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Die Raubvögel sondern sich schärfer als andere ihrer Klassenverwandten in Gruppen, und diese sind deshalb auch seit Anbeginn der Vogelkunde umgrenzt worden. Wir erkennen, wenn wir die ganze Ordnung überblicken, drei solcher Gruppen oder Zünfte, welche wir als in sich abgeschlossene bezeichnen dürfen, obgleich es mehrere Glieder der Ordnung gibt, welche den Uebergang von einer Zunft zur anderen sozusagen vermitteln und dadurch die Zusammengehörigkeit aller bestätigen. Diese Zünfte, denen wir den Rang von Unterordnungen nicht zusprechen, begreifen in sich die Falken, die Geier und die Eulen. Daß die erstgenannten auch die erste Stelle verdienen, unterliegt keinem Zweifel; fraglich hingegen bleibt es, ob wir nach ihnen den Geiern oder den Eulen einen Vorzug einzuräumen haben. Einhelligere Ausbildung der Sinne spricht für die Geier, größere Raubfähigkeit für die Eulen. Ich habe mich zu Gunsten der Geier entschieden und lasse sie auf die Falken folgen.
Diese (Falconidae), die große Mehrzahl aller Raubvögel, kennzeichnen sich im allgemeinen durch folgende Merkmale. Ihr Leib ist kräftig, gedrungen gebaut, nur ausnahmsweise schlank, der Kopf mittelgroß, der Hals kurz, das Auge mittelgroß, aber ungemein lebhaft, der Schnabel verhältnismäßig kurz, am Grunde mit stets sichtbarer, das heißt durch Federn nicht verdeckter Wachshaut, der Oberschnabel in einem scharfen Haken über den unteren herabgebogen, an den Schneiden nicht selten gezahnt, der Fuß bald kurz und stark, bald lang und schwach. Die großen Flügel sind gewöhnlich zugespitzt und in ihnen dann die zweite oder dritte Schwinge die längste, seltener so abgerundet, daß die dritte oder vierte Schwinge zur längsten wird. Der Schwanz ist bald kurz, bald lang, bald abgerundet, selbst abgestuft, bald gerade abgeschnitten, bald endlich gegabelt. Das Gefieder, welches nicht bloß den ganzen Leib, sondern auch stets Kopf und Hals, oft ebenso die Füße bis zu den Zehen herab bekleidet, läßt höchstens einen Theil der Wangen frei, ist im allgemeinen derb und straff und ausnahmsweise weich und seidig, immer reichhaltig. Ein Kropf ist vorhanden, tritt jedoch niemals sackartig, sondern stets höckerig hervor.
Die Falken theilen mit allen übrigen Raubvögeln das gesammte Verbreitungsgebiet der Ordnung, leben daher in allen Gürteln der Breite und Höhe, obwohl sie kaum jemals in so hohe Luftschichten aufsteigen, wie beispielsweise Adler und Geier. Ihre Aufenthaltsorte sind höchst verschieden: sie beleben von der Küste des Meeres an bis zur Holzgrenze hinauf Ebenen, Hügelgelände und Gebirge, unbewaldete wie bewaldete Gegenden, hängen aber, wie alle selbstjagenden Raubvögel, von der Beute ab, welcher sie nachstreben, und treten deshalb da, wo reiche Nahrung ihnen winkt, stets merklich häufiger auf als in spärlicher von ihrem Wilde bevölkerten Gegenden, so wenig sie auch diese gänzlich meiden. Viele von ihnen verlassen ihre Brutplätze, wenn dieselben verarmen, und ziehen den wandernden Vögeln in wärmere Länder nach; andere dagegen halten trotz des eisigen Winters, welcher den größten Theil des Jahres in ihrer Heimat herrscht, jahraus, jahrein in demselben Gebiete aus und streichen höchstens innerhalb sehr bescheidener Grenzen. Entsprechend ihrer außerordentlichen Flugfähigkeit pflegt das Verbreitungsgebiet der einzelnen Arten sehr ausgedehnt zu sein; doch kann auch bei ihnen in dieser Beziehung das Gegentheil stattfinden.
Wenige Falkenarten zählen zu den langsamen, weitaus die meisten zu den schnellen und schnellsten Fliegern, welche wir überhaupt kennen; die große Mehrzahl dagegen bewegt sich nur ungeschickt auf dem Boden und kaum leichter im Gezweigs der Bäume. Was oben von den Raubvögeln insgemein bemerkt wurde, gilt auch für sie, und nur die uns unangenehmen oder anwidernden Züge in dem Wesen der Glieder dieser reichen Ordnung treten bei ihnen weniger hervor. Wohl gibt es unter ihnen einige, welche auf Aas fallen und mit faulenden Nahrungsstoffen sich begnügen; die große Mehrzahl dagegen nährt sich ausschließlich von selbsterworbener Beute und verfolgt dieselbe während sie läuft oder fliegt, auf und über dem Wasser schwimmt, zieht sie selbst aus Höhlungen hervor, in denen sie Zuflucht suchte. Ihr Angriffswerkzeug ist unter allen Umständen der Fuß oder Fang; der Schnabel wird nur ausnahmsweise zur Vertheidigung gebraucht, steht auch an Kraft weit hinter den mit gewaltigen Klauen ausgerüsteten Füßen zurück. Mit dem Fange greift, erdrosselt und erdolcht der Falk die von ihm geschlagene Beute; der Schnabel dient ihm nur, sie vor dem Verschlingen zu zerkleinern. Ohne Rücksicht darauf, ob das Beutethier noch lebt oder bereits verendet ist, beginnt der Falk es leicht zu rupfen und dann zu zerfleischen, indem er in der Regel die weicheren und fleischigeren Theile aussucht. Seltener tödtet er durch einen Biß in den Kopf das von ihm gepackte, jedes Widerstandes unfähige Opfer. Kleinere Knochen, Haare, Federn und Schuppen werden mit verschlungen und bilden bei der großen Mehrzahl einen so unbedingt nöthigen Theil der Nahrung, daß der betreffende Raubvogel krank wird, wenn er nicht im Stande ist, solche für ihn unverdauliche Stoffe zu genießen, aus ihnen zusammengefilzte Ballen, die sogenannten Gewölle, zu bilden und diese wieder auszuwürgen.
Der Nahrungsbedarf der so regsamen Vögel ist, entsprechend ihrem raschen Stoffwechsel, ein so bedeutender, daß die größten und raubgierigsten Arten der Familie zu einer wahren Geisel für alles umwohnende Kleingethier werden können. Gerade hierdurch aber drückt sich der Schaden wie der Nutzen aus, welchen die Falken in unseren Augen verursachen oder leisten. Nicht wenige von ihnen fordern unsere Abwehr in eben demselben Grade heraus, wie andere das vollste Anrecht auf unseren Schutz sich erwerben.
Hinsichtlich der Fortpflanzung und der dabei entfalteten Thätigkeit unserer Vögel gilt das oben bereits gesagte.
Ueber die Eintheilung der Falken in verschiedene Gruppen haben sich die Forscher noch nicht geeinigt. Wir unsererseits sehen in ihnen eine an Formen und Arten reiche Familie und zerfällen dieselbe zunächst in Unterabtheilungen, denen wir den Rang von Unterfamilien zugestehen dürfen. Eine solche bilden die Falken im engeren Sinne ( Falconinae), kleine, höchstens mittelgroße, kräftig, gebaute, großköpfige und kurzhälsige, knapp befiederte Raubvögel mit verhältnismäßig kurzem, auf der Firste stark gerundetem, spitzhakigem und vor der Spitze mit einem mehr oder minder deutlichen Zahne ausgerüsteten Ober- und kurz ausgebuchteten Unterschnabel, kurz- oder mäßig langläufigen, langzehigen Füßen, langen und spitzigen Flügeln, unter deren Schwingen die zweite die längste zu sein pflegt, und mittellangem, mehr oder minder abgerundetem Schwanze.
Unter allen Raubvögeln gebührt meiner Ansicht nach den Edelfalken ( Falco) die erste Stellung. Sie sind unter den Vögeln dasselbe, was die Katzen unter den Raubthieren: die vollendetsten aller Raubvögel überhaupt. »Ihre geistigen Eigenschaften«, so habe ich früher von ihnen gesagt, »gehen mit ihren leiblichen Begabungen Hand in Hand. Sie sind Räuber der schlimmsten Art; aber man verzeiht ihnen das Unheil, welches sie anrichten, weil ihr ganzes Leben und Wirken zur Bewunderung hinreißt. Stärke und Gewandtheit, Muth und Jagdlust, edler Anstand, ja, fast möchte man sagen, Adel der Gesinnung, sind Eigenschaften, welche niemals verkannt werden können.«
Die Edelfalken, von denen man einige funfzig Arten unterschieden hat, zeigen das Gepräge der Raubvögel am vollkommensten. Ihr Leib ist sehr gedrungen gebaut, der Kopf groß, der Hals kurz, der Schnabel verhältnismäßig kurz, aber kräftig, auf der Firste stark gerundet, und in einem scharf herabgebogenen Haken, welcher an den Schneiden durch einen mehr oder minder hervorspringenden Zahn noch einmal bewaffnet wird, ausgezogen, der Unterschnabel dagegen kurz, aber scharfschneidig, dem Zahne des oberen entsprechend ausgebuchtet. Die Fänge sind verhältnismäßig die größten und stärksten, welche Raubvögel besitzen. Der Schenkel ist stark, muskelig, der Lauf kurz, der eigentliche Fang aber sehr langzehig: bei den wahren Edelfalken kommt die Mittelzehe dem Laufe an Länge annähernd gleich. Das Gefieder ist dicht und hart; namentlich die Schwingen und Steuerfedern sind sehr stark. Im Fittige ist die zweite, ausnahmsweise die dritte Schwinge die längste, die erste der dritten oder bezüglich der vierten gleich. Der Schwanz pflegt seitlich verkürzt und deshalb abgerundet zu sein. Bezeichnend für die Edelfalken ist außerdem eine nackte, lebhaft gefärbte Stelle um das Auge, welche diesem wichtigsten Sinneswerkzeuge die größtmögliche Freiheit gewährt.
Ueber die Färbung des Gefieders läßt sich im allgemeinen nur sagen, daß ein lichtes Blaugrau oder Rothbraun auf dem Rücken und ein helles Weißgrau, Fahlgelb oder Weiß auf der Unterseite vorwaltend und ebenso ein schwarzer Wangenstreifen, welchen man treffend Bart genannt hat, vielen Falken eigenthümlich ist. Die Männchen unterscheiden sich bei den echten Edelfalken nur durch geringere Größe, bei den unechten auch durch andere Färbung von den Weibchen. Die Jungen tragen ein Kleid, welches von dem beider Eltern abweicht, und erhalten die Tracht der letzteren erst im zweiten oder dritten Jahre.
Alle Erdtheile und alle Gegenden beherbergen Edelfalken. Sie finden sich von der Küste des Meeres an bis zu den Spitzen der Hochgebirge hinauf, vorzugsweise in Waldungen, kaum minder häufig aber auf Felsen und alten Gebäuden, an menschenleeren Orten ebensowohl wie in volksbelebten Städten. Jede Art verbreitet sich über einen großen Theil der Erde und wird in anderen durch sehr ähnliche ersetzt; außerdem wandert oder streicht jede Art weit umher. Viele Arten sind Zugvögel, andere wandern nur, und einzelne endlich zählen zu den Strichvögeln.
Sämmtliche Edelfalken sind äußerst bewegungsfähige Thiere. Ihr Flug ist sehr ausgezeichnet, weil ungemein schnell, anhaltend und im hohen Grade gewandt. Der Falk durchmißt weite Strecken mit unglaublicher Raschheit und stürzt sich beim Angriffe zuweilen aus bedeutenden Höhen mit solcher Schnelligkeit zum Boden herab, daß das Auge nicht fähig ist, seine Gestalt aufzufassen. Bei den wahren Edelfalken besteht der Flug aus schnell auf einander folgenden Flügelschlägen, welche nur selten durch kurze Zeit währendes gleitendes Schweben unterbrochen werden; bei anderen ist er langsam und mehr schwebend; auch erhalten sich diese durch längere zitternde Bewegung oder »Rütteln«, wie der Vogelkundige zu sagen pflegt, längere Zeit auf einer und derselben Stelle in der Luft, was jene nicht zu thun pflegen. Auf dem Fluge und während der Zeit der Liebe steigen die Edelfalken zu unermeßlichen Höhen empor und schweben dann lange in prächtigen Kreisen hin und her, führen zu eigener Belustigung und Erheiterung des Weibchens förmliche Flugreigen auf. Sonst halten sie gewöhnlich eine Höhe von sechzig bis hundertundzwanzig Meter über dem Boden ein. Im Sitzen nehmen sie, weil die Kürze ihrer Füße dies bedingt, eine sehr aufrechte Stellung an, im Gehen tragen sie den Leib wagerecht; sie sind aber höchst ungeschickt auf dem Boden und hüpfen mit abwechselnder Fußbewegung in sonderbar unbehülflicher Weise dahin, müssen auch gewöhnlich die Flügel mit zu Hülfe nehmen, um fortzukommen.
Wirbelthiere und zwar vorzugsweise Vögel bilden die Nahrung der echten Edelfalken, Kerbthiere die hauptsächlichste Speise der unechten. Jene fangen ihre Beute fast regelmäßig im Fluge, und viele sind nicht im Stande, einen auf dem Boden sitzenden Vogel wegzunehmen; diese folgen den Kerbthieren zwar ebenfalls fliegend durch die Luft, greifen aber auch laufendes Wild an. Kein einziger Edelfalk nährt sich in der Freiheit von Aas; jeder genießt vielmehr nur selbst erworbene Beute: in der Gefangenschaft freilich zwingt ihn der Hunger, auch todte Thiere anzugehen. Die gefangene Beute wird selten an dem Orte verzehrt, welcher sie lieferte, sondern gewöhnlich einem anderen passenden, welcher freie Umschau gewährt, zugetragen, hier erst gerupft, auch theilweise enthäutet und dann aufgefressen.
Die Morgen- und die Abendstunden bilden die Jagdzeit der Edelfalken. Während des Mittags sitzen sie gewöhnlich mit gefülltem Kropfe an einer erhabenen und ruhigen Stelle regungslos und still, mit gesträubtem Gefieder, einem Halbschlummer hingegeben, um zu verdauen. Sie schlafen ziemlich lange, gehen aber erst spät zur Ruhe; einzelne sieht man noch in der Dämmerung jagen.
Geselligkeit ist den Edelfalken zwar nicht fremd, aber doch durchaus kein Bedürfnis. Während des Sommers leben die meisten von ihnen paarweise in dem einmal erwählten Gebiete und dulden hier kein anderes Paar der gleichen Art, nicht einmal einen anderen Raubvogel. Während ihrer Reise scharen sie sich mit anderen derselben Art und mit Verwandten zusammen, und einzelne Arten bilden dann ziemlich bedeutende Schwärme, welche, wie es scheint, Wochen- und monatelang zusammenhalten. Gegen Adler und Eulen zeigen aber auch diese Scharen denselben Haß, welchen die einzelnen in ihrer Heimat an den Tag legten. Keiner dieser stärkeren Raubgesellen bleibt unangefochten.
Der Horst der Edelfalken wird verschieden angelegt, am liebsten in passenden Höhlungen steiler Felswände, auf hohen Gebäuden und auf dem Wipfel der höchsten Waldbäume; doch horsten einzelne Arten da, wo es an Bäumen und Felsen mangelt, auch auf der bloßen Erde oder erwählen sich eine geräumige Baumhöhlung zu demselben Zwecke. Sehr gern nehmen sie auch die Nester anderer großen Vögel, namentlich der verschiedenen Raben, in Besitz. Besondere Mühe geben sie sich mit dem Nestbaue nicht. Der selbst zusammengetragene Horst ist regelmäßig flach und an der Stelle der Nestmulde nur ein wenig mit feineren Würzelchen ausgekleidet. Das Gelege besteht aus drei bis sieben Eiern von sehr übereinstimmendem Gepräge. Sie sind rundlich, mehr oder minder rauhschalig und in der Regel auf blaß röthlichbraunem Grunde dicht mit dunkleren feinen Punkten und größeren Flecken derselben Farbe gezeichnet. Das Weibchen brütet allein und wird, so lange es auf den Eiern sitzt, vom Männchen ernährt, welches auch für die Unterhaltung der beschäftigten Gattin Sorge trägt, indem es angesichts derselben seine Flugkünste übt. Die Jungen werden von beiden Eltern aufgefüttert, mit großer Liebe behandelt und gegen Feinde, bis zu gewissem Grade auch gegen den Menschen, muthvoll vertheidigt und nach dem Ausfliegen sorgfältig unterrichtet.
Leider gehören die stärkeren Edelfalken zu den schädlichen Vögeln und können bei uns zu Lande deshalb nicht geduldet werden; nicht einmal alle kleineren Arten sind nützliche Thiere, welche Schonung verdienen. Außer den Menschen haben sie wenig Feinde, die schwächeren Arten, wenn sie erwachsen sind, solche wohl nur in den größeren Verwandten. Den Eiern und den Jungen mögen kletternde Raubsäugethiere zuweilen verderblich werden; doch ist dies nur eine Vermuthung, nicht durch Erfahrung bestätigte Thatsache.
Dagegen sind die Edelfalken seit altersgrauer Zeit von den Menschen benutzt worden und werden es in mehreren Ländern Asiens und Afrikas noch heutigen Tages. Sie sind die »Falken« unserer Dichter, diejenigen, welche zur Baize abgerichtet worden. Lenz hat alles hierauf bezügliche so übersichtlich und gedrungen zusammengestellt, daß ich nichts besseres zu thun weiß, als ihn anstatt meiner diesen Gegenstand besprechen zu lassen: »Die Kunst, Falken zur Baize abzurichten, ist uralt. Schon ums Jahr 400 vor Christus fand sie Ktesias bei den Indern; ums Jahr 75 nach Christus jagten die Thrakier mit Falken; ums Jahr 330 nach Christus nennt Julius Firmicus Maternus aus Sicilien nutritores accipitrum, falconum ceterarumque avium, quae ad aucupia pertinent. Ums Jahr 480 nach Christus muß die Falkenbaize von den Römern noch wenig betrieben worden sein, denn Sidonius Apollinaris rühmt in jener Zeit des römischen Kaisers Avitus Sohn, Hecdicius, daß er der erste gewesen, welcher in seiner Gegend die Falkenbaize eingeführt. Bald darauf verbreitete sich aber die Liebhaberei dafür schon so weit, daß Jagdfalken und Jagdhunde im Jahre 506 auf der Kirchenversammlung zu Agda den Geistlichen verboten wurden. Dieses Verbot half nichts und wurde ebenso vergeblich im Jahre 517 zu Epaon und 585 zu Mâcon wiederholt. Im achten Jahrhunderte schrieb König Ethelbert an Bonifacius, Erzbischof zu Mainz, um ein paar Falken, mit denen Kraniche gebaizt werden sollten. Ums Jahr 800 gab Karl der Große über die zur Jagd abgerichteten Habichte, Falken und Sperber folgendes Gesetz, welches später ins Deutsche übersetzt also lautet: ›Wer einen Habich stilet oder vahet, der den Kranich vahet, der soll im einen als gütten geben als yenen was und sechs Schilling und drei Schilling um einen Valken der die Vogel fahet in den lüfften. Wer einen Sperber oder ander Vogel die auf der Hand treyt, wer die stilt oder schlecht, der geb einen als gütten als yener was und einen schilling.‹ Kaiser Friedrich Barbarossa richtete selbst Falken, Pferde und Hunde ab. Darauf hielt sich, wie Bandollus erzählt, Raynald, Markgraf zu Este, Sohn des Barthold, mit großen Kosten gegen hundertundfunfzig Jagdfalken. Kaiser Heinrich der Sechste, Sohn Friedrich Barbarossas, war, wie Collenuccio schreibt, ebenfalls ein großer Liebhaber der Falknerkunst. Kaiser Friedrich der Zweite war selbst der geschickteste und leidenschaftlichste Falkner seiner Zeit, und schrieb ein Buch, ›De arte venandi cum avibus‹, welches aber erst im Jahre 1596, und zwar zu Augsburg, gedruckt ward. Die Handschrift war mit Anmerkungen von Friedrichs Sohn, Manfred, König von Sicilien, versehen. Philipp August, König von Frankreich, dem bei der Belagerung von Akkon ein wunderschöner Falk wegflog, bot den Türken für dessen Rückgabe vergeblich tausend Goldstücke. Ums Jahr 1270 schrieb Demetrius, wahrscheinlich Arzt des griechischen Kaisers Michael Paläologus, in griechischer Sprache ein Buch über die Falknerei; es wurde im Jahre 1612 zu Paris gedruckt. Ueber die Begeisterung, mit welcher auch die Damen jener Zeit die Falknerei trieben, gibt ›De la Curne de Sainte-Palaye‹ (Paris 1759) Auskunft. In Preußen errichtete der Hochmeister Konrad von Jungingen im Jahre 1396 eine eigene Falkenschule. Eduard der Dritte von England setzte den Tod auf den Diebstahl eines Habichts und ließ jeden, der ein Habichtsnest ausnahm, auf ein Jahr und einen Tag ins Gefängnis setzen. Als Bajesid in der Schlacht bei Nikopolis im Jahre 1396 den Herzog von Nevers und viele französische Edelleute gefangen genommen, schlug er jedes für dieselben gebotene Lösegeld aus. Als ihm aber statt des Geldes zwölf weiße Falken, welche der Herzog von Burgund schickte, geboten wurden, gab er dafür sogleich den Herzog und alle gefangenen Franzosen frei. Franz der Erste von Frankreich hatte einen Oberfalkenmeister, unter welchem funfzehn Edelleute und funfzig Falkner standen. Die Zahl seiner Falken betrug dreihundert. Kaiser Karl der Fünfte übergab die Insel Malta den Johannitern unter der Bedingung zu Lehen, daß sie jährlich einen weißen Falken liefern sollten. Nachdem den Geistlichen die Falknerei endlich erfolgreich verboten war, behaupteten doch die Barone das Recht, ihre Falken während des Gottesdienstes auf den Altar zu setzen.«
»Landgraf Ludwig der Vierte von Hessen«, so berichtet Landau nach alten Urkunden, »verbot am fünften Mai 1577 das Ausnehmen der Falkennester und das Wegfangen der Falken bei strenger Strafe. Man kennt auch noch einen Brief vom achtzehnten November 1629, an Landgraf Wilhelm den Fünften von Hessen gerichtet, worin beschrieben ist, wie man zur Einübung der Falken Reihern auf jeder Schnabelspitze ein Hollunderröhrchen befestigt hat, damit sie die Falken nicht durch Schnabelstöße beschädigen konnten, wie man ihnen ferner den Hals mit einem Leinwandfutterale verwahrt, damit sie nicht könnten erwürgt werden, und wie man sie endlich mit Gewichten an den Beinen habe fliegen lassen, damit sie sicher von den Falken erhascht werden möchten. Unter Landgraf Philipp von Hessen ward allen Taubenbesitzern geboten, je die zehnte Taube dem fürstlichen Falkner abzuliefern. Um immer Reiher zur Ablichtung der Falken zu haben, hatte man Reiherhäuser, wo sie jung aufgezogen wurden.
»Jahrhunderte bestand die beste und zuletzt einzige Falknerschule Europas in dem Dorfe Falkenwerth in Flandern. Die an Ort und Stelle gefangenen Falken reichten früherhin für den Bedarf durchaus nicht hin; daher gingen die Leute bis Norwegen und Island auf den Fang, und namentlich lieferte die genannte Insel die besten Baizvögel. Auch in Pommern haben, wie Schmidt aus Kantzows ›Pommerania‹ nachweist, die holländischen Falkner früherhin im Herbste am Seestrande den vom Norden über das Meer müde und hungrig anlangenden Falken fleißig nachgestellt und deren in manchen Jahren über hundert gefangen. Gingen die Leute nach Holland zurück, so setzten sie ihre Vögel auf Stangen, wovon auf jede Schulter eine zu liegen kam. Um wohlfeil mit der Fütterung durchzukommen, erbettelten sie unterwegs in den Dörfern Hunde. Ueber den Zustand der Falknerei in Falkenwerth theilt der holländische General von Ardesch um das Jahr 1860 folgendes mit:
»In Falkenwerth leben noch jetzt mehrere Leute, welche den Fang und die Abrichtung der Falken eifrig betreiben. Der Ort liegt auf einer ganz freien Heide und begünstigt daher das Geschäft sehr. Im Herbste werden die Falken gefangen. Man behält in der Regel nur die Weibchen, und zwar am liebsten die vom selbigen Jahre, weil diese am besten sind; die zweijährigen galten auch noch als brauchbar; ältere läßt man aber wieder fliegen. Der Fang ist so eingerichtet: Der Falkner sitzt gut verborgen auf freiem Felde, und von ihm aus geht ein etwa hundert Meter langer Faden, an dessen Ende eine lebende Taube befestigt ist, welche übrigens frei auf der Erde sitzt. Etwa vierzig Meter vom Falkner geht der genannte Faden durch einen Ring, und neben diesem Ringe liegt ein Schlagnetzchen, von welchem ebenfalls ein Faden bis zum Falkner geht. Ist ein Falk im Anzuge, so wird der Taube mit dem Faden ein Ruck gegeben, wodurch sie emporfliegt, den Falken anlockt und von ihm in der Luft ergriffen wird. In dem Augenblicke, wo dies geschieht, zieht der Falkner die Taube und mit ihr den sie krampfhaft festhaltenden Falken allmählich bis zu dem Ringe, wo plötzlich das Schlagnetz beide bedeckt. Es kommt viel darauf an, es sogleich zu erfahren, wenn ein Falk die Gegend durchstreift, und deswegen bedient sich der Jäger eines eifrigen und scharfsichtigen Wächters, nämlich des Raubwürgers ( Lanius excubitor), welcher unweit der Taube angefesselt wird und nicht verfehlt, sobald er einen Falken in unermeßlicher Ferne gewahrt, sein weit schallendes Geschrei zu erheben. Neben ihm ist eine Grube, in welche er sich verkriecht, wenn es noth thut. Der frisch gefangene Falk muß regelmäßig drei Tage hungern und wird während der Zeit und späterhin so viel wie möglich verkappt auf der Hand getragen. Schlaflosigkeit wird nicht angewendet. Bis zum Frühjahre muß der Falk gut abgerichtet sein, und alsdann reisen die Falkenwerther Falkner nach England zum Herzog von Bedford, dem sie sich und ihre Falken auf eine bestimmte Zeit vermieten. Bei den Jagden brechen sie nicht selten, weil über Stock und Stein nachgesprengt und dabei nach oben geguckt werden muß, Hals und Bein. Ein gewöhnlicher Falk dient kaum drei Jahre.
»Im achtzehnten Jahrhunderte ist die Falkenbaize allmählich aus der Mode gekommen. Als Knabe kannte ich in Weimar einen Falkner, welcher sein Geschäft noch mit großem Eifer betrieb, und ein ähnlicher lebte damals noch in Meiningen. Jetzt ist sie in Europa meines Wissens noch an folgenden Orten in Gebrauch: erstens zu Bedford in England, beim Herzoge von Bedford; zweitens zu Didlington-Hall in der Grafschaft Norfolk, beim Lord Barnars. Jeden Herbst kommen nach Bedford und Didlington-Hall Falkner aus Falkenwerth, welche ihre Falken mitbringen und im Winter wieder zurückreisen. Zu Didlington ist ein eigener Reihergarten, woselbst die Reiher in zahlloser Menge nisten und gehegt werden. Drittens: im Loo, einem Landgute des Königs von Holland, ist ums Jahr 1841 fleißig mit Falken gejagt worden.
