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Die Weihen ( Milvinae) bilden eine artenreiche Unterfamilie, welche in allen Erdtheilen vertreten ist und sich durch Mannigfaltigkeit der Gestalt auszeichnet. Es hält schwer, für die Gesammtheit allgemein gültige Kennzeichen aufzustellen, weil im Leibesbau erhebliche Unterschiede bemerklich werden; doch finden sich so viele Uebergangsglieder zwischen den verschiedenen Arten, daß deren Zusammengehörigkeit kaum in Frage gestellt werden darf.
Die Weihen sind meist gestreckt gebaut; der Hals ist kurz, der Kopf klein oder mittelgroß, der Schnabel regelmäßig schwach, gewöhnlich vom Grunde an gebogen, langhakig, aber nur ausnahmsweise leicht gezahnt, der Flügel regelmäßig lang, mehr oder minder schmal und immer spitzig, der Schwanz ausnahmsweise sehr kurz, häufiger mittellang, gewöhnlich sehr lang und bei vielen tief gegabelt, der Fuß entweder lang und schwach oder kurz und derb, stets aber kurzzehig, mit rundlichen und spitzigen Krallen bewehrt. Das Gefieder, fast immer reich, zeichnet sich durch Weiche aus, umgibt besonders dicht den Kopf und bildet hier ausnahmsweise sogar einen Schleier, wie ihn sonst nur die Eulen zeigen. Dieser Schleier besteht aus langen Federn, welche die große Ohröffnung umgeben und gewissermaßen die Muschel des Ohres ersetzen, da sie auseinander gebreitet und zum Auffangen des Schalles benutzt werden können. Hinsichtlich der Färbung des Gefieders läßt sich höchstens sagen, daß lichte und lebhafte Farbentöne vorherrschen.
Alle Weihen sind vortreffliche Flieger, unterscheiden sich fliegend aber von anderen Raubvögeln sehr wesentlich. Ihr Flug ist selten rasch und niemals stürmend wie bei den Edelfalken, auch kaum durch jähe Wendungen ausgezeichnet, gewöhnlich vielmehr ein ruhiges, gleichmäßiges Schweben ohne Flügelschlag, welches bei einigen Arten zu einem Schaukeln wird. Die Flügelspitzen werden dabei über den Körper erhoben, und das Bild des fliegenden Vogels erhält dadurch etwas sehr eigenthümliches. Auf dem Boden bewegen sich einige Weihen mit vielem Geschicke, andere hingegen äußerst unbehülflich; mit Sumpf und Wasser sind einzelne sehr vertraut. Unter den Sinnen steht ausnahmslos das Auge obenan; diejenigen, welche den Schleier tragen, zeichnen sich auch durch ihr vortreffliches Gehör aus. Feine Empfindung scheint allen gemeinsam zu sein; über Geschmack und Geruch vermögen wir mit Sicherheit nicht zu urtheilen. Die geistigen Fähigkeiten scheinen geringer zu sein als bei den bisher genannten Falken. Die Weihen sind durchgehends nicht besonders klug, zwar listig, neugierig und scheu, aber nicht vorsichtig, raubgierig, aber nicht muthig, eher feig, jedoch dreist, frech und zudringlich; einzelne von ihnen lassen gern andere Raubvögel für sich arbeiten, indem sie ihnen die erfaßte Beute abjagen, sind also mehr Diebe als Räuber. Nur die Bettler unter ihnen bekümmern sich um die Außenwelt, namentlich um andere Raubvögel, welche sie als ihre Arbeiter betrachten, die große Mehrzahl lebt für sich allein und meidet Umgang mit anderen Geschöpfen. Viele halten sich höchstens paarweise zusammen, andere bilden zahlreiche Gesellschaften unter sich und bethätigen Anhänglichkeit und Liebe zu einander. Unstet und ruhelos sind sie alle. Ihre Thätigkeit beginnt mit dem frühesten Morgen, währt, höchstens mit Ausnahme der Mittagsstunden, den ganzen Tag hindurch und endet erst mit Beginn der vollständigen Dämmerung. Man sieht einzelne langsamen Fluges über Steppen, Feldern, Wiesen, Sümpfen und Gewässern dahinstreichen, scharf nach unten spähen, plötzlich etwas aufnehmen und ihren Weg weiter fortsetzen oder gewahrt andere in hoher Luft dahinziehend und wunderbare Flugkünste offenbarend, bis auch ihrem Auge die Tiefe nutzbares bietet. Dann lassen sie sich langsam hernieder und nehmen das gefundene mit raschem Griffe weg; auf längere Verfolgung lassen sie sich nicht ein. Durchaus eigenthümlich ist die Jagdweise einzelner Weihen; denn sie erinnert viel mehr an die Kerbthierjagd der Schwalben als an die Jagd der Raubvögel, und wirklich nähren sich die betreffenden Arten auch nur von Kerfen. Die Beute der Gesammtheit besteht in kleinen Säugethieren, unbehülflichen Vögeln, in Kriechthieren, Lurchen, Fischen und in Kerbthieren, endlich auch in Aas, doch wird dieses nur von den unedleren Arten angerührt. Einige schaden mehr, als sie nutzen; die Mehrzahl macht sich, vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet, verdient.
Der Horst steht auf Felsen, in Mauernischen alter Gebäude oder auf Kirchthürmen, auf Bäumen, in Gebüschen und endlich auf dem flachen Boden. Die Eierzahl schwankt zwischen eins und fünf. Beide Geschlechter scheinen zu brüten, beide lieben ihre Brut außerordentlich und theilen sich redlich in die Mühe der Aufzucht der Jungen.
Alle Weihen werden in der Gefangenschaft bald zahm und einige befreunden sich auch mit ihrem Pfleger; die große Mehrzahl aber ist langweilig und gleichgültig im Käfige, und einige können hier gar nicht gehalten werden. Zur Abrichtung benutzt man bei uns zu Lande keine einzige Art; die Baschkiren aber wissen auch Mitglieder dieser Familie zur Baize zu verwenden.
Ganz Afrika, vom sechzehnten Grade nördlicher Breite an bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung, bewohnt einer der merkwürdigsten aller Raubvögel überhaupt, welchem wir hier die erste Stelle geben wollen, weil er auch in Gestalt und Wesen noch vielfach an den Adler erinnert. Levaillant hat diesem Vogel den bezeichnenden Namen Gaukler gegeben, Smith ihn mit Recht zum Vertreter einer besonderen Sippe ( Helotarsus) erhoben, welche wir die der Schlangenweihen nennen dürfen. Sie kennzeichnen kräftiger, gedrungen gebauter, kurzer Leib, kurzer Hals und großer Kopf mit nackten Zügeln, kräftiger, starkhakiger, ungezahnter Schnabel, kurze, aber starke, dickbeschilderte Läufe mit mittellangen Zehen, deren Nägel wenig gebogen und stumpf sind, sehr lange Flügel, in denen die zweite Schwinge die längste, die dritte etwas länger als die erste und diese länger als die vierte ist, außerordentlich kurzer Schwanz sowie endlich auffallend reiches, aus großen, breiten Federn bestehendes Gefieder.
Färbung und Zeichnung des Gauklers ( Helotarsus ecaudatus, fasciatus, leuconotus und brachyurus, Falco, Theratopius und Circaëtus ecaudatus) sind ebenso auffallend wie seine Gestalt. Ein schönes Mattschwarz, Kopf, Hals, Hinterrücken und die ganze Unterseite einnehmend, sticht lebhaft ab von dem hellkastanienbraunen Mantel, dem ebenso gefärbten Schwanze, dem etwas lichteren Unterrücken sowie einer breiten Flügelbinde, welche durch die, im Gegensatze zu den tiefschwarzen ersten Handschwingen, graulichbraunen, auf der Innenfahne weißen, mit breitem, schwarzem Endrande verzierten letzten vier Hand- und die sämmtlichen Handschwingen gebildet wird. Die Deckfedern der Handschwingen sind schwarz, die der Armschwingen braunschwarz mit braunem Endsaume, die übrigen Oberflügeldeckfedern düsterbraun, heller gerandet, die Unterflügeldeckfedern weiß. Das Auge ist schön braun, goldig glänzend, das Augenlid karminroth, der Schnabel rothgelb an der Wurzel, hornblau an der Spitze, die Wachshaut blaß korallroth, der Zügel morgenroth bis blutroth, in letzterem Falle mit röthlichgelben Flecken, das untere Augenlid weißlich, der Fuß korallroth. Der junge Vogel ist dunkelbraun, auf dem Rücken gewöhnlich etwas dunkler als auf der Unterseite, wo die einzelnen Federn graubräunliche Ränder haben; die Kehl- und Stirnfedern sind lichtbraun, die Armschwingen graubraun. Das Auge ist rothbraun, der Schnabel, einschließlich Wachshaut und Zügel, blau, der Fuß bläulich mit rothem Schimmer. Die Länge des Weibchens beträgt achtundfunfzig, die Breite einhundertdreiundachtzig, die Fittiglänge achtundfunfzig, die Schwanzlänge nur dreizehn Centimeter; das Männchen ist kleiner.
Der Gaukler ist weit über Afrika verbreitet, fehlt nur dem Norden, kommt dagegen vom Senegal an bis zur Küste des südlichen Rothen Meeres und von hier an bis gegen das Vorgebirge der Guten Hoffnung hin überall vor. Er liebt Gebirge, ohne sich jedoch an sie zu binden; ich glaube sogar behaupten zu dürfen, daß er in der eigentlichen Steppe häufiger ist als in bergigen Gegenden. In den höchsten Gebirgen von Habesch hat ihn Heuglin nicht mehr bemerkt, regelmäßig aber auf allen felsigen Bergstöcken, welche sich über die Ebenen des Sudân, meist zusammenhanglos mit anderen Gebirgen, erheben, und ebenso längs der Niederungen und Sümpfe des Weißen und des Gazellenflusses beobachtet. Man sieht ihn sehr oft, ist jedoch selten im Stande, mit ihm genauer bekannt zu werden. Gewöhnlich zeigt er sich fliegend. Er streicht in hoher Luft dahin, stets außer Schußweite, und sucht von oben aus weite Strecken ab. Heuglin erfuhr, daß er schon mit Tagesanbruch die höheren Bäume, auf denen er die Nacht zubrachte, verläßt, und von nun an, anhaltend fliegend, sein Gebiet durchkreist: ich habe ihn so früh nicht in Bewegung gesehen und nur ausnahmsweise kreisend beobachtet, vielmehr fast stets gefunden, daß er in gerader Richtung seines Weges zieht, ohne sich aufzuhalten, es sei denn, daß er eines seiner Flugspiele ausführen wolle oder eine Beute entdeckt habe. In den letzten Vormittagsstunden erscheint er regelmäßig am Wasser, verweilt hier einige Zeit und fliegt dann einem benachbarten Baume zu, um hier stundenlang zu ruhen. Gegen Abend tritt er einen neuen Jagdzug an, und erst bei einbrechender Dunkelheit begibt er sich zur Ruhe. Levaillant sagt, daß man ihn immer paarweise antreffe; ich muß das Gegentheil behaupten: nach meinen Erfahrungen zeigt er sich regelmäßig einzeln. Das Paar scheint ein sehr ausgedehntes Gebiet zu bewohnen und außer der Brutzeit nur selten sich zu vereinigen, vielmehr einzeln seine Wege zu wandeln.
Auch der ungeübteste Beobachter wird den Gaukler erkennen müssen. Seine Erscheinung ist so auffallend, daß sie überall zu Sagen Veranlassung gegeben hat. Speke wurde von den Eingeborenen Ostafrikas allen Ernstes versichert, daß der Schatten des Vogels unheilvoll sei; im Inneren Afrikas dagegen betrachtet man diesen mit einer gewissen Ehrfurcht, weil man ihn als den Arzt unter den Vögeln ansieht, welcher von fernher Wurzeln herbeiträgt, in denen wunderbare Heilkräfte verborgen liegen. Ich habe die anmuthige Sage in meinem »Leben der Vögel« ausführlich behandelt und darf auf das dort gesagte verweisen; ich habe auch schon an anderen Orten erwähnt, daß die Abessinier unseren Vogel »Himmelsaffen« nennen, wogegen die denkträgen holländischen Bauern am Vorgebirge der Guten Hoffnung nur den Namen »Berghahn« für ihn zu finden wußten. Jeder dieser Namen und jede Sage, welche der Gaukler ins Leben gerufen hat, begründet sich auf Gestalt und Betragen des Thieres. Vor allem ist es der Flug, welcher in seiner Art so wunderbar ist wie von keinem Vogel weiter. Meine früher gegebene Beschreibung dieser Bewegung ist von einem kenntnisreichen Freunde als zu dichterisch erachtet worden: ich kann dies aber auch heute noch nicht zugestehen. Nicht umsonst gab Levaillant unserem Raubvogel den Namen Gaukler; denn wie ein solcher bewegt sich dieser Weih in der Luft: er schwimmt, tummelt, spielt, fliegt, als sei es nur, um seines Herzens Lust Genüge zu leisten, nicht aber, um Nahrung zu suchen. Schon Levaillant erwähnt, daß er bisweilen plötzlich eine Strecke herabfällt und die Flügel so heftig zusammenschlägt, daß man glaubt, er habe einen von ihnen gebrochen und müsse auf die Erde fallen: ich habe ihn förmlich Luftsprünge ausführen sehen. Eigentlich beschreiben läßt sich der Flug des Gauklers nicht: er ist einzig in seiner Art. Die Flügel werden oft hoch über den Körper erhoben, viele Minuten lang nicht bewegt und dann wieder so heftig geschlagen, daß man ein eigenthümliches, auf weithin hörbares Geräusch vernimmt. Nur während des Fluges zeigt der Vogel seine volle Schönheit; im Sitzen erscheint er mehr auffallend als anziehend. Namentlich wenn er aufgebäumt hat, sieht er sonderbar aus. Er bläst sich manchmal zu einem wahren Federklumpen auf, sträubt Kopf- und Halsfedern und dreht und wendet den Kopf dabei bald nach oben, bald nach unten, ganz wie ein Uhu. Wenn er etwas auffallendes bemerkt, nimmt er besondere Stellungen an: er breitet dann auch die Flügel aus und begleitet dies durch noch heftigere Kopfbewegungen als sonst.
Unter seinen Sinnen steht das Gesicht unzweifelhaft obenan, wie schon das große Auge hinlänglich beweist; aber auch das Gehör ist wohl entwickelt und das Gefühl nicht verkümmert. Ueber die übrigen Sinne habe ich kein Urtheil. Das geistige Wesen ist eigenthümlicher Art. Eigentlich muthig kann man den Gaukler nicht nennen, obwohl er Kämpfe der gefährlichsten Art besteht; er scheint vielmehr ziemlich feig und gutmüthig zu sein. Im Freileben zeigt er sich außerordentlich scheu, meidet jede andere auffallende Erscheinung, unterscheidet jedoch schwerlich zwischen gefährlichen und ungefährlichen Menschen; in der Gefangenschaft hingegen wird er bald und in hohem Grade zahm, so zahm, daß er förmlich mit sich spielen läßt, wie man mit einem Papagei spielt. Alle Raubvögel leiden ungern, wenn man sie streichelt: der Gaukler scheint ein besonderes Wohlgefallen zu bekunden, wenn man ihn zwischen den Federn seines Halses kraut oder ihn streichelt. Doch muß ich bemerken, daß er sich dies nicht von jedermann, sondern nur von seinen genauesten Bekannten gefallen läßt. Anderen Vögeln gegenüber zeigt er sich höchst verträglich, denkt mindestens niemals daran, irgend einem der größeren, welche man zu ihm bringt, etwas zu Leide zu thun. Ueberhaupt ist er, wenn er sitzt, ebenso still und ruhig, als lebhaft wenn er fliegt. Von gefangenen Gauklern vernimmt man nur höchst selten einen Laut, gewöhnlich ein leises »Qua qua«, seltener ein lauteres »Kack kack« oder ein gellendes »Kau«; im Fluge hingegen stößt er gar nicht selten ein bussardartig schallendes »Hihihi« oder »Hiahia« aus.
Levaillant sagt, daß der Gaukler junge Gazellen, Lämmer und kranke Schafe anfalle, jungen Straußen gefährlich werde und wie ein Geier auf das Aas falle; Heuglin hat ihn als Feind kleiner Säugethiere kennen gelernt. Ich habe nie beobachtet, daß er so große Säugethiere anfällt. Seine Beute besteht in Kriechthieren der verschiedensten Art, namentlich aber in Schlangen und Eidechsen; erstere sieht man ihn oft durch die Lüfte tragen. Ohne vorher zu kreisen oder nach Art eines Bussards oder Thurmfalken zu rütteln, hält er plötzlich in seinem scharfen Zuge an, und wie ein fallender Stein stürzt er sich mit brausendem Geräusche auf die erspähete Schlange hernieder. Er raubt kleine ebensowohl als große, giftzähnige nicht minder als giftlose. Hierauf begründet sich die Sage, welche ich oben erwähnte: die Araber halten die Schlangen, welche der fliegende Vogel aufgenommen hat, für heilkräftige Wurzeln. Wie alle übrigen schlangenvertilgenden Raubvögel Mittelafrikas eilt unser Vogel von weitem herbei, wenn das Gras der Steppe angezündet wird, jagt beständig längs der Feuerlinie auf und nieder und streicht oft durch die dichtesten Rauchwolken hindurch, hart über den Flammen dahin, um eines der Kriechthiere aufzunehmen, welche das Feuer in Bewegung setzte. Daß er auch kleine Säugethiere, Vögel und selbst Heuschrecken erjagt, hat Heuglin durch Untersuchung des Magens festgestellt; daß er auch auf das Aas fällt, unterliegt keinem Zweifel: Kirk erhielt einen, welcher das von einer Hiäne ausgebrochene vergiftete Fleisch gefressen und davon betäubt worden war.
Levaillant sagt, daß der Gaukler auf hohen Bäumen horste und drei bis vier weiße Eier lege; Speke dagegen behauptet, daß der Horst nur ein Ei enthalte. Die Wahrheit scheint in der Mitte zu liegen; denn Heuglin erhielt zwei flügge Junge aus einem Horste. Die Brutzeit fällt mit dem Beginne der Dürre zusammen, weil diese dem Vogel leichtere Jagd gewährt als der Frühling, welcher unter der üppigen Grasdecke die Kriechthiere verbirgt.
In neuerer Zeit sind öfters lebende Gaukler nach Europa gebracht worden, und gegenwärtig fehlen sie in keinem der größeren Thiergärten. Doch gehören sie noch immer zu den gesuchtesten Vögeln, und namentlich die ausgefärbten werden gut bezahlt. In der That fesselt kaum ein anderer Raubvogel den Beschauer so wie der farbenprächtige und außerdem noch durch sein Betragen so auffallende Gaukler. Seine Haltung verursacht kaum Schwierigkeiten. Er ist gewohnt, erhebliche Wärmeunterschiede mit Gleichmuth zu ertragen und kann deshalb in milden Wintern im Freien gehalten werden, läßt sich auch leicht an das gewöhnliche Futter der Raubvögel, rohes Fleisch, gewöhnen und ist überhaupt höchst bescheiden in seinen Ansprüchen. Ich muß ihn nach meinen Erfahrungen für einen der liebenswürdigsten Käfigvögel erklären, welchen die Ordnung überhaupt uns liefern kann.
Die Gleitaare ( Elanus) sind über alle Erdtheile, mit Ausnahme Europas, verbreitet, aber auch hier nicht fremd, weil eine Art von ihnen schon wiederholt sogar in Deutschland vorgekommen ist. Die wenigen Arten, welche man unterschieden hat, ähneln sich außerordentlich. Der Kopf ist groß und rundlich, der Leib gedrungen, der Schnabel kurz und verhältnismäßig hoch, stark gekrümmt und langhakig, die Schneide des Oberschnabels seicht ausgebogen, der vorn zu mehr als die Hälfte befiederte Lauf kürzer als die Mittelzehe, also sehr kräftig, der Fang mit stark gekrümmten, außerordentlich spitzigen Krallen bewehrt, der Flügel, in dessen Fittig die zweite Schwinge alle anderen an Länge übertrifft, sehr lang, so daß er, zusammengelegt, den kurzen, leicht ausgeschnittenen Schwanz überragt, das Gefieder endlich sehr reich, äußerst zart, zerschlissen und seidigweich, wie bei den Eulen.
