm war weder gut noch schlecht zumute, nur so seltsam leer – und dann so eiskalt, daß es ihn schauderte.

Er ging und ging, bis der Stadtwall sich vor ihm erhob. Mechanisch folgte er dem Pfad, der hinaufführte. Oben strich der Wind ihm von der anderen Seite des Festungsgrabens entgegen. Er blieb stehen und starrte ins Leere, bis er von fernem Feuerwerklärm geweckt wurde.

Da atmete er schwer auf.

Altjahrsabend!

Der letzte Atemzug des alten Jahrhunderts.

Noch vor einer Woche hatte er ungeduldig in das neue gestarrt, das ihm alles verhieß, wovon er geträumt hatte.

Und jetzt – ach, Gott im Himmel!

Er wurde von einem plötzlichen Schluchzen geschüttelt.

Dann weinte er sich still aus und begann wieder ohne Ziel zu wandern, indem er dem Pfad der beständig sich schlängelnden Festungslinie folgte.

Seine Gedanken hatten keinen Halt mehr. Sie schwirrten ein und aus wie eine weiche Masse, die sich bald hier, bald dort zusammenklumpt, um wieder auseinander zu gleiten und neue Formen und Richtungen anzunehmen.

Es fror ihn, er schlug den Rockkragen hoch und erinnerte sich daran, daß er seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte.

Ein heftiges Verlangen nach einer warmen, behaglichen Stube und nach heißem Essen, das ihm Kraft und Mut zurückgeben konnte, überfiel ihn.

Er stieg den Wall hinunter und eilte über die Brücke.

Dort hinten winkten die erleuchteten Fenster eines Vorstadtrestaurants.

Sitzen und sich wärmen, ungesehen und ungekannt, essen und trinken, in einer Sofaecke schlummern und von Neujahrsgedanken und seinem schlimmen Leben verschont bleiben.

Er hatte das feste Menü für eine Krone gegessen und saß jetzt in die Sofaecke gedrückt, mit einer Tasse Kaffee vor sich.

Außer ihm waren keine Gäste in dem langen Raum, der von hochlehnigen Plüschsofas in kleine Abteilungen geteilt war.

Die Kellner hatten wohl bis auf den einen, der ihn bedient hatte, frei. Er stand dort hinten über das Billard gebeugt und las in einem Witzblatt.

Svend hörte in seinem Halbschlaf, daß hinter dem Büfett etwas vorging. Die Mamsell schien abgelöst zu werden. Zwei Frauenstimmen sprachen vom Wetter und wünschten sich ein glückliches Neujahr.

Der Kellner trat hinzu und erzählte, daß die Kirchenglocken das neue Jahrhundert eine ganze Stunde nach Mitternacht einläuten sollten.

Eine Tür wurde geschlossen, der Kellner kehrte zu seinem Witzblatt zurück. Die neue Mamsell zog eine Schublade heraus, rasselte mit Geld und wurde darauf ganz still.

Svend wartete auf den Schlaf. Er war so unsagbar müde und frei von Gedanken, jetzt, wo er gesättigt und durchwärmt war. Aber jedesmal, wenn er dicht am Einschlafen war, störte ihn etwas und hielt den Schlaf zurück.

Er richtete sich auf und bettete seinen Kopf bequemer gegen die Plüschlehne; aber das Störende war wieder da.

Da öffnete er die Augen und blickte in die Richtung, von wo die Störung kam. Es zog wohl von einer offen stehenden Tür her.

Aber es war nichts zu sehen außer dem Büfett, das durch einen Schenktisch von dem Gastzimmer getrennt war.

Merkwürdig. Es zog noch immer, so daß er sich wieder umwenden mußte.

Dieses Mal traf sein Blick die Mamsell, die die Arme auf den Schenktisch gestützt hielt und ihm den Kopf zugewandt hatte. Was sie für hübsche, weiße Hände hatte! Und wie sie ihn ansah, als ob sie ihn kenne!

Er wandte den Kopf unwillig ab. Als er ihren Blick aber noch immer auf sich gerichtet fühlte, drehte er sich wieder um.

Sie hatte sich erhoben und betrachtete ihn jetzt mit Blicken, wie jemand, der nicht länger im Zweifel ist.

Etwas an diesem Blick tat ihm wohl in seiner Einsamkeit.

Er stand auf und trat ans Büfett, um sich einen Kuchen auszuwählen.

Sie standen sich gegenüber. Sie zog ihren Kopf mit dem reichen aschblonden Haar etwas zurück, während ihre blauen Augen ihn groß ansahen; um ihren Mund, der halb geöffnet war, lag ein seltsam zärtliches oder wehes Lächeln.

»Es ist leer hier!« sagte er, während er sich einen Kuchen aussuchte, »aber Sie schließen heute abend wohl auch früh!«

Sie antwortete nicht gleich. Ihre weißen Finger spielten mit der goldenen Uhrkette auf der grauen, gefältelten Bluse, die ihren vollen Busen stramm umschloß.

»Kennen Sie mich nicht?« fragte sie dann mit einer leisen Stimme, die im selben Augenblick sein Herz mit einem Erinnerungsschimmer durchleuchtete.

Er ließ seinen Blick über die ruhigen, blauen Augen schweifen, über die feste, runde Stirn, auf der das Haar sich üppig kräuselte, über die vollen, etwas sommersprossigen Wangen, auf die weichen und doch festen Lippen, um die jetzt wieder das zärtliche oder wehe Lächeln spielte.

Ja, dieses Gesicht –


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