»Die zur Falkenjagd gehörigen Geräthschaften sind: eine lederne Haube, welche so eingerichtet ist, daß sie die Seher nicht drückt, eine Kurzfessel und eine Langfessel, beide aus Riemen, die letztere gegen zwei Meter lang; sie werden an dem Geschühe, das heißt der ledernen Fußumkleidung, des Baizvogels befestigt. Das Federspiel ist ein mit ein Paar Vögelflügeln besetzter eirunder Körper, welcher dazu dient, den Falken, der ihn von weitem für einen Vogel hält, wieder anzulocken. Starke Handschuhe müssen die Hände des Falkners vor den Krallen des Falken sichern. Sobald die Abrichtung beginnen soll, wird der Vogel verkappt angefesselt, und muß vierundzwanzig Stunden hungern, worauf er auf die Faust genommen, abgekappt, und mit einem Vogel gespeist wird. Will er nicht kröpfen, so wird er wieder verkappt und erst nach vierundzwanzig Stunden wieder vorgenommen, und sollte er auch fünf Tage lang auf der Faust nicht freiwillig kröpfen wollen, so wird er unbarmherzig jedesmal wieder verkappt und hungrig angefesselt. Je öfter er übrigens während dieser Zeit abgekappt und auf der Faust getragen wird, desto eher wird er zahm werden und freiwillig auf der Faust kröpfen. Ist er so weit, so beginnen nun die eigentlichen Lehrübungen, vor deren jeder er erst lange abgekappt auf der Faust getragen und nach jeder verkappt angefesselt wird, damit er das vorgetragene in Ruhe einstudiren kann. Die ersten bestehen darin, daß der Vogel abgekappt auf eine Stuhllehne gesetzt wird und von da, um zu kröpfen, auf die Faust des Falkners erst hüpfen, später immer weiter fliegen muß; dasselbe wird dann im Freien wiederholt, wobei er aber durch einen langen, an der Langfessel angebrachten Faden am Entwischen gehindert wird; der Falkner steht übrigens so, daß der Vogel gegen den Wind fliegen muß, da er, wie alle Vögel, nicht gern mit dem Winde zieht. Macht er nun seine Sachen so weit gut, so wird er des Abends verkappt in einen schwebenden Reif gesetzt und die ganze Nacht hindurch geschaukelt, so daß er gar nicht schlafen kann; am folgenden Morgen werden die früheren Uebungen wiederholt: er bekommt auf der Faust zu kröpfen, wird dann bis zum Abend getragen und dann wieder die ganze Nacht im Reife geschaukelt; ebenso wird am dritten Tage und in der dritten Nacht verfahren; am vierten Tage wird wieder alles wiederholt und ihm nun erst nächtliche Ruhe gegönnt. Am folgenden Tage wird er ohne Bindfaden, nur mit Beibehaltung der Langfessel, frei auf den Boden gesetzt, und muß, um zu kröpfen, auf die Faust fliegen; fliegt er an dieser vorbei, so geht man ihm nach und lockt ihn so lange, bis er doch endlich kommt. Diese Uebung wird nun oft im Freien wiederholt, auch der Vogel gewöhnt, dem zu Pferde sitzenden Jäger auf die Faust zu fliegen, und weder Menschen noch Hunde zu scheuen. Jetzt kommen die eigentlichen Vorübungen zur Baize selbst. Man wirft eine todte Taube in die Luft, läßt den am langen Bindfaden gehaltenen Vogel nachschießen, und das erstemal ein wenig davon kröpfen; späterhin aber wird ihm die Taube immer gleich abgenommen und er bekommt auf der Faust etwas zu kröpfen. Dieselbe Uebung wird an den folgenden Tagen mit lebenden Vögeln, deren Schwingen verstutzt sind, wiederholt; darauf sucht man mit dem Hühnerhunde Rebhühner, womöglich ein einzelnes, auf, kappt den Vogel, sobald es auffliegt, schnell ab und läßt ihn nachschießen. Sollte er fehlstoßen, so lockt man ihn mit einer lebenden Taube, deren Schwingen verstutzt sind, oder mit dem Federspiele zurück. Um ihn zu gewöhnen, auch stärkere Vögel, wie z. B. Reiher und Kraniche, anzugreifen, übt man ihn erst an jungen Vögeln der Art oder an alten, deren Schwingen verstutzt sind und deren Schnabel in einem Futterale steckt; auch läßt man ihn anfangs, wo möglich, in Gesellschaft eines guten alten Falken daran. Den zu dieser Uebung bestimmten Reihern und Kranichen legt man, damit sie nicht so leicht erwürgt werden, ein Futteral von weichem Leder um den Hals. Dem Reiher suchen die Falken, rasch emporsteigend, die Höhe abzugewinnen, um von oben auf ihn zu stoßen; der Reiher hingegen sucht seinerseits auch immer höher zu steigen, und streckt mit erstaunlicher Schnelligkeit den stoßenden Feinden die scharfe Spitze seines Schnabels entgegen, um sie zu spießen. Endlich wird er gepackt und stürzt mit ihnen aus der Höhe herab. Die herbeieilenden Jäger lösen schnell die Falken, reichen ihnen zur Belohnung guten Fraß, und berauben den Reiher seiner schönsten Federn. Es wird ihm dann ein metallener Ring um den Fuß gelegt, auf welchem die Jahreszahl und der Ort des Fanges eingegraben ist, und darauf die Freiheit geschenkt. Einzelne Reiher sind öfters, manchmal nach langen Jahren wieder, gebaizt und so mit mehreren Ringen geziert worden. Soll ein Falk gut auf Hasen stoßen, wozu man sich hauptsächlich des Habichtes bedient, so stopft man einen Hasenbalg gut aus, läßt den Falken mehrmals darauf seine Mahlzeit verzehren, bindet dann Fleisch daran und läßt den ausgestopften, auf Rädern stehenden Hasen von einem Manne erst langsam, dann schnell auf einem Boden hinziehen, spannt auch endlich gar ein flinkes Pferd davor, jagt mit dem Hasen fort und läßt den Falken hinterdrein. Zur Falkenjagd gehört eine ebene, waldlose Gegend.«
Am großartigsten ist von jeher die Falkenjagd in Mittelasien getrieben worden. »Im März«, sagt Marco Polo ums Jahr 1290, »pflegt Kublaï Chan Kambalu zu verlassen; er nimmt dann eine Zahl von etwa zehntausend Falknern und Vogelstellern mit sich. Diese werden in Abtheilungen von zwei- bis dreihundert Mann im Lande vertheilt, und was von ihnen erlegt wird, muß dem Chan abgeliefert werden. Für seine Person hat der Chan noch besonders zehntausend Mann, deren jeder eine Pfeife trägt. Sie bilden, wenn er jagt, einen weiten Kreis um ihn her, indem sie entfernt von einander aufgestellt sind, achten auf die Falken, welche der Chan fliegen läßt, fangen dieselben wieder ein und bringen sie zurück. Jeder Falke, welcher dem Chan oder einem Großen des Reiches gehört, hat an seinem Beine ein silbernes Täfelchen, auf welchem der Name des Eigenthümers und des Falkners eingegraben ist. Es ist auch ein eigener Beamter da, bei welchem diejenigen Vögel abgeliefert werden, deren Eigenthümer nicht sogleich ermittelt werden kann. Der Chan reitet während der Jagd auf einem Elefanten und hat stets zwölf der besten Falken bei sich. Zu seiner Seite reiten eine Menge Leute, welche sich immer nach Vögeln umsehen und dem Chan gleich Anzeige machen, wenn sich ein jagdbarer zeigt. Im ganzen Umfange des Reiches wird das Haar- und Federwild jahraus jahrein sorgfältig gehegt, damit immer Ueberfluß für die Jagden des Chans vorhanden ist.« Ritter Tavernier, welcher sich viele Jahre in Persien aufgehalten, erzählt (im Jahre 1681) wie folgt: »Der König von Persien hält sich über achthundert Falken, wovon die einen auf wilde Schweine, wilde Esel, Antilopen, Füchse, die anderen auf Kraniche, Reiher, Gänse, Feldhühner abgetragen sind. Bei der Abrichtung auf vierfüßige Thiere nimmt man ein ausgestopftes, legt Fleisch in die Augenhöhlen und läßt den Vogel auf seinem Kopfe fressen. Ist er dies gewohnt, so setzt man das auf vier Rädern stehende Thier in Bewegung und läßt dabei den Vogel auf dem Kopfe fressen. Endlich spannt man ein Pferd vor und jagt, so schnell man kann, während der Falk frißt. Auf ähnliche Weise richten sie sogar Kolkraben ab.« Ritter Chardin, welcher einige Zeit nach Tavernier sich ebenfalls lange in Persien aufgehalten, fügt hinzu, »daß man dem Falken, wenn er starke vierfüßige Thiere angreift und sich auf ihren Kopf setzt, mit Hunden zu Hülfe eilt, und daß man sogar im Anfänge des siebenten Jahrhunderts häufig Falken abgerichtet hat, Menschen anzufallen und ihnen die Augen auszuhacken«. Daß man auch in neuerer Zeit die Falkenjagd in Persien noch nicht aufgegeben hat, erfährt man aus John Malkolms 1827 erschienenen Skizzen von Persien. »Man jagt«, so erzählt er, »zu Pferde, mit Falken und Windhunden. Ist eine Antilope aufgetrieben, so flieht sie mit der Schnelle des Windes. Man läßt Hunde und Falken los. Die letzteren fliegen nahe am Boden hin, erreichen das Wild bald, stoßen gegen dessen Kopf, halten es auf, die Hunde kommen indessen herbei und packen es. Auf alte männliche Antilopen läßt man die Falken nicht los, weil sich die schönen Vögel leicht an den Hörnern derselben spießen.« Malkolm wohnte auch der Jagd auf Hubaratrappen bei und erzählt, daß sich dieser Vogel zuweilen so kräftig mit Schnabel und Flügeln zur Wehre setzt, daß er die Falken in die Flucht schlägt. In neuerer Zeit hat in Asien von Hügel zwischen Lahore und Kaschmir den Raja von Bajauri mit Falken Rebhühner jagen sehen. Murawiew fand im Jahre 1820 in Chiwa überall abgerichtete Falken; sie wurden auch auf wilde Ziegen losgelassen. Erman fand 1828 bei den Baschkiren und Kirgisen zur Hasenjagd abgerichtete Falken und auf Füchse und Wölfe abgerichtete Adler. Auch Eversmann traf im Jahre 1852 bei den Baschkiren abgerichtete Steinadler, Königsadler, Habichte, Sperber. Atkinson hat den Kirgisensultan Beck gezeichnet, wie er seinen Lieblingsjagdadler füttert.
Ich will vorstehenden Angaben hinzufügen, daß man in England noch heutigen Tages bestrebt ist, die edle Falknerei zu pflegen. Kronprinz Rudolf von Oesterreich sah in Alexandra-Hall, bei London, im Besitz einer Jagdgesellschaft abgetragene Jagdfalken, Wanderfalken und Habichte, mit denen in Irland, Holland, der Normandie und Bretagne die Baize betrieben wird, nahm die Falken selbst auf die Faust und warf einen Wanderfalken auf eine Taube, welche trotz der Nähe der Riesenstadt dem Falken bald zur Beute fiel.
Regelmäßig wird die Falkenjagd noch von den Arabern, insbesondere den Beduinen der Sahara, welche unter den Arabern überhaupt unseren Adel vertreten, von den Persern, Indiern, verschiedenen Völkerschaften in Kaukasien und Mittelasien, den Chinesen und anderen Mongolen betrieben. Erstere benutzen mit entschiedener Vorliebe den Würgfalken Südosteuropas, ihren »Sukhr el Hhor«, welcher sich als Wintergast im Norden Afrikas einstellt oder aus Syrien, Kleinasien, der Krim und Persien eingeführt wird, und bezahlen gut abgerichtete Vögel mit ganz außerordentlichen Preisen. Zufälligerweise habe ich nicht Gelegenheit gehabt, die Falknerei der Araber aus eigener Anschauung kennen zu lernen; wir danken jedoch Heuglin einen ebenso sachgemäßen wie eingehenden Bericht über Abrichtung und Verwendung des abgetragenen Falken. »Die arabischen Falkner«, sagt der leider viel zu früh für die Wissenschaft von hinnen geschiedene, treffliche Forscher, »fangen den Sukhr in Tellereisen, deren Bogen mit Zeugstreifen umwickelt sind, damit die Fänge nicht verletzt werden. Die Fallen werden auf der Stelle angebracht, wo der Vogel über Nacht zu bäumen pflegt und sind mit einem Gelenke versehen, welches beim Springen der Feder umschlägt, so daß der gefangene Falk in der Luft hängt und sich nicht weiter beschädigen kann, bis der lauernde Jäger ihn abgenommen hat. Das Abtragen des Sukhr zur Gazellenjagd erfordert viel Sorgfalt, Geduld und Geschick von Seiten des Falkners. Letzterer fesselt seinen Pflegling sogleich und setzt ihm eine Lederkappe auf, welche eine Oeffnung für den Schnabel hat und im Nacken mittels eines feinen Lederstreifens zusammengezogen werden kann. Der Vogel kommt in eine dunkle Kammer und wird auf Holzstangen oder ein Gefäß gesetzt, welches mit trockenem Sande gefüllt ist. Durch die ersten Tage muß er hungern. Die Fütterung geschieht nur auf dem Falkenhandschuhe. Dabei wird dem gefangenen die Mütze immer abgenommen, und er gewöhnt sich sehr bald an den Handschuh und selbst an Bewegungen des Armes. Die Nahrung, welche ihm ziemlich spärlich gereicht wird, besteht vorzüglich aus Herz und Leber. Der Falkner sucht nun seinen Schüler zuerst in der Kammer und später im Freien, zuerst natürlich gefesselt, nach und nach auf größere Entfernungen nach Abnehmen der Kappe auf den Handschuh zu locken, setzt ihm die Kappe aber unmittelbar nach der Fütterung gleich wieder auf. Endlich bedient man sich der Langfessel und einer ausgebalgten Gazelle, deren Augenhöhlen mit Atzung gefüllt sind.« Der nunmehr folgende Theil der Abrichtung ist oben, bei Schilderung der Gazelle (Band III, Seite 208 ff.), bereits beschrieben worden und bedarf daher nicht nochmaliger Auseinandersetzung.
Das Verfahren der indischen Falkner und die Jagd selbst schildert Jerdon in sehr lebendiger Weise: »In verschiedenen Gegenden des Landes wird der während des Winters regelmäßig sich einfindende Wanderfalk abgerichtet. Man fängt ihn an der Küste und verkauft ihn für zwei bis zehn Rupien an die eigentlichen Falkner, welche ihn dann auf Reiher, Störche, Kraniche, Klaffschnäbel, Ibisse, Nimmersatts und auch wohl auf Trappen abrichten. Hierbei muß ich bemerken, daß die Meinung, der Reiher versuche bei solcher Jagd den Falken mit seinem Schnabel zu durchbohren, von den eingeborenen Falknern, von denen viele weit mehr Erfahrungen gesammelt haben als irgend welcher Europäer, vollständig bestätigt wird. Selbst wenn der Falk die Beute schon zu Boden geworfen hat, ist er zuweilen noch in Gefahr, von dem mächtigen Schnabel des Reihers verletzt zu werden, falls er den Nacken seiner Beute nicht mit einem Fange gepackt hat, was ein alter Vogel freilich immer zu thun pflegt. Wenn der ›Kulun‹ oder Jungfernkranich gejagt wird, hütet sich der Wanderfalk gar wohl vor dem scharfen, gekrümmten inneren Nagel des Kranichs, welcher böse Wunden hervorrufen kann. Fast noch höher als der Wanderfalk wird von den Indiern der ›Schahin‹ oder Königsfalk ( Falco peregrinator) geschätzt; ihn hält man für den vorzüglichsten von allen. Er wird alljährlich massenhaft gefangen und zwar auf dünnen Rohrstäben, welche man mit Vogelleim bestrichen und durch einen kleinen Vogel geködert hat. Dieser Falk wird besonders für die Jagd abgerichtet, welche in der Falknersprache ›auf stehendes Wild‹ genannt wird, das heißt er wird nicht von der Hand nach der Beute geworfen, sondern schwebt hoch in der Luft und beschreibt über dem Falkner so lange seine Kreise, bis das zu jagende Wild aufgescheucht ist. Dann stürzt er mit erstaunlicher Eile hernieder und auf das erschreckte Thier los. Es ist in der That ein wundervolles Schauspiel, den Vogel zu beobachten, wenn er auf ein Rebhuhn oder einen Trappen stößt, welche schon in ziemliche Entfernung entflohen sind. Sobald der Falk die Beute wahrnimmt, welche aufgescheucht worden ist, stößt er zwei- oder dreimal nach unten und schießt dann mit halbgeschlossenen Flügeln schief herab, gerade auf das erschreckte Wild los, und zwar mit größerer Schnelligkeit als ein vom Bogen abgeschnellter Pfeil. Diese Art zu jagen ist wirklich eine sehr sichere, aber, obgleich bedeutend erfreulicher als die Jagd mit kurzflügeligen Falken, doch nicht zu vergleichen mit der Jagd des Wanderfalken, welchen man von der Hand nach dem Reiher oder dem Nimmersatt wirft.«
Nach diesen einleitenden Bemerkungen mögen die bekanntesten und wichtigsten Arten der Familie an uns vorüberziehen.
Die edelsten Glieder der Unterfamilie sind die Jagdfalken, Vertreter einer besonderen Untersippe ( Hierofalco) und Bewohner des hohen Nordens der Erde. Sie kennzeichnen ihre sehr bedeutende Größe, der verhältnismäßig starke, in scharfem Bogen gekrümmte Schnabel, die bis zu zwei Drittel der Länge befiederten Fußwurzeln und der im Vergleiche zu den Flügeln lange Schwanz. In allem übrigen sind sie anderen Edelfalken durchaus ähnlich; nicht einmal das wiederholt hervorgehobene Merkmal, daß ihr Gefieder im Alter weiß wird, ist stichhaltig.
Noch sind die Forscher, trotz der allersorgfältigsten Untersuchung, darüber nicht einig, ob wir zwei, drei oder selbst vier verschiedene Jagdfalkenarten annehmen müssen, und deshalb herrscht in allen Lehrbüchern hinsichtlich unserer Vögel arge Verwirrung. Ich meinestheils glaube, daß man zwei Arten anerkennen darf, was freilich keineswegs ausschließt, daß sie sich schließlich als Abarten eines und desselben Vogels herausstellen können. Beide aber vermögen wir wenigstens in allen Kleidern mit einiger Bestimmtheit, im Alterskleide mit vollster Sicherheit zu unterscheiden, und beide scheinen auch in den Verhältnissen einigermaßen, obschon wenig, abzuweichen.
Das Gefieder des Jagdfalken ( Falco arcticus, islandus, islandicus, candicans, groenlandicus und Holboellii, Hierofalco arcticus, islandicus, groenlandicus und Holboellii) ist rein weiß, mehr oder weniger mit düster schwarzbraunen Flecken gezeichnet, welche fast vollständig verschwinden können, wenn vorhanden aber am Ende der Federn des Kleingefieders entweder tropfen- oder pfeilspitzenartige Form haben. Das von einem nackten grünlichgelben Ringe umgebene Auge ist braun, der Schnabel bei alten Vögeln gilblichblau, dunkler an der Spitze, gelb auf der Wachshaut, der Fuß im Alter strohgelb, in der Jugend blau.
So gefärbte und gezeichnete Falken werden als Brutvögel ausschließlich in den höchsten Breiten, erwiesenermaßen in Nordgrönland und Nowaja Semlja, gefunden und berühren den Süden Grönlands, Nordisland, den Nordrand Ostasiens wie den höchsten Norden Amerikas nur während des Winters. Sie insbesondere hat man mit dem Namen Polarfalken ( Falco arcticus) bezeichnet, und von ihnen die auf Island und in Südgrönland sowie auch die auf Labrador lebenden, durchaus gleich gebauten Jagdfalken als besondere Arten unterschieden. Nun bemerkt aber Holboell, welcher mehrere Jahre seines Lebens in Grönland zubrachte und der dortigen Vogelwelt sorgfältigste Aufmerksamkeit widmete, ausdrücklich, daß der Jagdfalke, in Grönland die gemeinste Art seiner Familie, gleich häufig im Süden und im Norden des Landes auftrete, aber sehr verschieden an Farbe sei und vom Weiß mit einzelnen dunklen Flecken bis zum fast einfarbig Dunkelblaugrau abändere. »Ohne Zweifel«, sagt er wörtlich, »hat das Alter einigen Einfluß auf diese Verschiedenheit; denn man findet fast keine weiße Jungen. Allein es ist doch Unterschied in der Färbung nicht allein bei den Nestjungen, sondern auch bei den brütenden Vögeln, von denen angenommen werden muß, daß sie dasjenige Kleid haben, welches sie durchs ganze Leben behalten. Ich habe mehrere brütende Paare gesehen, von denen der eine Vogel hell, der andere dunkel war und sowohl hell gefärbte als dunkle Männchen beim Neste erlegt. Nur ein einziges Mal erhielt ich ein Falkennest mit vier Jungen, von denen das eine blaugrau fast ohne Abzeichen, die anderen dagegen sehr hell mit hellbraunen Streifen waren. Ferner habe ich viele junge Falken selbst erlegt, welche dieselbe Farbenverschiedenheit darboten und unter den hellen sowohl Männchen wie Weibchen gefunden. Die freilich wenigen Male, daß ich dergleichen Beobachtungen anstellen konnte, veranlassen mich zu der Annahme, daß die weiße Färbung in Nordgrönland vorherrscht, während in Südgrönland mehr dunkle Falken ausgebrütet werden.« Ich glaube, daß die ausgesprochene Annahme Holboells die anscheinend so verworrene Frage vollständig löst, daß also die weißen Jagdfalken alte Vögel des höchsten Nordens und die oberseits licht schieferblauen, dunkler gefleckten, unterseits weißen, an der Brust in die Länge, an dem Halse in die Quere gefleckten Jagdfalken alte Vögel minder hoher Breiten sind, die durch Längs- und Querflecke bewirkte Zeichnung aber den einen wie den anderen zukommen kann. Mit zunehmendem Alter mag es geschehen, daß auch einzelne von den Jagdfalken südlicherer Gegenden weiß werden, während in der Regel nur die aus dem höchsten Norden stammenden ein Schneekleid anlegen, aus dem die dunkleren Flecke oder Bänder, welche bei jüngeren Vögeln der ganzen Oberseite eine getüpfelte, dem Schwanze eine gebänderte Zeichnung verleihen, zuletzt fast gänzlich verschwinden. Bei jungen Vögeln der nördlichen wie der südlichen Jagdfalken ist die Grundfärbung der Rückenseite graubraun oder dunkelgrau, und die Zeichnung besteht aus deutlich hervortretenden Längs- oder Querflecken. Der Scheitel kann lichter oder dunkler sein und durch die schwarzen Schäfte seiner Federn besonders kräftig gezeichnet erscheinen. Flügel und Schwanz sind stets stark gebändert.
In ähnlichem Sinne spricht sich Eugen von Homeyer aus. »Was die drei gewöhnlich angenommenen Arten der nordischen Jagdfalken anlangt«, schreibt er mir, »so vermag ich, nach sorgfältiger Untersuchung einer großen Anzahl derselben, sie nicht zu unterscheiden, nicht einmal die jungen Gerfalken von jungen Jagdfalken zu trennen. Die mehr oder weniger weiße Färbung des Jagd- und Polarfalken beruht, meiner Ansicht nach, aus Verschiedenheit des Alters und der Oertlichkeit, vielleicht auch des betreffenden Vogels selbst, die Längsfleckung und Querbänderung offenbar auf dem verschiedenen Alter allein. Die Eier aller drei sogenannten Arten sind sicherlich nicht zu unterscheiden. Auch ich glaube daher, daß man nur eine einzige Art Jagdfalken annehmen darf.«
Ungeachtet der vorstehenden, jedenfalls höchst gewichtigen Ausführungen, will ich den am meisten abweichenden, auf dem europäischen Festlande hausenden Jagdfalken besonders beschreiben und weiter unten bis zu einem gewissen Grade gesondert behandeln.
Der Gerfalk, Gierfalk oder Geierfalk ( Falco gyrfalco, gyrofalco und norvegicus, Accipiter und Hierofalco gyrfalco) ist, um es mit zwei Worten auszudrücken, ein Wanderfalk im großen. Seine Oberseite ist dunkel graublau, auf dem Rücken und Mantel schwarz, auf dem licht graublauen Schwanze dunkler gebändert, auf den Schwingen braunschwarz, die grauliche oder gilblichweiße Unterseite mit dunklen Längsflecken gezeichnet, welche sich auf den Seiten und auf den Hosen in Querflecke verwandeln. Beim jungen Vogel ist Dunkelbraun auf der Oberseite die herrschende Färbung, die Unterseite dagegen auf lichtem, graugilblichem Grunde mit dunklen Längsflecken gezeichnet. Nestvögel des Gerfalken sind von gleich alten Wanderfalken kaum zu unterscheiden. Ueber die Bedeutung des Namens belehrt uns Geßner. »Wirt ein Gerfalk genennt, daß er viel mal rund umb den Raub herumb fleugt: und was klein ist, verschmehet er und stosset allein die grossen Vögel als Kränch, Schwanen und dergleichen.«
Die Größenverhältnisse aller Jagdfalken sind fast genau dieselben; der Gerfalk scheint der kleinste zu sein. Nach eigenen Messungen beträgt die Länge des Weibchens sechzig, die Breite einhundertsechsundzwanzig, die Fittiglänge vierzig, die Schwanzlänge vierundzwanzig Centimeter.
Das Verbreitungsgebiet des Gerfalken beschränkt sich, so weit bis jetzt bekannt, auf den Norden Skandinaviens, das nördliche Rußland und, falls Middendorf recht beobachtet hat, das östliche Sibirien. Nach meinen Erfahrungen ist er der einzige Jagdfalk, welcher in Lappland brütet. Ein junger, in Westsibirien erlegter Vogel, welchen ich in einer Sammlung in Tjumen am östlichen Ural sah, war nicht der Gerfalk, sondern der Jagdfalk.
Noch heutigen Tages sind wir über das Freileben der Jagdfalken nicht genügend unterrichtet und noch weniger im Stande zu sagen, ob überhaupt und inwiefern die verschiedenen Arten hierin von einander sich unterscheiden. Es wird deshalb nothwendig sein, das über alle bekannte in gedrängter Kürze zusammenzustellen, um ein Bild ihres Lebens zu gewinnen.
Die Jagdfalken bewohnen in den nördlichen Ländern vorzugsweise steile Seeküsten, auf deren Felswänden sie sich ansiedeln, ohne jedoch den Wald gänzlich zu meiden. Doch kann man sie nicht in dem Grade wie andere Falken als Waldvögel bezeichnen. Am liebsten siedeln sie sich in der Nähe der Vogelberge an, da, wo während des Sommers Millionen von Seevögeln sich vereinigen, um zu brüten. Hier habe ich den Gerfalken niemals vermißt. Die jungen Vögel, das heißt alle diejenigen, welche noch nicht gepaart und fortpflanzungsfähig sind, streifen oft, unter Umständen weit im Inneren des Landes umher und kommen nicht selten auch in den nordischen Alpen vor, wogegen alte Vögel im Gebirge selten gefunden werden. Junge Jagdfalken sind es daher auch, welche zuweilen die Grenzen ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes weit überschreiten und unter solchen Umständen im nördlichen Skandinavien, auf den Färinseln, in Großbritannien, Dänemark und Deutschland bemerkt werden, ebenso wie sie vom Norden Rußlands aus nach den südlicheren Theilen des Landes und von Nowaja Semlja aus den Ob entlang bis zum südlichen Ural streichen, wenigstens noch in der Gegend von Tjumen vorkommen. Ob die von Middendorf und Radde in Ostsibirien beobachteten Jagdfalken wirklich Gerfalken waren, will ich dahingestellt sein lassen; glaublicher erscheint es mir, daß der hochnordische Jagdfalk außer Nowaja Semlja auch noch andere Eilande oder Küstentheile Nordasiens bewohnt und von hier aus im Winter südlicher streicht oder wandert, ebenso wie er auch im höchsten Norden Amerikas, von der Baffinsbai bis zur Behringsstraße, Brutvogel sein dürfte. Doch versichert man, den Gerfalken auch aus dem westlichen britischen Nordamerika erhalten zu haben, und somit wäre es möglich, daß sich sein Verbreitungsgebiet vom Norden Skandinaviens aus längs der Seeküsten bis Amerika erstrecken könnte, was dann wiederum darauf hinweisen dürfte, daß auch er als südliche Abart des Jagdfalken angesehen werden muß.
Bemerken will ich noch, daß, nach meinen Erfahrungen, Collett in seinen »Bemerkungen über die Vögel Norwegens« Ger- und Wanderfalk insofern verwechselt, als er von dem einen sagt, was für den anderen Geltung hat.