Der Gleitaar ( Elanus melanopterus, coeruleus, caesius und minor, Falco coeruleus, melanopterus, vociferus, clamosus und soniensis, Buteo vociferus, Elanoides caesius) ist auf der Oberseite schön aschgraublau, auf der Stirne und der Unterseite weiß, auf Flügeldecken und Schultern schwarz. Ein schwarzer Fleck steht vor dem Auge und zieht sich als schmaler Strich über demselben bis zur Schläfe fort. Die Handschwingen, mit Ausnahme der letzten, an der Wurzel innen weißen, sind dunkelaschgrau, an den Spitzen schwärzlichbrann, die Armschwingen aschgrau, innen bis gegen die Spitze hin weiß, die beiden mittelsten Steuerfedern aschgrau, die übrigen weiß, außen mit graulichem Randsaume, die äußersten reinweiß. Das Auge ist prachtvoll hochroth, der Schnabel schwarz, die Wachshaut wie der Fuß orangegelb. Junge Vögel sind oben bräunlichgrau, auf der Unterseite auf lichtgelbem Grunde braungelb in die Länge gestrichelt; die meisten Federn zeigen weiße Ränder. Das Auge ist gelb. Bei dem Männchen beträgt die Länge fünfunddreißig, die Breite achtundsiebzig, die Fittiglänge dreißig, die Schwanzlänge vierzehn Centimeter. Das Weibchen ist etwas größer.
Schon in Syrien tritt der Gleitaar nicht selten auf, in Egypten ist er gemein. Von hier aus verbreitet er sich über ganz Afrika und über Südasien, verfliegt sich auch nicht allzu selten nach Europa, woselbst er nicht allein in Spanien, Süditalien, Griechenland und Dalmatien, sondern auch wiederholt in Frankreich, mehrere Male in Deutschland, in Flandern und in Großbritannien erlegt worden ist. In seinem eigentlichen Wohngebiete liebt er Gegenden, in welchen Wald und Feld abwechseln, meidet also in Nordostafrika die großen, ausgedehnten Waldungen, in denen ihn Verreaux nistend antraf. In den Urwaldungen des Ostsudân ist er sehr selten, in den kleinen Feldgehölzen Egyptens und in den Gärten größerer Orte dagegen häufig zu finden. In Indien kommt er, nach Jerdon und anderen Beobachtern, aller Orten vor, wo die Gegend für seine Jagd sich eignet. Er lebt immer paarweise und vereinigt sich nicht mit anderen seiner Art, es sei denn, daß er Junge habe, welche des Unterrichts noch bedürftig sind. Aber ein Paar wohnt dicht neben dem anderen, und so kann es kommen, daß man zu gleicher Zeit vier bis sechs von ihnen in der Luft schweben sieht.
In seiner Lebensweise hat der Gleitaar manches mit den Bussarden, manches aber auch wieder mit den Weihen und Eulen gemein. Er ist am frühen Morgen und in den Abendstunden besonders thätig, auch in der Dämmerung, wenn andere Tagesraubvögel bereits ihre Schlafstätten aufgesucht haben, noch rege. Zu verkennen ist er nicht, mag er nun fliegend sich bewegen oder auf einer seiner beliebten Warten sitzen. Im Fluge unterscheidet er sich von den meisten Raubvögeln dadurch, daß er seine Flügel hoch hält, das heißt die Schwingenspitzen bedeutend höher trägt als den Leib; im Sitzen erkennt man ihn an seiner blendenden Färbung, welche im Strahle der südlichen Sonne auf weithin schimmert. In Egypten pflegt er auf den Hebestangen der Schöpfeimer, mit deren Hülfe die Bauern ihre Felder bewässern, zu ruhen und heißt deshalb geradezu »Schöpfeimerfalk«. In Nubien wählt er sich einen günstig gelegenen Baum zu seiner Warte und hält von hier aus Umschau. Erblickt er eine Beute oder treibt ihn der Hunger, so streicht er ab und gleitet nun fast ohne Flügelschlag in mäßiger Höhe, höchst selten aber ebenso niedrig wie die Feldweihen, über den Boden dahin, hält sich, wenn er auf demselben ein Mäuschen laufen oder eine Heuschrecke sich bewegen sieht, rüttelnd eine Zeitlang auf einer und derselben Stelle fest, legt plötzlich die Flügel an, stürzt herab und trägt im günstigen Falle die gefangene Beute seiner Warte zu, um sie dort zu verspeisen. Heuschrecken verzehrt er oft auch noch im Fluge, die Mäuse immer auf Bäumen. Ein großes Feld genügt seinen Bedürfnissen; denn auch er ist sehr anspruchslos. Seine Haupt-, ja fast seine ausschließliche Nahrung besteht in Mäusen; Heuschrecken verzehrt er nur nebenbei. Junge Nestvögel verschmäht er natürlich auch nicht, und Wüsteneidechsen nimmt er, laut Heuglin, ebenfalls auf, vergreift sich sogar an Fledermäusen, welche sonst nur noch von einzelnen Eulen erjagt werden.
Der Gleitaar ist ein ebenso anmuthiges wie liebenswürdiges Thier. In Egypten vertraut er den Menschen, weil er ihnen hier wirklich vertrauen darf. Er schwebt ungescheut zwischen den arbeitenden Bauern auf und nieder und legt seinen Horst ohne Sorge auf Orangebäumen an, welche der Gärtner allwöchentlich besucht, um die Früchte abzunehmen. Doch wird auch er vorsichtig, wenn er den mordlustigen Europäer kennen gelernt hat, und scheut sich dann wohl, in Schußnähe zu kommen. Gegen sein Weibchen benimmt er sich sehr zärtlich; um harmlose Vögel bekümmert er sich nicht; starke Raubvögel hingegen verfolgt er eifrig und unter viel Geschrei. Seine Stimme hat Ähnlichkeit mit der unseres Baumfalken; die einzelnen Töne sind aber länger gezogen, fast pfeifend und auf weithin vernehmbar.
Die Brutzeit fällt in Egypten in unsere Frühlingsmonate, im Sudân in den Anfang der Regenzeit. Ich habe mehrere Gleitaarhorste gefunden, den ersten am vierten März auf einem Citronenbaume mit drei flaumigen Jungen, einen zweiten mit drei Eiern am dreizehnten März auf einem Christusdorne, einen dritten mit fünf Jungen am achtzehnten März. Die Eier sind auf grauweißem Grunde höchst unregelmäßig kirschbraun gefleckt und gestrichelt, so daß das Weiß kaum durchschimmert. Ihre Länge beträgt vierzig, ihr Durchmesser an der dicksten Stelle einunddreißig Millimeter. Jerdon behauptet, daß die Eier rein weiß wären, sie mögen also mannigfachen Veränderungen unterworfen sein. Alle Horste, welche ich bestieg, standen auf niedrigen, dichtwipfeligen Bäumen, höchstens sechs Meter über dem Boden, waren flach, aus feinem Reisig erbaut und innen mit Würzelchen und Grashalmen ausgefüttert, wenn sie Junge enthielten, mit Mäusegewölle und Mäusehaaren bedeckt, ja förmlich ausgepolstert.
Jung aus dem Neste genommen, werden die Gleitaare ebenso zahm wie unser Thurm- oder Baumfalk, aber auch alt eingefangene und selbst solche, welche verwundet in die Gewalt des Menschen kamen, zeigen sich bald zutraulich, bedienen sich dem Gebieter gegenüber ihrer scharfen Waffen nicht, und öffnen nur zuweilen drohend den Schnabel, ohne jedoch zu beißen. Das Futter nehmen sie schon nach wenigen Tagen ihrem Wärter aus der Hand. Im Zimmer gewöhnen sie sich rasch ein, scheinen sich überhaupt wenig nach ihrer Freiheit zu sehnen. Mit anderen Vögeln vertragen sie sich aber nicht. Wir erfuhren, daß einer von unseren Pfleglingen einen Sporenkiebitz, welchen wir zu ihm brachten, schon am zweiten Tage des Zusammenseins abwürgte und ausfraß. Die Haltung gefangener Gleitaare fordert übrigens einige Vorsicht. Wenn man sie ausschließlich mit rohem Fleische füttert, gehen sie bald zu Grunde; sie bedürfen, wie die Eulen, einer Nahrung, welche ihnen gestattet, Gewölle zu bilden.
In Amerika leben zwei dem Gleitaare nahe verwandte Raubvögel ( Ictinia), welche wir Schwebeweihen nennen wollen. Es sind kräftig gebaute Weihen mit kurzem, oberseits stark, unterseits schwach gebogenem, kurzhakigem, unregelmäßig gezahntem und ausgebuchtetem Schnabel, schmaler Wachshaut und kleinen rundlichen Nasenlöchern, kurzen, aber kräftigen, vorn mit breiten Schildern bekleideten Füßen, deren Mittelzehe dem Laufe an Länge ungefähr gleichkommt, und deren Fänge mit kurzen, spitzigen, sehr gebogenen, unten etwas ausgehöhlten Nägeln bewehrt werden, langen Fittigen, unter deren Schwingen die dritte die längste ist, mittellangem, etwas ausgeschweiftem Schwanze und weichem Kleingefieder.
Der Schwebeweih ( Ictinia mississippiensis, Falco, Milvus und Nertus mississippiensis) ist siebenunddreißig Centimeter lang und fünfundneunzig Centimeter breit; die Fittiglänge beträgt neunundzwanzig, die Schwanzlänge dreizehn Centimeter. Kopf, Hals, Armschwingen und die ganze Unterseite sind bleifarben, wobei zu bemerken, daß der Kopf von der Stirne an, die Armschwingen von der Spitze her aus Silberweiß allmählich in die angegebene Färbung übergehen; die übrigen Theile, mit Ausnahme der schwarzen Zügel und Augenlider, haben vorherrschend dunkel bleigraue Färbung, welche auf den kleinen Oberflügel- und den Oberschwanzdecken, den Handschwingen und Steuerfedern in Grauschwarz übergeht. Die Wurzeln der Kopf-, Hals-, Schulter-, Brust- und Bauchfedern sind weiß, wodurch bei Verschiebung des Gefieders unregelmäßige Flecke hervortreten, die Handschwingen außen mit einem undeutlich begrenzten braunen Streifen, innen mit großen braunen Flecken verziert. Beim Weibchen sind die hellen Farben dunkler, beim jungen Vogel, welcher dem Weibchen ähnelt, trüber als beim Männchen. Das Auge ist blutroth, der Schnabel schwarz, der Fuß karminroth.
Das Verbreitungsgebiet des Schwebeweihes beschränkt sich auf den äußersten Süden und Südwesten der Golfstaaten von Nordamerika. Einzelne haben sich von hier aus bis Südkarolina, andere bis nach Mississippi und weiter nördlich verflogen, andere sind hier und da im Lande erlegt worden; ihr wirkliches Heimatsgebiet aber sind die angegebenen Länder Texas und Mejiko.
»Wenn der Frühling kommt«, so erzählt uns Audubon, »stellt sich auch der Schwebeweih in dem Gebiete des edlen Stromes ein, dessen Namen er trägt, und wandert seinen Ufern entlang bis gegen Memphis hin. In Louisiana erscheint er um die Mitte des April in kleinen Flügen zu fünf oder sechs und macht sich an den Ufern der Ströme in den Wäldern seßhaft. In das Innere des Landes geht er nicht. Pflanzungen, welche erst kürzlich angelegt wurden und in der Nähe von einem Gewässer liegen, scheinen ihm vor allem zu behagen. Sein Flug ist anmuthig, kräftig und anhaltend und führt den Vogel oft in so große Höhen, daß nur der Schwalbenweih ihm es gleich thut. Oft schwebt jener ohne alle Bewegung in der Luft und zieht regelrechte Kreise, oft wieder jagt er mit plötzlich zusammengelegten Flügeln wie ein Pfeil schief nach unten und stößt dabei bis zum Berühren an Baumzweigen vorüber, aus denen er eine kleine Eidechse oder ein Kerbthier wahrnahm; zuweilen sieht man ihn auch rund um den Wipfel oder Stamm eines Baumes mit bewunderungswürdiger Gewandtheit fliegen, in der Absicht, eine Beute aufzunehmen; dann und wann bewegt er sich im Zickzack, als ob er von einem gefährlichen Feinde verfolgt würde, und manchmal scheint er sich zu überstürzen wie eine Tümmlertaube. Wenn er wandert, fliegt er unstät dahin und zieht gewöhnlich ein Gefolge von Schwalben nach sich; zu anderen Zeiten sieht man ihn in großer Höhe unter den Flügen von Krähen und Aasgeiern, manchmal auch in Gesellschaft des Schwalbenweihes kreisen. Den Aasgeier neckt er gern, bis der Feigling niederfliegt, um dem behenden Weih das ihm unangenehme Spiel zu verleiden. Bei Verfolgung eines großen Kerbthieres, eines Kriechthieres oder kleinen Lurches dreht er seinen Leib zur Seite, streckt die Füße mit geöffneten Fängen aus und packt seine Beute gewöhnlich fast augenblicklich. Er frißt im Fliegen, anscheinend mit ebensoviel Behagen und Bequemlichkeit, als wenn er gebäumt hätte. Den Boden betritt er nie, so lange er gesund ist. Er greift niemals Säugethiere an, obwohl es ihm Vergnügen gewährt, einen Fuchs unter lautem Geschrei und wiederholtem Herabstoßen zu verfolgen; auch Vögel läßt er unbehelligt.« Der Haupttheil seiner Nahrung besteht, laut Ridgway, aus verschiedenen Cikaden und Heuschrecken, zu denen gelegentlich kleine Schlangen kommen. Nicht immer packt er seine Beute mit den Fängen, ebenso oft benutzt er hierzu auch den Schnabel.
Der Horst des Schwebeweihes wird stets auf den obersten Zweigen des höchsten Baumes angelegt, vorzugsweise auf den prachtvollen Magnolien und Weißeichen, welche ein Schmuck aller südlichen Staaten sind. Er ist ein einfacher Bau, welcher dem der gemeinen Krähe ähnelt und aus leicht über einander geworfenen Zweigen besteht, welche oben mit spanischem Moose, Rebenrinden und trockenen Blättern belegt sind. Die zwei oder drei Eier sind rundlich und auf grünlichem Grunde über und über mit tief chokoladenbraunen und schwarzen Flecken gezeichnet. Ein Ei, welches Ridgway untersuchte, ist vierzig Millimeter lang, fünfunddreißig Millimeter dick, also sehr rundlich, und gänzlich ungefleckt. Beide Alten brüten und lieben die Jungen so warm, daß sie dieselben gegen jeden Feind und auch gegen den Menschen mit Muth vertheidigen. Audubon erfuhr, daß ein Paar, dessen Horst er stören ließ, wiederholt hart am Kopfe des emporkletternden Negers vorüberstieß. Die Jungen ähneln schon nach dem Ausfliegen den Eltern und erhalten ihr volles Kleid bereits vor ihrer Abreise nach der Winterherberge.
Der Schwebeweih ist durchaus nicht scheu und läßt sich, wenn er anfgebäumt hat, bequem unterlaufen, aber nicht immer ohne Mühe erlegen, weil er gewöhnlich fliegt und im Fluge sich fast regelmäßig außer Schußweite hält. Auch wenn er aufbäumt, wählt er stets die höchsten Wipfel im Walde, so daß nur ein Schuß mit der Büchse ihn mit Sicherheit in die Gewalt des Jägers bringt. Verwundet sucht er sich nach Art aller Falken zu vertheidigen.
Ein in jeder Hinsicht auffallender und bei aller Einfachheit der Zeichnung prachtvoller Raubvogel Süd- und Mittelamerikas, welcher sich jedoch schon wiederholt nach Europa verflogen und deshalb auch unter den Vögeln dieses Erdtheiles aufgezählt wird, ist der Schwalbenweih ( Nauclerus forficatus und furcatus, Falco forficatus und furcatus, Milvus und Elanus furcatus, Elanoides yetapa, Bild S. 681). Der Leib ist kräftig, der Hals kurz, der Kopf klein, aber lang, der Schnabel ziemlich lang, aber niedrig, schon vom Grunde aus sanft herabgekrümmt, starkhakig, an der Schneide gerade, ohne Zahn oder Ausschnitt, aber tief gespalten, der Fuß kurz und klein, jedoch ziemlich kräftig, der kurze Fang mit stark gekrümmten, äußerst spitzigen Nägeln bewehrt, der Flügel schwalbenartig gebaut, sehr lang und sanft zugespitzt, in ihm die zweite oder dritte Schwinge die längste, der Schwanz außerordentlich entwickelt und so tief gegabelt, daß die äußersten Federn mehr als noch einmal so lang sind als die mittelsten, das Kleingefieder endlich weich. Bei dem alten Vogel ist das ganze Gefieder mit Ausnahme des Mantels, der Flügel und des Schwanzes weiß; letztere Theile sind schwarz, metallischgrün glänzend, die Armschwingen an der Innenfahne bis gegen die Spitze hin rein weiß, die letzten Schwingen nur an der Spitze schwarz. Bei jungen Vögeln bemerkt man am Nacken und Hinterkopfe schwarze Federschäfte und zuweilen dunklere Schaftstriche; das Rückengefieder ist graulich und glanzlos, die unteren Deckfedern haben graue Spitzen, und die letzten Armschwingen sind rein weiß. Das Auge ist kaffee- oder dunkelbraun, der Schnabel schwarz, die Wachshaut blaugrau, der Fuß grünlich lichtblau, die Krallen sind licht hornfarben. Das Männchen ist etwas kleiner als das Weibchen, am Rumpfe reiner weiß und auf den Flügeln glänzender schwarz gefärbt. Die Länge beträgt sechzig, die Breite einhundertunddreißig, die Fittiglänge vierzig bis fünfundvierzig, die Schwanzlänge, an der äußersten Feder gemessen, dreißig Centimeter.
In ganz Südamerika, von Südbrasilien an bis zu den südlichen Vereinigten Staaten, ist der Schwalbenweih ein an vielen Orten vorkommender und stellenweise häufiger Vogel. Die Vereinigten Staaten und Texas bewohnt er nur während der Sommermonate. Er erscheint, laut Audubon, in Louisiana und Mississippi, wo er gemein ist, zu Anfang des April in großen Scharen und verläßt das Land wieder im September. Einzelne schweifen über die Grenzen ihres Verbreitungskreises hinaus und zeigen sich in Pennsylvanien, New York und anderen nördlichen Staaten, sind aber ebenso gut als verflogene anzusehen, wie diejenigen, welche in Europa erlegt wurden. Eigentlich seßhaft sind sie nur im Süden Nordamerikas, in Texas, Mejiko und Brasilien.