Jedes Paar hält an dem einmal gewählten Wohnsitze mit zäher Beharrlichkeit fest und wird, wenn es von demselben vertrieben wurde, sehr bald durch ein anderes ersetzt. Gewisse Felswände in Lappland beherbergen Gerfalken seit Menschengedenken: am Warangerfjord z. B. konnte mir der vogelkundige Kaufmann Nordvy mit aller Bestimmtheit eine Stelle angeben, wo ich ein Paar von ihnen finden würde; und doch hatte er diese Stelle seit vielen Jahren nicht besucht und von dem Vorhandensein der Falken neuerdings keine Kunde erhalten.
In ihrem Betragen und Wesen haben die Jagdfalken mit dem Wanderfalken die größte Ähnlichkeit. Man kann höchstens sagen, daß ihr Flug nicht so schnell und ihre Stimme tiefer ist als bei diesem. Ich wenigstens habe an denen, welche ich im Freileben und in der Gefangenschaft beobachtete, einen anderen Unterschied nicht wahrnehmen können. Es wird wahrscheinlich alles, was wir vom Betragen der Wanderfalken kennen gelernt haben, auch auf sie zu beziehen sein.
Seevögel im Sommer und Schneehühner im Winter bilden ihre Nahrung; außerdem sollen sie Hasen anfallen und nach Radde's Versicherung monatelang von Eichhörnchen leben. Sie sind furchtbare Feinde des von ihnen bedrohten Geflügels und der Schrecken aller Bewohner der Vogelberge. Auf den Nyken, zwei Vogelbergen im nordwestlichen Lappland, sah ich während meines dreitägigen Aufenthaltes regelmäßig um zehn Uhr Vormittags und gegen vier Uhr Nachmittags die beiden Gatten eines Gerfalkenpaares erscheinen, um Beute zu gewinnen. Ihre Jagd war stets überraschend kurz. Sie kamen an, umkreisten den Vogelberg ein- oder zweimal und stießen dann unter einen Schwarm der Lummen, Alken oder Lunde, packten regelmäßig einen dieser Vögel und trugen ihn davon. Ich habe sie nie fehlstoßen sehen. Holboell versichert, selbst beobachtet zu haben, wie ein Polarfalk zwei junge dreizehige Möven auf einmal in seine Fänge nahm, eine in jede seiner Klauen, und auf gleiche Weise zwei Meerstrandläufer erbeutete, und Faber fand einen von ihm bestiegenen Horst reichlich mit Lummen, Alken und Lunden und dreizehigen Möven versehen. Außer Seevögeln werden die brütenden Jagdfalken auch den Morasthühnern und Tauben gefährlich; doch sagt Holboell, daß er nur zwei junge Tauben verloren habe, welche der Falk im Sitzen nahm, weil die alten, Welche sehr oft von dem Räuber gejagt wurden, von ihm nicht eingeholt werden konnten. Nach der Brutzeit kommen die Jagdfalken oft den menschlichen Wohnungen nahe, zeigen überhaupt wenig Scheu und lassen sich sogar herbeilocken, wenn man ein Schneehuhn oder einen anderen Vogel wiederholt aufwirft. Im Winter verlassen sie die Seeküsten und folgen dem Gange des Schneehuhnes auf den Bergen. Dieses fürchtet den Jagdfalken, seinen furchtbarsten Feind, in so hohem Grade, daß es sich, wie Schrader beobachtete, bei seinem Anblicke mit reißender Schnelligkeit und größter Gewalt auf den Schnee stürzt und so eilig als möglich in ihm vergräbt. Wahrscheinlich versuchen auch die Seevögel, vor dem Falken sich zu retten; bei ihrer ungeheueren Menge aber kann man die Bewegungen des einzelnen, welcher gejagt wird, nicht unterscheiden. Man bemerkt bloß, daß der Schwarm auseinanderstiebt, wie Tauben zu thun pflegen, wenn der Wanderfalk unter sie stößt.
Die Abhängigkeit des Jagdfalken von den Seevögeln erklärt, daß er nicht ebenso regelmäßig wandert wie Wanderfalk und Merlin, welche mit ihm im hohen Norden hausen. Für ihn verliert der hochnordische Winter seine Bedeutung. So weit der Golfstrom sich geltend macht, umbrandet eisfreies Meer die von ihm bewohnten Küsten, und selbst da, wo Eisberge letztere umlagern, bleiben noch offene Stellen, welche seine Opfer sammeln und ihm Unterhalt gewähren, ebenso wie auch die nördlichsten Länder und Eilande jahraus jahrein von dem Morastschneehuhne bevölkert werden und ihm somit selbst das Festland beutereiche Jagd ermöglicht. In der Fremde muß er sich wahrscheinlich viel mehr einschränken und des täglichen Brodes halber mehr mühen als in der Heimat, dort auch zu Jagden entschließen, wie er sie hier wohl niemals betreibt. »In den verwachsenen Dickichten der Wälder des Burejagebirges«, sagt Radde, »wurde es dem Jagdfalken nicht möglich, auf seine gewöhnliche Beute, die Eichhörnchen, zu stoßen. Er lauerte ihr daher hinterlistig auf und war dabei sehr geduldig, jedoch bei alledem so scheu, daß ich nie zum Schusse kommen konnte.« Einen anderen Jagdfalken sah derselbe Beobachter nahe am Stamme einer Kiefer bäumen, unmittelbar neben einem Bolle Birkhühner, welches auf den benachbarten Bäumen sich äste. Unzweifelhaft saß auch dieser Vogel auf der Lauer.
Der große, flache Horst des Jagdfalken steht, nach Faber, in der Höhle einer unzugänglichen Felswand, nahe am Meere. Nach Nordvy's Versicherung bemächtigt sich der Gerfalk gewöhnlich eines Kolkrabennestes, welches er vorfindet, oder aus dem er den rechtmäßigen Inhaber mit Gewalt vertreibt. In solchem Falle belegt der Falk den Horst nur mit wenigen dünnen Reisern, welche er in den Fängen herbeiträgt, und polstert die Mulde mit Bruchtheilen grüner Weidenzweige und mit Büscheln Seggengrases aus, welche aber später durch die Ueberreste der den Jungen zugeschleppten reichlichen Mahlzeiten vollständig bedeckt werden. Selbsterrichtete Nester bestehen aus sehr dicken Knüppeln, wie sie weder Raben noch Bussarde verwenden, und etwas trockenem Grase. Mac Farlane versichert, den Gerfalken in der Umgebung des Flusses Anderson und in der Nähe der Festung gleichen Namens so häufig brütend gefunden zu haben, daß er achtzehn Horste besteigen konnte. Mit zwei Ausnahmen standen diese sämmtlich auf der Spitze von Kiefern oder anderen Bäumen, zwischen drei bis acht Meter über dem Grunde. Einige Horste waren in den Wipfeln, andere in den tieferen Zweigen nahe am Stamme errichtet. Alle bestanden aus Aesten und schwachen Zweigen und waren mit Moos, dürrem Grase, Hirschhaaren, Federn und anderen weichen Gegenständen ausgepolstert. Nur ein Horst stand auf Felsen und war dem entsprechend sehr leicht gebaut; ein anderer Horst endlich wurde auf dem Boden an der Seite eines steilen und hohen Hügels gefunden. Nach Holboell legt der Polarfalk in Grönland im Juni seine Eier; Nordvy dagegen sagte mir, daß der Gerfalk bereits im April mit seinem Brutgeschäfte beginne, und schenkte mir die Bälge von vier Jungen, welche er im Juni ausgenommen hatte. Ich fand Anfang Juli ein Paar Gerfalken noch am Horste, konnte aber freilich nicht ergründen, ob in letzterem Junge waren oder nicht. Hiermit stimmen die Angaben Wolley's, welcher in Lappland selbst Gerfalkennester untersuchte, vollkommen überein. Auch er fand frischgelegte Eier Anfang Mai und erhielt Gelege, welche bereits Ende April vollzählig waren. Um diese Zeit liegt die Heimat des Vogels noch unter tiefem Schnee begraben. Für Nowaja Semlja und vielleicht noch andere hochnordische Strecken des Verbreitungsgebietes der Jagdfalken insgemein fällt die Brutzeit wahrscheinlich erst in die späteren Monate des Jahres. Als Graf Wilczek auf Nowaja Semlja am fünfundzwanzigsten August mit Aufnahme von Photographien beschäftigt war, sah er einen weithin sichtbaren schneeweißen Jagdfalken geraden Weges auf sich zukommen und schoß mit feinem Schrote nach demselben. Der Falk schrie laut auf und begann nun die nachdrücklichste Verfolgung des Grafen, indem er vier bis fünf Stunden nach einander ihn umflog und ununterbrochen unter lautem Geschrei auf ihn hinunterstieß. Durch sein erregtes Gebaren verrieth er endlich den Horst, in welchem das Weibchen auf drei Eiern brütend saß. Der Vogel geberdete sich bei seinen Angriffen genau in der Weise wie ein Wanderfalk am Horste, stieß bis auf wenige Meter vom Gesichte meines Gewährsmannes vorüber und setzte ungeachtet der erhaltenen Warnung sein Leben so rücksichtslos aufs Spiel, daß Wilczek ihn schließlich erlegen konnte, nachdem er sich vorher am Horste verborgen aufgestellt hatte. Die vier Eier vergleicht Holboell nicht unpassend mit denen des Schneehuhnes, nur daß sie doppelt so groß und mehr abgestumpft sind; die Färbung ist jedoch bei allen verschieden; auch die Gestalt ändert nicht unwesentlich ab. Ein Ei, welches ich von Nordvy empfing, ist auf gilblichweißem Grunde röthlichroth gemurmelt, gefleckt und gepunktet.
In früheren Jahren sandte die dänische Regierung alljährlich ein besonderes Schiff, welches das Falkenschiff genannt wurde, nach Island, um von dort Edelfalken zu holen. Die stolzen Vögel wurden entweder von mitreisenden Falknern gefangen oder waren von den Isländern bereits ausgehoben und großgefüttert worden. Die Kosten für Ankauf und Unterhalt der Falken, Löhnung der Mannschaft etc. waren nicht unerheblich; da der Fang jedoch geregelt war, kam ein Falk immerhin auf nicht mehr als neun oder zehn Thaler dänisch zu stehen. Von Kopenhagen aus gelangten die edlen Vögel in den Besitz der Falkner oder wurden als kostbare Geschenke an verschiedene Höfe gesandt. In unseren Tagen bekümmert sich die Regierung erklärlicherweise nicht mehr um den Fang; gleichwohl bringt das Sommerschiff, welches nach Island geht, fast alljährlich noch einige lebende Falken mit nach dem Mutterlande hinüber, und sie sind es, welche man dann und wann in unseren Thiergärten sieht. In Lappland oder in Skandinavien überhaupt scheint niemand sich auf den Falkenfang zu legen, wie denn überhaupt der Gerfalk dort, ungeachtet des von ihm angerichteten Wildschadens, nur von dem Naturforscher verfolgt wird. Freilich sind die Vogelberge während des Sommers so massenhaft belebt und die Gebirge so stark mit Schneehühnern bevölkert, daß der Schaden nicht sehr bemerklich wird, und zudem versichern die Norweger, daß einige jagende Engländer, welche aus reiner Mordsucht alljährlich tausende von Schneehühnern erlegen, viel ärger unter diesen aufräumen, als alle Gerfalken zusammengenommen. In Island und Grönland hingegen, wo die Jagdfalken häufiger sind und im Winter regelmäßig den Wohnungen sich nähern, stellt man ihnen ziemlich rücksichtslos nach, und in ganz Nordasien werden sie noch heutigen Tages für die Baize gefangen. So erzählten die Birartungusen, welche den Vogel sehr gut kennen, daß früher besonders die chinesischen Beamten und reichen Kaufleute des Himmlischen Reiches Jagdfalken hielten und sie zur Jagd oder zum Kampfe mit Adlern abrichteten, daß dies jedoch jetzt nicht mehr erlaubt sei. Bei den Wandervölkern Ostsibiriens besteht die Baize nach wie vor, und gerade der Jagdfalk wird von ihnen abgetragen und hoch geschätzt.
Außer dem Menschen hat der Jagdfalk nur im Kolkraben einen Gegner, welcher ihm wenigstens zu schaffen macht. Faber und Holboell erwähnen übereinstimmend, daß man beide Vögel sehr oft sich balgen sieht.
Nach meinen Beobachtungen betragen sich die Jagdfalken im Gebauer ebenso wie gefangene Wanderfalken. Sie verlangen dieselbe Pflege wie diese, erreichen aber nur ausnahmsweise ein höheres Alter im Käfige. Aus der Geschichte der Falknerei wissen wir, daß Jagdfalken zwanzig Jahre lang benutzt werden konnten; die Geschichte unserer Thiergärten hat ähnliches nicht aufzuweisen. Man ist froh, wenn man einen der prächtigen Vögel bis zum Anlegen seines Alterskleides bringt. Freilich ist man hier kaum im Stande, allen Edelfalken eine so ausgezeichnete Pflege angedeihen zu lassen, wie sie solche nach älteren Schriftstellern seitens der Falkner erhalten haben. Die Kunst der letzteren bestand nicht allein darin, die Falken regelrecht abzutragen, sondern auch, sie entsprechend zu füttern und etwaige Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. »Ein erfahrener Falckonierer«, sagt Geßner, »wirt gute auffmerckung haben, daß er zu rechter Zeit und in rechter maß den Vogel speise, wie er sich dann von Natur pflegt zu speisen, da er noch nicht abgericht, sondern frey war und fürnemlich mit gutem, leichtem geringen fleisch, das noch warm sey und von dem leblichen Geist rieche und dämpffe. Er sol auch in rechter mittelmaß gehalten werden, daß er nicht zu feist und nicht zu mager werde: denn von zu viel magere wirt er blöd und kranck, und verleuret seine künheit, also, daß er gantz kleinmütig wirdt: er schreyet auch ohn underlaß: und so man ihn auffwirfft, setzet er sich auff die Erden bey dem Falckonierer, und schreyet. So er aber zu feist, wirt er davon unlustig, faul und träg: darumb er gantz in der mittelmaß erhalten werden sol, also, daß er nicht kräncker und schwächer werde, doch nicht auß zu viel außleerung hefftigen hunger habe, sondern allein auß natürlicher begierd einen Lust zu der Speiß habe. Solches aber geschicht am besten so man ihn nicht zum andern mal speiset, er habe dann die erste oder voreingenommen Speiß verdäwet. Weiter der complexion halben solcher Vögeln, solt du gar fleissig warnemen nach mancherlei Geschlecht oder Art der Vögeln. Dann die so von farben schwartz sind, die achten wir melancholischer complexion, demselbigen solt du mehrertheils Speiß geben, die warmer und feuchter complexion sind, als Hühner, Tauben und junger Gitzlin fleisch. Die weißgeferbten aber sind phlegmatischer complexion, kalt und mit schädlicher feuchte erfüllet, denen solt du geben trockne und warme Speiß, als fleisch von Böcken, Hunden, Mauleseln, Atzeln, Hirtzen, Spatzen und dergleichen. Die so rote federn haben, die haben viel erhitzigtes geblüts, denen solt du geben, was kalt und feucht ist, darvon solche hitz gekület werde, als Hennenfleisch, Wasservögel und etwan Krebs.« In jedem Falle geht aus vorstehender Beschreibung hervor, daß man sich die Erhaltung der Falken nach besten Kräften angelegen sein ließ und keine Ausgabe scheute, um ihnen so frische und gute Nahrung zu liefern, als erfahrungsmäßig ihnen zusagte. Einen solchen Aufwand vertragen unsere Thiergärten nicht, und dies wird wohl der Grund sein, weshalb wir so ungünstige Ergebnisse erzielen. Wollte man unseren Jagdfalken täglich ein oder zwei Tauben, Hühner, Rebhühner, Enten und andere Vögel wo möglich lebend reichen, so würde man sie unzweifelhaft ebenso lange erhalten können wie früher die Falkner.
Ein Edelfalk, welcher vormals nicht viel weniger geschätzt wurde als der hochberühmte Jagdfalk, ist der Würgfalk, Lanner-, Stern-, Schlag-, Sakhr-, Groß- oder Schlachtfalk, Blaufuß, Würger etc. ( Falco lanarius, sacer, saker oder saquer, milvipes und laniarius), ein stattlicher Vogel von 54 Centimeter Länge, 1,4 Meter Breite, 41 Centimeter Fittig- und 20 Centimeter Schwanzlänge, welcher einem jungen Wanderfalken nicht unähnlich gefärbt ist und deshalb öfters mit ihm verwechselt worden sein mag. Der Bartstreif ist schwach; die roströthlichen Scheitelfedern zeigen schwarzbraune Längsflecke, welche im Genick zusammenlaufen und hier einen größeren dunklen Fleck bilden, die gelbliche Stirn und Wangenfedern dunklere Striche; das Genick ist weiß, fahlbraun in die Länge gestreift und gefleckt, die ganze Oberseite, einschließlich der Armschwingen, fahlbraun, jede Feder an der Spitze grau, an der Seite roströthlich gesäumt und durch einen dunklen Schaftstrich gezeichnet, das Kinn wie die Kehle gelblich weiß, die ganze Unterseite röthlich weiß mit großen dunklen, nach der Spitze hin tropfenartig erweiterten Längsflecken geschmückt. Die Handschwingen sind dunkel fahlbraun, auf der Innenfahne mit großen, länglichrunden, weißen, nach der Schaftseite zu röthlichen Flecken besetzt, die mittleren Schwanzfedern einfarbig fahlbraun, alle übrigen auf der Außenfahne mit sieben bis acht rundlichen, auf der Innenfahne mit länglichen weißen oder röthlichweißen Flecken geziert, welche auch von unten sichtbar sind. Der Oberschnabel ist horngrau, der Unterschnabel gelblich, die Wachshaut fleischfarben, der Fuß grünlich oder wachsgelb. Der junge Vogel unterscheidet sich von dem alten durch dunklere Färbung, größere Flecken auf der Unterseite und blaue Wachshaut, Augenring und Füße.
Im Südosten Europas, namentlich in Dalmatien, häufiger aber in Egypten und Nordafrika überhaupt, bis Ostsudân und Abessinien herab, vertritt ein schöner, langflügeliger und kurzzehiger Edelfalk, der Feldeggsfalk ( Falco tanypterus, Feldeggii, biarmicus, cervicalis und puniceus, Gennaja tanypterus) die Stelle des Würgfalken. Er steht letzterem so nahe, daß er von einzelnen Vogelkundigen nur als Abart angesehen wird, unterscheidet sich aber bestimmt durch merklich geringere Größe, roströthlichen, nur mit feinen schwarzen Strichelchen gezierten oder gänzlich einfarbigen Hinterkopf, stärkeren Bart, breitere und bläulich gefärbte Säume der Rückenfedern, durchgehende, nicht aus Flecken bestehende Bänderung des Schwanzes, licht gilblich übertünchte Unterseite und kleinere Tropfenflecken auf derselben.
Der Würgfalk zählt nicht zu den deutschen Brutvögeln, sondern verbreitet sich über den Südosten unseres heimatlichen Erdtheils, insbesondere Niederösterreich, Galizien, Polen, Ungarn, die Donautiefländer, Südrußland und die Balkanhalbinsel, kommt außerdem geeigneten Ortes in ganz Mittelasien bis nach China hin vor, lebt ebenso in Armenien, Kleinasien, wahrscheinlich auch in Persien, und wandert im Winter bis Indien und Mittelegypten herab, brütet hier aber nicht. Nach Deutschland mag er sich öfters verfliegen; ein bestimmter Fall seines Vorkommens innerhalb der Grenzen unseres Vaterlandes ist mir jedoch nicht bekannt. Erst jenseit unserer Grenzen, diesen zunächst in Böhmen, hat er gebrütet; in einem Auenwalde der Donauinseln bei Wien erlegte Kronprinz Rudolf von Oesterreich in unserer, Eugen von Homeyers und meiner, Gegenwart am zwanzigsten April 1878 ein Männchen am Horste, welches bereits vier Tage später durch ein anderes ersetzt war. Hierdurch dürfte der Beweis erbracht sein, daß der Vogel in Niederösterreich keineswegs selten auftritt.
In seinem Wesen, seinem Betragen und Gebaren ähnelt der Würgfalk dem Wanderfalken; doch unterscheiden ihn die arabischen Falkner genau von seinem Verwandten und sprechen ihm Eigenschaften zu, welche nach ihrer Versicherung letzterer nicht besitzt. Die jüngstvergangenen Tage haben mich belehrt, daß man den Falknern beistimmen muß. Gelegentlich eines Jagdausfluges des Kronprinzen, Erzherzog Rudolf von Oesterreich, nach Ungarn, an welchem wir, Eugen von Homeyer und ich, theilzunehmen das Glück hatten, sahen wir den Würgfalken mehrere Male, und wenn auch die Zeit mangelte, uns eingehender mit ihm zu befassen, konnten wir doch wesentliche Unterschiede zwischen ihm und dem Wanderfalken nicht verkennen. Sein Flugbild unterscheidet ihn auf den ersten Blick von der letztgenannten Art. Der im Vergleiche mit dem des Wanderfalken gestreckte Leib, der längere Schwanz und spitzigere, im Schulter- und Oberarmtheile aber breitere, daher im ganzen stark ausgebauchte Fittig sind Merkmale, welche vollkommen ausreichen, ihn mit aller Sicherheit anzusprechen. Er fliegt schneller als sein Verwandter, mehr dem Baum- als dem Wanderfalken gleich, bewegt rasch und heftig die Flügel, um nach mehreren Schlägen gleitend dahinzuschießen, und beschreibt, über dem Horste spielend, weite Kreise mit wundervoller Leichtigkeit, fast ohne Flügelschlag längere Zeit dahinschwebend. Von seiner Jagdlust lieferte uns das erwähnte Männchen einen Beleg. Der uns begleitende, auch als Schriftsteller wohlbekannte Forstmeister von Dombrowski lockte durch täuschende Nachahmung der Stimme einige Ringeltauben auf die Donauinsel, welche wir durchstreiften. Kaum hatten die Vögel sich erhoben, als der Würgfalk unter sie stieß. Erschreckt suchten die Tauben, alle Scheu vor uns vergessend, Zuflucht in den Wipfeln der um uns stehenden Bäume, und einen Augenblick später jagte der Falk zwischen ihnen hindurch. Pfeilschnell im buchstäblichen Sinne des Wortes war jetzt sein Flug und deutlich hörbar das Brausen, welches er hervorbrachte; aber so schnell er auch die Luft durchschnitt, das fast unfehlbar sichere Blei des fürstlichen Schützen ereilte ihn doch: er büßte seine Kühnheit mit dem Leben.
Ueber das Brutgeschäft sind wir zuerst durch Woborzil, welcher den Würgfalken an der Moldau als Brutvogel antraf, neuerdings aber durch Goebel und Holtz unterrichtet worden. Im Uman'schen Kreise in Südrußland, dem Beobachtungsgebiete Goebels, tritt der Würgfalk weit häufiger auf als der Wanderfalk und zählt unter die nicht seltenen Sommervögel des Landes. Sein Horst steht dort stets auf Bäumen, nicht auf Felsen, meist auf Eichen, ausnahmsweise auch auf Linden, gewöhnlich an von Feldern begrenzten Waldsäumen, ungefähr sechzehn Meter über dem Boden. Aeste und Zweige bilden den Unterbau, feines Reisig, etwas Laub und Blätter der Mispel die Auskleidung der flachen Mulde. Um die Mitte des April pflegt das aus fünf, seltener vier, zuweilen sechs, Eiern bestehende Gelege vollzählig zu sein. Die Eier, auch die eines Geleges, ändern, wie bei allen Falken, in Größe, Form und Färbung erheblich ab. Ihr größter Durchmesser beträgt einundfunfzig bis sechsundfunfzig, ihr kleinster vierzig bis zweiundvierzig Millimeter; die Färbung ist entweder gelblich oder weißlich; die Zeichnung besteht im ersteren Falle aus sehr dunklen, rothbrannen Flecken, welche mehr in größeren Wolken zerstreut hin und wieder die Grundfärbung frei zeigen oder im letzteren Falle gleichmäßig über das ganze Ei vertheilt sind und die Grundfärbung wenig durchscheinen lassen. Wie alle Edelfalken lieben beide Eltern die Brut in hohem Grade. Das Weibchen sitzt sehr fest auf den Eiern, entfernt sich gewöhnlich erst, wenn der Steiger am Baume emporklettert, verharrt oft so lange, bis derselbe nahe am Horste ist und umkreist dann sehr unruhig den Horstplatz, hält sich jedoch dann in gehöriger Entfernung von demselben. Holtz stimmt mit Goebel darin überein, daß er den Würgfalken als einen keineswegs scheuen Vogel bezeichnet. »Ich habe ihn während des Brutgeschäftes oft ganz ruhig auf dem Horstrande oder einem benachbarten Zweige sitzend sein Gefieder putzen sehen, ohne daß er die geringste Scheu zeigte«, sagt der erste, und »ich muß den Vogel eher zu den nichtscheuen als zu den scheuen Raubvögeln zählen; denn ich habe ihn z. B. zweimal im Frühlings auf einzelstehenden Flurbäumen, die noch nicht belaubt waren, unterlaufen und geschossen«, versichert der letztgenannte. Auch in Niederösterreich und Ungarn haben wir den Würgfalken während der Brutzeit nur in Wäldern gefunden. Er horstete in den hauptsächlich aus Pappeln und Weiden bestehenden Auenwäldern bei Wien inmitten eines Reiher- und Scharbenstandes, wurde wiederholt in ähnlichen Beständen der Donauinseln Ungarns von uns beobachtet, fehlte aber auch den köstlichen Bergwaldungen der Fruschkagora nicht. Zu erwähnen ist, daß er seinen Horst selbst errichtet, mindestens ausbaut: das Weibchen des bei Wien horstenden Paares trug Reiser zu Neste. Anfang Mai wurde in einem Eichwalde Südungarns auf Befehl des Kronprinzen Rudolf ein Horst erstiegen und in ihm vier weißflaumige Junge, deren Schwingen und Steuerfedern bereits zu sprossen begannen, vorgefunden.
Ueber das Leben des Würgfalken in der Winterherberge berichtet Heuglin in malerischer Weise. »Wenn die auf den Lagunen und Sümpfen des Nildelta überwinternden Wasservögel anlangen, sammeln sich um sie gleichzeitig eine Menge von Falken und Adlern, namentlich Feldeggs- und Wanderfalken, Kaiseradler und Schreiadler, welche hier an frischer Beute nicht Mangel leiden. Mit ihnen erscheint auch hier und da der Sukhr. Bald hat er sich seinen Standort auf einer einzelstehenden Sykomore, Palme oder Akazie ausersehen, von welcher aus er seine Jagdbezirke überblicken kann. Erwacht der Tag und mit ihm der betäubende Lärm von tausenden in Fluge gescharten Gänsen, Enten, Strandläufern, welche auf Schilfinseln in den Lagunen oder im seichten freien Wasser einfallen, so verläßt auch der Würgfalk seinen Stand. Doch deckt dann noch ein dichter, niedriger Nebelschleier das Gewässer, was den Räuber in seinem Werke übrigens keineswegs hindert. Er streicht, meist ohne vorheriges Kreisen, in gerader Linie und niedrig auf einen munter schäkernden Flug von Enten zu. Nun erfolgt ein Augenblick lautloser Stille. Wasserhühner und andere schlechte Flieger ducken sich und tauchen im Nu unter, während die ihrer Fertigkeit in den Lüften bewußten Enten plötzlich aufsteigen und sich durch schleunige Flucht zu retten suchen. Jetzt steigt der Falk auch etwas, saust wie ein Pfeil dahin und erhascht entweder mit erstaunlicher Gewandtheit stoßend sein Schlachtopfer oder schlägt dasselbe mit den Fängen nieder und trägt es, oft verfolgt von kreischenden Milanen und Thurmfalken und ohne sich im mindesten um die Schreihälse zu bekümmern, auf den nächsten, etwas erhabenen, trockenen Platz, um es zu kröpfen. Zuweilen kreist er auch hoch in den Lüften und stürzt sich wie spielend auf hin- und herstreichendes Sumpfgeflügel, seinen Flug erst beschleunigend, wenn er die Beute gehörig ins Auge gefaßt hat. Letztere entgeht ihm selten, obgleich der Sukhr bei seiner Jagd viel weniger hastig und ungestüm zu Werke geht als seine Verwandten. Während der wärmeren Tageszeit bäumt er und zieht mit einbrechender Abenddämmerung ruhigen, geraden, etwas schleppenden Fluges seinem Nachtstande zu.« Ich darf dieser Schilderung unter der Maßgabe beistimmen, daß sie auch meinen Beobachtungen über das Winterleben des Wanderfalken in jeder Beziehung entspricht.
»Zur Gazellenjagd«, fährt Heuglin fort, »läßt sich nur der Würgfalk verwenden; die übrigen Edelfalken stoßen meist zu gewaltig und tödten sich oft selbst durch Zerschellen des Brustbeines. Aus diesem Grunde bezahlt man gut abgerichtete Würgfalken mit außerordentlichen Preisen.«
Bei unseren Falknern stand der Würgfalk in hohen Ehren und wurde dem Gerfalken fast gleich geschätzt. Geßner beschreibt ihn unter dem Namen »Sacker« oder »Kuppelaar« und beweist durch seine Darstellung, daß der Vogel schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts das Mißgeschick hatte, unter verschiedenen Namen aufgeführt zu werden: »Von den adelichen Falcken wirt der erste Falco Britannicus und Sacer, Aelius, Aeriphilus und mit viel andern Namen genennt.« – »Wir haben ohnlangst verstanden«, fährt unser alter Freund fort, »daß Maximilianus der Keyser, etliche auß den seinen zu hinderst in Poland geschickt habe, daß sie diß Falckengeschlecht auß jhren eignen Nestern genommen jm zubrachten, welche sie an diesen Orten auff nidern Bäumen nistend gefunden haben. Auß welchem man leichtlich abnemen mag, daß sie nicht den kleinen, sondern allein den grossen Vögeln auffsetzig sind. – Der Sackerfalcken (spricht Tardinus) sind drey Geschlecht. Das erste nennen die Assyrier und Babylonier Seph, das findet man in Egypto gegen Nidergang, und in Babylone, das fahet Hasen und Hindlein. Das ander Geschlecht Semy, von welchem kleine Rehböcklein gefangen werden. Das dritte Hynaion oder Strichling: darumb daß man nicht weiß wo er geboren werde. Er zeucht auch alle jar gegen Mittag. Er wirt in den Inseln gegen Auffgang gelegen, gefangen, als in Cypro, Kreta und Rhodo: wiewol man sie auch auß Reussen, Tartarey, und von dem grossen Meer zu uns bringet. Der wirdt für den adelichsten gehalten, so von farb rot, oder Taubengraw und von form und gestalt dem Falcken ähnlich ist, der ein dicke Zungen, und breite Füß hat, welches man an wenig Sackerfalcken findet, dicke Zeehen und heiter himmelblaw geferbt. Dieser Vogel mag under allen Raubvögeln für auß Arbeit erleiden, ist darzu gütig und milt: er verdäwet auch leichtlicher harte und dicke speisen. Er raubt grosse Vögel, wilde Gänß, Kränch, Reigel, und fürauß vierfüssige Thiere, als Rehböcklein und dergleichen.« Vorstehende Worte beweisen wenigstens das eine, daß die Schriftsteller, denen Geßner seine Mittheilungen entnahm, keinen anderen als den Würgfalken meinen können. Schlegel hat sich aus diesem Grunde veranlaßt gesehen, letzterem den Namen Falco sacer beizulegen, und mehrere der neueren Vogelkundigen folgen seinem Vorgange, so wenig dies auch dem löblichen Gebrauche entspricht, das Recht des ersten Beschreibers zu wahren. Dieser aber ist Pallas, dessen unter Falco lanarius gegebene Kennzeichnung allein als maßgebend erachtet werden kann.
Die Wanderfalken ( Falco) unterscheiden sich von den Jagdfalken durch geringere Größe, verhältnismäßig kleineren und stärker gebogenen Schnabel, die minder weit befiederten Fußwurzeln und einen im Verhältnisse zu den Flügeln kürzeren Schwanz.
Unser Wanderfalk ( Falco peregrinus, communis, orientalis, hornotinus, calidus, lunulatus, abietinus, pinetarius, gentilis, cornicum, anatum, griseiventris, micrurus, leucogenys, atriceps und Brookii), auch wohl Berg-, Wald-, Stein-, Baiz-, Kohl-, Blau- und Tannenfalk, Schwarzbacken und Taubenstoßer genannt, ist auf der ganzen Oberseite hell schiefergrau, mit dunkel schieferfarbigen, dreieckigen Flecken bandartig gezeichnet. Die Stirne ist grau, die Kehle, welche durch schwarze Backenstriche eingefaßt wird, wie die Oberbrust weißgelb, die Unterbrust wie der Bauch lehmröthlichgelb, erstere braungelb gestrichelt und durch rundlich herzförmige Flecke gezeichnet, der Bauch durch dunklere Querflecke, welche namentlich am After und auf den Hosen hervortreten, gebändert. Die Schwingen sind schieferschwarz, aus der Innenfahne mit rostgelben, bänderartigen Flecken besetzt, die Steuerfedern hell aschgrau gebändert und an der Spitze der Seitenfedern gelblich gesäumt. Im Leben liegt ein graulicher Duft auf dem Gefieder. Das Weibchen zeigt gewöhnlich frischere Farben als das Männchen. Bei den Jungen ist die Oberseite schwarzgrau, jede Feder rostgelb gekantet, die Kropfgegend weißlich oder graugelblich, die übrige Unterseite weißlich, überall mit licht- oder dunkelbraunen Längsflecken gezeichnet. Die Iris ist dunkelbraun, der Schnabel hellblau, an der Spitze schwarz, die Wachshaut, der Mundwinkel, die nackte Stelle ums Auge und der Fuß sind gelb. Bei jüngeren Vögeln ist der Schnabel hellbläulich, der Fuß bläulich oder grünlichgelb, die Wachshaut wie die übrigen nackten Stellen am Kopfe sind blaugrünlich. Die Länge des alten Männchens beträgt zweiundvierzig bis siebenundvierzig, die Breite vierundachtzig bis einhundertundvier, die Fittiglänge sechsunddreißig, die Schwanzlänge zwanzig, die Länge des bedeutend größeren Weibchens siebenundvierzig bis zweiundfunfzig, die Breite einhundertundzehn bis einhundertundzwanzig, die Fittiglänge zweiundachtzig, die Schwanzlänge zwanzig Centimeter.
Im Westen und Süden Afrikas wird der Wanderfalk durch den merklich kleineren und dunkleren Kleinwanderfalken ( Falco minor), in Indien durch den größeren und schwärzeren Schahin ( Falco peregrinator) und in Australien durch den Schwarzbackenfalken ( Falco melanogenys) vertreten; die Artselbständigkeit aller drei Formen steht jedoch noch in Frage. In Nordafrika und Nordwestasien ersetzt ihn der beträchtlich kleinere, an seinem rostrothen Nackenflecke und der spärlich gesperberten Unterseite leicht kenntliche Berberfalk ( Falco barbarus, peregrinoides und punicus, Gennaja barbara und barbarus), über dessen Artselbständigkeit kein Zweifel herrschen kann. Der schöne Vogel, hinsichtlich seiner Lebensweise ein getreues Abbild des Wanderfalken, bewohnt, wie es scheint, die ganze südliche Küste des Mittelländischen Meeres, verbreitet sich von hier aus bis in das tiefere Innere Afrikas und ebenso durch Persien bis Indien, verfliegt sich aber nicht allzuselten nach Spanien, woselbst ich ihn in mehreren Sammlungen gesehen habe, ebenso wie er hier von englischen Forschern eingesammelt worden ist.
Der Wanderfalk verdient seinen Namen; denn er streift fast in der ganzen Welt umher. Seine außerordentliche Verbreitung erklärt sich, wenn man weiß, daß er nicht bloß den gemäßigten, sondern auch den nördlichen kalten Gürtel bewohnt, in der Tundra rings um den Pol sogar der vorherrschende Falk ist, aber selbstverständlich allwinterlich gezwungen wird, dieses Brutgebiet zu verlassen und nach Süden zu wandern. Gelegentlich seines Zuges nun berührt er alle nördlichen Länder Europas, Asiens und Amerikas, durchfliegt unseren heimatlichen Erdtheil bis zum äußersten Süden und tritt dann hier in den Wintermonaten stellenweise sehr häufig auf, folgt den Zugvögeln auch bis über das Mittelländische Meer und wandert, deren Heerstraßen entlang, bis Südnubien und Ostsudân, ebenso wie er in Asien bei dieser Gelegenheit in Japan, China und Indien, in Amerika in den Vereinigten Staaten, Mittelamerika und Westindien angetroffen wird. Nach meinen und anderer Erfahrungen sind es jedoch hauptsächlich Weibchen, welche ihre Reisen weit nach Süden hin ausdehnen, wogegen die Männchen mehr im Norden zurückbleiben. Nicht wenige von beiden überwintern nun aber auch schon bei uns zu Lande, und da nun außerdem ihr Brutgebiet sich über ganz Europa, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Südspitze der Iberischen Halbinsel, und ebenso über Mittelasien und die nördlicheren Theile Amerikas erstreckt, kann es nicht Wunder nehmen, daß Wanderfalken beinahe auf der ganzen Erde gefunden werden. Die Ansicht, daß die oben genannten drei Vertreter nur ständige Abarten unseres bekannten Vogels sind, erscheint daher mindestens nicht gänzlich ungerechtfertigt. Auch die in Deutschland vorkommenden oder unser Vaterland durchreisenden Wanderfalken ändern in Größe und Färbung erheblich ab, und in jeder Sammlung, welche eine größere Anzahl von ihnen besitzt, findet man solche, welche den genannten Abarten sehr nahe stehen, wenn nicht vollständig gleichen; diese Thatsache aber unterstützt die Anschauung, daß alle unserem Falken ähnlichen sogenannten Arten mit ihm vereinigt werden müssen. Jedenfalls besitzt der Wanderfalk die ausgesprochenste Fähigkeit, unter den verschiedensten Umständen sich wohnlich und häuslich einzurichten. In Nordostafrika belebt er während des Winters alle Strandseen und das ganze Stromgebiet des Niles bis Mittelnubien hinauf, findet auch überall geeignete Orte für seine Ansprüche hinsichtlich genügender Nahrung und Sicherung. Nicht anders ist es im Süden Asiens. »Der Wanderfalk«, bemerkt Jerdon, »findet sich durch ganz Indien, vom Himalaya an bis zum Vorgebirge Komorin, aber nur während der kalten Zeit. Besonders häufig ist er längs der Seeküsten und an großen Flüssen. Er brütet, so viel ich glaube, ebensowenig in Indien wie im Himalaya, sondern ist Wintergast, welcher in der ersten Woche des Oktobers eintrifft und im April wieder weggeht.« Auch in Amerika wandert er weit nach Süden herab. Ob er in Brasilien vorkommt, weiß ich nicht; wohl aber kann ich mit Bestimmtheit behaupten, daß er den Golf von Mejiko überfliegt. Seiner außerordentlichen Wanderfähigkeit sind Reisen von tausend Kilometer gewissermaßen Spazierflüge: ich bin fest überzeugt, daß er, ohne sich anzustrengen, im Laufe eines einzigen Tages über das Mittelmeer fliegt.
Bei uns zu Lande bewohnt der Wanderfalk ausgedehnte Waldungen, am liebsten solche, in deren Mitte steile Felswände sich erheben. Ebenso häufig trifft man ihn im waldlosen Gebirge, und gar nicht selten endlich sieht man ihn inmitten großer, volkbelebter Städte. Auf den Kirchthürmen Berlins, auf dem Stephansthurme in Wien, auf den Domen von Köln und Aachen habe ich ihn selbst als mehr oder weniger regelmäßigen Bewohner beobachtet, daß er auf anderen hohen Gebäuden sogar ständig vorkommen soll, durch glaubwürdige Beobachter erfahren. In Berlin sieht man ihn keineswegs bloß im Winter, sondern sehr häufig auch im Sommer, und wenn man bis jetzt, meines Wissens, seinen Horst noch nicht auf einem der höheren Thürme aufgefunden hat, so ist dies doch keineswegs ein Beweis dafür, daß er hier nicht brüten sollte. Besonders günstige Oertlichkeiten, namentlich unersteigliche Felsenwände, beherbergen ihn mit derselben Regelmäßigkeit wie die nordischen Vogelberge den Jagdfalken. So trägt der Falkenstein im Thüringer Walde seinen Namen mit Fug und Recht; denn auf ihm horstet ein Wanderfalkenpaar seit Menschengedenken. Aber weder Bäume noch Felsen noch hohe Gebäude sind zu seinem Wohlbefinden nothwendige Bedingung. Keineswegs seltener, eher noch häufiger als bei uns zu Lande begegnet man ihm, wie bereits bemerkt, in der Tundra. In Lappland habe ich ihn allerdings nicht oft gesehen, um so öfter aber auf meiner letzten Reise in Nordwestsibirim beobachtet. In der Tundra der Samojedenhalbinsel fehlen ihm Felsenwände, wie er sonst sie liebt, fast gänzlich; gleichwohl findet er auch hier Oertlichkeiten, welche ihm zur Anlage des Horstes geeignet erscheinen, und ist deshalb regelmäßiger Sommergast des unwirtsamen, für ihn aber wirtlichen Gebietes.
»Der Wanderfalk«, sagt Naumann, »ist ein muthiger, starker und äußerst gewandter Vogel; sein kräftiger Körperbau und sein blitzendes Auge beurkunden dies auf den ersten Anblick. Die Erfahrung lehrt uns, daß er nicht vergeblich von der Natur mit so furchtbaren Waffen ausgerüstet ward, und daß er im Gebrauche derselben seinen nahen Verwandten, dem Jagd- und Würgfalken, rühmlichst an die Seite zu setzen sei. Sein Flug ist äußerst schnell, mit hastigen Flügelschlägen, sehr selten schwimmend, meist niedrig über die Erde hinstreichend. Wenn er sich vom Boden aufschwingt, breitet er den Schwanz aus und fliegt, ehe er sich in die Höhe hebt, erst eine kleine Strecke dicht über der Erde hin. Nur im Frühjahre schwingt er sich zuweilen zu einer unermeßlichen Höhe in die Luft. Er ist sehr scheu und so vorsichtig, daß er zur nächtlichen Ruhe meist nur die Nadelholzwälder aufsucht. Hat er diese nicht in der Nähe, so bleibt er öfters lieber im freien Felde, auf einem Steine sitzen, und es gehört unter die seltenen Fälle, wenn er einmal in einem kleinen Laubholze übernachtet. Aus Vorsicht geht er auch in letzterem des Abends erst sehr spät zur Ruhe und wählt dazu die dichten Aeste hoher alter Bäume. In etwas größerem übernachtet er gern auf in jungen Schlägen einzeln stehengebliebenen alten Bäumen, und hier kommt er auch schon mit Untergang der Sonne, meist mit dick angefülltem Kropfe an. Am Tage setzt er sich ungern auf Bäume. Sitzend zieht er den Hals sehr ein, so daß der runde Kopf auf den Schultern zu stehen scheint; die weiße Kehle, mit den abstechenden schwarzen Backen, machen ihn von weitem kenntlich. Im Fluge zeichnet er sich durch den schlanken Gliederbau, den schmalen Schwanz und durch seine langen, schmalen und spitzigen Flügel vor anderen aus. Seine Stimme ist stark und volltönend, wie die Silben: ›Kgiak, kgiak‹ oder ›Kajak, kajak‹. Man hört sie aber außer der Begattungszeit eben nicht oft.« Naumanns Angabe bezüglich der Scheu und Vorsicht des Wanderfalken gilt wohl für unsere Waldungen, nicht aber für alle übrigen Verhältnisse. Auch in der menschenleeren Tundra weicht der Wanderfalk dem herankommenden Jäger vorsichtig aus; in größeren Städten hingegen kümmert ihn das Getriebe unter ihm nicht im geringsten, und er bekundet dann nicht selten eine Dreistigkeit, welche mit seinem sonstigen Verhalten, abgesehen von seinem Benehmen angesichts einer ihm winkenden Beute, in auffallendem Widerspruche steht. Noch mehr aber erstaunt man, ihn in Nordostafrika, namentlich in Egypten, unbesorgt mitten in Dörfern auf wenigen Palmen oder einer den Marktplatz beschattenden Sykomore, auf Tempeltrümmern, Häusern und Taubenschlägen sitzen und von hier aus seine Raubzüge unternehmen zu sehen. Man erkennt hieraus, daß sich sein Betragen immer und überall nach den Verhältnissen richtet, daß er Erfahrungen sammelt und dieselben bestmöglichst verwerthet.
Es scheint, daß der Wanderfalk nur Vögel frißt. Er ist der Schrecken aller gefiederten Geschöpfe, von der Wildgans an bis zur Lerche herab. Unter Rebhühnern und Tauben richtet er die ärgsten Verheerungen an; die Enten verfolgt er mit unermüdlicher Ausdauer, und selbst den wehrhaften Krähen ist er ein furchtbarer Feind: er nährt sich oft wochenlang ausschließlich von ihnen. Nach Art seiner nächsten Verwandtschaft raubt er für gewöhnlich nur fliegendes Wild, so lange dieses sich in der Luft bewegt. Auf Bäumen sitzende Vögel ergreift er ohne Umstände, nicht so aber solche, welche auf dem Boden liegen oder auf dem Wasser schwimmen; das Aufnehmen einer Beute unter solchen Umständen verursacht ihm mindestens beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten, gefährdet ihn infolge seines ungestümen und jähen Fluges wohl auch in bedenklicher Weise. »Der Wanderfalk«, schreibt mir Eugen von Homeyer auf Grund seiner langjährigen Beobachtungen, »ist gänzlich außer Stande, einen Vogel vom Boden oder vom Wasser aufzunehmen. Wo man dies gesehen haben will, hat man sich durch mangelhafte Beobachtung täuschen lassen, indem ein durch den auf ihn stoßenden Falken erschreckter Vogel einen unbesonnenen Flugversuch wagte, sich etwas vom Boden oder vom Wasser erhob und nun sofort vom Falken erfaßt wurde. Einmal habe ich in einer Entfernung von zweihundert Schritten einen Wanderfalken auf eine am Boden liegende Taube wohl fünfzig Mal, immer aber vergebens stoßen sehen. Ein anderes Mal stand ich am kleinen Haff bei Ueckermünde im Rohre versteckt, als ein Wanderfalk, einen Alpenstrandläufer verfolgend, auf mich zuflog. Ungefähr vierzig Schritte von mir warf sich der Strandläufer auf das ganz ruhige Wasser. Der Wanderfalk stieß fortwährend auf den frei liegenden Strandläufer, aber immer darüber hinweg. Endlich wurde ihm die Jagd wohl langweilig und er flog davon. Alsbald erhob sich auch der Strandläufer, nach der entgegengesetzten Richtung fliegend; in wenigen Sekunden jedoch war der Falk wieder zur Stelle, und der Strandläufer warf sich wiederum auf das Wasser. Noch einige vergebliche Stöße des Falken, und die Jagd hatte ein Ende. Einen dritten Fall beobachtete ich auf einer Fahrt von Stralsund nach Hiddensoe bei schönem, sonnigem, Wetter, als das Boot von dem sehr schwachen Winde nur äußerst langsam bewegt wurde, die See auch sehr ruhig war. Ein Wanderfalk kam, eine Hohltaube verfolgend, in die größte Nähe der Taube, als diese sich auf das Wasser herabwarf, und der Falk durch fortwährende heftige Stöße sie aufzuschrecken suchte. Dies gelang ihm jedoch nicht, sondern die Taube lag fest auf dem Wasser. Endlich entfernte sich der Falk; allein wie bei dem vorerwähnten Falle, so auch hier: die Taube war zu eilig bemüht, von dem gefährlichen Feinde sich zu entfernen. Sobald sie sich jedoch vom Wasser erhob, war der Falk wieder in der Nähe, und die Taube flüchtete sich nochmals auf das Wasser. So dauerte diese Jagd fort, so lange ich von dem allmählich sich entfernenden Boote noch etwas sehen konnte. Dies bestätigte mir von neuem, daß der Wanderfalk außer Stande ist, ein Thier vom Wasser aufzunehmen, und daß dies, wer es auch zu sehen geglaubt haben mag, nur beim Auffliegen eines Vogels geschehen kann.« Ich will nach diesen bestimmten Angaben des ausgezeichneten Beobachters gern für möglich halten, daß auch ich mich getäuscht habe, indem ich deutlich zu sehen glaubte, wie in Nordegypten ein Wanderfalk mehrmals nach einander Enten vom Wasser erhob; denn die Enten lagern dort in solcher Menge, daß eine derartige Täuschung wohl erklärlich erscheint: indessen muß ich doch bemerken, daß gerade die wiederholten Versuche des Falken für vereinzeltes Gelingen seiner Anstrengungen sprechen. Erwiesenermaßen fängt auch er sich im Habichtskorbe; dies aber dürfte unmöglich sein, wenn er nicht bis auf den Boden herabstieße, da der Köder, meist eine Taube, hier angefesselt wird. Führen seine Stöße auf sitzendes Wild nicht zum Ziele, so hilft er sich durch List. »Da, wo man ihn im Felde auf der Erde sitzen sieht«, sagt Naumann, »liegt gewöhnlich ein Volk Rebhühner in der Nähe, von denen er, sobald sie auffliegen, eines hinwegnimmt, denen er aber, so lange sie still liegen bleiben, keinen Schaden zufügen kann. Er lauert jedoch gewöhnlich so lange, bis die Rebhühner glauben, er sei fort. Sie fliegen dann auf und er erreicht seinen Zweck.« Fliegend gelingt es selbst den schnellsten Vögeln selten vor ihm sich zu retten. »Gewitzigte Haustauben wissen«, wie Naumann sagt, »kein anderes Rettungsmittel, als in möglichster Schnelle und dicht an einander gedrängt die Flucht zu ergreifen. Auf diejenige, welche sich etwas vom Schwarm absondert, stürzt er sich pfeilschnell von oben nieder. Stößt er das erste Mal fehl, so sucht ihn die Taube zu überfliegen, und glückt ihr das nur einigemal, so wird der Falk müde und zieht ab.« Seine Taubenjagd in Städten schildert Altum nach dreijähriger Beobachtung in Berlin. »Hier pflegte ein Weibchen des Morgens früh ruhig und zusammengekauert auf einem Ziegelvorsprunge des Daches der Garnisonkirche zu sitzen. Taubenflüge erfüllen die Luft; der Falk wird erregt und verfolgt mit den Augen die Tauben. Dies währt etwa fünf Minuten, und nun erhebt er sich. Noch gewahren ihn die Tauben nicht; doch er rückt ihnen in wenigen Sekunden so nahe, daß nun plötzlich ihr leichter, ungezwungener Flug sich in ein wirres, ungestümes Fliegen und Steigen verwandelt. Aber unglaublich schnell hat er sie eingeholt und etwa um zehn Meter überstiegen. Nun entfaltet er seine ganze Gewandtheit und Schnelligkeit. In sausendem, schrägem Sturze fällt er auf eine der äußersten hinunter und richtet diesen jähen Angriff so genau, daß er allen verzweifelten Flugwendungen des schnellen Opfers folgt. Aber in dem Augenblicke, als er dasselbe ergreifen will, ist es unter ihm entwischt. Mit der durch den Sturz erlangten Geschwindigkeit steigt er sofort ohne Flügelschlag wieder empor, rüttelt schnell, und ehe zehn Sekunden verflossen sind, ist die Taube von ihm wiederum eingeholt und in derselben Höhe überstiegen, der Angriff in sausendem Sturze mit angezogenen Flügeln erneuert, und die Beute zuckt blutend in den Fängen des Räubers. In wagerechter Richtung fliegt er nun mit derselben ab und verschwindet bald aus dem Gesichtsfelde. Von den übrigen Tauben sieht man noch einzelne in fast Wolkenhöhe wirr umherfliegen, wogegen sich die anderen jäh herabgeworfen und unter dem Schutze ihrer Behausung Sicherheit gefunden haben.« Mein Vater erzählt von einem Wanderfalken, welcher, den Tauben nachfliegend, bis in den Taubenstall eindrang und hier gefangen wurde. Ausdrücklich bemerken will ich noch, daß der von Homeyer mitgetheilte Fall nicht vereinzelt dasteht. Auch Naumann sah eine Haustaube sich ins Wasser stürzen und durch Untertauchen glücklich retten.
Nächst Rebhühnern und Tauben, wilden wie zahmen, haben nach Altums Beobachtungen namentlich die Kiebitze von ihm zu leiden. In Pommern wie in der Mark sind die Waldestheile, in denen der Horst steht, bestreut mit den größeren auffälligen Kiebitzfedern.
Alle Vögel, welche der Wanderfalk angreift, kennen ihn sehr wohl und suchen sich vor allen Dingen zu retten. Nicht einmal die muthigen Krähen bedrohen ihn, sondern fliegen, sobald sie ihn erblicken, so eilig als möglich davon, haben auch alle Ursache, vor ihm zu flüchten; denn er läßt sich durch sie, welche fast jeden anderen Falken angreifen und lange verfolgen, nicht im mindesten beirren, erhebt sich vielmehr über solche, vielleicht noch ungewitzigte, welche sich erdreisten wollten, ihn zu necken, stößt von oben auf sie herab und schlägt sie unfehlbar. Aus eigener Beobachtung kenne ich nur einen einzigen Vogel, welcher mit Erfolg auf ihn stößt und ihn unweigerlich aus seinem Gebiete vertreibt: die Schmarotzermöve. Diesem äußerst gewandten, muthigen und raublustigen Bewohner der Tundra flößt jeder vorüberfliegende Wanderfalk Sorge um die unmündige Brut ein, und jeder, welcher sich von ferne blicken läßt, wird daher augenblicklich aufs heftigste angegriffen. Auf der Samojedenhalbinsel beobachtete ich mit Vergnügen solche Jagd. Der Falk flog geraden Weges seinem offenbar ziemlich entfernten Horste zu, als er einer Schmarotzermöve ins Auge fiel. Sofort erhob sich diese unter lautem Rufen, hatte in kürzester Frist den Räuber eingeholt und belästigte ihn nunmehr ununterbrochen durch die heftigsten Stöße. Mit spielender Leichtigkeit und unnachahmlicher Gewandtheit hob sie sich fortwährend über den Gegner und stieß von oben herab auf ihn. Der Falk versuchte so viel als thunlich auszuweichen, nicht aber, den Angriffen durch andere zu begegnen, sondern zog, augenscheinlich sehr belästigt, so eilig als möglich weiter, fortwährend verfolgt von der unermüdlichen Möve. So ging die Jagd durch die Tundra, bis beide meinen Augen entschwanden.
Schlägt der Wanderfalk eine Beute, so erdolcht oder erwürgt er sie gewöhnlich schon in der Luft, sehr schwere Vögel aber, welche er nicht fortschleppen kann, wie Waldhühner und Wildgänse, auf dem Boden, nachdem er sie so lange gequält, bis sie mit ihm zur Erde herabstürzen. Bei Verfolgung seiner Beute fliegt er so fabelhaft schnell, daß man alle Schätzungen der Geschwindigkeit verliert. Man hört ein Brausen und sieht einen Gegenstand durch die Luft herniederstürzen, ist aber nicht im Stande, in demselben einen Falken zu erkennen. Diese Jachheit seines Angriffes ist wohl auch die Ursache, daß er nur selten auf sitzende Vögel stößt. Er kommt in Gefahr, sich selbst zu zerschmettern, und man kennt wirklich Beispiele, daß er durch Anstoßen an Baumzweige beim Herabschießen betäubt und selbst getödtet worden ist. Pallas versichert, daß er zuweilen, wenn er Enten verfolgt, im Wasser verunglückt: sein Stoß ist so mächtig, daß er tief unter die Oberfläche des Wassers geräth und ertrinken muß. Höchst selten greift er fehl; überhaupt fängt er mit spielender Leichtigkeit. Im Vollbewußtsein der außerordentlichen Gewandtheit, mit welcher er fliegt, zeigt er sich auf seinen Raubzügen oft außerordentlich dreist, nimmt dem Jäger ein im Fluge geschossenes Wild vor den Augen weg, ehe es den Boden berührt, und bezahlt solche Unklugheit nicht selten mit dem Leben. Die gewonnene Beute wird dann von ihm einer freien Stelle zugetragen und hier verzehrt, bloß größere Vögel werden da angefressen, wo sie getödtet wurden. Vor dem Kröpfen rupft er wenigstens eine Stelle des Leibes vom Gefieder kahl. Kleinere Vögel verschlingt er sammt dem Eingeweide, während er letzteres bei größeren verschmäht.