Höchst selten sieht man den Schwalbenweih einzeln oder paarweise, gewöhnlich in zahlreichen Trupps, in hoher Luft schwebend oder theilweise aufgebäumt. Solche Flüge zählen zwanzig bis zweihundert Stück. »Der Flug des Schwalbenweihs«, sagt Audubon, »ist überraschend schön und sehr anhaltend. Der Vogel bewegt sich durch die Luft mit solcher Leichtigkeit und Zierlichkeit, daß jeder, welcher auch nur einigermaßen Vergnügen an Beobachtung der Vögel hat, von dem Schauspiele entzückt sein muß. Dahin gleitend, steigt der Weih in großen Kreisen zu unschätzbarer Höhe auf, nur mit dem tiefgegabelten Schwanze die Richtung des Fluges bestimmend, stößt plötzlich hernieder mit der Schnelligkeit des Blitzes, erhebt sich von neuem, segelt weg und ist bald außer Sicht. Ein anderes Mal sieht man einen Schwarm rund um einen Baum oder zwischen den Zweigen hindurch jagen, den Stamm fast berührend, um Kerfe oder kleine Eidechsen zu ergreifen. Die Bewegungen sind bewunderungswürdig schnell und mannigfaltig. Die tiefen Bogen, die plötzlichen Kreise und Querzüge und die außerordentliche Leichtigkeit, mit welcher die Vögel die Luft zerschneiden, muß jeden Beobachter entzücken.«
Die Nahrung des Schwalbenweihs besteht vorzugsweise, zeitweilig ausschließlich in Kerbthieren. Audubon und Ridgway geben an, daß er auch Eidechsen und Schlangen aufnimmt; fast alle übrigen Beobachter behaupten einstimmig, daß er nur auf Kerfe jagt. Dies geschieht ganz in der Weise, wie Schwalben bei ihrer Jagd zu Werke gehen, nur mit dem Unterschiede, daß der Schwalbenweih seine Beute nicht mit dem Schnabel, sondern mit dem Fuße ergreift. »Bei unserer Reise durch die Berge«, erzählt Owen, »sahen wir einen großen Schwarm von Schwalbenweihen niedrig über unserem Wege durch die Luft gleiten. Manche von ihnen schwebten kaum vier Meter über dem Boden weg. Der ganze Haufen hielt sich eng zusammen und erinnerte an unseren Thurmsegler. Die Vögel flogen nicht schnell, aber kräftig und stetig, ohne jegliche sichtbare Bewegung der Flügel. Unser Erscheinen schien sie nicht im geringsten zu behelligen; nicht einmal die Ausrufe des Entzückens, welche mein Gefährte laut werden ließ, alle seine Zeichen und Winke, welche ich umsonst zu verhindern suchte, beunruhigten sie. Einige zogen vier oder fünf Meter an uns vorüber und gaben uns dabei die beste Gelegenheit, ihre Bewegungen genau zu beobachten. Dann und wann wurde ein Haupt langsam und anmuthig gedreht oder niedergebogen, dann zugleich der Fuß, welcher sich vorher zusammengekrampft und einen Gegenstand gefaßt hatte, vorgeschoben, so daß er den bisher geschlossenen Schnabel berührte. In dieser Stellung verblieb der Weih aber nur einen Augenblick. Der Schnabel wurde geöffnet, die Beute verschluckt und das Haupt wieder erhoben. Diese Bewegung wiederholte die ganze Gesellschaft. Die Ursache wurde uns bald klar: die Schwalbenweihen jagten auf eine prächtig gefärbte Bienenart.«
Auch die Vögel kennen den Schwalbenweih als Kerbthierfresser, und einzelne betrachten ihn deshalb mit schelen Augen. »Wir sahen«, theilt uns Burmeister mit, »einen Schwalbenweih, welcher von einem Tyrann verfolgt wurde. Dieser stieß unausgesetzt auf ihn herab und brachte den Falken in nicht geringe Verlegenheit. Der Tyrann hat auf diesen Falken eine wahre Wuth, und wo er ihn erblickt, fällt er ihn an, vielleicht weil er weiß, daß jener ihm die besten Käfer vor dem Schnabel wegnimmt, während er seine Beute nur im Fluge packt und die sitzenden Kerfe unbehelligt läßt.«
»Bei ruhigem und warmem Wetter«, fährt Audubon fort, »segelt der Schwalbenweih in unermeßlicher Höhe dahin, ein großes Kerbthier, Mosquitofalk genannt, verfolgend, und gibt dabei alle Flugkünste zum besten. Sein hauptsächlichstes Futter bilden Heuschrecken, Raupen, kleine Schlangen, Eidechsen und Frösche. Er streicht hart über dem Boden weg, hält zuweilen einen Augenblick an, schwebt hernieder, packt eine Schlange, erhebt sie und zerreißt sie in der Luft.
»Wenn die Raubvögel in dieser Weise jagen, ist es nicht schwierig, ihnen sich zu nähern, wogegen sie sonst sehr scheu sind. Hat man einmal einen von ihnen erlegt, dann erscheinen alle anderen über dem todten, als hätten sie die Absicht, ihn wegzunehmen. Ich habe bei solchen Gelegenheiten verschiedene von ihnen geschossen und so schnell gefeuert, als ich mein Gewehr laden konnte. Sonst hält es schwer, sie zu erbeuten, weil sie bei Tage in hoher Luft fliegen oder zur Nachtruhe die höchsten Bäume an Flüssen und Seen erwählen.« Azara bemerkt, daß einer seiner Freunde, um die ihm sonst unerreichbaren Raubvögel zu erlegen, einen ihnen ähnlich gestalteten und bemalten Drachen steigen ließ, welcher sie herbeizog und in Schußnähe brachte.
»Der Schwalbenweih«, schließt Audubon, »paart sich sofort nach seiner Ankunft in den südlichen Staaten. Seine Brautwerbung geschieht im Fluge, und seine Bewegungen sind dann schöner als je. Der Horst wird regelmäßig in den Wipfelästen der höchsten Eichen oder Fichten erbaut, am liebsten an dem Ufer eines Stromes oder Teiches. Er ähnelt dem der gewöhnlichen Krähe, besteht äußerlich aus trockenen Reisern, vermischt mit ›spanischem‹ Moose, und ist innerlich mit weichem Grase und einigen Federn ausgefüllt. Die vier bis sechs Eier des Geleges, deren Längsdurchmesser ungefähr funfzig, und deren Querdurchmesser etwa vierzig Millimeter beträgt, sind auf grünlich- oder milchweißem Grunde gegen das stärkere Ende hin mit wenigen unregelmäßigen Flecken von dunkel- oder rostbrauner Farbe gezeichnet. Männchen und Weibchen brüten abwechselnd, und einer der Gatten füttert dabei den anderen. Die Jungen entschlüpfen dem Eie in einem Dunenkleide von gelblicher Farbe, erhalten sodann ihr Jugendkleid und ähneln bereits im Herbste fast vollständig den Alten, deren Kleid sie im nächsten Frühlinge tragen.«
Audubon berichtet von einem Schwalbenweih, welchen er mehrere Tage im Käfige hielt. Derselbe verweigerte jegliche Nahrung, brach sogar den Inhalt seines Magens aus und ließ sich auch nicht stopfen. Mit gesträubtem Gefieder saß er mißgelaunt auf einer Stelle. Nur wenn man ihn an seinen Flügeln packte, versuchte er seine Klauen zu gebrauchen. Er starb an Entkräftung.
Die Milane (Milvus) sind mittelgroße, schlank gebaute Raubvögel mit schwachem, verhältnismäßig kleinem, an der Wurzel nur leicht gekrümmtem, jedoch ziemlich langhakigem, zahnlosem, weit gespaltenem Schnabel, kurzen, vorn wenig unter die Fersen hinab befiederten Läufen und mäßig großen, mit schwach gekrümmten Krallen bewaffneten Fängen, verhältnismäßig sehr großen und langen Flügeln, unter deren Schwingen die vierte die längste ist, langem, mehr oder minder gabelförmigem Schwanze und großem, lockerem, abstehendem Gefieder, welches sich dadurch auszeichnet, daß die Kopffedern verlängert und spitzig und auch die der Brust schmal und zugespitzt sind. Die sechs Arten, welche unterschieden worden sind, bewohnen die Alte Welt.
Wohl der ausgezeichnetste aller Milane ist der Königsweih oder Rothmilan, Gabel-, Röthel-, Rüttel-, Hole- und Kürweih, Stein-, Stoß-, Hühner- und Gabelgeier, Gabler, Gabel- und Schwalbenschwanz, Schwimmer, Krümmer, Stert und Tyverl ( Milvus regalis, ictinus, ruber und vulgaris, Falco milvus und austriacus, Accipiter milvus, Bild S. 689), nach Auffassung einzelner Vogelkundigen Vertreter einer besonderen Untersippe ( Milvus), ein stattlicher Raubvogel von fünfundsechzig bis zweiundsiebzig Centimeter Länge, einhundertundvierzig bis einhundertundfunfzig Centimeter Breite, funfzig Centimeter Fittiglänge und, an den äußersten, längsten Federn gemessen, achtunddreißig Centimeter Schwanzlänge. Von seinen europäischen Verwandten und allen anderen Milanen überhaupt unterscheidet er sich durch seinen etwa zehn Centimeter tief gegabelten Schwanz. Beim alten Männchen sind Kopf und Kehle weiß, alle Federn in der Mitte durch einen schmalen schwarzbraunen Schaftstrich gezeichnet, die Kopffedern hell rostfarben überhaucht, Hinterhals, Nacken und Vorderbrust rostroth, die Rücken- und Schulterfedern in der Mitte schwarzbraun, rostroth eingefaßt, Bauch, Brust und Hosen schön rostroth, durch mäßig breite schwarze Schaftstriche geziert, die Handschwingen schwarz, an der Wurzel weiß, die mittleren schwarz, rostbraun überlaufen und mit dunklen, schmalen Querbinden geschmückt, die kleinen Unterflügeldeckfedern rostroth und schwarz gefleckt, die großen schwarz, rostroth umsäumt, die mittleren Schwanzfedern rostroth, die äußeren schwärzlich, gegen die Spitze hin braun überlaufen, an dieser schmal schmutzigweiß gesäumt, Schwingen und Steuerfedern unterseits weiß, schmal schwärzlich quergebändert. Beim Weibchen ist der Kopf dunkler, der Rücken einfarbiger braun, die Rostfarbe im ganzen lichter, die schwarze Fleckenzeichnung und die weiße Federbesäumung schmäler, letztere auch schmutziger als beim Männchen. Das Auge hat silberfarbene, in hohem Alter blaßgelbe Iris, der Schnabel ist an der Wurzel gelb, bei mittelalten Vögeln bläulich, an der Spitze immer schwarz, die Wachshaut gelb wie der Fuß. Beim jungen Vogel sind alle Farben lichter und trüber als beschrieben, die Schaftstriche minder deutlich ausgedrückt, die Federn meist mit breiten gelben Kanten umsäumt, der Augenstern braun, der Schnabel schwarz, die Wachshaut wie der Fuß blaßgelb.
Ebene Gegenden Europas von Südschweden an bis Spanien und von hier bis Sibirien sind die Heimat des unedlen Raubvogels, welchen Schiller als »König der Lüfte« bezeichnet hat. Innerhalb dieses für einen Milan ausgedehnten Verbreitungsgebietes findet sich der Königsweih keineswegs überall, sondern nur hier und da und nicht immer in solchen Gauen, welche anderen von ihm bewohnten im wesentlichen ähneln. Im südlichen Skandinavien ist er häufiger, als man vermuthen möchte, hier und da sogar gemein, in Dänemark über alle Inseln verbreitet, in Holland und Belgien höchstens auf dem Zuge anzutreffen, in Frankreich, Portugal und Spanien, ebenso in Süd- und Mittelitalien an passenden Orten ständiger Ansiedler, in Griechenland nur durchreisender Wandervogel, in den Donautiefländern überall vorkommender, im ebenen Polen regelmäßiger, in Südrußland gelegentlich auftretender Brutvogel. In Deutschland horstet er im ebenen Thüringen, in der Mark, in Sachsen, Braunschweig, Hannover, Rheinpreußen, Mecklenburg, Pommern, Posen, West- und Ostpreußen geeigneten Ortes wohl überall, wogegen er in Westfalen und Oberschlesien strichweise gänzlich zu fehlen scheint, in Bayern nur die weiten Ebenen bewohnt und im Südwesten Deutschlands durch seinen Verwandten vertreten wird. Gebirgige Gegenden unseres Vaterlandes berührt er nur während seines Zuges. Er erscheint regelmäßig zu Anfang des März und verweilt im Lande bis zu den ersten Tagen des Oktober, bleibt auch wohl in gelinden Wintern einzeln in der Heimat, falls er glaubt, sich hier durch das Leben schlagen zu können. Auf seinen Zügen vereinigt er sich oft zu zahlreichen Flügen von fünfzig bis zu zweihundert Stück, und solche Reisegesellschaften scheinen während des ganzen Winters zusammenzuhalten. Bei Toledo beobachteten wir mitten im Winter einen Flug, welcher mindestens achtzig Stück zählte, in inniger Verbindung, bei Tage gemeinschaftlich jagend, nachts ein kleines Wäldchen am Ufer des Tajo zum Schlafplatze erwählend, wogegen zur Sommerszeit in derselben Gegend der Königsweih höchstens paarweise getroffen wird. Seine Wanderung führt ihn durch Nordwestafrika, bis zu den Inseln des Grünen Vorgebirges. Die Straße von Gibraltar kreuzt er jährlich zweimal in größerer Anzahl. Einzelne Wandervögel bleiben wohl auch in der Fremde wohnen und vermehren diejenigen, welche schon von Alters her in den Atlasländern oder auf den Kanarischen Inseln seßhaft sind.
In früheren Zeiten spielte der Königsweih dieselbe Rolle, welche gegenwärtig der Schmarotzermilan übernommen hat. »In den Tagen König Heinrichs des Achten«, sagt Pennant, »schwärmten über die britische Hauptstadt viele Milane umher, welche von den verschiedenen Auswurfsstoffen in den Straßen herbeigezogen worden und so furchtlos waren, daß sie ihre Beute inmitten des größten Getümmels aufhoben. Es war verboten, sie zu tödten.« Der Böhme Schaschek, welcher England im Jahre 1461 besuchte, bemerkt, daß er niemals eine so große Anzahl von Königsweihen gesehen habe als in London, und Belon versichert, zwischen Kairo und London hinsichtlich der hier wie dort wohnenden Milane keinen Unterschied wahrgenommen zu haben. Heutzutage sind die Verhältnisse andere geworden; denn der vormals so häufige Vogel ist in ganz Großbritannien beinahe ausgerottet und nur in Schottland noch hier und da als Brutvogel zu finden.
Der Königsweih ist nichts weniger als ein königlicher Vogel, weil träge, ziemlich schwerfällig und widerlich feig. Sein Flug ist langsam, aber ungemein anhaltend und sanft schwimmend, wird zuweilen Viertelstunden lang durch keinen Flügelschlag unterbrochen und dann nur durch den breiten Schwanz geregelt, hebt den Vogel, scheinbar ohne jegliche Anstrengung, zu ungemessenen, dem menschlichen Auge kaum noch erreichbaren Höhen empor und trägt ihn ein anderes Mal durch weite Strecken, auch dicht über den Boden dahin. Der Gang ist schlecht, mehr ein Hüpfen als ein Schreiten, die Haltung des aufgebäumten Vogels, dadurch bezeichnend, daß er den Hals so viel als möglich einzieht, weshalb der Kopf zwischen den Schultern zu sitzen scheint, und ebenso dadurch, daß er den Schwanz nicht immer gerade herabhängen läßt, sondern meistens ein wenig nach vorn biegt, wodurch die Gestalt, von der Seite gesehen, durch eigenthümlich geknickte Umrißlinien auffällt. Unter den Sinnen steht offenbar das Gesicht obenan, wie schon das schöne Auge, deutlicher aber das Benehmen des in unendlicher Höhe dahinziehenden Vogels beweist, wenn ihm irgend welche Beute winkt oder eine größere Eule sich zeigt; nächstdem dürften Gehör und vielleicht noch Gefühl, Geschmack und Geruch dagegen, mindestens nicht nach unserem Behagen, als entwickelt bezeichnet werden. An Verstand steht er sicherlich hinter keinem einzigen unserer deutschen Falken zurück. Mehr als jeder andere richtet er sein Benehmen den Umständen entsprechend ein, unterscheidet den Jäger mit großer Sicherheit von dem Landmann, meidet Ortschaften, in denen er üble Erfahrungen gemacht hat, und wird in anderen zu einem ebenso dreisten und zudringlichen Bettler wie seine Verwandten. Ein Königsweih, welchen Stölker beobachtete, suchte das ganze Dorf tagtäglich ab und ließ sich mitten zwischen Häusern auf niedrigen Bäumchen nieder. Seiner Zahmheit wegen begann unser Gewährsmann ihn zu füttern und hatte die Genugthuung, daß er das kaum zehn Schritte vor das Haus gelegte Fleisch, namentlich abgebälgte Vogelkörper, davontrug. Als ihm eine Falle gestellt wurde, umkreiste er dieselbe ganz nahe, stieß sein Geschrei aus und strich von dannen. War man auf dem Anstande, so war er nirgends vorhanden und blieb deshalb unbehelligt. Ein anderer besuchte regelmäßig die Brunnen, um hier die Eingeweide von Fischen oder die Abfälle von Fleischern zu holen, kümmerte sich wenig um die Leute, welche zugegen waren, und ließ sich nicht einmal durch ihm geltende Schüsse vertreiben. Anderweitige Beweise seines Verstandes gibt der Königsweih bei dem Horste oder in der Gefangenschaft. Seine Stimme ist wenig anmuthig, langgezogen und lachend meckernd; die Silben »Hihihiää« geben sie ungefähr wieder. Zur Begattungszeit hört man ein eigenthümliches Getriller.
Kleine Säugethiere und noch nicht flugfähige Vögel, Echsen, Schlangen, Frösche und Kröten, Heuschrecken, Käfer und Regenwürmer bilden die Nahrung des Königsweihes. In den Bauergehöften raubt er junge Küchlein weg, dem Gänsehirten macht er Sorgen, den Jäger erbittert er wegen seiner Angriffe auf junge Hasen oder Rebhühner, dem Edelfalken treibt er durch schamloses Betteln die erworbene Beute ab. Aller dieser Sünden ungeachtet gehört er kaum zu den schädlichen Vögeln unseres Vaterlandes. Wenn eine Mäusepest die Felder heimsucht, stellt auch er sich ein, und nunmehr lebt er wochenlang herrlich und in Freuden. Rechnet man ihm die Vertilgung der Mäuse und verderblicher Kerbthiere gebührend an, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß ihm ein junges Häschen oder Gänslein wenigstens nicht zu mißgönnen ist. Wäre er minder frech, bettelte er nicht so unverschämt und zwänge er dadurch die Edelfalken nicht, mehr zu rauben, als sie bedürfen: wir würden ihm einen Ehrenplatz unter den natürlichen Wohlfahrtswächtern unserer Felder anweisen. Unter der Jägerei aber gilt es als unbestreitbare Thatsache, daß er der Wildbahn unendlichen Schaden zufügt, und jedermann fühlt sich deshalb berufen, ihn sammt seiner Brut zu zerstören, wo dies immer möglich. In Wahrheit zählt er zu den harmlosesten aller unserer Raubvögel. Der erwähnte Königsweih z. B., welchen Stölker beobachtete, setzte weder die Hühner noch die Tauben des von ihm besuchten Dorfes in Schrecken und zeigte jedenfalls stärkeres Gelüst nach todten als nach lebendigen Vögeln. Auch seine Fischereien, welche er ziemlich regelmäßig betreibt, und denen zu Liebe er eine Strecke von fünfundzwanzig bis dreißig Kilometer zu durchfliegen nicht scheut, sehen gefährlicher aus, als sie in Wirklichkeit sind. Ganz abgesehen davon, daß er nur selten ein von ihm in das Auge gefaßtes Fischlein glücklich erhebt, gilt seine Anstrengung überhaupt mehr den Fröschen als den geschuppten Wasserbewohnern. Nur während der Fortpflanzungszeit wird er im Gehöfte wie in der Wildbahn wirklich schädlich.
Bald nach seiner Ankunft im Frühjahre schreitet der Königsweih zur Fortpflanzung. Falls irgend möglich, bezieht er wiederum den Brutplatz, welchen er im vorigen Jahre innehatte, nicht aber immer auch denselben Horst. Wenn er es haben kann, nimmt er mit einem alten Krähenneste oder Falkenhorste vorlieb; sonst führt er den Bau selbst aus. Nachdem das Paar längere Zeit in herrlichen Flugspielen über dem ausersehenen Walde sich vergnügt, entscheidet es sich endlich für einen bestimmten Baum, in den meisten Fällen einen möglichst hohen, zuweilen aber auch einen in jeder Beziehung ungeeigneten, schwachen, gleichviel, ob für einen Laub- oder Nadelbaum, und beginnt nun entweder in den Wipfelzweigen oder auf einem Seitenaste den etwa einen Meter im Durchmesser haltenden Horst zu errichten. Dieser unterscheidet sich in der Bauart nicht wesentlich von dem eines Bussards oder eines anderen Raubvogels, wohl aber regelmäßig dadurch, daß der Königsweih die Nestmulde mit Lumpen und Papier verschiedener Art auszukleiden beliebt und nicht immer dazu die saubersten Lumpen oder Fetzen erwählt. König-Warthausen versichert, daß die Untersuchung des Horstes zuweilen recht unerquicklich werden könne, weil dieser Milan die benöthigten Zeitungspapiere oft in ekelhaftem Zustande auflese; andere Beobachter erfuhren fast ausnahmslos dasselbe. Selbst die Zeuglappen und Lumpen werden in der Regel nirgends anders als von den Düngerhaufen auf den Feldern zusammengesucht und stehen daher jenen Papierfetzen wenig nach. Einzelne Paare des Königsweihes haben ganze Vogelscheuchen in ihren Horst geschleppt, andere der Wäscherin Vorhänge von den Trockenleinen gestohlen, um mit ihnen die Nestmulde auszupolstern. Die zwei bis drei, in sehr seltenen Fällen auch wohl vier Eier ähneln denen des Mäusebussards in hohem Grade, sind jedoch in der Regel etwas größer. Ihr Längsdurchmesser beträgt neunundfunfzig bis zweiundsechzig, ihr Querdurchmesser fünfundvierzig bis siebenundvierzig Millimeter. Ihre Schale ist feinkörnig, jedoch glanzlos, die Grundfärbung ein schwach ins Grünliche spielendes Weiß, die Zeichnung aus bunten Spitzenflecken und grobem Gekritzel von dunkel rothbrauner Färbung hergestellt. Wie es scheint, brütet nur das Weibchen; wenigstens sieht man, so lange es sitzt, das Männchen eifrig beschäftigt, die Gattin mit der nöthigen Nahrung zu versorgen. Nach einer Brutzeit von etwa vier Wochen entschlüpfen die Jungen, und nunmehr wetteifern beide Eltern, ihnen Nahrung in Hülle und Fülle herbeizuschleppen. Ihre Gefräßigkeit steht der anderer Raubvögel vollkommen gleich, spornt die Alten zu fast ununterbrochener Jagd an und wird Ursache zu den meisten Uebergriffen, welche sie sich gestatten. So lange das Weibchen brütet, sitzt es sehr fest auf den Eiern und fliegt oft erst nach wiederholtem Klopfen vom Horste ab; wenn jedoch die Jungen erst einigermaßen groß geworden sind und der elterlichen Hülfe nicht dringend bedürfen, setzen sich die Alten nicht mehr so rücksichtslos der Gefahr aus, entfliehen vielmehr bei Ankunft eines Menschen rechtzeitig, lassen sich auch durch die hungrigen, schreienden Jungen nicht in den Bereich des Gewehres locken und versuchen höchstens aus sicherer Höhe herab Nahrung auf den Horst zu werfen. Wie verständig sie sich der flüggen Jungen annehmen, erfuhr Stölker; denn als er den aufgefundenen Horst eines Königsweihes ersteigen ließ, wurde das noch im Neste sitzende, kleinste Junge, welches seinen beiden auf die Zweige geflatterten Geschwistern nicht folgen wollte, von den Alten hinausgestoßen und ihm weiter fortgeholfen, so daß bei Ankunft des Besuchers alles glücklich ausgeflogen war.