Hier zu Lande horstet der Wanderfalk am liebsten in Höhlungen an steilen Felswänden, welche schwer oder nicht zu ersteigen sind, im Nothfalle aber auch auf hohen Waldbäumen. Einen eigenen Bau errichtet er wohl nur in seltenen Fällen, benutzt vielmehr andere Raubvögelhorste, vom Seeadler- bis zum halbverfallenen Milanhorste herab, ebenso auch ein verlassenes oder gewaltsam in Besitz genommenes Krähennest. Gern bezieht er einen Horst inmitten einer Reihersiedelung, auch wohl solchen des Reihers selbst; denn die jungen Reiher, welche er einfach aus dem Neste nimmt, erleichtern ihm seine Jagd und das Auffüttern seiner eigenen Brut. Drei Horste der Tundra lieferten uns den Beweis, daß er selbst es für überflüssig erachtet, Baustoffe herbeizutragen. Da ihm hier Felswände auf weite Strecken hin gänzlich fehlen, begnügt er sich mit hervortretenden Erdmassen, welche wenigstens nach einer Seite steil abfallen, im Nothfalle sogar mit einem einzigen Steine oder größeren, vom Regen theilweise abgewaschenen Erdklumpen, neben welchem er dann die Eier ohne weiteres auf den Boden legt. Alle drei von uns gefundenen Horste standen am oberen Rande von Thälern oder Einsattelungen, aber nur ein einziger an einer Stelle, unterhalb welcher das nackte Gestein zu Tage trat. Es war gerade, als ob er den Schein hätte wahren wollen, indem er sich eine Höhe ausgesucht hatte, welche mindestens von einer Seite her schwer zugänglich war, wogegen man von der anderen Seite her auf ebenem Boden bis zum Horste schreiten konnte, ohne irgendwie klettern zu müssen. Hier, hart an einen Stein oder Erdklumpen gedrückt, einmal auch vollkommen frei auf einem Vorsprunge, sahen wir im Juli und August die dunigen oder halbbefiederten Jungen anscheinend so unbesorgt zusammensitzen, als gäbe es in der Tundra weder Eisfüchse noch Wölfe. Bei uns zu Lande findet man im April oder Mai, zuweilen auch erst im Juni, das vollständige Gelege, drei, höchstens vier rundliche, auf gelbröthlichem Grunde braun gefleckte Eier. Das Weibchen brütet allein; das Männchen vergnügt es in der beschriebenen Weise. Beide Eltern lieben ihre Brut außerordentlich und suchen durch heftige Stöße jeden dem Horste sich nahenden Feind zu vertreiben. So wenigstens beobachteten wir in der Tundra Sibiriens. Schon von ferne machten uns die Wanderfalken auf den Horst aufmerksam. Auf weite Strecken flogen sie uns entgegen, umkreisten uns laut schreiend in hoher Luft, kamen um so tiefer herab, je mehr wir uns dem Horste näherten und stießen dann fortwährend auf uns hernieder. Das Schauspiel, welches so geängstigte Falken bieten, ist im allerhöchsten Grade fesselnd; denn sie entfalten dabei alle Künste des Fluges. Eben sieht man sie noch in schwindelnder, weit mehr als schußfreier Höhe ihre Kreise ziehen, plötzlich aber die Flügel anlegen und nun sausend herunter bis auf wenige Meter an einem vorüberstürzen, an der tiefsten Stelle angekommen, ihr Steuerruder in entsprechender Weise gebrauchen und ohne Flügelschlag wieder sich erheben, soweit die Kraft des Stoßes sie treibt, dann wiederum mit einigen kurzen, raschen Flügelschlägen die vorherige Höhe erklettern, von neuem kreisen und von neuem herabstürzen. Zu wirklichen Angriffen entschließen sie sich jedoch nicht, kommen einem auch niemals so nahe, wie Habichte oder Möven unter gleichen Verhältnissen. Die Jungen werden anfänglich mit halbverdautem Fleische aus dem Kropfe geatzt, später mit verschiedenartigen Vögeln reichlich gefüttert, nach dem Ausfliegen ordentlich in die Lehre genommen und erst, wenn sie vollendete Fänger geworden sind, sich selbst überlassen. »Im Jahre 1872«, so schreibt mir Liebe, »sah ich um ein Feldgehölz im Elsterthale ein Paar Wanderfalken kreisen. Das Paar wurde bald der Schrecken für die im Gebiete heimischen Krähen. Ich besuchte bei Gelegenheit meiner Aufnahme fast täglich die Gegend und sah nach acht Tagen, daß der eine Falk allabendlich in jenes Gehölz kam, eine Viertelstunde aufbäumte und dann von Zeit zu Zeit suchend über dem Thale auf und ab strich. Meine Vermuthung, daß das Weibchen weggeschossen sei, bestätigte sich nicht. Nach einiger Zeit kam dieses mit dem Männchen zur gewohnten Stunde zwischen sechs bis sieben Uhr Abends ins Gehölz und zwar in Begleitung zweier Jungen, welche noch so unbeholfen waren, daß sie beim Aufbäumen nicht immer rasch das Gleichgewicht fanden. Nach kurzer Zeit strichen die beiden Alten ab, um spielend gegen den Wind zu kreuzen: ein wunderbares Schauspiel, welches ich schon einmal in Norwegen und einmal hier von dem Männchen desselben Paares hatte ausführen sehen. Das Männchen zog bald davon, während das Weibchen seine prachtvollen Schwenkungen weiter ausführte, dabei den Jungen immer näher kam, bis es endlich in schrägem Stoße das eine vom Aste abstreifte, ob mit dem Flügel oder mit der Brust, konnte ich nicht sehen, da mein Versteck zu entlegen und mein Fernglas doch nicht scharf genug war. Das Junge mußte wollend oder nichtwollend fliegen und ahmte die Bewegungen der Alten unbeholfen genug nach, bäumte aber bald wieder auf. Darauf warf die Mutter das andere Junge vom Hochsitze herab und ließ es ebenso wie das erste fliegen. Nach kurzer Ruhe brachte sie beide Junge auf einmal zum Arbeiten, flog dabei schräg gegen den Wind empor, ließ sich eine Strecke weit kreuzend treiben, schoß in prachtvollem Bogen senkrecht nieder und wieder schräg empor und übte alle jene Künste, welche zum Spiele gehören. Indem die Jungen die Mutter zu begleiten suchten, ahmten sie täppisch genug deren Gebaren nach. Da erschien das Männchen wieder mit einer Dohle oder Krähe in den Fängen; die Familie fühlte sich aber durch irgend eine Erscheinung gestört und strich ab.«
Der Wanderfalk kann bei uns zu Lande nicht geduldet werden; denn der Schaden, welchen er anrichtet, ist sehr beträchtlich. Wenn der stolze Räuber nur zu eigenem Bedarfe rauben wollte, könnte man ihn vielleicht gewähren lassen: er aber muß für eine zahlreiche Sippschaft anderer Raubvögel sorgen. Es ist eine auffallende Thatsache, daß alle Edelfalken, wenn sie sich angegriffen sehen, die eben gewonnene Beute wieder wegwerfen. Dies wissen die Bettler unter den Raubvögeln sehr genau. »Da sitzen die trägen und ungeschickten Gesellen«, schildert Naumann, »auf den Grenzsteinen oder Feldhügeln, geben genau auf den Falken acht, und sobald sie sehen, daß er etwas gefangen hat, fliegen sie eiligst herbei und nehmen ihm ohne Umstände seine Beute weg. Der sonst so muthige, kühne Falk läßt, wenn er den ungebetenen Gast ankommen sieht, seine Beute liegen, schwingt sich mit wiederholt ausgestoßenem ›Kja kjak‹ in die Höhe und eilt davon. Ja sogar dem feigen Gabelweih, welchen eine beherzte Gluckhenne von ihren Küchlein abzuhalten im Stande ist, überläßt er seine Beute.« In Nordostafrika sind es hauptsächlich die Schmarotzermilane, welche ihren Namen bethätigen. Ich selbst habe gesehen, daß ein Wanderfalk binnen wenigen Minuten drei Enten erhob, alle drei dem unverschämten Bettlergesindel zuwarf und erst mit der vierten unbelästigt davon flog. Man hat sich bemüht, die Handlungsweise des Wanderfalken zu erklären und zu diesem Behufe verschiedene Annahmen verlautbaren lassen. Nach Ansicht der einen soll der Falk den erwähnten Bettlern seine Beute überlassen, um unnützes Aufsehen zu vermeiden, nach Ansicht der anderen sich ihnen gegenüber zu schwach fühlen. Riesenthal, welcher die letztere Ansicht unterstützt, versichert gesehen zu haben, daß die Bettler niemals an den Wanderfalken sich herangewagt hätten, so lange derselbe fliegend seine Beute trug, vielmehr erst erschienen seien, wenn er dieselbe auf dem Boden sitzend zu kröpfen begonnen habe. Ich meinestheils kann nur sagen, daß ich den eigentlichen Grund des Verfahrens eines so kräftigen und stolzen Vogels nicht kenne, wohl aber, sogar sehr häufig, im Gegensatze zu Riesenthal, gesehen habe, daß er auch, während er fliegend Beute davontrug, diese dem ihn umlagernden Bettlergesindel zuwarf, und ich muß somit, wenn ich eine Erklärung suchen soll, als allein wahrscheinlich annehmen, daß ihm das Gebaren der bettelnden Raubvögel überlästig wird und er aus diesem Grunde, im Vollbewußtsein seiner Raubfertigkeit, ihnen die leicht erworbene und leicht zu ersetzende Beute überläßt. Dies würde dann allerdings einen gewissen Stolz von Seiten des Falken voraussetzen; es würde eine Handlung sein vergleichbar der eines sich überhebenden Menschen, welcher einem Bettler ein Almosen zuwirft. Im Widerspruche mit dem sonstigen Gebaren des Wanderfalken steht solche Annahme nicht.
Dem nicht in Abrede zu stellenden Schaden gegenüber, spricht man dem Wanderfalken jeglichen Nutzen ab, und Jäger und Taubenzüchter sehen in ihm einen ihrer ärgsten Feinde, dessen Ausrottung jedes Mittel heiligt. Und doch möchte ich und mit mir jeder andere, welcher den stolzen Vogel jemals fliegen und rauben sah, ihn nimmermehr missen; denn er ist eine Zierde unserer Wälder und Fluren. In seinem Auftreten paaren sich Kraft mit Gewandtheit, Muth mit Unternehmungssinn; sitzend wie fliegend fesselt er jeden Beobachter. Ihn der Schonung empfehlen zu wollen, würde mich mit allen Jägern und Taubenliebhabern verfeinden; gleichwohl darf ich nicht unterlassen, erstere darauf aufmerksam zu machen, daß man unseren Falken in England mit anderen Augen zu betrachten beginnt, als dies früher der Fall war. Auch dort war jedes Jägers Hand über ihm, und alle Mittel zu seiner Vertilgung wurden angewandt, vom Tellereisen auf dem Horste bis zur Krähenhütte, von der Büchse bis zur Schlinge herab; es gelang auch den vereinten Anstrengungen, ihn in einzelnen Jagdgebieten wenigstens während der Brutzeit gänzlich zu vertreiben. Seitdem aber bemerkte man eine mehr und mehr um sich greifende, seuchenartige Krankheit der so sorglich geschonten Rauchfuß- und Rebhühner und ist auf den Gedanken gekommen, daß diese bis dahin nicht beobachtete Seuche wohl eine Folge der unerbittlichen Ausrottung des Wanderfalken sein könne. Durch die Vernichtung des letzteren erleichterte man den geschützten Hühnern den Kampf um das Dasein, und es blieben auch Schwächlinge, welche sonst den Räubern am ersten zum Opfer zu fallen pflegen, übrig, gelangten zur Fortpflanzung und erzielten eine noch schwächlichere, zu Krankheiten aller Art geneigte Nachkommenschaft. In Erwägung dieser Umstände verfolgen einzelne Großgrundbesitzer Englands den Wanderfalken nicht mehr und erhoffen von dieser Maßregel, wenn auch nicht Vermehrung, so doch Erzielung eines gesunderen Federwildstandes. Ich lasse wie billig das Für und Wider dieser Anschauung unerörtert; die Beachtung der Sachverständigen und Jäger scheint sie mir jedoch zu verdienen. Anders freilich verhält es sich in Anbetracht des Schadens, welchen der Wanderfalk unseren Taubenliebhabern zufügt. Sie haben wohl unter allen Umständen Recht, wenn sie einen Vogel hassen und verfolgen, dem gegenüber sie so ohnmächtig sind, daß sie bereits, wie beispielsweise in Berlin, die Hülfe der Sicherheitsbehörde gegen den freien Räuber der Lüfte angerufen haben. Es ist nicht bekannt geworden, ob die letztere solchem Ansuchen gewillfahrt hat; wenn dies aber auch der Fall gewesen wäre: den Wanderfalken würde der Schutzmann nicht vertrieben haben. Ihm bieten selbst unsere Waldungen und Gebirge noch immer gesicherte Zufluchtsstätten, und wenn er hier wirklich ausgerottet werden könnte, würde er von Norden her wieder bei uns einwandern.
Bei sorgsamer Pflege hält sich der Wanderfalk jahrelang im Käfige und nimmt hier mit allerlei frischem Fleische vorlieb; verlangt aber viel Nahrung. »Ich hatte einmal«, sagt Naumann, »einen solchen Falken über ein Jahr lang in einem großen Käfige, und dieser fraß in zwei Tagen einen ganzen Fuchs auf, desgleichen drei Krähen in einem Tage; er konnte aber auch über eine Woche lang hungern. Er packte oft sechs lebendige Sperlinge, in jede Klaue drei, wobei er auf den Fersen saß, dann einem nach dem anderen den Kopf einkneipte und bei Seite legte. Eine lebende alte Krähe machte ihm in seinem Gefängnisse viel zu schaffen, desgleichen auch eine Eule. Wenn er mich mit einer lebenden Eule kommen sah, machte er sich struppicht und setzte sich schlagfertig auf den obersten Sitz seines Behälters; die Eule legte sich, sobald sie in den Käfig kam, auf den Rücken, stellte ihm ihre offenen Klauen entgegen und fauchte fürchterlich; der Falk kehrte sich aber hieran nicht, sondern stieß so lange von oben herab, bis es ihm glückte, sie beim Halse zu packen und ihr die Gurgel zuzuhalten. Auf seiner Beute sitzend, breitete er jetzt freudig seine Flügel aus, rief aus vollem Halse sein ›Kgia, kgia, kgia!‹ und riß ihr mit dem Schnabel die Gurgel heraus. Mäuse fraß er auch, aber bei Hamstern und Maulwürfen verhungerte er.« In unseren Thiergärten erhält der Wanderfalk zwar so viel als möglich Vögel, der Hauptsache nach jedoch, wie die übrigen Raubvögel auch, nur Pferdefleisch. Daß er bei derartiger Kost selten lange aushält, ist erklärlich. Erfahrungsmäßig darf man ihn nur mit seinesgleichen und dann auch bloß paarweise zusammensperren; kleinere Raubvögel würgt er ab und größere gefährden ihn; insbesondere darf man niemals wagen, einen Habicht zu ihm zu setzen, weil dieser ihn meistert und sicher früher oder später auffrißt.
In Mittelafrika und Indien wird die Wanderfalkengruppe durch einen kleinen, überaus zierlichen Raubvogel vertreten, welcher seiner ungewöhnlichen Schönheit halber auch in unserem Werke erwähnt zu werden verdient. Dies ist der Rothhalsfalk oder »Turumdi« der Inder ( Falco chiquera, ruficollis und ruficapillus, Hypotriorchis chiquera und ruficollis, Chiquera ruficollis), vielleicht der schönste aller Edelfalken überhaupt. Kopf und Nacken sind rostroth, hier und da durch die dunkleren Schäfte der Federn fein gestrichelt, Rücken, Oberflügel, Flügeldeckfedern und Oberarmschwingen dagegen auf dunkel aschgrauem, im Leben hellblau überflogenem Grunde mit breiten, stark hervortretenden, schwarzen Querbinden, Unterbrust, Bauch und Schenkel auf licht röthlichgelbem Grunde dicht mit dunkel aschgrauen Bändern gezeichnet. Ein schmaler Streifen über dem Auge ist, wie der deutlich hervortretende Bart, schwarz, die Kehle weiß, der Kropf, einschließlich der Oberbrust, zumal an den Seiten, ebenso wie der Flügelbug, hellrostroth; der Schwanz hat dieselbe Grundfärbung wie der Rücken und ist acht- bis zehnmal dunkler gebändert, die breite Endbinde weiß gesäumt. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel am Grunde grünlichgelb, an der Spitze hornblau, der Fuß hellorangegelb. Die Länge betrügt beim Männchen 29, beim Weibchen 34, die Breite bei jenem 58, bei diesem 68, die Fittiglänge 18,5 und beziehentlich 22, die Schwanzlänge 11, beim Weibchen 14,5 Centimeter.
Einzelne Naturforscher unterscheiden Rothhalsfalk und Turumdi als besondere Arten; es ist jedoch wahrscheinlich, daß auch in diesem Falle dieselben Verhältnisse, wie für die Wanderfalken insgemein maßgebend sind.
Nach meinen Erfahrungen findet sich dieser reizende Falk in Nordostafrika erst südlich des sechzehnten Grades nördlicher Breite und hier ausschließlich auf den Dulébpalmen, welche mit prächtigen Kronen über den Hochwald sich erheben und ihm auf ihren breiten Fächerblättern wohlgeeignete Stellen zur Anlage seines Horstes gewähren. Wir durften mit aller Sicherheit darauf rechnen, da, wo wir eine dieser Palmen sahen, auch ihn anzutreffen. Nur ein einziges Mal sahen wir ihn in einem Dompalmenwalde bei Roseeres; freilich gab es hier weit und breit keine Dulébpalmen. Heuglin hat ihn in Mittelafrika auf denselben Bäumen gefunden, und wahrscheinlich verhält es sich an der Westküste, wo er ebenfalls vorkommt, ganz ebenso.
Eine einzige genannter Palmen ist genügend, ein Pärchen zu fesseln. Von hier fliegt der Falk wohl auch auf einen der Affenbrodbäume und nimmt hier auf der höchsten Spitze seinen Sitz, um von dieser Warte aus sein Gebiet zu überblicken. Fliegt dann ein Schwarm Webervögel vorüber, so sieht man ihn wie einen Pfeil vom Bogen und selten vergeblich von oben sich herniederstürzen; denn seine Gewandtheit ist außerordentlich groß und übertrifft nach meinem Dafürhalten die aller übrigen Falken, welche ich beobachtet habe. Unter seinem Horste habe ich einen getödteten Zwergsegler ( Cypselus parvus) gefunden und später gesehen, wie ein Paar der prachtvollen Falken einen dieser schnellsten aller dortigen Flieger längere Zeit verfolgte und glücklich fing. Kleinere Vögel, vor allem aber die Finkenarten, und zwar wiederum eben die Webervögel, scheinen jedoch die ausschließliche Nahrung zu bilden. An größeren Thieren vergreift er sich nicht; dafür spricht wenigstens ein eigenthümliches Freundschaftsverhältnis, welches wir wiederholt beobachtet haben. Auf denselben Fächerblättern nämlich, welche den Horst des Falken tragen, nistet die Guineataube ( Columba guinea), und oft haben wir gesehen, daß die beiden Nachbarn in unmittelbarer Nähe harmlos friedlich neben einander saßen. Den Horst selbst habe ich nie untersuchen können: die Dulébpalme erwies sich für mich als unersteiglich.
Die Schnelligkeit und Gewandtheit des prächtigen Räubers sichert ihm ein freies Leben; doch hat auch er seine Feinde, wahrscheinlich in den stärkeren Mitgliedern seiner Sippe. Im Urwalde fand ich einmal Kopf und beide Flügel eines männlichen Falken dieser Art als Ueberbleibsel einer Mahlzeit, welche sein Leib gebildet hatte. Die Innerafrikauer stellen dem Vogel nicht nach, der Hindu hingegen weiß seinen Verwandten zu würdigen und dessen Gewandtheit zu verwerthen.
Es dient zur Vervollständigung des von mir eben gesagten, wenn ich Jerdons Beschreibung des Turumdi noch folgendes entnehme. »Er ist über ganz Indien vom Norden zum Süden verbreitet, in waldigen Gegenden jedoch selten, da er offene Strecken in der Nachbarschaft von Ansiedelungen, Gärten und Baumgruppen bevorzugt. Oft sieht man ihn auch im offenen Lande auf hohen einzeln stehenden Bäumen, von denen aus er namentlich während der Tageshitze Ausfälle macht. Dabei gleitet er mit unglaublicher Schnelligkeit längs der Gebüsche, Hecken und Teichufer hin, über Felder hinweg und stürzt sich plötzlich auf eine Lerche, Bachstelze oder einen Sperling herab. Ich habe ihn auch schon wiederholt für einige Sekunden wie einen Thurmfalken rütteln sehen. Er jagt in Paaren und raubt vorzüglich kleine Vögel, namentlich Kalanderlerchen, Sperlinge, Regenpfeifer, aber auch Feldmäuse.
»Der Horst des Turumdi steht gewöhnlich aus hohen Bäumen und enthält in der Regel vier gelblichbraune und mit braunen Flecken besprenkelte Eier. Die Jungen entfliegen schon zu Ende März oder Anfang April dem Neste. Er ist beim Horste sehr muthig und verjagt mit schrillendem, lautem Schrei Krähen, Milane und selbst den Steinadler aus seinem Gehege.
»Gelegentlich wird er gezähmt und auf Wachteln, Rebhühner, Meinas, besonders aber auf die indischen Raken abgerichtet. In Verfolgung dieser Beute verfährt der Falk sehr vorsichtig und zurückhaltend, wird aber doch oft betrogen durch die außerordentlichen Kunststücke der Rake, welche bald schief dahinstreicht, bald gerade senkrecht herunterstürzt, fortwährend dabei schreit und so schleunig als möglich einen schützenden Baum zu gewinnen sucht. Aber gerade hier ist sie nicht sicher; denn der Falk folgt ihr von Zweig zu Zweig, treibt sie von neuem heraus, und einige Augenblicke später fällt die abgemattete Beute dem ruhelosen Verfolger zum Opfer. Ich habe Falkner gekannt, welche den Turumdi abgerichtet haben, in Gesellschaft zu jagen.«
Unser Baumfalk gilt ebenfalls als Vertreter einer besonderen Untersippe ( Hypotriorchis), deren Kennzeichen in der geringen Größe, dem gestreckten Leibesbau und der verhältnismäßig langen, sichelförmigen, bis an oder über die Schwanzspitze hinausreichenden Flügeln gefunden worden sind; der Vogel ist jedoch in seinem Wesen ein so echter Edelfalk, daß es für uns unthunlich erscheint, dieser Zersplitterung weiter Rechnung zu tragen.
Der Baumfalk oder das Weißbäckchen, der Lerchenstoßer, Hecht-, Schmerl- und Stoßfalk ( Falco subbuteo, hirundinum und barletta, Dendrofalco und Hypotriorchis subbuteo) gehört zu den kleineren Edelfalken. Seine Länge beträgt einunddreißig, seine Breite achtundsiebzig, die Fittiglänge fünfundzwanzig, die Schwanzlänge sechzehn Centimeter. Das Weibchen ist um vier Centimeter länger und um fünf bis sieben Centimeter breiter. Die ganze Oberseite ist blauschwarz, der Kopf graulich, der Nacken weißfleckig; die Schwingen sind schwärzlich, rostgelb gekantet, auf der Innenfahne mit fünf bis neun roströthlichen, länglich runden Querflecken besetzt; die Schwanzfedern oben schieferblau, unten graulicher, auf der Innenfahne durch acht rostgelbrothe Querflecke geziert, welche sich zu Binden vereinigen, den beiden mittelsten Federn aber fehlen. Die Unterseite ist auf weißem oder gelblichweißem Grunde vom Kropfe an mit schwarzen Längsflecken besetzt; die Hosen, die Steiß- und die Unterschwanzdeckfedern sind schön rostroth. Die Bartstriche treten deutlich hervor. Das Auge ist dunkelbraun, der nackte Ring um dasselbe, die Wachshaut und die Füße sind gelb, der Schnabel ist an der Spitze dunkel-, an der Wurzel hellblau. Bei dem jungen Vogel sind die blauschwarzgrauen Federn der Oberseite rostgelb gerandet, der lichte Nackenfleck größer als bei den Alten und gilblich von Farbe; die Unterseite zeigt auf weißgelber Grundfarbe schwarze Längsflecke; der Unterleib, die Unterschwanzdeckfedern und die Hosen sind gelblich, letztere mit schwärzlichen Schaftflecken gezeichnet.
Auf den griechischen Inseln wird der Baumfalk durch den ihm im ganzen ähnlichen, aber sehr veränderlichen, um ein Fünftel größeren und dunkler gefärbten, unterseits auf lichtbraunem Grunde schwarz gefleckten Eleonorenfalken ( Falco Eleonorae, arcadicus, concolor, dichrous und radama, Dendrofalco Eleonorae und arcadicus, Hypotriorchis Eleonorae) vertreten.
Europa, vom mittleren Skandinavien, Südfinnland und Nordrußland an bis Griechenland und Spanien, beherbergt diesen schnellsten unserer Edelfalken als Brutvogel. Außerdem bewohnt er ganz Mittelasien vom Ural bis zum Amur. Nach Süden hin wird er seltener, ist beispielsweise in Italien bis jetzt noch nirgends als Brutvogel nachgewiesen, sondern immer nur gelegentlich seiner Wanderungen beobachtet worden und tritt während des Sommers ebenso in Griechenland und Spanien nur sehr vereinzelt auf, so daß die Grenzen seines Brutgebietes den Balkan, die Alpen und Pyrenäen nur ausnahmsweise überschreiten. Auf dem Zuge berührt er Nordafrika höchst selten, kommt aber noch auf den Kanaren regelmäßig vor; in Indien hingegen erscheint er als Wintergast ziemlich häufig. Wirklich gemein soll er, laut Eversmann, in den Vorbergen und angrenzenden Steppen des Ural sein. In Deutschland bevorzugt er Feldhölzer und namentlich Laubwälder allen anderen Oertlichkeiten; in ausgedehnten Waldungen wird er nur aus dem Zuge bemerkt. Ebenso wie solche Wälder meidet er auch das Gebirge, besucht es mindestens ausnahmsweise und immer nur einzeln. Häufig kann man ihn überhaupt nicht nennen, als selten freilich auch nicht bezeichnen. Im ebenen Norddeutschland findet man ihn regelmäßig, hier und da kaum seltener als den Thurmfalken, im Hügellande wenigstens an allen geeigneten Stellen, immer aber nur einzeln, so daß der Standort eines Paares von dem eines anderen oft durch viele Kilometer getrennt sein kann. Er ist bei uns ein Sommervogel, welcher uns im September und Oktober regelmäßig verläßt und im April wieder zurückkehrt.
In seinem Betragen zeichnet sich der Baumfalk in mancher Hinsicht vor anderen Edelfalken aus. »Er ist«, sagt mein Vater, »ein äußerst munterer, kecker und gewandter Raubvogel, welcher sich in der Schnelligkeit seines Fluges mit jedem anderen messen kann. Sein Flug hat viel Aehnlichkeit mit dem der Schwalben. Er hält wie diese die Flügel meist sichelförmig, breitet den Schwanz wenig und ähnelt in seiner ganzen Haltung dem Mauersegler sehr. Verläßt er einen Baum, dann streicht er oft ganze Strecken, auf drei- bis vierhundert Schritte weit, fast ohne alle bemerkbare Flügelbewegung durch die Lüfte hin und nicht etwa wie die Bussarde oder Thurmfalken langsam, sondern sehr geschwind. Kommt er zu tief – denn er senkt sich bei diesem Hingleiten durch die Luft merklich –, dann kostet es ihm nur wenige Flügelschläge, und er hat seine vorige Höhe erreicht. So geht dieser herrliche Flug fort und entrückt den Falken in kurzer Zeit dem menschlichen Auge. Ist der gewöhnliche Flug schnell, so ist er beim Verfolgen eines Vogels reißend. Wie ein Pfeil schießt der Baumfalk hinter einer Rauchschwalbe her, und hat er freien Spielraum, sie zu verfolgen, dann ist sie verloren. Wir sahen das alte Männchen in nicht großer Entfernung stoßen. Es hatte dem kleinen Vogel, welchen es verfolgte, die Höhe abgewonnen und durch schnellen Schwingenschlag den zum Stoße nöthigen Schuß bekommen. Jetzt legte es die Flügel zurück, und nachdem es zehn Meter weit in schiefer Richtung herabgefahren war, hatte es den Vogel schon ergriffen. Ein Grünspecht, welcher eben unter dem Falken vorüberflog, gerieth über das Stoßen desselben in solche Angst, daß er laut aufschrie und in größter Hast in das nahe Dickicht stürzte.« Bei solchen Jagden vergißt er oft alle Scheu vor dem Menschen, eilt blindlings hinter den von ihm verfolgten Vögeln her und dringt dabei zuweilen in Häuser, selbst in das Innere eines fahrenden Wagens ein, falls seine geängstigte und verwirrte Beute hier wie dort Rettung sucht. Schwebend führt er die schönsten Schwenkungen mit der größten Leichtigkeit aus. Auf den Boden setzt er sich selten, vielmehr regelmäßig auf Bäume. Seinen Raub verzehrt er hier wie dort.
Männchen und Weibchen halten treu zusammen und treten im Herbste mit einander ihre Winterreise an. Sie rauben auch gemeinschaftlich, werden aber hierbei auf einander eifersüchtig und nicht selten mit einander uneinig. »Hiervon«, sagt mein Vater, »weiß ich ein Beispiel. Zwei Baumfalken jagten zusammen; der eine fing eine Schwalbe, ließ sie, während der andere herbeikam, fallen, stürzte hinter ihr drein und fing sie noch einmal. Jetzt verlangte der andere seinen Antheil an der Beute, der Besitzer derselben wollte ihm diesen nicht geben. Beide bissen sich mit einander herum und kamen so auf den Boden herab, wo der Sieger die Schwalbe ergriff und mit ihr in möglichster Schnelle davonflog, ehe der Besiegte recht zu sich kam.« Bei solchen Zänkereien geschieht es zuweilen, daß ein gefangener Vogel wieder frei kommt und glücklich entrinnt. Solche eheliche Zwiste abgerechnet, sind die Baumfalken sehr treue Gatten. Man sieht das Paar stets zusammen und einer der Gatten bemüht sich, den anderen zu erfreuen.
Die Stimme ist ein helles und angenehm klingendes »Gäth gäth gäth«, welches oft und schnell wiederholt wird. Während der Brutzeit vernimmt man ein Helles »Gick«.
Der Baumfalk ist immer scheu und vorsichtig, bäumt deshalb zum Schlafen erst auf, wenn die Dunkelheit vollständig eingebrochen ist, und weicht jedem Menschen fast ängstlich aus. Sein ganzes Gebaren deutet auf hohen Verstand.
Wie schon Naumann hervorhebt, ist der Baumfalk der Schrecken der Feldlerchen. Er verschmäht aber auch andere Vögel keineswegs, und wird selbst den schnellen Schwalben gefährlich. »Die sonst so kecken Schwalben, welche so gern andere Raubvögel mit neckendem Geschrei verfolgen, fürchten sich auch so sehr vor ihm, daß sie bei seinem Erscheinen eiligst die Flucht ergreifen. Ich sah ihn zuweilen unter einen Schwarm Mehlschwalben fahren, die so darüber erschraken, daß einige von ihnen vom Schreck förmlich betäubt wurden, wie todt zur Erde herabstürzten und sich von mir aufnehmen ließen. Lange hielt ich sie in der offenen Hand, ehe sie es wagten, wieder fortzufliegen. Auch die Lerchen fürchten sich so vor ihrem Erbfeinde, daß sie, wenn er sie verfolgt, ihre Zuflucht oft zu den Menschen nehmen, den Ackerleuten und Pferden zwischen die Füße fallen und von Furcht und Schrecken so betäubt sind, daß man sie nicht selten mit den Händen fangen kann. Der Baumfalk fliegt gewöhnlich niedrig und schnell über der Erde hin. Wenn ihn im Frühlinge die Lerchen von weitem erblicken, so schwingen sie sich schnell in die Luft zu einer Höhe hinauf, daß sie das menschliche Auge kaum erreichen kann, und trillern eifrig ihr Liedchen, wohlbewußt, daß er ihnen in der Höhe nicht schaden kann, weil er, wie der vorhergehende, allemal von oben herab auf seinen Raub stößt und sie daher, wenn sie einmal in einer so beträchtlichen Höhe sind, niemals angreift. Es würde ihn, wenn er sie dann übersteigen wollte, zu viel Mühe und Anstrengung kosten. Die Schwalben verursachen bei seiner Ankunft einen großen Lärm, sammeln sich in einen Schwarm, und schwingen sich girbelnd in die Höhe. Auf die einzeln niedrig fliegenden macht er Jagd und fängt sie, auf dem Freien, auf vier bis zehn Stöße; stößt er aber öfters fehl, so wird er müde und zieht ab.«
Snell, ein sehr scharfer und gewissenhafter Beobachter, meint, daß der Baumfalk nur Mehlschwalben fangen könne, unsere Rauchschwalbe aber vor ihm sicher sei. »Ich habe«, sagt er, »das Verhalten der Schwalben genau ins Auge gefaßt. Sobald die Falken erschienen und ihre Schwenkungen in den Lüften begannen, ergriff alles in sichtlicher Angst die Flucht. Nur die Rauchschwalben flogen etwas höher als die übrigen umher, in einem fort warnend, und einzelne besonders kühne aus der Gesellschaft stachen sogar nach den verhaßten Räubern. Doch geschah dies mit größter Eilfertigkeit und Vorsicht.« Nach neuerlichen Beobachtungen muß ich Snell hierin beistimmen. Auch ich habe in den letzten Jahren gesehen, daß Baumfalken von unseren Rauchschwalben verfolgt wurden, und genau dasselbe schreibt mir Eugen von Homeyer und W. von Reichenau. »Zur Zeit des Herbstzuges«, berichtet mir der letztere, »sah ich auf meinem damaligen Hofe Litzelnau im oberbayrischen Berglande einmal ein Dutzend Drosseln in rasender Eile dicht am Boden unter einer Obstbaumpflanzung dahinfliegen. Hierdurch aufmerksam gemacht, suchte ich nach dem Gegenstande ihres großen Schreckens und entdeckte in hoher Luft einen Baumfalken, welcher bald abwärts stieß. Durch die ausgebreiteten Aeste der sehr dicht stehenden Bäume verhindert, mußte er einhalten und flatterte über dem Baume hin. Jetzt erblickten ihn aber die im Hause nistenden Rauchschwalben mit den Jungen, gegen zwanzig an der Zahl. Sofort stürzten sie sich mit ohrbetäubendem Geschrei auf den Falken. Dieser, von den Flügelspitzen der Schwalben beständig berührt und umflattert, von den vielen ›Biwiß‹ ganz verwirrt, gab nicht nur seine Jagd auf, sondern kehrte sogar um und setzte sich auf den unteren Ast eines mir ganz nahe stehenden, kaum sechs Meter hohen Birnbaumes, in dessen Laubschmucke er förmlich Schutz suchte. Als er mich wahrnahm, strich er ab und flog nun eiligst unter den Obstbäumen dahin.« Gelegentlich seiner Jagden kommt er nicht bloß in Dörfer, sondern selbst in Städte hinein, streicht unter Umständen tief durch die Straßen, um dadurch die Schwalben aufzujagen, fängt eine von ihnen und zieht ab. Gelingt es ihm nicht, durch Ueberraschung zum Ziele zu gelangen, so hilft ihm seine unvergleichliche Schnelligkeit. Vor ihm flüchtende Schwalben sah Seidensacher in ihrer Todesangst in einem Binsenbusche sich verstecken und dadurch dem Falken entrinnen. Dieser ließ scheinbar von der Verfolgung ab, kreiste über dem Binsenbusche, hob sich höher und höher und flog endlich einige Schritte weit weg, um dort von neuem Schraubenlinien zu beschreiben. Kaum aber hatten die Schwalben, kühn geworden durch seine Abwesenheit, das Binsicht verlassen, als er wiederum unter sie herabschoß und einen Augenblick später inmitten der geängstigten Gesellschaft sich befand. Seine Jagd auf Schwalben gewährt ein prachtvolles Schauspiel. Regelmäßig vereinigen sich beide Gatten eines Paares, und während der eine die behenden Schwalben zu übersteigen sucht, hält sich der andere so viel als möglich unter denselben. Beide aber wechseln im Verlaufe der Jagd fortwährend ihre Rollen und entfalten dabei ebenso überraschende Flugkünste wie die geängstigten Schwalben. Unter gewissen Umständen vernichtet er so viele von unseren Haus- oder Mehlschwalben, daß man die Abnahme derselben deutlich merken kann; so große Verheerungen wie unter den Lerchen richtet er jedoch unter jenen wohl niemals an.
Während die Schwalben in ihm ihren Erzfeind erkennen, scheinen sich die Mauersegler nicht im geringsten um ihn zu kümmern. »In meinem früheren westpreußischen Reviere«, sagt Riesenthal in seinen »Raubvögeln Deutschlands«, einem der deutschen Jägerei und allen Naturforschern gewidmeten trefflichen Buche mit farbigen Abbildungen, »horstete ein Lerchenfalkenpärchen ganz in der Nähe der Brutstätten des Mauerseglers. Es waren hier also die gewandtesten und schnellsten Flieger Nachbarn. Die Falken belästigten die Segler, welche dicht beim Horste in ihre Brutlöcher in alten anbrüchigen Kiefern aus- und einflogen, gar nicht. Nur gelegentlich jagte einer hinter den schwarzen Gesellen her, und hatte er sie überholt, was immer geschah, so erscholl freudig über den Sieg sein helles ›Kick kick kick‹.« Es entspricht dem Wesen der fluggestählten Segler, sich durch solche Nachbarschaft nicht behelligen zu lassen, und den Falken mag es in den meisten Fällen wohl auch leichter sein, andere Beute zu gewinnen als einen der stürmischen Gesellen; gleichwohl ist erwiesen, daß er auch sie zu fangen vermag. »Er ist der einzige Raubvogel«, sagt schon Gloger, »welcher schon manchen der pfeilschnellen Mauersegler ereilt«, und »ich habe ihn einmal sogar einen Segler fangen sehen«, bestätigt Altum.
Selbstverständlich beschränkt er seine Jagden nicht auf Rauch- und Mehlschwalben, Segler und Feldlerchen allein, sondern raubt ebenso Heide- und Haubenlerchen oder im Süden Rußlands und in den Steppen Tataren-, Kalander-, Weißflügel- oder sibirische und kurzzehige Lerchen, überhaupt alle Arten der Familie, mit denen er zusammenkommt, begnügt sich auch keineswegs immer mit so kleiner Beute, fängt vielmehr Vögel bis zu Wachtel- und Turteltaubengröße und stößt auf Rebhühner, ja sogar auf Kraniche. Alle Beobachter, welche ihn in der Winterherberge antrafen, heben hervor, daß er hier mit den Wachteln erscheint und verweilt; Sachse fand an einem Sommermorgen nach starkem Regen ein junges Männchen, welches eine Turteltaube ergriffen hatte, aber so durchnäßt worden war, daß es nicht auffliegen konnte und ergriffen wurde, und Oberjägermeister von Meyerinck, ein ebenso sicherer als bewanderter Beobachter, theilt mir mit, daß er ihn wiederholt auf Rebhühner stoßen sah. »Ich habe den Baumfalken öfters auch auf der Hühnerjagd im Herbste die Rebhühner verfolgen sehen. Im September 1876 erst schoß ich von einem auffliegenden Volke zwei Hühner, und als ich jenen nachsah, wohin es zöge, kam plötzlich ein Baumfalk, stieß zweimal, aber vergeblich, auf das Volk, bis die Hühner in einer Remise Schutz suchten. Als ich meine Jagd weiter fortsetzte, behielt ich zugleich diesen Falken im Auge. Da wollte es der Zufall, daß der mich begleitende Wagen wieder ein Volk Hühner aufjagte. Die Vögel strichen nicht weit an mir vorüber, aber so, daß ich nicht schießen konnte. Da stieß der Falk wieder wie ein Pfeil ziemlich hoch aus der Luft herab, um nochmals sein Jagdglück zu versuchen: ich aber erlegte ihn aus großer Entfernung. Es geht aus dieser und anderen wiederholten Beobachtungen hervor, daß der Baumfalk auch Rebhühner schlägt.« Letztere Annahme ist vielleicht doch nicht richtig; denn es liegen Beobachtungen vor, welche beweisen, daß der muthige und kühne Raubvogel auch aus reinem Uebermuthe Vögel behelligt, denen er offenbar nichts anhaben kann. »Der Baumfalk«, bemerkt Professor von Nordmann, »macht sich ein Vergnügen daraus, viel größere Vögel als er selbst zu verfolgen, obgleich er dieselben nicht verletzen, sondern höchstens behelligen kann. Namentlich die Jungfernkraniche sind seiner Bosheit ausgesetzt. In der Krim beobachtete ich ein Paar dieser Falken, welche aus reinem Uebermuthe einen Schwarm genannter Kraniche, welche sich in üblicher Weise mit Tanzen unterhielten, angriffen und anscheinend Spaßes halber bald auf den einen, bald auf den anderen der friedlichen Vögel stießen.« Im Einklange hiermit steht eine Angabe Glogers, daß er auch auf Eichhörnchen Angriffe versuche. Falls diese Angabe auf Beobachtung beruht, hat man unzweifelhaft ebenfalls nur Uebermuth seitens des Falken anzunehmen: ihm gegenüber möchte unser Eichhörnchen doch zu wehrhaft sein. Ich meine nun, daß es ähnliche Beweggründe sind, welche ihn verleiten, auch ein Volk Rebhühner zu beängstigen. Denn daß er diese Vögel, wenn sie erwachsen sind, schlagen sollte, bezweifle ich. Kleine Vögel bilden unter allen Umständen seine bevorzugte Beute. Eine Maus nimmt er, weil er ebensowenig wie der Wandersalk auf den Boden stoßen kann, nur in sehr seltenen Fällen auf. Dagegen fängt er regelmäßig Kerbthiere im Fluge, namentlich Heuschrecken, Wasserjungfern und selbst die männlichen Ameisen, wenn sie schwärmen. Man hat mehrere erlegt, deren Kröpfe nur mit Kerfen angefüllt waren. Meines Vaters Beobachtungen erweisen, daß er die Käfer mit dem Schnabel, nicht aber mit den Fängen ergreift. »Ein Männchen verfolgte in unserer Gegenwart einen Roßkäfer in der Abenddämmerung. Es war dabei so eifrig, daß es bis auf zwanzig Meter über unserem Scheitel herabkam und wie ein Ziegenmelker rüttelte. Aber durch den Luftzug, welchen der Sturz des Baumfalken bewirkte, war der Käfer aus seiner Bahn gekommen, und so schnappte der Falk, welcher ihn mit dem Schnabel fangen wollte, vergeblich. Jetzt flog er hinter dem Käfer her, aber dieser bog zufällig auf die Seite aus und näherte sich der Erde, so daß der Vogel die Jagd auf ihn aufgeben mußte. Man sah es recht deutlich, daß ihm die zum Fange der Käfer nothwendigen Eigenschaften, ein weiter Rachen und ein Flug, welcher keinen starken Luftzug bewirkt, fehlen; einem Ziegenmelker wäre dieser Käfer schwerlich entgangen.«
Da dem Baumfalken erst der Spätfrühling und Frühsommer, nachdem die kleinen Vögel bereits ausgeflogen sind, so reichliche Beute gewähren, als er für seine begehrlichen Jungen herbeischaffen muß, schreitet er nicht vor der Mitte des Mai, meist im Juni und nicht selten erst Ende Juli zur Fortpflanzung. Der Horst steht auf Bäumen, im Gebirge auch auf Felsen und in der Steppe jedenfalls hier und da auf dem Boden. Im ersteren Falle benutzt der Falk regelmäßig ein altes Krähennest zur Grundlage seines Horstes; doch geschieht es wohl auch, daß er diesen vom Grunde auf aus dürren Reisern erbaut und inwendig mit Haaren, Borsten und Moos auskleidet. Die vier bis fünf Eier haben längliche, ausnahmsweise auch rundliche Gestalt, sind vierzig bis dreiundvierzig Millimeter lang und zweiunddreißig bis dreiunddreißig Millimeter breit und auf weißlichem oder röthlichem Grunde mehr oder minder dicht mit sehr feinen, in einander verschwimmenden gelbröthlichen Unter- und deutlicheren und mehr gesonderten rothbräunlichen Oberflecken gezeichnet, einzelne so dicht, daß sie fast ziegelroth oder graubraun erscheinen. Von den Thurmfalkeneiern unterscheiden sie sich durch stärkere, weniger glänzende Schale und ansehnlichere Größe. Das Weibchen brütet ungefähr drei Wochen lang, wird aber währenddem vom Männchen gefüttert. »Sobald dieses mit einem gefangenen Vogel oder Käfer in die Nähe des Horstes kommt«, sagt mein Vater, »erhebt es seine laute Stimme, verläßt den Horst, fliegt seinem Männchen schreiend entgegen und verzehrt die Beute im Horste.« Erlegt man im Anfange der Brutzeit das Männchen, so fliegt das Weibchen augenblicklich aus, um sich ein anderes Männchen anzupaaren, erreicht seinen Zweck auch meist schon in den ersten Tagen. Stevenson berichtet von einem Weibchen, welches erst zur Brut gelangte, nachdem man ihm dreimal das Männchen weggeschossen hatte, und welches genöthigt war, einmal mit einem jungen noch unreifen Männchen sich zu verbinden. Beide Eltern lieben ihre Brut außerordentlich, verlassen sie nie und vertheidigen ihren Horst gegen jeden Feind, stoßen auch mit unvergleichlichem Muthe auf den den Horst erklimmenden Menschen herab, bis auf Meterweite am Haupte des gewaltigen Feindes vorüberfliegend. »Wir sahen«, erzählt Naumann, »den einzigen Jungen einer verspäteten Brut, ehe er noch fliegen konnte und aus dem Horste gestürzt war, unten am Fuße eines Baumes sitzend, von den Alten mit Futter versorgen und nicht davon ablassen, als wir ihn ein paar Mal, doch vergeblich, wieder in den Horst hatten setzen lassen.« Wie groß die Anhänglichkeit der Eltern an ihre Jungen ist, geht aus folgenden Beispielen hervor. Als Briggs einen Baumfalkenhorst bestieg, um sich der Jungen zu bemächtigen, wurde er zunächst mit lautem Geschrei der beiden Eltern begrüßt und dann in der erwähnten Weise fortwährend angegriffen. Glücklich mit seiner Beute wieder auf dem Boden angelangt, beschloß der Nesträuber, auch die Alten zu erlegen, setzte zu diesem Behufe die Jungen auf ein benachbartes freies Feld, stellte sich in der Nähe auf und machte sich zum Schusse fertig. Kaum vernahmen die alten Baumfalken das Geschrei ihrer Jungen, als sie wiederum erschienen und von neuem zum Angriffe schritten; dies aber geschah von einer so bedeutenden Höhe aus und mit so außerordentlicher Schnelligkeit, daß Briggs nicht im Stande war, einen Schuß abzugeben. Nach wiederholten Störungen der horstenden Baumfalken erfährt man, daß sie, ebenso wie Kolkraben, mit bemerkenswerther List und Klugheit ihre Jungen mit Futter versorgen, ohne sich selbst unvermeidlichem Tode auszusetzen. Sie erscheinen mit dem gefangenen Vogel in den Fängen, kreisen über dem Horste, halten einen Augenblick still und lassen den Vogel auf den Horst herabfallen. Erlegt man das Weibchen, so übernimmt das Männchen allein alle Mühwaltung der Aufzucht der Jungen und schleppt unverdrossen vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein in reichlicher Fülle Atzung herbei. Anfänglich erhalten die jungen Baumfalken größtentheils wohl Kerbthiere, namentlich Libellen, Heuschrecken, Brach- und andere weichschalige Käfer, später kleine Vögel verschiedenster Art, insbesondere Lerchen und Schwalben. Im Anfange wissen sie noch nicht recht mit den ihnen gebrachten Vögeln umzugehen und lassen sie nicht selten von den hohen Bäumen, auf denen sie ihre Mahlzeit halten, herabfallen; später zerlegen, zerfleischen und verzehren sie die ihnen gebrachte Beute ebenso geschickt als rasch. Sind sie so weit erstarkt, daß sie kleine Ausflüge unternehmen können, so treiben sie sich in der Nähe des Horstes umher, versuchen ihre Fittige und ruhen nach kurzem Fluge bald auf dem Rande des Horstes, bald auf benachbarten Bäumen, machen auch wohl schon auf eine erspähte Heuschrecke oder ein kleines Vögelchen Jagd. Noch lange aber sind die Eltern ihre wirklichen Ernährer. Fernsichtigen Auges schauen sie von ihrer Höhe aus dem Treiben der Alten zu. Freudengeschrei, welches sie ebenso gut zu deuten wissen, wie jeden anderen Laut ihrer Erzeuger, verkündet ihnen, daß letztere im Fange glücklich waren. Augenblicklich beantworten sie dasselbe, schwingen sich in die Luft und fliegen den Eltern entgegen. Wenn der futterbringende Alte und der zuerst bei ihm angekommene Junge fast sich berühren, nimmt jener den gefangenen Vogel aus den Fängen in den Schnabel und reicht ihn so dem geliebten Jungen dar, welcher ihn mit dem Schnabel ergreift, hierauf in seine Fänge nimmt und nunmehr dem sicheren Wohnorte zuträgt, woselbst er ihn auf einem hohen Baume verzehrt. Der gefällige Alte pflegt ihn dorthin zu begleiten, bald aber von neuem seine Jagd wieder aufzunehmen, um neue Beute herbeizuschaffen. Unter Umständen währt solches Wechselspiel bis in die tiefe Dämmerung fort; denn mit dem scheidenden Tage ermuntern sich die Kerbthiere, und damit wird es den Alten leicht, wenigstens Kleinwild zu erjagen. Sind die Jungen so weit im Fluge geübt, daß sie ihren Eltern auf weiterhin folgen können, so beginnen diese den in der Einleitung bereits flüchtig geschilderten regelrechten Unterricht, um die geliebten Kinder zur Selbständigkeit vorzubereiten. Rufend und schreiend fliegen beide Eltern in die Luft hinaus, rufend und schreiend folgt ihnen die junge Gesellschaft. Anfänglich ziehen jene in verhältnismäßig langsamem und einfachem Fluge dahin; bald aber beginnt der eine von ihnen allerlei Schwenkungen ausznführen, der andere thut dasselbe, und die Jungen folgen, anfänglich ersichtlich ungeschickt, im Verlaufe der Zeit aber mit von Tag zu Tag sich steigernder Gewandtheit. Eine Beute kommt in Sicht und wird rasch gefangen, entweder von einem Alten allein oder unter Mithülfe des zweiten. Sofort nach dem Fange erhebt sich der glückliche Jäger hoch in die Luft, übersteigt die Schar der Jungen und läßt nun die Beute fallen. Sämmtliche Jungen versuchen ihr Geschick, und alle gemeinschaftlich stürzen unter lautem Schreien dem fallenden Vogel nach. Gelingt es einem, ihn zu ergreifen, so trägt er ihn, nicht immer unbelästigt durch die anderen, einem geeigneten Baumaste zu, um ihn hier zu verspeisen; fehlen alle, so stößt der unter den Kindern einherfliegende zweite Gatte des Paares auf den Vogel, fängt ihn und steigt nun seinerseits über die Jungen empor, um das alte Spiel zu beginnen. So währen Lehre und Unterricht acht, vierzehn Tage, vielleicht auch drei Wochen fort, bis die Jungen hinlänglich geübt sind, um sich auf eigene Faust ihr tägliches Brod zu erwerben. Damit ist dann auch in der Regel die Zeit der Abreise gekommen, und alt und jung zieht, meist noch gemeinschaftlich, der Winterherberge zu, bereits getrennt aber im nächsten Frühjahre wieder heimwärts.