Unter geeigneter Pflege wird der Königsweih in der Gefangenschaft bald zahm. Ist er beim Einfangen bereits erwachsen, so pflegt er sich, wie Stölker erfuhr, angesichts des Menschen in höchst absonderlicher Weise zu gebaren, indem er sich todt stellt, sich platt auf den Boden legt und sich regungslos verhält, sich wohl auch von einer Sitzstange herabfallen und Flügel und Schwanz schlaff hängen läßt, selbst den Schnabel öffnet und die Zunge hervorstreckt, gestattet, ohne ein Lebenszeichen zu geben, daß man ihn an einem Fange aufhebt, und, wenn man ihn wieder auf den Boden bringt, genau ebenso liegen bleibt, wie man ihn hinlegte. Solch heuchlerisches Spiel treibt er geraume Zeit, verstellt sich aber bald immer seltener, spielt nicht mehr den vollständig, höchstens den Halbtodten, sieht endlich ein, daß alle Täuschung nichts fruchtet, gibt fernere Versuche auf, vertraut mehr und mehr und bethätigt endlich größte Hingebung an den fütternden Gebieter. Von mir gepflegte Vögel dieser Art verfehlten nie, mich zu begrüßen, so bald ich mich von weitem sehen ließ, gleichviel, ob ich ihnen Futter brachte oder nicht, unterschieden mich auf das bestimmteste von anderen Leuten und erkannten mich in jeder Entfernung, selbst im dichtesten Menschenstrome. Genügsam sind die Königsweihen in hohem Grade, mit ihresgleichen und mit anderen Thieren höchst verträglich, daher wohl als liebenswürdige Raubvögel zu bezeichnen. Hinsichtlich ihrer Verträglichkeit kommen jedoch Ausnahmen vor. »Ich hielt«, erzählt Berge, »längere Zeit einen Milan auf einer geräumigen Bühne. Diese mußten später zwei halb erwachsene Katzen mit ihm theilen. Sie erhielten täglich Brod in Milch aufgequellt zur Nahrung. Anfangs schien der Vogel seine Gesellschafter nicht zu beachten; bald aber verjagte er sie stets von ihrem Futtergeschirr, wenn sie fressen wollten, und binnen kurzem steigerten sich diese Aeußerungen des Neides so weit, daß der Königsweih alles Fleisch, welches er erhielt, unberührt ließ und täglich zweimal den mit Brod und Milch gefüllten Katzenteller leerte. Schließlich mußte man die Katzen entfernen, weil man befürchtete, daß sie verhungern würden. Während der ganzen Zeit genoß der Vogel kein Fleisch, duldete aber auch nicht, daß die Katzen dieses zu sich nahmen.« Andere Gefangene zeigten sich liebenswürdiger. »Einer meiner Bekannten«, sagt Lenz, »besaß einen flügellahmen Königsweih und ließ ihn im Garten frei gehen. Dort baute er ein Nest, legte zwei Eier und brütete fleißig. Dies wiederholte der Vogel im nächsten Jahre und nun wurden ihm drei Hühnereier untergelegt. Er brütete drei Küchlein aus, holte sie, so oft sie aus dem Neste liefen, mit dem Schnabel zurück, stopfte sie unter sich und versuchte, sie mit Fleischstückchen zu füttern. Die Thierchen gingen aber leider durch das viele Unterstopfen zu Grunde.« Es ist dies nicht das einzige Beispiel dieser Art. Bezirksförster von Girardi pflegte dreiundzwanzig Jahre lang einen Königsweih, welchen er vor dem Flüggewerden aus dem Horste genommen und vom Anfange an wie andere Raubvögel gehalten hatte. Hamatz kam auf den Ruf seines Herrn wie ein Huhn zur Mahlzeit, oft auch ungerufen in das Zimmer und nahm das ihm gereichte aus der Hand der Hausbewohner, benahm sich aber auch in anderer Hinsicht wie ein Huhn, indem er eine lange Reihe von Jahren hindurch die ihm jedes Jahr untergelegten Hühnereier ausbrütete und die entschlüpften Küchlein mit wahrhaft bewunderungswürdiger Sorgfalt und Treue pflegte. Ein eigener Anblick war es, wenn die jungen Hühnchen ihm das Fleisch aus den Fängen oder aus dem Schnabel wegnahmen und verzehrten. Leider verlor Hamatz, welcher auch als Wetterprofet in hohem Ansehen stand, durch einen Jagdhund auf gewaltsame Weise sein Leben.
In manchen Gegenden unseres Vaterlandes vertritt den Königsweih, an anderen Orten gesellt sich ihm der Milan, Waldgeier oder Hühnerdieb, welcher hier und dort auch den einen oder anderen Namen des Königsweihes trägt ( Milvus migrans, ater, niger, aetolius und fuscus, Falco migrans, ater und fuscoater, Accipiter milvus, Hydroictinia atra), nach Kaups Auffassung Vertreter einer besonderen Untersippe, der Wassermilane ( Hydroictinia). Er ist merklich kleiner als der Königsweih. Seine Länge beträgt fünfundfunfzig bis achtundfunfzig, die Breite einhundertundsechsunddreißig bis einhundertundfünfundvierzig, die Fittiglänge vierundvierzig bis siebenundvierzig, die Schwanzlänge sechsundzwanzig bis neunundzwanzig Centimeter. Erstere Maße gelten für das Männchen, letztere für das Weibchen. Das Gefieder ist in allen Theilen erheblich dunkler als das des Königsweihes, der Name »schwarzer Milan« im Vergleiche zu »rother Milan« daher nicht gänzlich ungerechtfertigt. Kopf, Nacken, Kinn, Ober- und Unterkehle sind auf weißgrauem Grunde durch schmale, ungleich breite, schwarzbraune Striche längsgezeichnet, die Mantelfedern dunkel erdbraun, lichter gerändert, die der Kropfgegend fahl erdbraun, mit ziemlich breiten, auf beiden Seiten grauweiß gesäumten Schaftstrichen geziert, die der Brust röthlichgrau, die des Bauches und die unteren Schwanzdecken mehr oder weniger rein rostbraun, leicht graulich überflogen und schmal schwarz längsgestrichelt, die Schwingen schwarzbraun mit Kupferglanz, die Oberflügeldecken licht erdgrau, heller gesäumt, die Steuerfedern dunkel erdbraun, mit acht bis zwölf verloschenen, aber regelmäßigen Binden und einen licht fahlgrauen Saum an der Spitze des Schwanzes ausgestaitet. Der Augenring ist braungrau, der Schnabel hornschwarz, die Wachshaut gelb, der Fuß orangegelb. Beide Geschlechter unterscheiden sich nicht in der Färbung. Die jungen Vögel sind am Kopfe und auf der Unterseite röthlichbraun, alle Federn mit licht gelbweißlichen Spitzflecken und dunklen Schaftstrichen gezeichnet, die Manteldeckfedern dunkelbraun, licht fahlgelb gerändert, die Flügeldecken licht erdgrau, in der Mitte dunkelgrau, schwarz geschäftet und bereits licht rostfarbig gerändert, die der Kehle oft rein hell fahlgelb.
Das Verbreitungsgebiet des Milan ist wie das aller seiner Verwandten ziemlich beschränkt. In Mitteldeutschland gehört er zu den seltenen Vögeln; in der Mark, namentlich in der Nähe der Havelseen, in Pommern, Mecklenburg, am Oberrheine und in der unteren Maingegend, zumal in Rheinhessen und Baden, ist er häufiger, in Niederösterreich, Ungarn, den Donautiefländern, einem großen Theile von Rußland und ebenso in Italien und Spanien ein regelmäßig vorkommender, an geeigneten Stellen gemeiner, sogar gesellschaftlich horstender Brutvogel. Bei uns zu Lande Sommergast, welcher im März eintrifft und die Heimat im Oktober wieder verläßt, überwintert er bereits im südlichen Europa; der eine oder der andere seines Geschlechtes reist jedoch auch von hier ab, um in Afrika die rauhe und arme Jahreszeit zu verbringen. Bei dieser Gelegenheit durchstreift er den ganzen letztgenannten Erdtheil und beendet seine Wanderung erst im Süden und Südwesten desselben. Im Damara- und Namakenlande stellt er sich, laut Andersson, frühestens Ende August, gewöhnlich aber im Oktober oder November, ausnahmsweise auch erst im December ein. Anfangs sieht man wenige seiner Art; einige Tage später ist sein Name Legion, so daß man ihn und seine schmarotzenden Verwandten, zu denen er sich gesellt, im Winter als die häufigsten aller Vögel des Landes bezeichnen darf.
Unmittelbar nach seiner Ankunft im Frühjahre begibt sich der Milan auf seinen vorjährigen Horstplatz und beginnt nunmehr sein Sommerleben. Ich danke dem Kronprinzen, Erzherzog Rudolf von Oesterreich, eine so vortreffliche und richtige Schilderung des letzteren, daß ich nichts besseres thun kann, als sie hier wiederzugeben und hier und da einzelne Beobachtungen anderer Forscher einzuschalten. »In Ungarn ist der schwarze Milan ein ziemlich gewöhnlicher Vogel; in Niederösterreich habe ich ihn immer nur in bestimmten Gegenden, hier aber regelmäßig, beobachtet. Seine eigentlichen Aufenthaltsorte sind Wälder, welche an Flüssen, besonders großen Strömen, und in der Nähe von Sümpfen sich erstrecken. Die hohen Bäume sucht er übrigens nur deshalb auf, um auf ihnen zu horsten oder zu schlafen. Im Laufe des Tages zieht er fortwährend über und unter den Gebüschen und längs der Gewässer umher. Sein ganzes Sein und Wesen erfordert eine flache Gegend mit viel Wasser: daher sagen ihm unsere Douauauen besonders zu. Wer ihn kennt, wird ihn sich gewiß nicht im Hügel- oder Mittelgebirge denken können. Man findet ihn hier niemals, weder im Hoch- noch im Waldgebirge, noch auf Hochebenen; er meidet selbst jene Waldungen, welche an ausgedehnte Wiesen und Felder stoßen. Diese scharfe Abgrenzung seines Aufenthaltsortes geht so weit, daß er z. B. in den von dem Donaustrome durchflossenen Auen unter den vielen in diesen Gegenden lebenden Raubthieren das häufigst vorkommende ist, wogegen er eine Meile von hier, in den Vorhölzern des Wiener Waldes, niemals bemerkt wird. Ich bin in der Lage, den Wiener Wald sehr häufig zu durchstreifen, und habe noch nie einen Milan dort erblickt, wogegen der Königsweih alljährlich hier horstet. Ersterer ist ein geselliger Vogel, welcher da, wo er auftritt, stets in erheblicher Anzahl gefunden wird und auch die Gesellschaft anderer Ordnungsverwandten sucht, wogegen letzterer stets einsam in die Waldgebirge oder in den Auen an die stillsten Plätze sich zurückzieht. Die Nähe der Ortschaften meidet er schon in Niederösterreich nicht, noch weniger aber in Ungarn, woselbst er sogar Städte, die Hauptstadt nicht ausgeschlossen, oft besucht und im Inneren derselben längere Zeit sich umhertreibt.
»Eigentlich läßt sich der Milan nur während der Paarungs- und Brutzeit leicht beobachten; außerdem verhindert sein flüchtiges, unstetes Leben, ihm zu nahen. Wenn man in die Auen an der Donau eindringt, wird man zuerst über dem niederen Gestrüppe am Rande der Felder einzelne streichende Milane gewahren, welche entweder über die Auen hinaus oder in dieselben zurück auf Raub ausziehen. Je weiter man in die dichteren und höheren Bestände hineinwandert, desto mehr wird man unserem Vogel allenthalben begegnen. Besteigt man einen Kahn, um einen einsamen Stromarm zu befahren, so wird man um die hohen Bäume der kleineren, wirr verwachsenen Inseln die Männchen im Frühjahre kreisen sehen, während drinnen die Weibchen auf dem Horste sitzen. Von Zeit zu Zeit sieht man einen Milan nach dem anderen aus den Inseln über den Hauptstrom nach den Auen des anderen Ufers streichen, das Boot oft gar nicht berücksichtigend.
»Der Flug dieses Vogels ist außerordentlich schön, besonders wenn er über dem Wasserspiegel größerer Ströme gaukelt, wie er dies Viertelstunden lang zu thun pflegt. Doch gewinnt man erst im Frühjahre zur Paarungszeit die richtige Vorstellung seiner Flugkünste. Angeregt durch das Hochgefühl der Liebe, steigt das Paar hoch in die Lüfte und kreist. Plötzlich läßt sich der eine oder der andere mit schlaff hängenden Flügeln bis knapp über die Wasserfläche fallen, zieht dann pfeilschnell in krummen Linien eine kurze Strecke dahin, fliegt rasch wieder umgekehrt, rüttelt wie der Thurmfalk und führt die wunderbarsten Bewegungen nach allen Richtungen aus.
»Auf den verlassensten Inseln, welche nur selten ein Mensch betritt, hat man den einfach gebauten Horst zu suchen. Er steht tiefer als halbe Baumeshöhe auf den stärksten Bäumen, meist in der Zwifel zwischen dem Stamme und einem dicken Aste. Dünn über einander gelegte Reiser bilden den schlenderischen Bau, außerhalb dessen schon von weitem der gegabelte Stoß des Weibchens zu bemerken ist. In den meisten Fällen bemächtigt sich unser Milan verlassener Reiherhorste, und so kommt es, daß der seinige von dem des Fischreihers oft kaum zu unterscheiden ist. Ich fand weitaus die meisten Horste auf jenen Inseln, auf denen sich Reiher- und Scharbenstände befanden; auf solchen, wo der Bussard, Königsweih und die größeren Falken nisten, bemerkte ich während der Brutzeit unseren Vogel niemals. Die Zeit, in welcher dieser brütet, schwankt erheblich. Ende April besuchte ich Horste, in denen die Weibchen schon sehr fest auf den Eiern saßen, wogegen mehrere andere Paare noch bauten, einige sogar erst Nistplätze suchend umherstrichen. Um die Mitte des Mai waren die meisten Horste von brütenden Weibchen besetzt.
»Wer den Milan beobachtet, muß bemerken, daß er die Gesellschaft des Sumpf- und Wassergeflügels in hohem Grade liebt, und es darf wohl als ein Beweis seiner Harmlosigkeit dienen, daß diese Vögel in dem freundlichsten Verhältnisse mit ihm leben. Ich fand einmal einen Horst am Ufer einer großen Insel; hundert Schritte davon waren alle Bäume mit Reihernestern besetzt, zwischen denen man auch die Horste des Thurm- und Baumfalkens bemerkte. Alle Bewohner dieser Ansiedelung strichen im besten Einvernehmen untereinander umher, und der männliche Milan führte seine Flugkünste zwischen den kreisenden Reihern aus. Auf einer anderen Stelle fand ich zwei Milanhorste unter denen der Reiher und Scharben. Der eine war kaum drei Meter über dem Boden auf einem starken Aste erbaut. Ueber ihm hatten auf dem nämlichen Baume vier oder fünf Scharben ihre Nester angelegt. Der zweite stand auf einem dicken Baume ebenfalls niedrig über dem Boden. Kaum einen Meter über ihm befanden sich ebenfalls Fischreiherhorste, und die Weibchen der Reiher und des Milans saßen auf den Eiern, während die Männchen beider Arten nebeneinander auf einem und demselben Aste standen. Beide Milanhorste waren auf den äußersten hohen Bäumen der Insel, der erste am Rande eines sumpfigen Stückes Waldes, der andere am entgegengesetzten Ende am Ufer eines breiten Donauarmes errichtet worden. Auf einer anderen kleinen Insel gegenüber stand noch ein Milanhorst, unweit desselben, aber getrennt durch einen schmalen Arm, horsteten ein Bussard, ein Würgfalk und einige Baumfalken, endlich befand sich hier noch ein großer, in diesem Jahre jedoch unbewohnter Fischadlerhorst. Ich glaube, daß ein Hauptgrund des Zusammenlebens der Reiher und Scharben mit den Milanen die große Freßgier der letzteren und ihre Trägheit im Suchen nach Beute ist. Ihre Lieblingskost bilden Fische, und leicht wird es ihnen, in der Nähe der Reiher ihren Hunger zu stillen, da diese von ihren Horsten herab viele große Fische fallen lassen, deren sich dann andere Schmarotzer bemächtigen. Zwar ist unser Milan ein nicht ungeschickter Fischer, findet es aber bequemer, zu betteln und zu schmarotzen. Auch im Fluge jagt er den großen Wasservögeln und den Fischadlern durch seine Zudringlichkeit Beute ab, ebenso wie sein Verwandter, der Königsweih, im Walde Adlern, Bussarden und Falken beschwerlich fällt und gefangenes Wild zu entlocken weiß. Abgesehen von Fischen, bilden junge Hasen, Hamster, Zisel und Mäuse, vor allem aber Frösche, seine gewöhnliche Nahrung. Dem Hühnerhofe wird er durch unglaubliche Keckheit gefährlich; denn ohne jede Sorge und Rücksicht raubt er in allen Ortschaften die Küchlein und jungen Enten angesichts ihrer Eltern weg, und nur das Feuergewehr kann seinen Raubgelüsten hier steuern. Ich sah einst in einem Dorfe, welches am Rande der Aue in der Ebene liegt, einen Milan regelmäßig jagen, über einem Gehöfte in der Höhe der Rauchfänge nach Thurmfalkenart rudernd nach Beute spähend.«
Hinsichtlich des Fortpflanzungsgeschäftes unseres Milans habe ich hinzuzufügen, daß der Horst ebenso wie der des Königsweihes regelmäßig mit Lumpen, alten Schürzen, Nachtjacken oder zusammengeballten Säugethierhaaren, Werg und ähnlichen Stoffen ausgekleidet wird, sich also leicht von dem aller übrigen einheimischen Raubvögel unterscheiden läßt. Ob der Milanhorst besetzt ist, verräth sich, laut Blasius, gewöhnlich durch die Lumpen oder Wergflocken, welche am Rande des Horstes oder auf den Zweigen in der Nähe des letzteren beim Zutragen hängen geblieben sind. Das Gelege, welches durchgehends zu Ende des April vollzählig zu sein pflegt, besteht aus drei bis vier, denen des Königsweihes täuschend ähnlichen, auf gelblichem oder graulichweißem Grunde braun gemarmelten und dicht gefleckten Eiern. Wie es scheint, brütet nur das Weibchen; wenigstens spricht dafür eine Beobachtung von Preens, welcher, am Horste lauernd, bemerkte, daß ein Milan, also wahrscheinlich das Männchen, aus bedeutender Höhe Fische auf den Horst herabwarf, und zwar zu einer Zeit, als erst zwei Eier gelegt worden waren. Das Weibchen sitzt meist so außerordentlich fest auf dem Horste, daß es sich nur durch einen Schuß aus demselben vertreiben läßt. Eugen von Homeyer und ich haben uns gelegentlich unseres Jagdausfluges mit Kronprinz Rudolf mehrmals vergeblich bemüht, den brütenden Milan durch Klopfen, Rufen, Schreien und Lärmen abzutreiben. Entschließt er sich endlich, wegzufliegen, so geschieht dies stets außerordentlich rasch und keineswegs immer nach der freieren Seite hin; der gewandte Flieger stiehlt sich vielmehr mit bemerkenswerthem Geschicke auch zwischen den dichtesten Zweigen fort und erschwert dadurch dem Schützen, sicher zu zielen. Wenn das Weibchen vorher nicht gestört wurde, pflegt es nach kurzer Frist zu dem Horste zurückzukehren, von welchem es gescheucht wurde, wogegen das Männchen oft stundenlang auf sich warten läßt. Behelligt man das Paar fortdauernd und erlegt man endlich das Weibchen, so kann es, wie Preen erfuhr, geschehen, daß das Männchen die Eier vernichtet. Die Jungen entschlüpfen nach ungefähr dreiwöchentlicher Brutzeit den Eiern in einem weißen, vom Hinterkopfe an schwach rostfarbig überflogenen, hinter den Augen bräunlichen, auf den ganzen Oberseiten licht graubraunen Dunenkleide, welches sich, nach Blasius, von dem aller einheimischen Raubvögel auffallend durch bedeutende Länge und Lockerheit auszeichnet, und werden anfänglich mit vorverdautem Fleische, mit Fröschen und Fischen geatzt. »Schwerlich«, sagt Blasius, »gibt es zwei einander so nahestehende Vogelarten, welche in ihrem Gesammtgepräge so sehr von einander abweichen, wie die beiden Milane. Sowie der alte Milan in Flug und Haltung etwas adlerähnliches nicht verleugnen kann, so erinnert er auch im Dunenkleide an den Schreiadler. Noch ehe seine Füße ihn tragen, hält er den Kopf aufrecht, und furchtlos und ruhig sieht er jedem entgegen, welcher ihm sich nähert. Gewöhnlich verläßt er den Horst schon, ehe die Schwanz- und Flügelfedern ihre volle Größe erreicht haben, und kann dann bei Regenwetter auf dem Boden oder auf niederen Bäumen leicht mit der Hand gefangen werden. Der Königsweih dagegen ist anfangs scheu und furchtsam und liegt gewöhnlich lang hingestreckt, den Kopf auf den Boden des Horstes gedrückt. Vollkommen ausgebildet, verläßt er nur zwangsweise den Horst, drückt sich lieber platt nieder und läßt sich noch mit der Hand fangen, wenn er schon volle Flugfertigkeit erreicht hat. Ein einziger Blick auf den mit Jungen besetzten Horst läßt also keinen Zweifel darüber, ob man den schwarzen oder den rothen Milan vor sich hat.« Ersterer verlangt dafür nach dem Ausfliegen noch längere Unterstützung von Seiten seiner Eltern; denn man sieht die Familie mehrere Wochen beisammen und kann bei einigermaßen aufmerksamer Beobachtung leicht gewahren, wie die Alten ihre Jungen nicht bloß in allen Künsten des Fluges, sondern auch in der für ihr späteres Leben wichtigen Fertigkeit zu betteln und zu schmarotzen unterrichten. Erst im Spätsommer vereinzelt sich die Familie, und jedes Glied geht nunmehr selbständig seinen Geschäften nach, bis gegen den Herbst hin die Paare sich zu Trupps und diese zu Schwärmen vereinigen, welche sodann gemeinsam die Winterreise antreten.
Das allgemeine Urtheil bezeichnet den Milan als einen unserer schädlichsten Raubvögel. Ich vermag nicht, dieser Ansicht bedingungslos beizutreten, meine vielmehr, daß der von ihm verursachte Schaden in denjenigen Gegenden, welche er als Wohnungsorte bevorzugt, nicht so erheblich in das Gewicht fällt. Am meisten schadet er unzweifelhaft dadurch, daß er andere Raubvögel in der widerwärtigsten Weise anbettelt oder so lange belästigt, bis sie ihm die erhobene Beute zuwerfen, sie also zwingt, mehr zu rauben, als sie selbst bedürfen. Er selbst erhebt allerdings, was er erlangen kann, schädigt den Bestand der freilebenden wie der gezähmten Thierwelt aber doch nur in den letzten Tagen seiner Fortpflanzungszeit in erwähnenswerther Weise. Wägt man seine uns nützenden und seine uns schadenden Thaten gewissenhaft ab, so kommt man zu dem Schlusse, daß sich beide ungefähr das Gleichgewicht halten. Schädlicher als der Königsweih ist er gewiß, so schädlich, als man behauptet, sicherlich nicht, mindestens nur in Ausnahmefällen, beispielsweise, wenn einer seines Geschlechtes sich gewöhnt hat, in Dorfschaften auf junges Hausgeflügel zu fahnden. Ein solcher Uebelthäter verleugnet zwar auch im Dorfe die seinem ganzen Geschlechts eigene Feigheit nicht und läßt sich durch eine muthige Gluckhenne zurückschrecken und verscheuchen, erobert sich aber doch immerhin manches Hühnchen oder Entchen. Ein anderer verlegt sich mehr als üblich auf den Fischfang und kann auf dem einen oder anderen Karpfenteiche vielleicht Schaden anrichten; streng genommen ist aber sein Fischfang ebenso unerheblich als seine Jagd auf junge Hasen und anderes Kleinwild oder sein Raub an Hausgeflügel. Mäuse und Frösche bilden neben den Fischen, welche er während der Brutzeit ohnehin meist unter den Reiherhorsten aufliest, seine hauptsächlichste Nahrung: der Schaden also, welchen er verursacht, kann in der That nicht empfindlich genannt werden. Ich meine somit, daß man sein Schuldbuch nicht so schwer belasten darf. Wer wohlwollend verzeiht, wird ihn gewähren lassen und nicht behelligen; wer ihm jeden Raub mißgönnt, ihn verfolgen, wo, wann und wie immer er kann. Zu meinem Bedauern darf ich ihn nicht gänzlich freisprechen; wohl aber erkühne ich mich, bei allen denen, welche der Flug eines so schönen Vogels anzieht und fesselt, wie mich, die Bitte um Gnade auch für ihn einzulegen. Zur Belebung der Gegend trägt er wesentlich bei, und gerade in den so eintönigen Ebenen, welche er bewohnt, ziert er den Himmel, so lange er fliegend sich bewegt.
Der Milan ist, wie Erzherzog Rudolf noch hervorhebt, ein ausgesprochener Feind des Uhu, ohne aber mit der Lebhaftigkeit anderer Falken zu stoßen. »In einem dichten, jungen Holze, welches, durch einen Wasserarm von den Feldern getrennt, am Rande der Aue liegt, setzte ich meinen Uhu auf einen freien Platz und verbarg mich im Gebüsche, um einige daselbst nistende Wiesenweihen zu erlegen. Kaum daß einige der letzteren zu stoßen begannen, erschienen, durch den Lärm herbeigelockt, aus der Höhe auch ein paar Milane und kreisten über dem Uhu. Sie blieben aber stets in derselben Höhe, durch Schrotschuß unerreichbar, stießen nicht, ließen sich ebensowenig durch vergebens abgefeuerte Schüsse zum Aufsteigen in höhere Luftschichten bewegen und verließen nach etwa zehn Minuten den Platz in derselben Richtung, aus welcher sie gekommen waren.«
Im Käfige ist der Milan, wie seine Verwandten, ein angenehmer Vogel. Er macht wenig Ansprüche und ergibt sich bald in den Verlust seiner Freiheit, gewinnt nach kurzer Zeit seinen Pfleger außerordentlich lieb, begrüßt ihn mit fröhlichem Geschrei, wenn er ihn von weitem erblickt, und versucht überhaupt, seine Zuneigung in jeder Weise an den Tag zu legen. Mit anderen Raubvögeln gleicher Größe verträgt er sich vortrefflich. Er ist zu feig, um sie zu überfallen, frißt aber mit der größten Seelenruhe die Leiche desjenigen auf, mit welchem er jahrelang friedlich vereinigt lebte.
Der afrikanische Vertreter unserer deutschen Arten, der Schmarotzermilan ( Milvus Forska1i, parasiticus, aegyptius und leucorhynchus, Falco Forskali, Forskahli, aegyptius, parasitus und parasiticus), steht dem Milan so nahe, daß einzelne Naturforscher seine Artselbständigkeit in Zweifel stellen, weicht auch in der That auf den ersten Blick hin nur durch den stets horngelben, anstatt schwarzen, Schnabel ab, läßt jedoch bei genauerer Beobachtung noch genügend sichere Unterscheidungsmerkmale erkennen. Seine Länge beträgt zweinndfunfzig bis fünfundfunfzig, die Breite einhundertzweiunddreißig bis einhundersechsunddreißig, die Fittiglänge dreiundvierzig bis fünfundvierzig, die Schwanzlänge zwanzig bis zweiundzwanzig Centimeter. Erstere Maße gelten für das Männchen, letztere für das Weibchen. Kopf, Hals und Unterseite sind röthlichbraun, die Hosen und unteren Schwanzdecken deutlich rostroth, Zügelgegend und Kinn ins Weiße spielend, alle Federn durch schmale schwarzbraune Schaftstriche gezeichnet, Mantel, Schultern und übrige Oberseite braun, die Federn an den Spitzen verwaschen und schwarz geschäftet, die Schwingen braunschwarz, die Handschwingen innen etwas heller, aber dunkler gewölkt, die Armschwingen dunkelbraun, durch fünf undeutliche Querbinden gezeichnet, die Schwanzfedern oberseits braun, die äußersten am dunkelsten, alle am Rande der Innenfahne heller und auf der Innenfahne mit acht bis neun verloschenen, dunklen Querbinden geziert, unterseits dagegen innen bräunlichweiß. Das Auge ist hellbraun, der Schnabel horngelb, der Fuß strohgelb.
Das Verbreitungsgebiet des Schmarotzermilans umfaßt ganz Afrika, mit Ausnahme der Atlasländer, außerdem Madagaskar, Palästina, Syrien, Kleinasien, wahrscheinlich sogar die europäische Türkei: wenigstens scheint es mir noch keineswegs festzustehen, daß die auf den Moscheen Konstantinopels horstende Art wirklich der Milan und nicht unser Schmarotzer ist. In Nordostafrika darf letzterer der häufigste aller Raubvögel genannt werden und gehört wesentlich zur Kennzeichnung der Nilländer und des Rothen Meeres. Er ist der erste Landvogel Egyptens, welchen man gewahrt, und ihn sieht man noch in den oberen Nilländern über dem Urwalde schweben. Mehr als jeder andere seiner Verwandten hat er sich den Menschen fast ausschließlich zu seinem Ernährer ausersehen und eine Freundschaft mit ihm geschlossen, welche ihr sehr gutes wohl für ihn haben mag, dem Menschen aber oft recht lästig fällt.
Der Schmarotzermilan ist der frechste, zudringlichste Vogel, welchen ich kenne. Kein Thier kann seinen Namen besser verdienen als er. Sein Handwerk ist das Betteln; daher hat er sich die Ortschaften selbst zu seinem beliebtesten Aufenthalte erwählt, ist er im Hofe der tägliche Gast und siedelt er sich auf der Palme im Garten wie auf der Spitze des Minarets an. Gerade seine Allgegenwart ist es, welche ihn lästig und sogar verhaßt macht. Seinem scharfen Auge entgeht nichts. Sorgfältig achtet er auf das Treiben und Handeln des Menschen, und Dank seinem innigen Umgange mit diesem hat er eine Uebersicht, ein Verständnis der menschlichen Geschäfte erhalten wie wenige andere Vögel oder Thiere überhaupt. Dem Schafe, welches zur Schlachtbank geführt wird, folgt er gewiß, wogegen er sich um den Hirten nicht kümmert; dem ankommenden Fischer fliegt er entgegen, den zum Fischfange ausziehenden berücksichtigt er nicht. Er erscheint über oder sogar auf dem Boote, wenn dort irgend ein Thier geschlachtet wird, umkreist den Koch der feststehenden oder schwimmenden Behausung des Reisenden, sobald jener sich zeigt, ist der erste Besucher im Lagerplatze, der erste Gast auf dem Aase. Vor ihm ist kein Fleischstück sicher. Mit seiner Falkengewandtheit paart sich die Frechheit, mit seiner Gier die Kenntnis der menschlichen Gewohnheiten. Scheinbar theilnahmslos sitzt er auf einem der Bäume in der Nähe des Schlachtplatzes oder auf der Firste des nächsten Hauses am Fleischladen; kaum scheint er die leckere Speise zu beachten: da aber kommt der Käufer, und augenblicklich verläßt er seine Warte und schwebt kreisend über ihm dahin. Wehe dem unvorsichtigen, wenn er nach gewohnter Art das Fleisch im Körbchen oder in der Holzschale auf dem Kopfe heimträgt; er wird wahrscheinlich sein Geld umsonst ausgegeben haben. Ich selbst habe zu meinem Ergötzen gesehen, daß ein Schmarotzermilan aus solchem Körbchen das ganze, mehr als ein Kilogramm schwere Fleischstück erhob und trotz alles Scheltens des Geschädigten davontrug. In Habesch zerschnitt unser Koch auf einer im Hofe stehenden Kiste einen Hasen in mehrere Stücke, wandte, gerufen, den Kopf nach rückwärts und sah in demselben Augenblicke eines dieser Stücke bereits in den Fängen des Strolches, welcher die günstige Gelegenheit nicht unbenutzt hatte vorübergehen lassen. Aus den Fischerbarken habe ich ihn Fische aufnehmen sehen, obwohl der Eigner sich redlich bemühte, den unverschämten Gesellen zu verscheuchen. Er stiehlt buchstäblich aus der Hand der Leute weg.
Der Mensch ist nicht der einzige Brodherr unseres Vogels; denn dieser achtet nicht nur auf dessen Treiben, sondern auch auf das Thun seiner Mitgeschöpfe. Sobald ein Falk oder Adler Beute erobert hat, wird er umringt von der zudringlichen Schar. Schreiend, mit Heftigkeit auf ihn stoßend, verfolgen ihn die Schmarotzermilane, und je stürmischer die Jagd dahinrauscht, je größer wird die Zahl der Bettler. Die schwere Last in den Fängen hindert den Edelfalken so schnell als sonst zu fliegen, und so kann er es nicht vermeiden, daß die trägeren Milane ihm immer im Nacken sitzen. Viel zu stolz, solche schnöde Bettelei längere Zeit zu ertragen, wirft er den erbärmlichen Lungerern gewöhnlich bald seine Beute zu, läßt sie unter sich balgen, eilt zum Jagdplatze zurück und sucht anderes Wild zu gewinnen. Auch den Geiern ist der Schmarotzermilan verhaßt. Beständig umkreist er die schmausenden, kühn schwebt er zwischen ihnen hindurch, und geschickt fängt er jedes Fleischstück auf, welches die großen Raubvögel bei ihrer hastigen Mahlzeit losreißen und wegschleudern. Die Hunde knurren ihn an und beißen nach ihm, sobald er sich zeigt; denn auch sie wissen genau, daß er die eigennützige Absicht hegt, jeden Fleischbissen, den sie sich sauer genug erworben, zu stehlen, mindestens mit ihnen zu theilen. Zu eigener Jagd entschließt er sich selten, obgleich er keineswegs ungeschickt ist und kleineres Hofgeflügel, selbst junge Tauben, außerdem Mäuse, Kriechthiere und Fische, seine bevorzugte Beute, geschickt zu fangen weiß.
Man sieht den Schmarotzermilan regelmäßig in zahlreichen Scharen, paarweise nur am Horste. Ueber den Schlachtplätzen größerer Städte treibt er sich zuweilen in Flügen von fünfzig bis sechzig umher. Der Horst steht meist auf Palmen, nicht selten, in größeren Städten sogar regelmäßig, auch auf den schlanken Minarets der Moscheen. Die drei bis fünf Eier, welche einen Längsdurchmesser von fünfzig bis fünfundfunfzig, einen Querdurchmesser von vierzig bis zweiundvierzig Millimeter haben und echt eigestaltig, an der oberen Seite etwas stumpfer als an der unteren zugerundet, ziemlich glatt, glanzlos, auf kalkweißem Grunde mit dunkleren und lichteren rothbraunen, am stumpfen Ende oft zusammenlaufenden Flecken gezeichnet sind, werden in den ersten Monaten des Jahres, vom Februar bis zum April, gelegt und von beiden Eltern ausgebrütet. Während der Brutzeit ist der Schmarotzermilan selbstverständlich noch zudringlicher, ebenso aber auch bei weitem lärmender als sonst. Denn er liebt seine Jungen über alles Maß, sucht ihnen so viel Nahrung zuzuschleppen, als er irgendwie habhaft werden kann, fürchtet beständig für sie Gefahr und stößt mit hohem Muthe nach dem Feinde, welcher sie bedroht. Ende Mai ist die Brut flugfähig geworden, folgt noch geraume Zeit unter unablässigem Geschrei beiden Eltern und macht sich erst gegen den Herbst hin selbständig.
Der arabische Name des Schmarotzermilans, »Hitaie«, ist ein Klangbild und entspricht ziemlich genau dem gewöhnlichen Geschrei des Vogels. Dieses beginnt mit dem hohen, wie »Hi« klingenden Laute und endet mit einem lang gezogenen, zitternd ausgestoßenen »Tähähähä«. Ueber den Flug, die sonstigen Bewegungen, Eigenschaften und Begabungen, brauche ich weiteres nicht mitzutheilen: in dieser Beziehung ähnelt unser Vogel durchaus seinen deutschen Verwandten.
Bei den Eingeborenen gilt der Schmarotzermilan für das, was er ist, als höchst zudringlicher und belästigender Gesell. Gleichwohl wird er nicht verfolgt. Man glaubt, daß auch für ihn die Gesetze der Höflichkeit und Gastfreundschaft Gültigkeit haben müssen, und läßt ihn kommen und gehen, wie er will. Von seiner Zutraulichkeit erzählt man manche hübsche Geschichte, und in den Märchen spielt er hier und da ebenfalls seine Rolle.
Die Feldweihen ( Circus) endlich sind mittelgroße, schlank gebaute Raubvögel mit kleinem, schwächlichem Leibe, zartem, schwachem, stark gekrümmtem, langhakigem und stumpfzähnigem Schnabel, sehr langen, schlanken und kurzzehigen Füßen, großen und langen, aber ziemlich schmalen Flügeln, mittellangem, breitem Schwanze und weichem, seidig glänzendem Gefieder. Im Fittige überragen die dritte und vierte Schwinge die anderen; die erste dagegen ist auffallend kurz. Die Gesichtsfedern sind zu einem Schleier ausgebildet.
Unser Kornweih, Blau-, Weiß- und Halbweih, Blau-, Mehl-, Korn- und Martinsvogel, Weiß- und Blaufalk, Blauhabicht, Weißsperber, Spitzgeier, Ringelfalk und Ringelschwanz, Weißfleck, Steingeier, die Korn-, Blau-, Mehl- und Halbweihe ( Circus cyaneus, pygargus, gallinarius, cinereus, pallens und nigripennis, Falco cyaneus, pyrargus und strigiceps, Accipiter variabilis, Pyrargus dispar, Strigiceps cyaneus), nach Auffassung einzelner Vogelkundiger Vertreter einer besonderen Untersippe ( Strigiceps), ist einer der schönsten Falken unseres Erdtheiles. Die ganze Oberseite des alten Männchens, mit Ausnahme des braun und weiß längsgestreiften Genickes, hat licht aschbraune, die Unterseite weiße Färbung; die erste Schwinge ist schwarzgrau, die fünf folgenden sind schwarz, gegen die Wurzel hin grau oder weiß, die übrigen aschgrau, die mittleren Schwanzfedern hell aschgrau, nach dem Rande zu lichter, ins Weißliche spielend; die äußersten mit schwacher, unregelmäßiger Bänderung im Wurzeltheile. Bei dem alten Weibchen ist die Oberseite fahlbraun, das Gefieder des Hinterkopfes, Hinterhalses und des Oberflügels rostgelblich gerändert, ein Streifen über dem Auge weißlich, die Unterseite auf rostgelblichem Grunde bräunlich längsgefleckt, der Schwanz abwechselnd braun und rostgelb gebändert. Junge Vögel ähneln dem Weibchen. Angenstern, Wachshaut und Fuß sind citrongelb; der Schnabel hat hornschwarze Färbung. Die Länge beträgt sechsundvierzig, die Breite einhundertunddreizehn, die Fittiglänge sechsunddreißig, die Schwanzlänge einundzwanzig Centimeter. Das Weibchen ist um etwa sechs Centimeter länger und neun Centimeter breiter als das Männchen.