Auch der Baumfalk richtet nicht unbedeutenden Schaden an. Lenz rechnet ihm nach, daß er jährlich mindestens eintausendfünfundneunzig kleine Vögel vertilgt. Dafür ist er der liebenswürdigste Hausgenosse, welchen wir aus dieser Familie gewinnen können. »Ich habe«, sagt mein Vater, »nie einen Vogel gehabt, welcher mir mehr Freude gemacht hätte als mein zahmer Baumfalk. Wenn ich vor dem Stalle, in welchem er gehalten wurde, vorüberging, schrie er, noch ehe er mich sah, kam nach der Thüre geflogen, nahm mir einen Vogel ab und verzehrte ihn. Ging ich in den Stall, so setzte er sich mir auf die Hand, ließ sich streicheln und sah mich dabei mit treuherzigen Blicken an. Trug ich ihn in die Stube und setzte ihn auf den Tisch, so blieb er hier ruhig sitzen, verzehrte auch wohl in Gegenwart fremder Leute einen ihm dargereichten Vogel mit der größten Behaglichkeit. Wenn man ihn neckte oder ihm den Raub abnehmen wollte, zwickte er mit dem Schnabel, verwundete aber nie mit den Fängen. Jedermann, welcher diesen Falken sah, hatte ihn gern und freute sich, ihn zu liebkosen. Niemand wird es bereuen, einen Baumfalken gefangen zu halten. Er kennt seinen Herrn, weiß dessen Liebe zu schätzen und scheint ihm durch seinen Blick dafür zu danken.«
Ich kann diese Angaben meines Vaters nur bestätigen. Die Baumfalken, welche ich gehalten, haben auch mir stets die größte Freude bereitet, weil sie mir mit wahrer Liebe zugethan waren. Freunde von mir haben diesen Vogel ohne Mühe zum Aus- und Einfliegen gewöhnen können. »Mit dem, was der Altmeister, Vater Brehm, über den Baumfalken gesagt«, fügt Liebe vorstehendem hinzu, »hat er jedem Naturkundigen, welcher sich einmal die Mühe gegeben, einen jungen Baumfalken gut aufzuziehen, aus dem Herzen gesprochen. Diese Thiere halten sich in der Gefangenschaft, wohl wegen ihres harten, glatten Gefieders, schmucker und sauberer als irgend ein anderer Tagraubvogel und werden so außerordentlich zahm, daß sie ihre Räubernatur vollkommen abgelegt zu haben scheinen. Wären sie nicht zu schwierig zu gesunden Thieren aufzuziehen, so würden sie sich besser als eine andere Art unter allen mitteleuropäischen Verwandten zu Stubenvögeln eignen. Hat man bei der Aufzucht eines jungen Baumfalken weniger die möglichst weit geförderte Zähmung als vielmehr seine kräftige Entwickelung im Auge, so ist es gerathen, ihn spät aus dem Horste zu heben, etwa zu der Zeit, wo ihn die Ausbildung der Schwingen schon vor einem schweren Falle zu schützen vermag, ihm thunlichste Freiheit zu gewähren und ihn mit halb gerupften jungen Vögeln zu füttern; will man aber einen harmlosen Stubenvogel aus ihm gewinnen, so ist eine weit frühzeitigere Aushebung räthlich, und dies gerade macht gute Aufzucht sehr schwierig. Feingeschnittene Streifen Rindfleisch, abwechselnd mit Grillen, Heuschrecken und anderen Kerbthieren, welche vorher der Beine, Köpfe und Flügel entledigt wurden, sowie Mehlwürmer und, jedoch nur im Nothfalle, sogar Ameisenpuppen bilden die täglich dreimal zu reichende Mahlzeit und fein zerstampfte weiche Knochen und Federchen das notwendige Gewürz dazu. Dabei hat man sich sorgfältig vor Ueberfütterung zu hüten und jeglichen Zug abzuhalten. Trotz aller Sorgfalt werden bei solcher Pflege doch noch einzelne Vögel knochen- oder lungenkrank; andere aber gedeihen trefflich, werden kräftig und dabei doch außerordentlich zahm und gutmüthig. Sollen sie weiterhin gesund bleiben und an Fluglust nichts einbüßen, so muß man sie täglich in einem großen Zimmer sich ein wenig ausfliegen lassen, wozu man sie erforderlichen Falles einfach dadurch nöthigt, daß man sie auf die Faust nimmt und letztere schnell abwärts bewegt. Man braucht dabei nicht zu fürchten, daß sie die Fänge einschlagen. Sie benehmen sich stets sehr manierlich und verletzen ihren Pfleger nie. Denn sie wissen ihn von anderen Menschen wohl zu unterscheiden und eilen ihm, wenn sie Hunger haben oder geliebkost sein wollen, gern von weitem entgegen. Ich habe dergleichen vollkommen flugfähige Falken frei aus der Faust in den Garten, in Abendzirkel, ja sogar des Nachts zu Vorlesungen vor größeren Versammlungen getragen, ohne daß es ihnen beigekommen wäre, abzufliegen oder sich überhaupt nur unbehaglich oder gar ängstlich zu gebaren. Sie spazierten oft genug bei Tage wie des Abends zwischen meinen sehr zahlreichen kleinen Vögeln umher und flogen dabei gelegentlich auf ein Gebauer, ohne irgendwie Jagd- und Raubgelüste zu zeigen. Ich habe sie freilich auch, nachdem sie flügge geworden waren, beständig aus der Hand mit kleinen Fleischstückchen gefüttert und habe nicht geduldet, daß ihnen Vögel oder Mäuse oder auch nur größere Stücken Fleisches zum Zerreißen vorgelegt wurden. Nur Kerbthiere bekamen sie ganz; und sehr drollig steht es den gewaltigen Fliegern, wenn sie sich auf eine Heuschrecke stürzen, dieselbe kunstgerecht mit dem einen Fange in der Mitte des Leibes packen und zuerst den Kopf und dann Bruststück und Leib echt wohlschmeckerisch unter eigentümlichem Lecken mit der Zunge behaglichst verzehren. Beine und Flügel werfen sie schnöde bei Seite. An geistiger Begabung stehen sie nach meinen Erfahrungen den anderen Falken etwas nach und weit hinter den Eulen zurück. Um nur eines zu erwähnen: einen Siegellacktropfen auf dem Tische halten sie immer wieder für ein Stückchen Fleisch und lassen sich durch allwöchentliche wiederholte Erfahrung nicht auf die Dauer belehren, daß hier nichts für ihren sonst so wählerischen Schnabel vorliegt. Eine einzige derartige Erfahrung witzigt eine Eule, möge sie einer Art angehören, welcher sie wolle, für die ganze Zeit ihres Lebens.«
Während der Blüte der Falkenjagd wurde auch unser Baumfalk abgetragen und zur Baize auf Wachteln und anderes Kleingeflügel benutzt, soll auch von einzelnen Falknern so weit gebracht worden sein, daß er sogar wilde Gänse am Halse packte und so lange quälte, bis sie mit ihm zum Boden herabfielen; demungeachtet scheint er in der Falknerei eine besondere Rolle nicht gespielt zu haben und mehr seiner jeden Beobachter erfreuenden Flnggewandtheit als der eigentlichen Baize halber gehalten worden zu sein. »Der Baumfalk« sagt unser alter Freund Geßner, auf Stumpff sich stützend, »ist ein gantz adelicher Vogel, und ob er gleich von seiner kleine und schwäche wegen nit fast zum Federspiel gebraucht wird, ist er doch gantz zahm und gütig, also daß er auf das freie Feldt oder in die Wälder gelassen, wiederumb zu seinem Herrn kompt. Und ist dieser streit und kampff, den er mit den Tulen hält, sehr lustig zu sehen.«
Vom hohen Norden, seiner Heimat, aus durchzieht unser Vaterland allherbstlich ein kleiner reizender Edelfalk, um in Südeuropa und Nordafrika den Winter zu verbringen und im Frühlinge nach seinem Brutgebiete zurückzuwandern. Dies ist der Merlin, Stein- oder Zwergfalk, Zwerg- und Merlinhabicht, Smirill, Schmerl, kleiner Lerchenstoßer etc. ( Falco aesalon, lithofalco, regulus, falconiarum, smirilus, sibiricus, caesius, Hypotriorchis aesalon und lithofalco, Aesalon lithofalco, regulus und orientalis, Lithofalco aesalon), nach Ansicht einzelner Naturforscher Vertreter einer besonderen Sippe, in unseren Augen also Untersippe ( Aesalon), deren Merkmale in dem kurzen, zusammengelegt nur Zweidrittel der Schwanzlänge erreichenden Flügel, dem schwachen Bartstreifen und der verschiedenartigen Färbung beider Geschlechter zu suchen sind. Die Länge des Merlin beträgt zweiunddreißig, die Breite sechsundachtzig, die Fittiglänge zwanzig, die Schwanzlänge dreizehn Centimeter; das Weibchen ist um zwei Centimeter länger und um drei bis vier Centimeter weniger breit als das Männchen. Bei letzterem sind Stirne und Wangen gelblichweiß, Scheitel und Vorderkopf sowie die ganze Oberseite dunkelbläulich aschgrau, Kehle und Gurgel rein weiß, ein Streifen über dem Auge, ein breites Nackenband, die Halsseiten und die ganze übrige Unterseite, einschließlich der Seiten und Schenkel, schön rostgelb, bald lichter, bald dunkler, alle Federn, mit alleiniger Ausnahme derer der Kehle und Gurgel, durch schwarze, oben schmitzartige, unterseits längliche, lanzettförmige, am unteren Ende tropfenartig erweiterte Flecke geziert, die Schwingen braunschwarz, am Ende schmutzigweiß gesäumt und an der inneren Fahne mit weißen, nach der Wurzel größer werdenden, bis an den Schaft reichenden Querflecken, die aschblauen, schwarz geschäfteten Schwanzfedern dagegen mit einer breiten schwarzen, weiß gesäumten Endquerbinde und mehr oder minder deutlich hervortretenden, schwarzen Querflecken gezeichnet. Das Auge ist dunkelbraun, das Augenlid wie die Wachshaut citrongelb, der Schnabel hell, aber schmutzig veilchenblau, an der Wurzel gelblich grün, der Fuß orangegelb. Beim alten Weibchen sind die Stirne, ein Streifen über dem Auge, die Wangen, die Gurgel und die Kehlfedern weiß, letztere ungestrichelt, alle übrigen durch schmale Schaftstriche gezeichnet, die Federn der Ohrgegend und des Scheitels röthlichbraun schwarz gestrichelt, die des Nackens graubraun und röthlichweiß gefleckt, die der übrigen Obertheile dunkel braungrau, licht fahlgelb gesäumt und schwarz in die Länge gestrichelt, die des Bürzels lichtblau überflogen, die der Unterseite endlich blaß rostbraun oder rostgelblichweiß, durch schwarze Schaftstriche und große, rundliche, dunkelbraune Tropfenflecke sehr von denen des Männchens unterschieden, die Schwingen dunkelbraun, innen mit rostfarbenen, nach dem Schafte zu weißlichen Querflecken geschmückt, die dunkelbraunen, grau überlaufenen Steuerfedern durch sechs schmale rostbräunlichweiße Ouerbinden geziert. Bei einzelnen Weibchen tritt der schieferblaue Ton mehr hervor und zwar auch auf den Querbinden des Schwanzes. Der junge Vogel ähnelt dem Weibchen, ist jedoch oberseits lichtrostbraun, zeigt ein deutliches Nackenband und über dem Auge einen gelblichen Brauenstrich.
Wiederholt, am bestimmtesten von Bechstein und Päßler, ist behauptet worden, daß der Merlin in Deutschland brüte. Bechstein versichert, ihn während der Brutzeit im Thüringer Walde, Gloger auf dem Riesengebirge, Tobias in der Lausitz beobachtet zu haben; erstgenannter Naturforscher beschreibt auch den Horst, anscheinend nach eigenen Beobachtungen, und Päßler zählt ihn unter den Brutvögeln Anhalts auf, weil er einmal in den dreißiger Jahren seinen Horst selbst aufgefunden und neuerdings erfahren hat, daß der Vogel in demselben Gebiete wiederholt gebrütet haben soll. So bestimmten Angaben gegenüber ist nicht wohl daran zu zweifeln, daß besagter Falk ausnahmsweise auch einmal in unserem Vaterlande zum Horsten schreitet. Solche Fälle gehören jedoch zu den seltenen Ausnahmen; denn das wirkliche Brutgebiet ist der hohe Norden Europas, insbesondere die Tundra und der nach Süden hin an sie anschließende Waldgürtel, ungefähr bis zur Breite der Insel Gothland. Im nördlichen Skandinavien wie auf Island und den Färinseln zählt der Merlin unter die regelmäßigen Brutvögel des Landes; in Sibirien bewohnt er von Nowaja Semlja an ähnliche Oertlichkeiten, dringt aber, im Einklange mit der Beschaffenheit der Waldungen, weiter nach Süden vor als in Europa, soll sich, laut Eversmann, sogar während des Sommers noch in den südlicheren Steppen aufhalten. Wir haben ihn hier mit Sicherheit nicht bemerkt, sondern erst jenseit des sechsundfunfzigsten Grades beobachtet, so noch in Obdorsk, der fast unter dem Polarkreise gelegenen nördlichsten Ortschaft am Ob, und einmal an der um zwei Grad nördlicher gelegenen Schtschutschja. Nach Osten hin scheint er bis zum unteren Amur überall vorzukommen; wenigstens fanden ihn Pallas, Middendorf und Radde auf allen ihren Reifen in jenen Gegenden. Ob er auch die Tundra Amerikas bewohnt, ist noch nicht entschieden, weil der hier vorkommende Merlin ( Falcoo columbarius) von den meisten Naturforschern als besondere Art betrachtet und nur von wenigen als gleichartig mit dem europäischen Vogel angesehen wird. In Berücksichtigung der ständigen Abweichungen, welche man bei anderen rings um den Pol brütenden Falken beobachtet, möchte ich mich der letzterwähnten Meinung anschließen und glauben, daß auch der Merlin wie der Jagd- und Wanderfalk nur eine einzige Art darstellen. Nothwendigerweise ist der kleine, fast ausschließlich von Sperlingsvögeln sich ernährende Falk ebenso gut wie der nicht den Meeresvögeln nachjagende Wanderfalk gezwungen, mit Beginn des Winters seine Heimat zu verlassen und nach Süden zu wandern; hierbei aber muß er selbstverständlich alle zwischen ihr und der Winterherberge liegenden Länder berühren, in Asien sogar Gebirge von viertausend Meter unbedingter Höhe überschreiten und auf seinen Herbst- und Winterzügen bemerkt werden. Daß dies nicht regelmäßig geschieht, erklären die geringe Größe, der rasche Flug und die für Edelfalken versteckte Lebensweise des Merlin zur Genüge. In Europa überwintert er alljährlich in erheblicher Anzahl auf den drei südlichen Halbinseln, in noch größerer aber in Nordafrika, insbesondere in Egypten, wo er zuweilen, ganz gegen Art seines Geschlechtes, in zahlreichen Trupps auftritt. Ich selbst traf einmal eine Gesellschaft von zehn Stück; Shelley aber versichert, in den Waldungen bei Beni-Suef im Laufe eines Tages mindestens ihrer dreißig gesehen zu haben. Auch dies erklärt sich, wenn man im Auge behält, daß in Egypten das für einen Falken dieser Art bewohnbare Gebiet auf das schmale Nilthal und in ihm auf die wenigen Waldungen sich zusammendrängt. In Asien dehnt er seine Wanderungen bis zur Nordgrenze der Indischen Halbinsel aus, wird aber häufiger als hier im südlichen China gefunden. Amerika lasse ich unberücksichtigt, da die Arteinheit der beiden Falken allgemein noch nicht angenommen worden ist.
Ungeachtet seiner geringen Größe steht der Merlin an Raubfertigkeit, Muth und Kühnheit hinter keinem einzigen anderen Edelfalken zurück. Ein so ausgezeichneter Flieger wie der Baumfalk ist er nicht; sein Flug erinnert im Gegentheile oft derartig an den des Sperbers, daß ich mich mit Finsch streiten konnte, ob der tagtäglich Obdorsk besuchende Falk ein Merlin oder Sperber gewesen sei. Entsprechend den kurzen Flügeln ist der Merlin im Stande, jähe Wendungen trotz eines Sperbers auszuführen, vereinigt mit dieser Fertigkeit aber eine Schnelligkeit der Bewegung, wie sie der Sperber niemals zu erreichen vermag, und gefällt sich oft, wie der Baumfalk, in kreisenden Flugspielen, welche an Anmuth denen des letztgenannten fast gleichen. Solche Begabungen befähigen ihn im allerhöchsten Grade zur Jagd des Kleingeflügels, welches er ebenso in Schrecken versetzt wie der Baumfalk oder wie der Sperber. Als ich von der Höhe Obdorsks das vor mir liegende weite, größtentheils überschwemmte Nordland überschaute, erschien urplötzlich auf kaum Meterweite von meinem Gesichte ein Merlin, welcher von unten herauf ein Blaukehlchen verfolgt hatte, prallte, erschreckt über die unerwartete Erscheinung, förmlich zurück, indem er feinen jähen Flug durch rüttelnde Flügelschläge zum Stillstande brachte, drehte um und war wenige Sekunden später meinem Gesichtskreise entschwunden, während die geängstigte, durch mich gerettete Beute dicht neben mir wie eine Maus in aufgeschichtetes Holz schlüpfte, um sich vor dem furchtbaren Räuber zu sichern. Alles Kleingeflügel, welches in der Tundra lebt, liefert dem Merlin die nöthige Nahrung. Blaukehlchen und Sporenammer, Pieper, Citron- und Schafstelzen, Meisen und Laubsänger haben viel von ihm zu leiden, nicht minder aber auch alle Strandläufer, überhaupt das kleine Strandgesindel, und ebenso die Drosseln. Denn mit gleichem Muthe wie der Baumfalk schlägt er Vögel, welche ihm an Gewicht gleichkommen, vielleicht ihn selbst noch überbieten. Gray versichert gesehen zu haben, daß Merline, welche das Innere der Stadt Glasgow besuchten, vorzugsweise von den zahlreichen Tauben sich ernährten, und Lilford mußte erfahren, daß ihm einer der kleinen Gesellen in Zeit einer Stunde nicht weniger als fünf verwundete Waldschnepfen davontrug. Auf der Färinsel wird er, laut Müller, oft gefangen, indem er Staare bis in das Innere der Häuser verfolgt. Wenn er einen Flug dieser Vögel jagt, versuchen die Staare stets, sich über ihm zu halten, und fliegen so lange aufwärts, daß man sie kaum noch erblicken kann. Hiermit retten sie sich nicht selten vor dem Smirill. Wenn aber ein einzelner Staar vom Fluge sich trennt, fällt er dem Falken zur sicheren Beute. Für seine Gewandtheit spricht die von Calvin und Brodrick beobachtete Thatsache, daß er ebenso wie der Baumfalk aus Schwalben jagt und alle Schwenkungen derselben mit der unvergleichlichsten Gewandtheit wiederholt. Eigene Beobachtungen lassen mich glauben, daß er im Gegensätze zu anderen Edelfalken, vom Boden oder vom Wasser mühelos Beute aufzunehmen vermag. Ich habe wenigstens wiederholt gesehen, wie er, ganz nach Sperberart, so dicht einzelne Gebüsche umkreiste, daß seine Schwingen fast deren Laubwerk berührten, und traue ihm deshalb alle Fertigkeiten zu, welche der Sperber erwiesenermaßen ausübt. Für meine Ansicht spricht die Mittheilung Colletts, daß im Sommer des Jahres l872 der Merlin viel häufiger als früher auftrat, im Einklänge mit der in diesem Jahre stattgefundenen großartigen Wanderung der Lemminge. Echt sperberartig ist auch seine Gewohnheit, beim Aufbäumen stets die unteren Aeste zu wählen und hier möglichst nahe am Stamme zu fußen.
Wie die meisten anderen Edelfalken, horstet auch der Merlin je nach des Ortes Gelegenheit, in gebirgigen Gegenden des Nordens wohl regelmäßig auf oder in den Felsen, in waldigen auf Bäumen, in der Tundra oder in Mooren auf dem Boden. Aus im hohen Norden reisende Forscher gestützt, gibt Naumann an, daß der aus dürren Reisern und Heidekraut ohne Kunst zusammengelegte flache Horst meistens auf dem kleinen Vorsprunge einer jähen Felswand bald in großer Höhe, bald niedriger steht, immer aber schwer zu erklimmen ist. Collett bestätigt diese Angabe, bemerkt aber, daß der Vogel ebenso auf den südlichen Fjelds gewöhnlich das verlassene Nest einer Nebelkrähe zum Horste erwählt und innerlich noch durch ein wenig herbeigetragenes Moos vorrichtet. Das Nest, welches Päßler fand, stand auf einer dicht belaubten Buche; der Beobachter sagt jedoch nicht, ob auch in diesem Falle ein Krähennest verwendet wurde. In den Mooren des südlichen Jorkshire und des nördlichen Derbyshire, woselbst der Merlin gegen Ende des März oder zu Anfänge des April erscheint und später unter den jungen Moorhühnern erheblichen Schaden anrichten soll, nistet er regelmäßig auf dem Boden, wählt sich zur Anlage des Horstes irgend eine Vertiefung und kleidet dieselbe in liederlicher Weise mit einigen kleinen Zweigen und dürrem Grase aus. Um die Mitte oder zu Ende des Mai findet man hier, im hohen Norden jedenfalls erst später, die vier bis sechs entweder gestreckten oder rundlichen, auf weißlichem oder dunkel ziegelrothem Grunde mit sehr feinen und gröberen, braunröthlichen oder schwärzlichen Flecken, ausnahmsweise wohl auch auf chokoladenfarbigem Grunde mit dunkelbraunen Flecken gezeichneten Eier, welche denen des Thurm- und Rothfußfallen oft täuschend ähnlich sind. Die Jungen entschlüpfen nach ungefähr dreiwöchentlicher Brutzeit, werden von beiden Eltern großgefüttert, warm geliebt, tapfer vertheidigt, jedenfalls auch in ähnlicher Weise wie die des Baumfalken unterrichtet und verlassen dann mit den Eltern oft schon Ende August das Brutgebiet, um der Winterherberge zuzuwandern.
Obgleich der Merlin hauptsächlich von kleinen Vögeln sich ernährt, fällt der Schaden, welchen er verursacht, kaum ins Gewicht. Seine Heimat ist so reich an dem von ihm bevorzugten Wilde, daß man eine irgendwie ersichtliche Abnahme desselben nicht bemerken kann. Auch der Schaden, welchen er unter den Moorhühnern ausübt, wird so gewichtig, wie neidvolle Jagdaufseher ihn darstellen, nicht sein. Nutzen bringt uns der niedliche Falk freilich ebensowenig; denn die Zeiten sind vorüber, in denen man auch ihn zur Baize abrichtete. Sein unübertroffener Muth und seine unvergleichliche Gewandtheit befähigten ihn in hohem Grade zur Jagd auf alles kleinere Wild. Er war der Lieblingsfalk jagdlustiger Frauen, ein besonderer Liebling auch der Kaiserin Katharina der Zweiten, zu deren Gebrauche alljährlich eine ziemliche Anzahl eingefangen und abgetragen wurde, um nach abgehaltenen Jagden im Spätherbste die Freiheit wieder zu erlangen.
Ich verstehe, weshalb dieser Vogel sich die Liebe jedes Pflegers erwarb. Auch bei uns zu Lande wird zuweilen einer gefangen, auffallenderweise am häufigsten in Dohnen, in denen er vielleicht gefangene Drosseln wegnehmen will, und so gelangt dann und wann auch wohl einer der reizenden Gesellen in unsere Gebauer. Geraume Zeit habe ich selbst einen gepflegt. Man darf wohl sagen, daß er eine höchst anziehende Erscheinung im Käfige ist. Als echter Edelfalk trägt er sich stets hoch aufgerichtet und hält sich immer nett und sauber. Dank feinen ebenso zierlichen als gewandten Bewegungen weiß er sich auch im kleineren Raume fliegend so zu benehmen, daß er sich selten die Schwingen abnutzt. Mit dem Wärter befreundet er sich bald innig, und wenn man sich mehr mit ihm abgibt, wird er so zahm wie irgend ein Mitglied seiner Familie. Ein Bekannter von mir besaß einen dieser Falken, welcher sich behandeln ließ wie ein Papagei, alle Furcht vor dem Pfleger abgelegt hatte und ruhig auf seinem Stocke sitzend den ihm vorgehaltenen Sperling oder die ihm gereichte Maus aus der Hand nahm.
Die Zwerge aller Falken bewohnen Südasien. Sie sind Raubvögel von der Größe einer Lerche, machen aber ihrer Stellung alle Ehre; denn sie wetteifern an Muth und Kühnheit mit den stärksten Edelfalken. Die Untersippe der Zwergedelfalken ( Hierax), welche sie bilden, kennzeichnet sich durch kurzen, kräftigen Schnabel mit scharfem Zahne im Oberkiefer und einer Ausbuchtung jederseits (weshalb oft von zwei Zähnen gesprochen wird), durch kurze Schwingen, in denen die gleich langen zweiten und dritten Federn die anderen überragen, durch sehr kurzen, gerade abgeschnittenen Schwanz, kurze, starke Fußwurzeln mit wenig verlängerten Mittelzehen, welche, wie die übrigen, starke Nägel bewehren.
Diese kleinen niedlichen Falken, welche Kaup mit den Papageien vergleicht, sind Indien und den malaiischen Ländern eigenthümlich, und in etwa einem halben Dutzend Arten daselbst verbreitet.
Die bekannteste Art ist der Muti der Indier oder Alap der Javanen ( Falco coerulescens und fringillarius, Hierax coerulescens und malayanus), ein Vogel von höchstens zwanzig Centimeter Länge, dessen Fittig neun und dessen Schwanz sechs Centimeter mißt. Scheitel, Nacken, Schwanz und die aus langen, seidenweichen Federn gebildeten Hosen sind bläulichschwarz, Vorderkopf, Kehle, Brust und ein Streifen vom Schnabelwinkel bis auf die Schultern roströthlichweiß, die übrigen Untertheile rostroth. Runde weißliche Flecke im Schwanze bilden vier zierliche Binden; die Schwingen sind ähnlich gezeichnet. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel blauschwarz, der Fuß lichtblau.
Der Muti, ein allen Eingeborenen sehr bekannter Vogel, verbreitet sich über ganz Südasien. Ueber seine oder seiner Verwandten Sitten ist leider sehr wenig bekannt; selbst Jerdon weiß nichts wesentliches zu berichten. Es wird gesagt, daß alle Zwergedelfalken muntere und im hohen Grade muthige Vögel sind, welche auf alles kleine Geflügel eifrig jagen, aber selbst den Kampf mit größeren nicht scheuen. Diese Eigenschaften sind denn auch von den jagdliebenden Indiern wohl benutzt worden. Der Name Muti bedeutet »Eine Hand voll«, und diesen Namen hat sich der Falk dadurch erworben, weil er, wenn es zur Jagd geht, in der hohlen Hand getragen und wie ein Stein nach seiner Beute geworfen wird. Man läßt ihn nach Mundy's Bericht namentlich auf Wachteln und ähnliches Wild von entsprechender Größe steigen. Unser Gewährsmann versichert als Augenzeuge, daß diese Jagdart eine ganz eigentümliche Unterhaltung gewähre. Das wohlabgerichtete Raubvögelchen reicht mit dem Kopfe auf der einen Seite und mit dem Schwanze auf der anderen Seite über die Hand hervor und sein Gefieder bleibt dabei sorgfältig geglättet. Auf zwanzig bis dreißig Meter in die Nähe des Wildes gekommen, schleudert der Falkner ihn wie einen Ball kräftig nach dem zu jagenden Thiere hin. Das Vögelchen gebraucht augenblicklich die Flügel und stößt mit größtem Muthe, nach Art des Habichts, auf seine Beute hernieder.
Von einigen Forschern und so auch von Jerdon wird bezweifelt, daß gerade der Muti zu solcher Jagd verwendet werde; die Beschreibung Mundy's läßt jedoch kaum einen Zweifel gegen die Richtigkeit dieser Angaben aufkommen, ganz abgesehen davon, daß gleiche Berichte schon von früheren Beschreibern gegeben worden sind.
Eher als den bisher aufgeführten Unterabtheilungen der Falkengruppe dürfen wir den Röthelfalken ( Tinnunculus) den Rang einer Sippe zugestehen. Sie ähneln in Gestalt, im Bau des Schnabels, der Flügel und des Schwanzes noch ihren edleren Verwandten, haben aber längeres und lockereres Gefieder, kürzere und minder hartschwingige Flügel, längeren Schwanz, stärkere und kurzzehigere Füße und je nach dem Geschlechte verschieden gefärbtes Kleid.
Lebensweise und Betragen der Röthelfalken ähneln sich ebenso sehr als ihre Gestalt und Färbung. Man sieht es ihnen an, daß sie nicht so befähigte Mitglieder ihrer Familie sind wie die echten Edelfalken. Ihr Flug ist zwar noch leicht und ziemlich schnell, steht jedoch dem der letztgenannten bei weitem nach und zeichnet sich namentlich durch das Rütteln sehr aus. Gewöhnlich streichen sie in mäßiger Höhe über den Boden dahin, halten, wenn sie eine Beute erspähen, plötzlich an, bewegen die Flügel längere Zeit zitternd auf und ab, erhalten sich dadurch geraume Zeit fast genau auf derselben Stelle und stürzen sich dann mit ziemlicher Eile herab, um die erspähte Beute aufzunehmen. Doch steigen sie zu ihrem Vergnügen, an schönen Sommerabenden namentlich, zuweilen hoch empor und führen dabei die zierlichsten Schwenkungen aus. Im Sitzen tragen sie sich lässiger als die edleren Falken und erscheinen deshalb größer als sie sind; doch halten auch sie sich ausnahmsweise schlank. Auf dem Boden sind sie ziemlich geschickt; ihre längeren Läufe erlauben ihnen sogar ziemlich leichten Gang. An Sinnesschärfe stehen sie den übrigen Edelfalken durchaus nicht nach; in ihrem Wesen aber unterscheiden sie sich von ihnen. Sie sind munterer, fröhlicher als diese und dabei keck und necklustig. Größeren Raubvögeln werden sie durch eifriges Verfolgen oft recht lästig, und den Uhu ärgern sie nach Herzenslust. Selbst gegen den Menschen legen sie zuweilen einen bewunderungswürdigen Muth an den Tag. Sie sind frühzeitig munter und gehen erst spät zur Ruhe; man sieht sie oft noch in der Dämmerung des Abends umherschweben. Ihr Geschrei ist ein helles fröhliches »Kli kli kli«, welches verschieden betont wird, je nachdem es Angst oder Freude ausdrücken soll. Im Zorn kichern sie. Je nach den Umständen ändern sie ihr Betragen dem Menschen gegenüber. Bei uns sind sie ziemlich scheu, wenn sie sich verfolgt wissen, sogar äußerst vorsichtig; im Süden leben sie mit dem Menschen auf dem besten Fuße, und zumal der eigentliche Röthelfalk scheut sich nicht vor jenem, dessen Wohnung ja auch zu der seinigen werden muß. In der Gefangenschaft werden sie bald sehr zahm, und wenn sie gute Behandlung erfahren, danken sie ihrem Gebieter solche durch wahre Anhänglichkeit. Sie lassen sich leicht zum Ein- und Ausfliegen gewöhnen, achten auf den Ruf, begrüßen ihren Brodherrn mit freudigem Geschreie und legen ihre Zuneigung auch noch in anderer Weise an den Tag.