In Südrußland, den Donautiefländern, der Türkei und Griechenland, dem Süden Mittelasiens und Nordafrika vertritt der Steppenweih oder die Steppenweihe, Blaßweihe ( Circus Swainsonii, pallidus, dalmaticus und macrourus, Strigiceps Swainsonii, Glaucopteryx pallidus, Accipiter macrourus), welcher auch wiederholt in Deutschland vorgekommen ist, hier sogar gebrütet hat. Das alte Männchen unterscheidet sich durch die blässere oder bleigraue, nach dem Rücken weiße Färbung, die deutlich aschgrau gebänderten Bürzel- und Schwanzfedern und die schwarzen Flügelspitzen, das alte Weibchen durch braune, hell rostfarbig gekantete Federn der Oberseite und Brust, rothgelbe, rostfarbig in die Länge gefleckte der Unterseite; junge Vögel von letzterem durch ganz ungefleckte rostgelbe Unterseite. Außerdem ist beim Kornweih die vierte, beim Steppenweih die dritte Schwinge die längste; auch sind die Schwingen am Außenrande nur bis zur vierten, nicht, wie beim Kornweih, bis zur fünften bogig verengt und inwendig nur bis zur dritten, nicht bis zur vierten, stumpfwinkelig eingeschnitten, und endlich liegt der innere Einschnitt der ersten Schwinge an der Spitze, nicht wie bei dem Kornweih, unter der Spitze der oberen Flügeldeckfedern.
Das Verbreitungsgebiet des Kornweihes ist ein ziemlich ausgedehntes. Er bewohnt ganz Mitteleuropa und ebenso einen großen Theil von Mittelasien, berührt auf seiner Wanderung alle Länder Nordafrikas bis an den Gleicher hin und ebenso ganz Südasien, soweit das Gelände hier den Anforderungen entspricht, welche er an ein behagliches Leben stellt. Nach Norden hin bildet ungefähr der fünfundfunfzigste Grad der Breite die Grenze seines Verbreitungsgebietes. Im Süden Europas tritt er, wie es scheint, nur auf dem Zuge auf. In unserem Vaterlande kommt er in Preußen, Posen, Niederschlesien, Pommern, der Mark Brandenburg, in Sachsen, Mecklenburg, Hannover und im ebenen Westfalen sowie in Bayern geeigneten Ortes überall vor, tritt außerdem einzeln in Westthüringen, Hessen und den Rheinlanden auf, fehlt aber allen Gebirgsgegenden gänzlich und zählt schon im Hügellande zu den seltenen Erscheinungen. Auch zusammenhängende Waldungen meidet er. Er ist, wie alle mir bekannten Glieder seiner Sippe, Charaktervogel der Ebenen, insbesondere solcher, in denen Felder, Wiesen und Gewässer mit einander abwechseln. Genau unter denselben Verhältnissen, wie es scheint auch in denselben Gegenden, lebt, unter allen Umständen jedoch sehr selten und einzeln, der Steppenweih, welcher hier und da, beispielsweise in Westfalen, von verläßlichen Beobachtern als deutscher Brutvogel beobachtet wurde, als solcher regelmäßig aber erst in den angegebenen Ländern Südeuropas, vor allem in der Dobrudscha, auftritt.
In ihren Sitten und Gewohnheiten unterscheiden sich die beiden verwandten Weihenarten, soweit ich habe beobachten können, nur in unwesentlichen Einzelheiten; es genügt daher vollständig, wenn ich im nachstehenden den Kornweih ins Auge fasse. Wenn dieser in den letzten Tagen des März bei uns eingetroffen ist und sein Gebiet bezogen hat, führt er eine so geregelte Lebensweise, daß man ihn hier sicherlich nicht übersehen kann. Das von ihm gewählte, gegen andere seiner Art keineswegs abgeschlossene Gebiet pflegt zwar ziemlich ausgedehnt zu sein; er durchstreift seinen Wohnkreis aber täglich mehrere Male und meist mehr oder weniger genau auf denselben Straßen, so daß er also jedem einigermaßen aufmerksamen Beobachter bestimmt vor das Auge kommen muß. Sobald der Frühthau auf Gebüsch, Gras und Getreide abgetrocknet ist, beginnt er seine Raubzüge, setzt dieselben fort, bis er Beute gewonnen, ruht nach glücklichem Fange mehr oder minder lange Zeit aus, tritt einen zweiten Beutezug an und treibt es so, abwechselnd ruhend und fliegend, bis in die späte Dämmerung. Schaukelnden Fluges, schwankend und anscheinend unsicher dicht über dem Boden dahinstreichend, bald mit über den Leib gehobenen Flügeln schwebend, bald durch matte Flügelschläge sich fördernd, streicht er auf feinen Straßen dahin, mit Vorliebe einem Gebüsche, Bache oder Wassergraben, auch einer Buschreihe folgend, macht von dieser Hauptstraße einen kleinen Abstecher nach rechts und links, dreht sich bisweilen in einem Kreise mehrmals über einer Stelle umher, fällt wiederholt zu Boden herab, als ob er bei jedem Niedersinken ein Opfer greife, erhebt sich aber meist ohne dasselbe und setzt seinen Flug wie früher fort, umschwebt fast gaukelnd eine Baumkrone, kreuzt wiederholt eine Buschreihe, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite derselben dahinziehend, überfliegt eine Wiese oder ein Getreidefeld und kehrt endlich in weitem Bogen nach dem Ausgangspunkte seiner Flugwanderung zurück. Wer genau auf ein ihm bekanntes Paar achtet, bemerkt, daß dasselbe, namentlich das Männchen, bestimmte Oertlichkeiten immer mehr oder weniger genau in derselben Weise absucht, sie aber nicht zu derselben Tageszeit, vielmehr bald in den Früh-, bald in den Mittags-, bald in den Abendstunden bejagt. Ein solcher Jagdzug kann bis anderthalb Stunden währen; nach dieser Zeit pflegt der Weih Viertel- oder Halbestunden lang, mindestens aber mehrere Minuten, auszuruhen. Hierzu wählt er irgend welche Erhebung des Bodens oder eine bestimmte Stelle im Grase und Getreide, sitzt hier träumerisch zunächst einige Minuten regungslos, ohne jedoch zu versäumen, nach allen Seiten hin Umschau zu halten, und beginnt dann sein Gefieder zu glätten und zu putzen. Letzteres geschieht so regelmäßig, daß man seinen Ruheplatz, mindestens während der Mauserzeit, an den hier umhergestreuten Federn zu erkennen vermag. Auf Bäumen habe ich den Kornweih niemals sitzen sehen, wogegen der Steppenweih regelmäßig hier zu ruhen Pflegt.
Anders benimmt sich derselbe Vogel während der Paarungszeit. Gewaltig erregt auch ihn die allmächtige Liebe. Während man sonst in der Regel nur einen Gatten des Paares seinen Weg ziehen sieht, bemerkt man jetzt Männchen und Weibchen gesellt, unter Umständen so neben einander fliegend, daß der eine den anderen bei der Jagd unterstützen zu wollen scheint, auch Wohl in Ringen, welche sich ineinander verschlingen, längere Zeit auf einer und derselben Stelle kreisend. Plötzlich erhebt sich das Männchen, steigt fast senkrecht, den Kopf nach oben gerichtet, in die Höhe, bewegt sich schneller als man jemals bei ihm voraussetzen möchte, überstürzt sich, fällt mit halbangezogenen Flügeln steil nach abwärts, beschreibt einen Kreis und steigt von neuem empor, um ebenso zu Verfahren wie vorher. Dieses Spiel kann der liebesbegeisterte Vogel minutenlang fortsetzen und binnen einer halben Stunde zehn- oder zwölfmal wiederholen. Auch das Weibchen versucht, ähnliche Flugkünste auszuführen, treibt es aber, soweit meine Beobachtungen reichen, stets gemäßigter als jenes.
Der Horst, welchen der Kornweih errichtet, ist ein erbärmlicher Bau. Er steht unter allen Umständen auf dem Boden, entweder in einem sperrigen und niedrigen Strauche, auf jungen Holzschlägen oder im schossenden Getreide, im hoch gewachsenen Grase sumpfiger Wiesen und selbst im Schilfe oder Rohre, hier dann stets auf einer Kaupe. Eigentlich ist er nichts anderes als ein untergeordneter Haufen trockener Reiser, Gras- und Rohrhalme, Kartoffelstengel, Mistklumpen und dergleichen, welche mit den Fängen ausgenommen und an ihre Stelle gelegt, auch fast ohne Hülfe des Schnabels verbaut und innen mit ebenso zugetragenen Moosen, Thierhaaren, Federn und anderen Weichen Stoffen liederlich ausgefüttert werden. Eine gewisse Ordnung der letzteren Stoffe bemerkt man erst, nachdem das Weibchen schon brütet, gerade als ob es früher keine Zeit gehabt, die Stoffe in regelrechter Weise auszubreiten und Unebenheiten der Nestmulde zu glätten. Da der Kornweih wie alle anderen Arten seines Geschlechtes nicht früher brüten kann, als bis Gras und Getreide so hoch gewachsen sind, um den Horst zu verdecken, findet man selten vor der Mitte des Mai vollständige Gelege. Die Eier, vier bis fünf, seltener sechs an Zahl, haben einen Längsdurchmesser von vierzig bis sechsundvierzig und einen Querdurchmesser von einunddreißig bis siebenunddreißig Millimeter und sind bald gestreckter, bald gerundeter, meist den Euleneiern ähnlich, also etwas bauchig, feinkörnig, glanzlos und matt grünlichweiß gefärbt, meist ohne alle Zeichnung, wenn mit solcher versehen, nur mit einzelnen, selten dichter stehenden, kleinen, röthlichgrauen oder gelbbraunen Spritzflecken bedeckt. Soweit ich beobachten konnte, brütet ausschließlich das Weibchen; wenigstens habe ich während der Brutzeit immer nur das Männchen einsam umherfliegen sehen und muß daher wohl annehmen, daß sich das Weibchen von ihm mit Nahrung versorgen läßt. Es sitzt fest auf den Eiern und verläßt dieselben erst, wenn ein Feind in unmittelbare Nähe gelangt ist, versteht aber dann, äußerst geschickt sich davonzustehlen. Wie lange die Brutzeit währt, vermag ich nicht zu sagen: Naumann gibt drei Wochen an und mag Wohl das richtige treffen. Die kleinen, allerliebsten, in ein dichtes graulich überflogenes Jugendkleid gehüllten Vögel hocken mit den Köpfen zusammen im Neste, drücken sich bei Ankunft eines fremdartigen Wesens platt auf den Boden nieder und verharren in dieser Stellung, als ob sie leblos wären, bis der Feind sie ergreift oder sich wieder entfernt hat, schweigen auch gänzlich still, wie lebhaft sonst sie ihr an das Piepen junger Küchlein erinnerndes Geschrei vernehmen lassen. Auch sie sitzen lange im Neste; denn man sieht sie nicht vor Mitte Juli, meist erst zu Ende des Monats, umherfliegen. Anfänglich durchstreifen sie das Brutgebiet noch in Gesellschaft ihrer Eltern, welche auch sie unterrichten und zur Jagd anleiten; bald aber regt sich in ihnen die Lust, selbständig aufzutreten, und ehe noch drei Wochen vergangen sind, treiben sie es schon ganz wie ihre Eltern und gehen, die Gemeinschaft mit letzteren freilich auch jetzt noch nicht meidend, nach eigenem Belieben und Behagen ihren Weg durchs Leben. Vom August an beginnen sie im Lande umherzuschweifen, kehren vielleicht dann und wann noch nach dem Brutgebiete zurück, dehnen ihre Streifzüge weiter und weiter aus und treten endlich im September ihre Winterreise an. Einer und der andere Vogel verweilt noch länger in der Heimat, und in sehr günstigen Wintern kann es geschehen, daß ein Kornweih an besonders bevorzugten Oertlichkeiten auch Wohl in derselben verbleibt.
Zu meinem aufrichtigsten Bedauern darf ich nicht als Anwalt des Kornweihes auftreten. Es läßt sich nicht verkennen, daß der schöne lichtblaue Vogel, zumal im Frühjahre, wenn er über den grünen Feldern dahinschwebt, als ein wahrer Schmuck der Ebene bezeichnet werden muß; es läßt sich ebensowenig in Abrede stellen, daß er durch Aufzehren von Mäusen und Kerbthieren, namentlich Heuschrecken, uns entschieden nützlich wird, durch Wegfangen von Eidechsen und Fröschen, welche nächst den Mäusen wohl seine hauptsächlichste Nahrung bilden dürften, uns wenigstens nicht Schaden bringt: zahlreiche Uebergriffe in unseren Augen aber, welche er sich erlaubt, berauben ihn des Rechtes, von uns gehegt und gepflegt zu werden. Ungeachtet seiner anscheinenden Schwächlichkeit ist er ein ebenso dreister als gefährlicher Feind aller Thiere, welche er bewältigen kann. Vom Zisel und jungen Häschen an blutet jedes kleinere Säugethier, vom halb erwachsenen Fasan und Rebhuhn an bis zum Laubsänger herab jeder in einem auf dem Boden stehenden Neste geborene junge, noch unbehülfliche Vogel in seinen Räuberklauen. Ausgefiederte und flugbare Vögel vermag er allerdings nicht zu fangen; eine auf dem Boden brütende Vogelmutter aber nimmt er unter Umständen ebenso geschickt weg, als er den halb erwachsenen Vogel aus dem Neste hebt oder dieses seiner Eier beraubt. Daß er wirklich junge Fasanen schlägt, ist durch glaubwürdige Augenzeugen festgestellt worden. »Erst im September des Jahres 1876«, schreibt mir von Meyerinck, »erlegte ich einen Kornweih, welcher über einer Kartoffelbreite fortzog und plötzlich angreifend zu Boden herabsank. Er hatte einen halb erwachsenen Fasan geschlagen und schon die Eingeweide herausgerissen, wofür er seine gerechte Strafe erhielt. Dergleichen Fälle sind mir öfters vorgekommen.« Die Rebhühner ängstigt er, wie Naumann hervorhebt, gar sehr. Im Fluge zwar kann er auch ihnen nichts anhaben, und sie ergreifen deshalb jedesmal, sobald sie ihn kommen sehen, die Flucht und verbergen sich im langen Getreide, zwischen Gestrüpp oder in Kohl- und Rübenfeldern so schnell als möglich vor dem gefürchteten Räuber. Dem scharfen Auge des letzteren entgeht dieses Versteckenspielen natürlich nicht. Er fliegt sofort herbei, durchsucht den Versteckplatz auf das genaueste, flattert fortwährend über demselben umher, fällt oftmals nieder, als ob er nach etwas griffe, fliegt aber auf und treibt solch böses Spiel so lange, bis eines der jungen Hühnchen es versieht und sich von ihm ergreifen läßt. »Feldhahn und -Henne«, sagt von Riesenthal, »vertheidigen zwar oft gemeinschaftlich ihre Nachkommenschaft; indessen geht dabei doch meistentheils das eine oder das andere Küchlein verloren.« In ähnlicher Weise bemächtigt er sich anderer Nestflüchter, beispielsweise junger Rohrhühnchen, Bekassinen und sonstiger Sumpf- und Wasservögel, wogegen er auch die in Nestern brütenden Vögel durch seine Fertigkeit, im Fliegen plötzlich anzuhalten und zu Boden zu fallen, zu überraschen versteht. Mit vorstehendem habe ich sein Sündenregister übrigens vollständig aufgezählt, und nunmehr gewähre ich ihm nicht mehr als Gerechtigkeit, wenn ich noch ausdrücklich hervorhebe, daß seine dem Kleingeflügel gefährliche Thätigkeit mit der Brutzeit desselben endet. Vorurtheilslose Abwägung seiner Gut- und Uebelthaten ergibt also, daß er eine verhältnismäßig kurze Zeit uns nützliche Thiere, im ganzen übrigen Jahre hingegen uns schädliche befehdet, mindestens durch seine Räubereien uns nicht mehr lästig wird.
Mit den Krähen lebt der Kornweih in beständigem Streite, und von dem muthigen Kleingeflügel, namentlich von Schwalben und Bachstelzen, muß er sich viel gefallen lassen. Endlich behelligen ihn noch Schmarotzer, welche auf und in seinem Körper leben. Unter den Menschen dürfte ihm der Einsammler am gefährlichsten werden; denn dem Jäger weiß er in den meisten Fällen zu entgehen. Der Uhu lockt, wenn man ihn nicht in der Nähe des Horstplatzes aufstellt, in der Regel nur junge Vögel herbei, und Fallen, mit Ausnahme eines sorgfältig verdeckten und richtig geköderten Tellereisens vielleicht, führen gewöhnlich auch nicht zum Ziele. So bleibt die Jagd eigentlich Sache des Zufalles. Wer sich das Warten nicht verdrießen läßt, erlegt ihn, wenn er sich an einer seiner durch längere Beobachtung erkundeten Flugstraßen verdeckt aufstellt, und wer einmal einen geschossen hat, braucht sich bloß in einem Busche zu verbergen und bei Ankunft eines zweiten den getödteten in die Luft zu werfen, um ziemlich sicher auch den zweiten zum Schusse zu bekommen; denn die allen Weihen, insbesondere aber den Kornweihen eigene Neugier lockt einen fliegenden sofort herbei, wenn er einen anderen seiner Art, ja selbst seines Geschlechtes, zu Boden herabfallen sieht.
In Gefangenschaft zeigt sich auch der altgefangene Kornweih bei weitem ruhiger als irgend ein anderer mir bekannter Raubvogel, mit alleiniger Ausnahme seiner nächsten Verwandtschaft. Anscheinend ohne Groll fügt er sich in den Verlust seiner Freiheit, betrachtet mit gleichgültigen Blicken den vor seinem Käfige stehenden Menschen, trabt in demselben gemächlich auf und ab und nimmt dabei so wundersame Stellungen an, daß man eigentlich jetzt erst einen Begriff von seinem wirklichen Aussehen erlangt. Auf das ihm gereichte Futter stürzt er sich ohne Besinnen, frißt auch von allem, was man ihm reicht, beweist aber bald, daß er nur bei ausgesuchter Speise längere Zeit in Gefangenschaft gehalten werden kann. Wer ihn am Leben erhalten will, muß seine Tafel mit dem verschiedenartigsten Kleingethier beschicken, und wer ihn aufziehen will, die Nahrung noch außerdem zerstückelt vorlegen. Aus diesen Gründen sieht man die in so vieler Beziehung fesselnden Vögel nur äußerst selten und stets nur auf kurze Zeit in diesem oder jenem Thiergarten.
Hier und da in Deutschland gesellt sich dem Kornweih, in einzelnen Gegenden vertritt ihn der Wiesen- oder Bandweih, die Wiesen- oder Bandweihe ( Circus cineraceus, cinerarius, cinerascens und Montagui, Falco cineraceus, Strigiceps cineraceus, cinerascens, pratorum und elegans, Glaucopteryx cinerascens) wegen seiner verhältnismäßig längeren Flügel und des undeutlichen Schleiers auch wohl als Vertreter einer besonderen Untersippe (Glaucopteryx) angesehen, in Sein und Wesen jedoch ein echter Weih. Die Länge beträgt vierundvierzig, die Breite einhundertfünfundzwanzig, die Fittiglänge achtundvierzig, die Schwanzlänge dreiundzwanzig Centimeter. Das alte Männchen, unzweifelhaft die schönste unserer Weiharten, ist auf Kopf, Nacken, Rücken und Oberbrust bläulich-, im Nacken und Rücken wegen der hier merklich hervortretenden dunklen Federsäume dunkel aschgrau gefärbt, auf Unterbrust, Bauch und Hose weiß, durch schmale rostrothe Schaftstriche in hohem Grade geschmückt. Die Schwingen erster Ordnung sind schwarz, die der zweiten licht aschblau, durch ein schwarzes Band gezeichnet, die hintersten Armschwingen braungrau, die beiden Mittelfedern des Schwanzes aschgrau, die übrigen, auf der Innenfahne nach außen zu sich verbreiternd, heller, so daß die äußersten fast weiß erscheinen, die beiden seitlichen Federn dagegen rostbräunlich, alle schwarz gebändert. Die mittleren Unterflügeldecken zeigen ebenfalls die rostrothen Schaftstriche, die kleinsten sind weiß, die untersten mit unregelmäßigen, grauen, die des Ellnbogengelenkes mit einigen rostbraunen Bändern geziert. Beim alten Weibchen wie beim jüngeren Weibchen, welche ein sehr ähnliches Kleid tragen, ist die vorherrschende Färbung der Oberseite braungrau, die der Unterseite weiß, mit kleinen, undeutlichen, rostfarbigen Flecken besprenkelt, der Scheitel rostroth und schwarz gestreift. Junge Vögel sind auch unterseits durchaus rostfarbig, ohne Flecke, die Federn der Oberseite aber dunkel braungrau, mit rostfarbigen Spitzensäumen. Ueber dem Auge steht ein weißer Fleck und unter diesem auf den Wangen ein großer dunkelbrauner. Der Bürzel ist weiß, und die Schwingen wie die Schwanzfedern zeigen dunkle Querflecken. Die Iris ist bei alten Vögeln lebhaft hochgelb, bei jungen braun, der Schnabel blauschwarz, die Wachshaut gelb, der sehr hohe und dünne Fuß wachsgelb.
Das Verbreitungsgebiet des Wiesenweihes ist nicht minder ausgedehnt als der Wohnkreis der beiden geschilderten Verwandten; doch gehört der Vogel mehr dem Osten als dem Westen des nördlich altweltlichen Gebietes an. In Deutschland zählt er zu den selteneren Arten der Sippe, ohne jedoch an geeigneten Orten zu fehlen. Seinem Namen entsprechend, verlangt er weite Wiesen oder wenigstens im Sommer auf größere Strecken hin trockene Sümpfe, siedelt sich daher vornehmlich in der Nähe von Flüssen und insbesondere in Niederungen an, welche während des Winters bei hohem Wasserstande unter Wasser gesetzt werden. Daher bewohnt er in unserem Vaterlande vorzugsweise die norddeutsche Ebene, von Ostpreußen an bis zu den Rheinlanden. Häufiger tritt er in Niederösterreich, dem Tieflande Ungarns, den südlicheren Donauländern und hier und da in Rußland auf; als Brennpunkt seines Verbreitungsgebietes aber dürften vielleicht die Steppen Sibiriens und des nördlichen Turkestan angesehen werden. In allen Steppen um den Altai, nach Südosten bis zum Alatau, welche ich mit Finsch und Graf Waldburg-Zeil bereiste, fanden wir den Wiesenweih als vorherrschende Art, begegneten ihm aber, was noch besonders zu erwähnen sein möchte, ebenso, und zwar wiederholt, in der Tundra des unteren Obgebietes, unter dem achtundsechzigsten Grade der Breite, also weiter nördlich, als irgend ein anderer mir bekannter Weih vorkommen dürfte. Nach Osten hin erstreckt sich sein Verbreitungsgebiet bis China. Gelegentlich seines Zuges durchstreift er im Herbste und Frühlinge ganz Südeuropa, den größten Theil Südasiens und Afrikas, bevölkert im Winter Indien geeigneten Ortes in erheblicher Anzahl, wandert bis in das Gebiet der innerafrikanischen Steppen, erscheint, laut Andersson, selbst im Damaralande und steigt, nach Heuglin, bis zu den höchsten Gebirgen von Habesch auf.
Obwohl der Wiesenweih in seinem Auftreten und Wesen sowie in allen Sitten und Gewohnheiten nicht erheblich vom Korn- und Steppenweih abweicht, kann ich es mir doch nicht versagen, an dieser Stelle Mittheilungen einzufügen, welche ich der gewandten Feder des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich verdanke. Die Lebensschilderung des Vogels ist so frisch und lebendig geschrieben und dabei so treu und verläßlich, daß sie von keiner anderen mir bekannten erreicht, geschweige denn übertroffen wird. »In Niederösterreich«, so schreibt mir der Erzherzog, »tritt der Wiesenweih selbst in der nächsten Umgebung von Wien als Brutvogel auf, zeigt sich jedoch wie die meisten Verwandten in der Wahl seines Aufenthaltsortes sehr wählerisch. Große, weit ausgedehnte Ebenen ohne Wald, jedoch mit Gestrüppe bedeckt, auf denen Wiesen und Felder miteinander abwechseln, und welche von einigen Gewässern durchschnitten werden, bilden seine Wohnsitze. Er ist der wahre Vogel der Tiefebene und wird ebensowenig im Gebirge wie in waldigen Gegenden zu treffen sein. Zwar ist er nicht in dem Maße wie der Rohrweih an einen bestimmten Aufenthaltsort gebunden; doch meidet auch er fast ängstlich, seine Heimat zu verlassen und weite Flüge zu unternehmen. Ausgedehnte Felder und Wiesen, letztere besonders, wenn sie etwas feucht sind, junge Niederhölzer und Schläge am Rande der Auwälder größerer Ströme sind ihm willkommene Standplätze, hauptsächlich, wenn ausgedehnte, offene Landstriche in unmittelbarer Nähe sich befinden. Bet uns, in Niederösterreich, sieht man übrigens deutlich, daß unser Land bereits am Rande seines Verbreitungsgebietes liegt, da er hier im allgemeinen selten und nur auf ganz besonders für ihn geeigneten Plätzen vorkommt.«
Ich will an dieser Stelle einfügen, daß der Vogel auch in den vorher erwähnten Steppen mit Vorliebe Oertlichkeiten aufsucht, welche durch einen Fluß oder Bach, ja sei es auch nur ein sickerndes Wässerchen, feucht gehalten werden, sie zu seinem eigentlichen Wohngebiete wählt und von ihnen aus Streifzüge durch die trockeneren Steppen unternimmt. Abweichend aber von den sonst gesammelten Beobachtungen steigt unser Weih in den Steppengebirgen hoch empor und scheut sich dabei nicht, kleinere Waldungen zu überfliegen, obwohl er in der Regel an jenen Gehängen festhält, welche das Gepräge der Steppen auch in der Höhe wiederspiegeln.
»Der Wiesenweih«, fährt der Erzherzog fort, »ist ein echter Erdfalk, welcher sein ganzes Leben auf dem Boden oder niedrig über demselben verbringt. Nur in der Paarungszeit sieht man das Pärchen häufig in die Höhe aufsteigen und Flugkünste ausführen, welche jedoch nicht den Umfang derer des Rohrweihes annehmen, trotzdem unser Vogel eigentlich ein schnellerer, leichterer und ausdauernderer Flieger ist als sein größerer Verwandter. Seinen Flug, so gänzlich abweichend von dem der meisten Raubvögel, möchte man mit dem der Schwalben und Möven vergleichen: mit letzterem verwechselt ihn selbst der erfahrene Jäger nicht allzu selten. Erhebt sich der Wiesenweih vom Boden, um dicht über demselben dahinzuziehen, so gewinnt sein Flug oft eine auffallende Ähnlichkeit mit dem unseres Nachtschattens. Die größte Unruhe, welche ein gefiedertes Wesen bethätigen kann, kennzeichnet diesen Weih. Von Tagesanbruch bis lange nach Sonnenuntergang befindet er sich in fortwährender Bewegung, und zwar meist innerhalb der Grenzen eines ziemlich engen Bezirkes. Oft erblickt man ihn mit ausgebreiteten Schwingen ohne Flügelschlag über den wogenden Kornfeldern dahinziehen; plötzlich fährt er in krummen Linien ein kurzes Stück niedrig über Feldrainen und Wiesen vorwärts, schwingt sich hierauf steil in die Höhe, um nach Falkenart zu rütteln oder kurze Zeit zu kreisen, und läßt sich hierauf meist senkrecht zum Boden herab in dichtes Getreide oder in das hohe Gras fallen, um einige Augenblicke zu ruhen; dann beginnt von neuem das Spiel, welches er Tag für Tag fortsetzt. Die Weibchen führen ein ruhigeres Leben als die Männchen und halten sich, besonders in der Nistzeit, mehr am Boden auf. Sie sind überhaupt unansehnliche Vögel, welche der Laie meist nicht erkennt, sondern höchstens als andere Raubvögel ansieht, falls er ihnen überhaupt einige Aufmerksamkeit widmet. Das Männchen hingegen ist wirklich einer der hübschesten und zierlichsten Vögel, welche unsere Heimat beherbergt. Sein munteres, unruhiges Wesen belebt die eintönige Ebene in hohem Grade, und der schlanke Vogel, welcher, von der Sonne beleuchtet, silbern erglänzend über den wogenden Kornfeldern umherschwebt, erstaunt und fesselt jedermann, welcher gewohnt ist, in den mitteleuropäischen Ländern nur dunkel gefärbte Mitglieder der Raubvögelgruppe zu sehen. Nachts wählt sich unser Weih als Schlafplatz entweder ein Kornfeld, eine hohe Wiese, dichtes Gestrüppe, manchmal auch Schilf und nicht minder häufig Grenzsteine, Holzpflöcke, Bildstöcke etc.; unter allen Umständen aber ruht er auf oder wenigstens sehr niedrig über dem Boden. Waldbeständen sucht er schon bei Tage, noch mehr aber bei Nacht auszuweichen. Niemals sah ich einen aufgebäumt, beobachtete vielmehr regelmäßig, daß er nicht allein die Wälder, sondern auch freistehende Bäume umfliegt, ja selbst in Junghölzern, in denen er nistet, es vermeidet, auf Stauden sich niederzulassen. So gern er sich in der Nähe der Auen umhertreibt, so bestimmt hält er sich auch hier vom Inneren des Waldes fern. Wohl zieht er an Säumen der höheren Bestände dahin; niemals aber dringt er in sie ein. Oefters sieht man ihn den einzelnen Stromarmen entlang nach Mövenart auf- und niederstreifen; aber nur ein einziges Mal beobachtete ich, daß er, durch den seinen Weg kreuzenden Kahn geschreckt, einem Hochwalde zuflog.
»Gesellig wie andere seiner Art, sucht er selbst im Frühjahre mehrere Genossen, um gemeinschaftlich mit ihnen zu nisten und über Tages sich umherzutreiben. Oft sieht man mehrere Männchen im Vereine die Ebene bejagen oder von Zeit zu Zeit an das nächste Gewässer streichen, wie sie dies sehr gern thun. An der Donau fliegen sie oft unter Rohrweihen und Milanen am Gestade oder tummeln sich mit diesen in den Lüften umher. Nach Art seines Geschlechtes ist auch der Wiesenweih ein scheuer Vogel, welcher jedermann aus gehöriger Entfernung ausweicht, ohne dabei jedoch die schlaue und kluge Vorsicht der Falken zu bekunden. Ohne zu unterscheiden, ob Jäger oder Bauer, ob Mann oder Frau, wie so viele andere Raubvögel thun, sucht er vor jedem Menschen das weite, oft mit der unglaublichsten Hartnäckigkeit seine krumme Bahn verfolgend und nur ebensoviel ausweichend, als es der Fall ist, wenn er sonst eine seiner Schlangenwindungen beschreibt. Falls er hoch über den Feldern dahinzieht und den Menschen schon früh genug erblickt, darf man sicher sein, daß er weiter, als ein Schrotgewehr trägt, bei dem Erzfeinde aller Thiere vorüberfliegt; nicht selten aber streicht er auf Fußsteigen zwischen den Feldern und den Rändern der Wiesen niedrig über dem Boden weg, und dann geschieht es leicht, daß er an einer Ecke des Feldes wegen Mangel an Ausblick den Jäger bis auf einige Schritte anfliegt und übertölpelt werden kann. Am Boden sitzend, ist er weniger furchtsam und trachtet, durch Verstecken sich zu retten. Besonders wenn er in niedrigem Gestrüppe ruht, läßt er den Menschen ruhig an sich vorbeigehen und steht erst in nächster Nähe vor ihm auf.
»Der Horst des Wiesenweihes ist ein einfacher Bau aus Reisig, dürren Aesten etc., welche ziemlich fest über einander gelegt werden, befindet sich stets am Boden, entweder zwischen dichtem Gestrüpp oder auch im Getreide, hohem Grase und selbst im Schilfe. Im allgemeinen ist unser Vogel weit vorsichtiger als der Rohrweih in der Wahl seiner Nistplätze und vermeidet es unter allen Umständen, sein Nest ins Freie zu stellen. Je nach dem Stande der Witterung, jedoch meist erst in der zweiten Hälfte des Mai, findet man das vollständige, aus vier bis fünf, im selteneren Falle sechs Eiern bestehende Gelege. Die Eier, deren Länge durchschnittlich zweiundvierzig und deren längster Querdurchmesser zweiunddreißig Millimeter beträgt, sind rein weiß oder doch nur sehr selten gefleckt, glanzlos und feinkörnig, daher Euleneiern einigermaßen ähnlich, obwohl durch ihre innere schön lichtgrüne Färbung bestimmt von diesen sich zu unterscheiden. Sie ähneln denen des Kornweihes in so hohem Grade, daß sie oft mit ihnen verwechselt worden sein mögen. In der Liebe zu seinen Eiern und Jungen übertrifft der Wiesenweih fast noch seine übrigen Verwandten, insbesondere den Rohrweih, und zwar beschränkt sich diese Anhänglichkeit bei ihm nicht bloß auf das Weibchen, sondern auch das Männchen setzt sich beim Horste rückhaltslos jeder Gefahr aus; selbst fremde Wiesenweihen eilen herbei, wenn einer Brut Gefahr droht, und umkreisen vereint mit den bedrohten Eltern unter lautem Geschrei den Friedensstörer. Dies ist dadurch besonders erleichtert, daß meistens einige zusammen an einer Stelle nisten und selbst alte oder noch sehr junge unbeweibte Vögel, welche keinen Horst haben, am nämlichen Platze gern sich aufhalten. Während die Weibchen auf dem Neste sitzen, streichen die Männchen fortwährend in der Nähe auf und nieder, kommen von Zeit zu Zeit zu der Gattin, um bei ihr sich niederzulassen, beginnen nach kurzer Rast wieder umherzufliegen, und verlassen dann meist auf eine Weile die eigentliche Niststelle, um Nahrung zu suchen. Ich fand einmal zwei Nester von Wiesenweihen in einem Jungholze, welches den äußeren Südrand der Donau unweit von Mannswörth, östlich von Wien, bildet. Besagtes Jungholz ist höchstens einen Kilometer lang und nicht über fünfhundert bis sechshundert Schritte breit. Auf der nördlichen Seite begrenzen es hohe Auwaldungen; auf der südlichen trennt es ein Wasserarm von den benachbarten Feldern der etwas höher gelegenen offenen Ebene. Das Jungholz selbst war dicht, aber kaum einen Meter hoch. Auf einzelnen freien Stellen befanden sich noch die Stöcke abgehauener Baumstämme. Beide Horste standen in der Mitte dieses Gehölzes, nicht fünfzig Schritte von einander entfernt. Schon als ich mit meinem Kahne den Wasserarm übersetzte, sah ich vier Männchen und ein Weibchen oder jüngeres Männchen um das Gehölz und über demselben kreisen; vom Vorhandensein der beiden brütenden Weibchen aber überzeugte ich mich erst, als ich mich den Horsten bis auf einen Schritt genähert hatte. Beide entfernten sich dann mit größter Geschicklichkeit, indem sie durch das Gebüsch senkrecht emporstiegen und nunmehr nach Falkenart rasch wegstrichen, ganz anders, als der träge Rohrweih unter ähnlichen Umständen zu thun pflegt. Trotzdem ich mich nahe an dem Horste aufgestellt hatte, kehrten sie sogleich wieder zu demselben zurück. Aber auch die Männchen strichen fortwährend in unmittelbarer Nähe umher, öfters den Hochwald entlang, auch über demselben kreisend, dann wieder niedrig über dem jungen Holze hin oder wie Möven dem Arme folgend, stromauf- oder stromabwärts über dem Spiegel spielend. Als sich alle an meine Gegenwart gewöhnt hatten, dehnten sie ihren Flug auch bis auf die Felder aus, kehrten aber immer bald wieder zurück. Nun setzte ich meinen Uhu auf einen freien Platz in der Nähe der Horste und lauerte in einem benachbarten Gebüsche. Augenblicklich begannen die Weihen wie sinnlos auf den Uhu zu stoßen und strichen niedrig über dem gehaßten Gegner umher. Es ist ein hübscher Anblick, wenn der silberglänzende Vogel in höchster Wuth mit ausgebreitetem, aufgeblähtem Gefieder, die langen Ständer zum Angriffe weit vorgestreckt, über dem Uhu schwebt und von Zeit zu Zeit auf ihn herniederstößt. Manchmal läßt er dabei einen lauten Pfiff ertönen, wogegen er während des Stoßens nur ein undeutlich hörbares Geschicker ausstößt. Der Uhu seinerseits erkennt seinen schwachen Feind sofort und würdigt ihn kaum eines Blickes. Selbst Schüsse und der Tod eines Genossen verscheucht die Weihen nicht; einzelne von ihnen setzen sich sogar nicht weit vom Uhu in die Gebüsche nieder, als ob sie für neue Angriffe sich durch Ruhe stärken wollten. Nach beiläufig einer halben Stunde erkalteten jedoch die häufigen Angriffe, und immer weitere Kreise um den Gegner beschreibend, zogen sich die Weihen in entferntere Gebüsche zurück. Gänzlich aber verließen sie den Platz nicht, und begannen sogar wieder zu stoßen, als ich den Uhu auf dem entgegengesetzten Ende des Jungholzes ausstellte.
»Der Wiesenweih lebt bei uns von der Jagd, welche er auf laufendes, sitzendes, kriechendes Wild, nicht aber auf fliegendes, ausübt. Die vorzüglichste Nahrung bilden Hamster, Zisel, Feldmäuse, Frösche; außerdem nimmt er nicht flugbare Vögel, hier und da ganz junge Hasen, Wachteln und Feldhühner auf. Meiner Ansicht nach steht der geringe Schaden, welchen er durch seine Jagd anrichtet, kaum im Verhältnisse zum Nutzen, den er bei uns zu Lande durch Vertilgung von Ziseln, Mäusen und anderen unnützen Nagern leistet.«
Die letzte Art der Sippe, deren ich Erwähnung zu thun habe, ist der Rohrweih oder die Rohrweihe, Sumpf-, Frost-, Schilf-, Moos- und Brandweih, Rohrvogel, Rohrgeier, Rohrfalk, Sumpfbussard, Weißkopf und wie er sonst noch genannt werden mag ( Circus aeruginosus, rufus und arundinaceus, Falco aeruginosus, rufus und arundinaceus, Buteo aeruginosus Pygargus rufus, Accipiter circus). Das Kleid unterscheidet sich nicht allein nach Geschlecht und Alter, sondern auch nach der Jahreszeit ziemlich erheblich. Beim alten Männchen sind die Federn der Stirne und des Scheitels braungelb gerändert, die der übrigen Oberseite kaffeebraun, die der Wangen und Kehle blaßgelb, dunkler geschäftet, die des Vorderhalses und der Vorderbrust gelbbraun in die Länge gefleckt, die des übrigen Unterkörpers rostroth, an der Spitze heller, die Handschwingen schwarzbraun, ein Theil der Armschwingen und die großen Flügeldecken schön aschgrau, die Steuerfedern heller grau, röthlich überflogen, von unten gesehen weißlich. Beim alten Weibchen ist die Färbung stets minder lebhaft und eintöniger, namentlich das Aschgrau der Flügel- und Schwanztheile selten ausgeprägt, der Schwanz vielmehr von oben gesehen graubraun, der Kopf gelblichweiß, durch die dunklen Schaftstreifen gestrichelt; ein Fleck im Nacken jederseits, die Schultern, der Schleier und die Brust haben ebenfalls lichtere Färbung. Beim jungen Vogel, welcher im ganzen dem Weibchen ähnelt, herrscht einfarbiges Dunkelbraun vor; Oberkopf, Genick und Kehle sind gelblichweiß oder doch sehr licht und mehr oder weniger dunkel gefleckt oder durch Schaftstriche gezeichnet. Die Länge beträgt fünfundfunfzig, die Breite einhundertsechsunddreißig, die Fittiglänge dreiundvierzig, die Schwanzlänge vierundzwanzig Centimeter. Das Weibchen ist um drei bis vier Centimeter länger und sieben bis neun Centimeter breiter.
Vom siebenundsunfzigsten Breitengrade an nach Süden hin fehlt der Rohrweih keinem Lande und keinem Gaue Europas, vorausgesetzt, daß derselbe den Bedingungen entspricht, welche dieser Vogel an seinen Aufenthalt stellt. Außerdem kommt er in ganz Westasien, etwa von der Breite des Altaigebirges nach Süden hin, regelmäßig vor, tritt aber je weiter nach Osten je seltener, beispielsweise am Amur und in China nur sehr vereinzelt auf. Gelegentlich seines Zuges durchstreift er das festländische Südasien und ebenso einen großen Theil Afrikas. Mehr als jeder andere Weih ist er an Niederungen gebunden; denn Sumpf und Wasser gehören so unbedingt zu den Bedürfnissen seines Lebens, daß man behaupten darf, er lasse beide niemals außer Sicht. Bei uns zu Lande Zugvogel, welcher erscheint, sobald die Gewässer im Frühjahre aufgehen, also frühestens im März, spätestens im April eintrifft, schon im August zu wandern beginnt und spätestens bis Ende Oktober uns gänzlich verlassen hat, beobachtet man ihn bereits im Süden Europas, namentlich in Griechenland und Spanien, ebenso aber auch in Nordafrika, insbesondere in Egypten, und nicht minder häufig in Persien und Indien während des ganzen Jahres als eigentlichen Standvogel. Gesellig, wie alle Weihen, sucht er während seiner Reise nicht allein die Gesellschaft seinesgleichen, sondern vereinigt sich sogar zeitweilig mit Bussarden und Sperbern, in deren Gesellschaft er sodann, jedoch immer in seiner eigenen Weise, umherstreift und jagt.
Obwohl ich den Rohrweih in drei Erdtheilen und dann und wann in namhafter Menge beobachtet habe, ziehe ich es doch vor, anstatt meiner Erzherzog Rudolf reden zu lassen. Hier und da schiebe ich beachtenswerthe Beobachtungen anderer Forscher und eigene Wahrnehmungen ein.
»In den ausgedehnten Sümpfen Ungarns«, so schildert der Erzherzog, »ist der Rohrweih vielleicht noch häufiger als in der Norddeutschen Tiefebene und den Marschen Schleswigs und Hollands, in den übrigen Ländern Oesterreichs dagegen entweder gar nicht anzutreffen oder auf eng begrenzte Gebiete beschränkt, so beispielsweise in Niederösterreich, woselbst große Waldungen und trockenere, zu Feldern umgewandelte Landstriche mit einander abwechseln, auf die sumpfigen Stellen der Auwaldungen und die Ufer der Donau. Dies tritt um so mehr hervor, als der Rohrweih weniger noch als andere Arten seiner Sippe zu weiteren Streifzügen Veranlassung findet. Fast ängstlich vermeidet er, sein Wohngebiet zu verlassen, und niemals wird man ihm im Walde oder im Gebirge begegnen. Schon trockenen Kornfeldern weicht er aus. Noch niemals habe ich ihn im Hügellande und Mittelgebirge gesehen. Selbst in jenen Waldgebieten, welche höchstens zehn Kilometer von seinem Wohnorte entfernt sind, vermißt man ihn, und zwar während der Zugzeit ebenso wie während der Brutzeit. In den Donauauen, welche er alljährlich in ziemlicher Anzahl bevölkert, hält er sich ebenfalls an ganz bestimmte Plätze. Es fällt auf, daß man ihn in hochstämmigen Gehölzen niemals antrifft, obgleich häufig einige hundert Schritte davon entfernt sein Horst gefunden werden mag.
»Lebensweise und Wesen kennzeichnen den Rohrweih als unedlen Raubvogel, welcher die hervorstechenden Eigenthümlichkeiten dieser Thiergruppe nicht an sich trägt. Sein schwacher Bau erlaubt nur gemeine Jagd auf kraftloses Wild, welches er am Boden oder im Verstecke des Morastes im wahrsten Sinne des Wortes mordet. Dem Menschen weicht er ängstlich aus, weiß sich auch geschickt durch die Flucht ins Schilf oder nach ungangbaren Sumpfstellen zu retten und entrinnt so, ohne eigentlich scheu zu sein, in den meisten Fallen der Verfolgung. Außer der Paarungszeit bemerkt man den großen Raubvogel viel weniger, als man glauben sollte. Ueber Tages verhält er sich ruhig im Schilfe und betreibt hier seine Jagd in aller Stille, jedenfalls aber mit genügendem Erfolge. Dies gilt besonders dann, wenn er seine Wohnstätte in ausgedehnten Morästen, an stehenden Gewässern und in Brüchen aufgeschlagen hat. Hier sitzt er den Tag über auf starken Rohrstengeln, Schilfköpfen, umherschwimmenden Holzstücken, alten herausstehenden Pfählen und dergleichen, immer aber soweit als möglich vom Gestade entfernt. Einen Kahn, welcher durch das Röhricht fährt, oder einen umherschwimmenden Jagdhund läßt er so nahe herankommen, als ob er sich auf sein dunkles Gefieder verlassen wolle, und erst wenn ihm ernstere Bedenken ankommen, erhebt er sich, nicht aber nach Art anderer Raubvögel, welche so schnell als möglich eine gewisse Entfernung zu erreichen trachten, sondern langsam mit schwerem Schlage der runden Flügel, niedrig über dem Röhre dahinziehend. In den ersten Augenblicken nach dem Auffliegen, oder wenn er nur einen kurzen Flug beabsichtigt, läßt er seine langen Ständer schlaff herunterhängen und kann dann selbst von nicht ungeübten Jägern leicht mit einer Rohrdommel oder dem Purpurreiher verwechselt werden. Zum ersten Male aufgetrieben, sucht er nicht in der Flucht sein Heil, sondern läßt sich baldmöglichst wieder nieder und trachtet, sich zu verstecken. Am Neusiedler See sah ich einmal aus einem dichten Röhricht, welches bis tief in den See hinein das Ufer umgibt, ein Rohrweihpaar nicht weit von unserem Kahne sich erheben und längere Zeit in der Nähe des letzteren, unmittelbar über dem Schilfe, umherkreisen. Beide Vögel hielten sich eben so weit entfernt, daß ein Schrotschuß sie nicht erreichen konnte, ließen sich von Zeit zu Zeit nieder, erhoben sich wieder und setzten ihr Spiel während der ganzen Zeit meiner Jagd fort, ohne sich durch die Schüsse, welche ich auf Möven, Enten und Rohrdommeln abfeuerte, vertreiben zu lassen. Ganz anders benimmt sich der Rohrweih auf solchen Wohnplätzen, auf denen er sich vor den Nachstellungen des Menschen nicht gesichert fühlt, so z. B. in den Auen an der Donau, wo sein Nistplatz und Aufenthaltsort in den oft nur dreißig bis vierzig Schritte breiten Rohrwänden der Altwässer und kleinen, stillen Armen zwischen den Auen sich befindet, oder er sogar gezwungen ist, in dichten Junghölzern, Grasbüschen und Stauden auf den Inseln, also an Plätzen sich anzusiedeln, welche alle von Menschen betreten werden können. Hier zeigt er sich merklich vorsichtiger als in den Sümpfen; aber gerade deshalb bekommt man ihn hier weit häufiger zu sehen als dort. Die einzige Zeit, während welcher er seine träge Langsamkeit, sein kriechendes Leben, wie ich sagen möchte, verleugnet, während welcher er Sumpf und Schilf verläßt und sich unter den wunderbarsten Flugkünsten in den höchsten Lüften umhertummelt, gleichsam als wolle er zeigen, was er im Fliegen vermöge, ist die seiner Liebe. Ein Paar dieser sonst so verborgen lebenden Vögel, welche man fast das ganze Jahr über nicht bemerkt, ist im Stande, im Monate April die ganze Gegend zu beleben. Bevor das Weibchen seine Eier legt, also während der Begattungszeit, steigt das Paar oft in die höchsten Luftschichten und führt, in höherem Grade noch als die Milane, kunstvolle und wechselreiche Spiele aus, welche sich von denen der Milane hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß die Vögel sich dann und wann aus bedeutender Höhe auf den Boden herabfallen lassen, daselbst einige Augenblicke verweilen und von neuem zu spielen beginnen, ganz ähnlich wie andere Weihen ebenfalls thun. An den Ufern der Donau erblickt man im April nicht selten vier oder fünf, zuweilen noch mehr Rohrweihen, welche gemeinschaftlich ihre Flugkünste ausführen, hierauf niedrig über dem Wasserspiegel von einem Ufer zum anderen gleiten, über den Sandbänken dahinschweben und gelegentlich unter den Möven umherkreisen. Gesellen sich ihnen, wie dies die Regel, Milane und silberfarbglänzende Wiesenweihen, vielleicht auch noch ein Königsweih, und üben die verschiedenen Vögel gemeinschaftlich ihre Flugkünste aus, so bieten die so belebten Auen dem Beobachter ein reizendes Frühlingsbild.
»Anfang Mai ist die Zeit für diese Scherze vorüber; die Weibchen sitzen bereits auf ihren Horsten, und nur die Männchen unterhalten sich und sie dann und wann noch durch ihre Flugkünste. Wenn man sie immer auf einer Stelle umherkreisen sieht, darf man bestimmt darauf rechnen, daß der Horst in der Nähe sein müsse; es ist daher nicht schwer, ihn zu finden. Auf stehenden Gewässern, im Röhricht und in Sümpfen steht er auf erhöhten Grasbülten, welche den Wasserspiegel überragen, oder nahe am Ufer im Riedgrase, unter Umständen sogar im Getreide, falls Felder unmittelbar an das von Rohrweihen bewohnte Ufer grenzen. Ist kein anderer Platz vorhanden oder der ganze Sumpf unter Wasser, so wird der Horst einfach wie das Nest der Wasserhühner zwischen das hohe Rohr auf das Wasser gebaut, schwimmt also im letzteren Falle. In den Auen findet man ihn am häufigsten in den Rohrsäumen der Altwasser und schmalen Arme, sehr regelmäßig aber auch auf Holzschlägen und in jungen Wäldern, welche sich nicht weit entfernt vom Ufer befinden. Als Ausnahme habe ich beobachtet, daß einzelne Horste auffallend weit vom Wasser auf ganz trockenem Boden stehen. Der Horst pflegt dann ein ziemlich großer, aus Aesten und Gräsern zusammengesetzter Bau zu sein, welcher flach wie ein Teller am Boden liegt, wogegen er in Sümpfen und Röhricht regelmäßig aus Rohr, Schilf und anderen Wasserpflanzen besteht, welche man das Weibchen in den Fängen, oft von weither, heranschleppen sieht. Bedingung für die Wahl des Nistplatzes ist, daß derselbe dem Vogel beim Zu- und Anstreichen keine Hindernisse biete. Daher steht der Horst auf Schlägen und in jungen Hölzern, in denen die dichten Aeste aus Strecken hin dem langflügeligen großen Vogel Raum zu raschem Aufflattern nicht gewähren, stets auf kleinen Blößen. Das Weibchen baut noch, nachdem es bereits einige Eier gelegt hat, am Horste fort und erachtet denselben erst dann für vollendet, wenn es zu brüten beginnt. Frühestens in den letzten Tagen des April, meist nicht vor den ersten Tagen des Mai, findet man das vollzählige, aus vier bis fünf, im selteneren Falle sechs Eiern bestehende Gelege im Horste. Die Eier, deren größter Durchmesser vierzig bis sechsundvierzig und deren Querdurchmesser einunddreißig bis siebenunddreißig Millimeter beträgt, haben eine rauhe, mindestens matte, glanzlose Schale von grünlichweißer Färbung, wogegen das Innere lebhaft grün aussieht.
»Die Rohrweihen sind die zärtlichsten Eltern, welche man sich denken kann. Während alle übrigen Raubvögel, die Feldweihen ausgenommen, nach einmaligem Verscheuchen vom Neste sich mehr oder minder lange besinnen, ehe sie auf dasselbe zurückkehren, läßt sich der Rohrweih einige Male hintereinander vertreiben und kommt immer sogleich wieder zurück, häufig sogar angesichts seines Gegners. Wenn der Horst frei steht, versucht das Weibchen, welches wie bei anderen Weihen allein dem Brutgeschäfte obliegt, durch Niederlegen auf den Boden und Abplatten seines Leibes, dem Auge sich zu entziehen, und steht erst, wenn man sich aus zwei bis drei Schritte genähert hat, unter lautem Geräusche vom Horste auf, eilt dann aber nicht nach Art anderer Raubvögel so rasch als möglich davon, sondern streicht langsam dicht über dem Boden dahin, und erst, wenn es sich auf etwa hundert Schritte entfernt hat, ein gutes Stück senkrecht in die Höhe, beschreibt aber dann einen weiten Kreis um den Horst und kehrt von der anderen Seite zurück. Bemerkt es auch jetzt noch den Eindringling unmittelbar neben demselben, so kreist es mit jämmerlichem Geschrei umher; aber kaum daß sich der Friedenstörer auf hundert Schritte entfernt hat, fällt es, senkrecht aus der Luft sich herablassend, wieder auf das Nest. Ich fand einmal einen Horst in der Rohrwand eines Altwassers der Donauauen. Das Weibchen, durch den Lärm aufgeschreckt, entfernte sich höchstens einen Schritt vor meinen Füßen vom Neste und wurde von mir sofort erlegt. Das Männchen kreiste in der Nähe, kam auf den Schuß herbei und beschrieb schreiend immer engere Kreise um mich, trotzdem ich ganz frei auf einer Blöße stand, bis ich es durch einen schlecht gezielten Schuß verscheuchte. Bei einem anderen Horste, welchen ich in einem mit dichtem Unterwuchse bedecktem Holzschlage in ziemlich weiter Entfernung von der Donau auffand, verließ wenige Schritte vor uns das Weibchen das Nest. Drei vergebliche Schüsse wurden abgegeben. Ziemlich langsam strich der Vogel einem hohen Jungholze zu und entschwand in ihm unseren Augen; einige Augenblicke darauf aber erschien er wieder an dem entgegengesetzten Saume eines hohen Auwaldes. Wir entfernten uns rasch bis auf beiläufig zweihundert Schritte und waren kaum in dieser Entfernung angelangt, als sich der Weih bereits seinem Neste näherte und rasch auf demselben sich niederließ. Jetzt schlich ich mich wiederum bis auf wenige Schritte an, schoß und streckte die treue Mutter, als sie wiederum aufflog, mit einem wohlgezielten Schusse nieder. So leicht man unseren Weih am Horste zu erlegen vermag, so schwer läßt er sich sonst blicken. Mit dem Uhu vermag man nichts auszurichten, da er kein echter Stößer ist. Zwar nähert er sich rasch der verhaßten Eule, überfliegt sie aber höchstens ein- oder zweimal und sucht sogleich darauf das weite.«
Unter den Weihen muß der Rohrweih unbedingt als der schädlichste angesehen werden. Seine Nahrung besteht fast ausschließlich aus Wasser- und Sumpfvögeln und deren Brut, Eiern nicht minder als jungen Nestvögeln. Nur wenn letztere fehlen, begnügt er sich mit Lurchen, Fischen und Kerbthieren. Seine Jagd betreibt er im wesentlichen ganz nach Art seiner Verwandtschaft, stellt aber viel eifriger als diese, welche immerhin viele kleine Nager und Kerbthiere fangen, der Vogelbrut nach und verübt in dieser Beziehung Uebelthaten wie kein einziger anderer Raubvogel. »Auf dem Felde«, schildert Naumann, »späht er Lerchen- und andere Vogelnester aus, und die Eier sind ihm so lieb als die jungen Vögel. Er weiß die größeren Eier sehr geschickt auszusaufen; die kleineren verschluckt er aber mit der Schale. Er thut daher sowohl an den Nestern der Feldvögel als in den Rohrbrüchen an den Nestern der wilden Gänse und Enten schrecklichen Schaden; denn so lange die Brutzeit währt, nährt er sich bloß aus den Nestern der Vögel. Daß er ein ebenso geschickter als boshafter Nestspürer ist, wissen auch die alten Vögel sehr gut, suchen ihn daher auf alle Art von den Nestern zu entfernen und verfolgen ihn mit kläglichem Geschrei und grimmigen Bissen. Die Wildgänse, Enten und andere Schwimmvögel, bedecken, wenn sie selbst von den Eiern gehen müssen, diese mit den Neststoffen, und suchen sie vor den Augen des Weihs sorgfältig zu verbergen; allein um die Eier desjenigen, welches durch Zufall vom Neste verscheucht wird und nicht mehr Zeit hat, die Eier verbergen zu können, ist es augenblicklich geschehen: denn der erste Rohrweih, welcher die Eier liegen sieht, säuft sie ohne Umstände aus. Die harten Schalen der Schwaneneier scheinen ihm zu fest zu sein: ich habe ihn eine lange Weile an denselben herumpicken und unverrichteter Sache abziehen sehen. Die kleineren Schwimmvögel, welche selbst nicht vor seinen Klauen sicher sind, jagt er, um ihre Eier zu erlangen, selbst vom Neste. Nach der Brutzeit verfolgt er die jungen wilden Gänse, Enten, Wasserhühner, Strandläufer, Kiebitze und dergleichen Vögel. Der vorzüglichste Gegenstand seines Raubes von dieser Zeit an bis in den Herbst sind die Wasserhühner, welche, wenn sie zerstreut umherschwimmen und ihren Feind ankommen sehen, sich durch hastiges Geschrei schnell zusammenrufen und dem nächsten Schilfe zueilen. Verfolgt sie der Raubvogel auch hier, so flüchten sie wieder nach dem blanken Wasser und suchen sich durch Untertauchen zu retten; denn im Rohre macht er sie leicht müde, indem er von einem Rohrstengel zum anderen so lange hinter ihnen herspringt, bis er einen ertappt. Den alten Enten thut er nichts zu Leide, und wenn das alte Weibchen zugegen ist, darf er sich auch nicht an die jungen Entchen wagen; denn die Mutter fliegt, sobald der Räuber Miene macht, auf ein Entchen zu stoßen, ihm entgegen, oft höher als das Schilf, und schnappt nach ihm, unterdessen die kleinen in ein Klümpchen sich dicht aneinander drängen und ängstlich an die Mutter halten. So lange die jungen Wildgänse beide Eltern haben, kann ihnen kein Rohrweih schaden; denn die beiden Eltern, besonders der Gansert, sind beständig wach für sie.« Wie verheerend der Rohrweih unter den mit ihm denselben Teich bewohnenden Vögeln haust, erfuhr Nehrkorn, welcher über dem unter seiner Pflege stehenden Riddagshäuser Teiche bei Braunschweig als kundiger und wohlwollender Schutzherr aller Vögel waltet. Zu seinem Bedauern mußte er wahrnehmen, daß übertriebener Schutz nur schadet. Um die Rohrweihen, welche in früheren Jahren wohl ab und zu aber nicht regelniäßig auf einem der Teiche brüteten, zu fesseln, gab Nehrkorn den Auftrag, dafür zu sorgen, daß ein Paar seine Jungen großzöge, hatte auch im nächsten Jahre schon die Genugthuung, zwei Paare nisten zu sehen und dieselben fortan als regelmäßig wiederkehrende Brutvögel zu beobachten. Um die Jungen dem Berliner Thiergarten zuzusenden, begab er sich im Jahre 1876 zur Horststelle und lernte dabei erkennen, wie es seine Schützlinge getrieben hatten. »Wenngleich mir wohlbekannt war«, sagt er, »daß die Rohrweihen arge Räuber sind und besonders, so lange die Teiche noch nicht in ihrem Rohrschmucke prangen, alle Nester der Wasserhühner plündern, hatte ich doch von ihrem Treiben noch keine Vorstellung gewonnen. In der Nähe des Horstes, auf einem Raume von ungefähr fünfzig Geviertmetern, lagen auf den Bülten die Kopffedern und sogar Ueberbleibsel hauptsächlich von jungen Rohrhühnern und Enten in solcher Menge, daß ich mir die sonst unerklärliche Abnahme genannter Vögel nunmehr erklären konnte. Während in anderen Jahren Hunderte von Wasserhühnern die Teiche bevölkerten, zählte ich in diesem Frühjahre kaum zehn Paare, und eine ähnliche Abnahme zeigte sich auch bei den verschiedenen Steißfüßen. An den Rohrsängern scheinen sich die Weihen nicht so vergriffen zu haben; denn ihre Menge ist noch unzählbar. Doch will ich trotzdem jener Treiben bald ein Ende machen und lieber diejenigen Vögel hegen, welche mir ab und zu wohl ein Fischchen stehlen, als solche, welche meinen Schutz so mißbrauchen.«