Wirklich anziehend wird das Winterleben der Röthelfalken. Auch sie sammeln sich auf der Reise zu Gesellschaften, und diese halten zusammen, so lange der Aufenthalt in der Fremde währt. Durch Jerdon und andere indische Vogelkundige erfahren wir, daß die beiden europäischen Arten gewöhnliche Wintergäste Südasiens sind; ich meinestheils habe sie, zu großen Flügen vereinigt, während unserer Wintermonate im Inneren Afrikas angetroffen. Unbekümmert um ihre Artverwandten, welche in Egypten leben und dort jahraus jahrein wohnen bleiben, wandern sie bis tief in die Gleicherländer hinein und erwählen sich hier in den Steppen oder Urwaldungen geeignete Stellen zu ihrem Aufenthalte. Bedingung zu längerem Bleiben ist reichliche Nahrung; deshalb findet man sie regelmäßig da, wo die Wanderheuschrecke massenhaft auftritt. Wer nicht selbst die Schwärme dieser Kerbthiere gesehen, macht sich keinen Begriff davon. Es gibt Waldstrecken, in denen man nächst den Stämmen und Aesten der Bäume nichts anderes als Heuschrecken sieht. Aufgescheucht verdunkelt die gefräßige Gesellschaft die Luft. Sehr bald finden sich bei den Heuschrecken aber auch die Verfolger ein und unter allen zuerst unsere Röthelfalken. Hunderte von ihnen sitzen regungslos auf den höchsten Spitzen der Mimosen oder schweben, rütteln und gleiten in wechselvollem, nicht ermüdendem Fluge über der schwarzgrauen Schar umher. So lange die Heuschrecken an den Zweigen hängen, verwehren die langen Stacheln und Dornen der Bäume deu flinken Räubern, herabzustürzen unter die Kerbthierwolke; sobald die Heuschrecken aber sich erheben, eilen die Falken herbei, jagen durch die dichtesten Scharen hindurch und ergreifen mit gewandter Klaue eines der schädlichen Thiere. Es wehrt sich und beißt mit den scharfen Freßzangen in die beschildeten Läufe seines Feindes; doch dieser ist stärker. Ein Biß mit dem kräftigen Schnabel zermalmt den Kopf der Heuschrecke, und der Sieger beginnt nun sofort, sie zu verzehren. Ohne Zeit zu verlieren, reißt er ihr die Flügel aus, zerbricht die dürren Springfüße und speist den leckeren Fraß in der Luft, in welcher er sich schwebend zu erhalten weiß. Binnen zwei Minuten hat der geübte Jäger eine Heuschrecke gefangen, zerrupft und verzehrt, und von neuem eilt er wieder unter die noch nicht zur Ruhe gekommenen Schwärme, um sich noch eines oder zwei ihrer Mitglieder zu rauben. Dieses Schauspiel hatte für uns stets etwas so anziehendes, daß wir es uns nicht verdrießen ließen, die Heuschrecken durch Schütteln aufzuscheuchen, und die Falken bewiesen sich insofern dankbar, als sie unmittelbar vor unseren Augen ihren Fang betrieben. Auffallend war es uns übrigens, daß die Heuschrecken ihren Hauptfeind wohl zu kennen schienen. Die Schwärme weichen im Fluge auseinander, wenn sich einer der Vögel jählings unter sie stürzt.
Schon diese Angabe genügt, den niedlichen Raubvögeln unsere Zuneigung zu sichern. Sie wirken aber während ihres Sommerlebens in ebenso ersprießlicher Weise als im fernen Afrika, und somit verdienen sie wohl, daß jeder Verständige sie nach Möglichkeit schont, hegt und pflegt.
Der Thurmfalk, Mauer-, Kirch-, Roth-, Mäuse- und Rüttelfalk oder Rüttelgeier, Graukopf, Sterengall, Wieg- oder Windwehe ( Falco tinnunculus, fasciatus, brunneus, rufescens und interstinctus, Tinnunculus alaudarius, Cerchneis tinnuncula, media und murum, Aegypius tinnunculus) ist ein sehr schmucker Vogel. Beim ausgefärbten Männchen sind Kopf, Nacken und der Schwanz, mit Ausnahme der blauschwarzen, weiß gesäumten Endbinden, aschgrau, die Obertheile schön rostroth, alle Federn mit dreieckigem Spitzenflecke, die Untertheile an der Kehle weißlichgelb, auf Brust und Bauch schön rothgrau oder blaßgelb, die einzelnen Federn mit schwarzem Längsflecke gezeichnet, die Schwungfedern schwarz und mit sechs bis zwölf weißlichen oder rostrothen dreieckigen Flecken an der Innenfahne geschmückt, an der Spitze lichter gesäumt. Der Augenstern ist dunkelbraun, der Schnabel hornbraun, die Wachshaut und die nackte Stelle ums Auge sind grünlichgelb, der Fuß ist citrongelb. Ein Bartstreifen ist vorhanden. Das alte Weibchen ist auf dem ganzen Oberkörper röthelroth, bis zum Oberrücken mit schwärzlichen Längsflecken, von hier an aber mit Querflecken gezeichnet; sein Schwanz auf grauröthlichem Grunde an der Spitze breit und außerdem schmal gebändert, nur der Bürzel rein aschgrau. Auf der Unterseite ähnelt die Färbung der des Männchens. Die Jungen tragen das Kleid der Mutter. Die Länge beträgt dreiunddreißig, die Breite siebzig, die Fittiglänge vierundzwanzig, die Schwanzlänge sechzehn Centimeter. Das Weibchen ist um zwei bis drei Centimeter länger und um drei bis vier Centimeter breiter als das Männchen.
Von Lappland an bis Südspanien und von den Amurländern an bis zur Westküste Portugals fehlt der Thurmfalk keinem Lande, keinem Gaue Europas. Er lebt in Ebenen wie in gebirgigen Gegenden, gleichviel ob dieselben bewaldet sind oder nicht; denn er ist ebensowohl Felsen-, wie Waldbewohner. Im Süden unseres Erdtheiles tritt er häufiger auf als im Norden, fehlt hier jedoch keineswegs. Middendorf hat ihn in Sibirien noch unter dem einundsiebzigsten Grade nördlicher Breite erlegt, und Collett gibt neunundsechzig Grad vierzig Minuten als den nördlichsten Punkt an, wo er bisher in Skandinavien beobachtet wurde. Von diesen Breiten an bis Persien und Nordafrika, einschließlich Madeiras und der Kanaren, ist er Brutvogel. Auf seinem Zuge überfliegt er das Schwarze und das Mittelländische Meer, sucht bei heftigen Stürmen nötigenfalls auf Schiffen Zuflucht, ruht einige Stunden, vielleicht tagelang, am jenseitigen Ufer aus und wandert nun weiter bis nach Südasien und tief ins innere Afrika. Demungeachtet überwintert er, wenn auch nicht gerade regelmäßig so doch nicht allzu selten, einzeln in Deutschland, häufiger schon im Süden unseres Vaterlandes oder in Oesterreich, beispielsweise im Salzkammergute, alljährlich bereits in Südtirol und auf allen drei südlichen Halbinseln unseres Erdtheiles. Zurückkehrend aus seiner Winterherberge erscheint er oft schon im Februar, spätestens im März, und wenn der Herbst einigermaßen günstig ist, verweilt er nicht bloß wie gewöhnlich bis Ende Oktober, sondern noch bis tief in den November hinein in seinem Brutgebiete. Im Gebirge begegnet man ihm noch in der Höhe von zweitausend Meter über dem Meere, vorausgesetzt, daß sich hier, und wenn auch einige hundert Meter tiefer, ein passender Brutplatz findet. So gern er übrigens im Gebirge wohnt, so darf man ihn doch nicht zu den Hochgebirgsvögeln zählen. Er liebt mehr die Vorberge und das Mittelgebirge als die höchsten Kuppen und ist wohl überall in der Ebene noch häufiger als in den Bergen. Dort bildet das eigentliche Wohngebiet ein Feldgehölz oder auch ein größerer Wald, wo auf einem der höchsten Bäume der Horst steht, ebenso häufig aber eine Felswand und, zumal in südlichen Gegenden, ein altes Gebäude. Verfallenen Ritterburgen fehlt der Thurmfalk selten; auch die meisten Städte geben ihm regelmäßig Herberge. Ich habe ihn in allen größeren und kleineren Städten, deren Thürme, Kirchen und andere hohe Gebäude ihm Unterkunft gewähren, wenn auch nicht überall als Brutvogel beobachtet. Als solcher aber bewohnt er den Stephansthurm in Wien, den Kölner Dom und viele der alterthümlichen, aus Ziegeln erbauten Kirchen der Mark, ebenso wie er im Süden Europas an entsprechenden Orten stets gefunden wird. Manchmal theilt er wenigstens zeitweilig denselben Aufenthalt mit dem Wanderfalken, und es erscheint mir keineswegs unwahrscheinlich, daß beide in den Höhlungen eines und desselben Felsens oder hohen und alten Gebäudes horsten. Zwar erinnere ich mich, irgendwo das Gegentheil gelesen und die Behauptung aufgestellt gefunden zu haben, daß der Thurmfalk den von ihm bis dahin benutzten Horst verlasse, wenn ein Wanderfalk in der Nähe sich ansiedle, weiß jedoch nicht mehr, ob eine bestimmte Thatsache erzählt oder nur eine Vermuthung ausgesprochen worden war. Unter Dohlen und Tauben brütet jener ebenso regelmäßig wie im freien Felde unter Saatkrähen oder selbst inmitten eines Reiherstandes.
Der Thurmfalk zählt unbestritten zu den liebenswürdigsten Falken unseres Vaterlandes. Seine Allverbreitung und sein hier und da häufiges Vorkommen geben jedermann Gelegenheit, ihn zu beachten; wer dies aber thut, wird ihn lieb gewinnen müssen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend, oft noch in tiefer Dämmerung, sieht man ihn in Thätigkeit. Von seinem Horste aus, welcher immer den Mittelpunkt des von ihm bewohnten Gebietes bildet, fliegt er einzeln oder paarweise, im Herbste wohl auch in größeren Gesellschaften, mindestens im Verein mit seiner herangewachsenen Familie, auf das freie Feld hinaus, stellt sich rüttelnd über einem bestimmten Punkte fest, überschaut von diesem sehr sorgfältig das Gebiet unter sich und stürzt, sobald sein unübertrefflich scharfes Auge ein Mäuschen, eine Heuschrecke, Grille oder sonst ein größeres Kerbthier erspäht, mit hart an den Leib gezogenen Flügeln fast wie ein fallender Stein zum Boden herab, breitet, dicht über demselben angelangt, die Fittige wiederum ein wenig, faßt die Beute nochmals ins Auge, greift sie mit den Fängen, erhebt sich und verzehrt sie nun entweder fliegend, wie oben geschildert, oder trägt sie, wenn sie größer ist, zu einer bequemeren Stelle, um sie dort zu verspeisen. Brütet das Weibchen auf den Eiern, so kündet er durch ein von seinem sonstigen Lockrufe sehr verschiedenes, gezogenes und etwas schrillendes Geschrei schon von weitem seine Ankunft und sein Jagdglück. Wird er von seinen im Fange noch ungeübten Jungen umgeben, so entsteht ein lustiges Getümmel um den Ernährer, und jeder bemüht sich, den anderen zu übervortheilen, jeder, der erste zu sein, welchem die Jagdbeute gereicht wird. Ein solches Familienbild gewährt ein überaus reizendes Schauspiel: die treue Hingebung des Vogels an seine Brut läßt ihn noch anmuthender erscheinen, als er in That und Wirklichkeit ist.
Je nach der Witterung schreitet der Thurmfalk früher oder später zur Fortpflanzung. Vor Anfang des Mai findet man selten, in vielen Jahren nicht vor Anfang des Juni, in Südeuropa selbstverständlich schon viel früher, das vollständige Gelege. Zum Horste dient meist ein Krähennest, in Felsen und Gebäuden irgend welche passende Höhlung. Bei uns zu Lande horstet er in alten Raben- oder Saatkrähennestern, in Norddeutschland ebenso in Elsternnestern, in alten Beständen gern auch in Baumhöhlungen. Gesellig, wie alle unechten Edelfalken, bildet auch er zuweilen förmliche Nistansiedelungen: man kennt Beispiele, daß zwanzig bis dreißig Paare in einem und demselben Feldgehölze friedlich neben einander horsteten. Fühlt er sich vor seinem Erbfeinde, dem unverständigen Menschen, einigermaßen gesichert, so kümmert ihn dessen Thun und Treiben wenig; denn ebenso wie über dem Volksgetriebe belebter Städte errichtet er hier und da seinen Horst auf den Bäumen, welche Hochstraßen besäumen. Im Süden Europas tritt er in noch innigeres Verhältnis mit dem Gebieter der Erde. Hier wählt er, wie sein Verwandter, der Röthelfalk, keineswegs selten Häuser in Dörfern und Städten zur Anlage seines Horstes, so wenig geeignet die Behausungen auch sein mögen. Um den Brutplatz muß er mit den Erbauern des von ihm benutzten Horstes oft ernstliche Kämpfe bestehen; denn weder ein Krähen- noch ein Elsterpaar läßt sich gutwillig von ihm vertreiben, und dem letzteren gegenüber kann er sich, wie neuerlich beobachtet wurde, sogar genöthigt sehen, wiederholt besiegt, insofern sich zu Gaste zu bitten, als er die Haube des Elsternestes zur Unterlage des dann von ihm selbst zusammengetragenen Genistes benutzen muß. Die flache Mulde des Horstes, welcher sich von dem anderer Raubvögel wenig unterscheidet, wird mit Wurzeln, Stoppeln, Moos und Thierhaaren spärlich ausgekleidet. Das Gelege besteht aus vier bis neun, in der Regel vier bis sechs, rundlichen, auf weißem oder rostgelbem Grunde überall braunroth gefleckten und gepunkteten, in Größe und Gestalt vielfach abwechselnden Eiern, deren größter Durchmesser sechsunddreißig bis einundvierzig und deren kleinster neunundzwanzig bis zweiunddreißig Millimeter beträgt. Sie werden zwar vorzugsweise vom Weibchen ausgebrütet; doch betheiligt sich hieran zuweilen auch das Männchen, welches sonst während der Brutzeit für Ernährung des Weibchens zu sorgen hat: mein Vater beobachtete sogar, daß das Männchen auf den eben ausgekrochenen Jungen hudernd saß, obwohl das Weibchen noch lebte. Als dieses jedoch erlegt wurde, ließ jenes die Jungen sterben. Wie bei den meisten übrigen Raubvögeln fühlt es sich wohl befähigt, Beute herbeizuschaffen, ist aber nicht im Stande, dieselbe den zarten Jungen mundgerecht zu zerlegen oder vorher noch im eigenen Kropfe für die Verdauung vorzubereiten. Sind die Jungen dagegen schon mehr erstarkt, vielleicht bereits flugbar geworden, dann übt es treulichst Vaterpflicht, auch wenn die Mutter durch Zufall ums Leben kommt. Beide Eltern lieben ihre Brut mit der warmen Zärtlichkeit aller Raubvögel und beweisen dem Menschen gegenüber außerordentlichen Muth. Als mein Vater als zehnjähriger Knabe einen Thurmfalkenhorst bestieg, um die Eier auszunehmen, flogen ihm die beiden Alten so nahe um den Kopf herum, daß er sich ihrer kaum erwehren konnte; als ein anderer zwölfjähriger Knabe dasselbe versuchte, erschien das alte Weibchen, nahm ihm die Mütze vom Kopfe und trug sie so weit fort, daß sie nicht wieder aufzufinden war.
Die bevorzugte Beute des Thurmfalken bilden Mäuse, nächstdem verzehrt er Kerbthiere. Erwiesenermaßen frißt er auch kleinere Vögel, falls er sie bekommen kann, und es mag sein, daß er die Brut manchen Lerchen- oder Pieperpaares seinen Jungen zuträgt; ich halte es ebenso nicht für undenkbar, daß er dann und wann ein junges, eben gesetztes Häschen auffindet und abwürgt, und erinnere mich endlich der bemerkenswerthen Beobachtung meines Vaters, daß ein Thurmfalk einem laufenden, ausgewachsenen Hasen nachflog, aus einer Höhe von wenigstens zwanzig Meter auf ihn herabstieß, sich zweimal wieder emporschwang und zweimal aus gleicher Höhe mit solcher Kraft auf Lampe herabstürzte, daß die Haare stiebten: ihn deshalb aber zu den schädlichen Vögeln zu zählen und zu verfolgen, anstatt ihm den vollsten Schutz angedeihen zu lassen, ist ebenso unrecht wie thöricht. Mit Befremden muß jeder, welcher den Thurmfalken beobachtet, erfahren, daß Otto von Krieger, welcher unsere deutschen Raubvögel recht gut kennt, sich dahin ausspricht, daß er grundsätzlich keinem Raubvogel Schonung gewähre, und dem Thurmfalken, weil er gesehen habe, daß derselbe Lerchen, Bachstelzen und Rothkehlchen wegfing und dem Horste zutrug, ebenso unerbittlich nachstellt wie jedem anderen gefiederten Räuber. Erkenntnis des Sein und Wesens, des Thuns und Treibens unseres Thurmfalken, Abwägung des Nutzens und Schadens dieses Vogels oder ebenso Würdigung unserer Land- und Forstwissenschaft sind für solche Anschauungen nicht maßgebend gewesen, und Otto von Krieger wird deshalb wohl unter jagd- und mordlustigen Schützen, welche das Vernichten der Raubvögel vor der Krähenhütte vielleicht als die Krone alles Waidwerkes ansehen, nimmermehr aber unter Naturforschern, Land- und Forstwirten Anhänger finden. Wer den Thurmfalken kennt, weiß, daß er zu unseren nützlichsten Vögeln zählt und unseren Feldern nur zum Segen gereicht, mag auch dann und wann dem habgierigen Jäger ein Häschen oder Rebhuhn von ihm weggenommen und dieser Uebergriff zu einem unsühnbaren Verbrechen aufgebauscht werden. Ich habe viele Horste des Thurmfalken bestiegen, den Vogel ein Menschenalter hindurch in drei Erdtheilen beobachtet und erachte mich deshalb vollkommen befähigt, über ihn ein eigenes Urtheil abzugeben. Aber ich stehe hierbei nicht allein. Alle wirklichen und vorurtheilsfreien Beobachter sprechen sich genau in demselben Sinne aus wie ich. »Sein Schaden ist gering«, sagt mein Vater, »denn er frißt wenig Vögel; der Nutzen aber, den er durch Vertilgung der Mäuse stiftet, sehr groß.« In gleicher Weise äußert sich Naumann: »Der Thurmfalk zerstört zwar viele Bruten der kleinen Vögel, vorzüglich der Lerchen; allein er verzehrt eine noch weit größere Anzahl Feldmäuse und wird dadurch sehr nützlich; auch verspeist er so manches schädliche Kerbthier, z. B. Heuschrecken, Feldheimchen und dergleichen.« Nicht minder deutlich spricht sich Gloger aus, obwohl er alle Uebelthaten des Thurmfalken gewissenhaft aufzählt, ihn beispielsweise des Eierraubes beschuldigt: »Ihre Nahrung macht, daß diese Raubvögel bei sehr geringem Nachtheile für den thierischen, einen sehr anerkennenswerthen Nutzen für den menschlichen Haushalt stiften.« Nachdrücklich nimmt sich Eugen von Homeyer seiner an: »Die Röthelfalken gehören zu den allernützlichsten Vögeln, indem ihre Nahrung, so weit ich es habe beurtheilen können, ausschließlich aus Mäusen, Käfern, Libellen, Heuschrecken etc. besteht. So viel ich mich im Freien bewegt und so oft ich unseren Thurmfalken beobachtet, habe ich doch nie gesehen, daß derselbe einen Vogel gefangen, ja verfolgt hat. Zwar sollen Fälle beobachtet sein, wo er Vögel gefangen hat; doch ist dies jedenfalls eine so seltene Ausnahme, daß sie nicht in Betracht kommt.« Wenn ich nun noch erwähne, daß Preen die Gewölle unter den Horsten einer aus zwanzig Thurmfalken bestehenden Siedelung untersuchte und fand, daß dieselben lediglich aus Mäusehaaren und Mäuseknochen bestanden, darf ich mich wohl der Mühe überhoben erachten, noch weitere Zeugnisse für die wirkliche Bedeutung des Thurmfalken anzuführen. Daß ich ihrer überhaupt so viele zusammentrug, hat leider seinen guten Grund in einer Zeit, in welcher sich jeder berufen fühlt, über Nutzen und Schaden der Thiere zu urtheilen, in welcher man sogar den theueren Jagdpacht gegen einen unschuldigen Thurmfalken ins Feld führt, in welcher der größte Theil der Jäger vielleicht in guten Schützen, nimmermehr aber in Waidmännern besteht. Als wahres Verdienst rechne ich es Riesenthal an, daß er in seinen »Raubvögeln Deutschlands« den Nutzen des Thurmfalken gebührend hervorhebt. »Heißsporne unter den Schießjägern«, so drückt er sich aus, »welche für ihre Hühner und Hasen alles abzuschlachten bereit sind, haben diesen Falken auch schon unter den jagdschädlichen zur Vertilgung ausgeschrieen. Mit welchem Rechte? Weil sie von irgend jemand einmal gehört, vielleicht auch einmal selbst gesehen haben, daß der Thurmfalk über einem Völkchen Rebhühnern gerüttelt oder zwischen ein solches herabgestoßen oder endlich gar ein Hühnchen geraubt haben soll oder geraubt hat. Wir dürfen uns über solche Voreiligkeit nicht wundern: ist ja doch neuerdings auch auf den Maulwurf als Jagdfeind aufmerksam gemacht worden. Es ist ja möglich, daß der Thurmfalk ein krankes oder von der alten Henne entferntes Rebhühnchen aufnimmt; wer aber gesehen hat, mit welchem Erfolge Henne oder Hahn, oder beide, stärkere Räuber, wie zum Beispiel den Kornweih, vertreiben, der wird nicht glauben, daß der kleine Thurmfalk unter regelrechten Verhältnissen ein Rebhühnervolk aufreiben kann; und haben die Jungen ihre Eltern verloren, so gehen sie wahrscheinlich auch ohne den Thurmfalken zu Grunde. Solche Beobachtungen haben in ihren Folgen ganz denselben Werth, wie die Eier aus Sammlungen, deren Besitzer von verkommenen Strolchen ganze Gegenden, ja Provinzen ausrauben lassen, die von diesen Menschen gemachten Angaben auf die Eier schreiben und ins betreffende Publikum bringen, natürlich unter der eigenen Gewähr und natürlich alles zu Gunsten der Wissenschaft. Klingt es nicht mehr als naiv, wenn man in Fachblättern Angaben liest, wie ›der Thurmfalk bezog sein Brutgebiet in diesem Jahre leider nur in einem Pärchen – die Eier erhielt ich an dem ... Tage!‹ Also, obgleich die Verminderung dieses harmlosen Thieres bedauert wird, und das ganze Gelege nur wenige Pfennige werth ist: es hilft alles nichts, genommen muß es werden, natürlich auch nur zu Gunsten der Wissenschaft. Der Thurmfalk leistet bei uns in der Vertilgung der Mäuse und Kerbthiere viel, in den Gegenden der Heuschreckenschwärme, welche auch uns bedrohen, außerordentliches, daher auch wir ihn zu Gunsten jener Länder, in denen er geschützt wird, erhalten müssen. Sprechen örtliche Verhältnisse nach wiederholten Erfahrungen gegen ihn, so mag man nach ihnen verfahren, hüte sich aber, nach vereinzelten unsicheren Beobachtungen den Maßstab im großen anzulegen.« Es ist ein wissenschaftlich gebildeter Oberförster, ein Waidmann, welcher sein Leben im Walde verbracht und infolge seiner reichen Erfahrungen ein eigenes gediegenes Werk über die deutschen Raubvögel verfaßt hat, welcher diese Worte schreibt: mein Leser, welcher nicht selbst Gelegenheit hat, im Freien zu beobachten, wird daher wohl im Stande sein zu beurtheilen, ob er demjenigen Beobachter, welcher »grundsätzlich überhaupt keinem Raubvogel Schonung gewährt«, oder meinem Vater, Naumann, Gloger, Eugen von Homeyer, Riesenthal und mir Glauben schenken soll.
»Der Thurmfalk«, schreibt mir Liebe so recht aus dem Herzen heraus oder ins Herz hinein, »ist ein prächtiger Hausgenosse, welcher sich sogar für das Zimmer eignet. Vor seinen Verwandten zeichnet er sich durch große Reinlichkeit aus. Wenn man den Boden des Käfigs mit Moos belegt, so entwickelt sich kein übler Geruch. Denn einerseits läßt der erwachsene Vogel den Schmelz einfach herabfallen und spritzt ihn nicht an und durch die Käfigwände, wie dies die leidige Art derer vom edlen Geschlecht Sperber ist, und anderseits scheint der Schmelz selbst nicht so schnell zu verwesen, sondern bald zu trocknen. Die Thurmfalken halten ihr Gefieder besser in Ordnung als alle anderen Raubvögel und dulden nicht leicht Schmutz auf demselben. Sie trinken bisweilen, wenn auch nicht immer und wischen dann wiederholt den nassen Schnabel am Gefieder ab, welches hierauf sofort einer gründlichen Durchnestelung unterzogen wird. Leicht gewöhnen sie sich daran, von Zeit zu Zeit mit Wasser sich übertropfen zu lassen, bekunden dabei sogar eine gewisse Behaglichkeit, während eine derartige Nachahmung des Regens den übrigen Raubvögeln ein Greuel bleibt. Das Gefieder selbst ist sehr weich und wenig brüchig, und daher hält sich der lange, schöne Schweif im Käfige sehr gut. Auch sind die Bewegungen der Thurmfalken weicher und sanfter und nicht so stürmisch wie bei den Verwandten. Man kann sie daher, wie ich dies stets gethan habe, alle Tage einmal aus dem Bauer nehmen und sich im Zimmer ausfliegen lassen. Die anderen kleinen Vögel in dem Zimmer gerathen dabei nicht in eine so entsetzliche Angst wie beim Anblicke eines Sperbers. Flattern sie auch während der ersten Male ängstlich in ihren Gebauern umher, so gewöhnen sie sich doch bald an die Ausflüge des edlen Herrn und zeigen bald keine Spur von Aengstlichkeit mehr. Zu einem alt gefangenen Thurmfalken setzte ich einmal ein ebenfalls alt gefangenes Gimpelweibchen in den Bauer, um zu versuchen, ob der Raubvogel letzteres annehme, überhaupt um das Thun desselben zu beobachten. Zu meinem Erstaunen zeigte der Gimpel durchaus keine Angst, sondern setzte sich ruhig auf die Sitzstange des Falken. Ich ließ ihn fünf Tage bei dem letzteren, welcher allerdings wie gewöhnlich gefüttert wurde, und sah, daß ihm nicht das geringste Leid geschah.
»Am besten ist es, wenn man die Falken aus dem Horste hebt, wenn die Schwanz- und Schwungfedern höchstens einen Centimeter weit aus dem Flaume hervorragen. Freilich muß man dann aber auch die größte Sorgfalt auf die Aufzucht verwenden. Man klopft junges Rind- oder Schweinefleisch tüchtig mit dem Messerrücken und schneidet es in recht kleine Stücke, welche man alle ein bis zwei Tage einmal mit grobem Pulver von Fleischknochen bestreut. Haare und Federn, welche ich bei der Aufzucht von Eulen von vorne herein dem Futter beigab, habe ich den jungen Falken nicht gereicht. Sehr nöthig ist es, daß man sie alle Tage einmal aus dem Behälter nimmt, auf den Finger setzt und sie zwingt, hier sich zu erhalten. Denn sonst bleiben die Gelenke der Fänge schwach und man erzieht Krüppel, welche nicht auf der Sitzstange stehen können, sondern auf den Fersen hockend in den Winkeln kauern. Sie gewöhnen sich schnell daran, auf den Finger zu steigen und fangen bald an, auf ihm festgeklemmt die jungen Flugwerkzeuge durch Flattern vorzuüben. Ihre Anhänglichkeit an den Herrn ist bekannt. Ich besaß in meinen Schuljahren ein Weibchen, welches mitten in der Stube durch das Fenster aus- und ein- und draußen auf meine Schultern flog, wenn ich mitten unter meinen Schulgenossen spazieren ging. Hat man die rechte Zeit versehen und sind die jungen Vögel zu alt geworden, dann lassen sie sich schwer zähmen, am schwersten, wenn sie dem Horste bereits entflogen sind und nahebei auf den Aesten sitzen. Leichter gelingt es, alte, mögen sie im Netze gefangen oder angeschossen sein, bis zu einem gewissen Grade zu zähmen.
»Merkwürdig schnell heilen bei ihnen die Schußwunden. Einst ward mir ein schon sehr ausgefärbtes altes Weibchen gebracht, bei welchem der Oberarm- und beide Unterarme zerschossen waren. Da Muskel und Haut nicht sehr zerrissen waren, band ich mit breiten Bändern die Flügel fest an den Leib und setzte den Vogel in einem großen Käfige auf eine Sitzstange. Hier blieb er auf derselben Stelle sitzen und trotzte fünf Tage lang, indem er keine Nahrung nahm und nur einmal ein wenig Wasser aus dem vorgehaltenen Napfe trank. Am Ende des fünften Tages nahm er mit heftigem Griffe ein Stückchen vorgehaltenes Fleisch, und von nun an ließ er sich täglich füttern. Am dreizehnten Tage hatten sich die Binden, obgleich sie gut gelegt und an den Schwungfedern angeheftet waren, verschoben. Ich nahm den Vogel heraus, löste die Binden vorsichtig und siehe, er flog über die Stube hinweg auf den Fensterstock. Der zerschossene Flügel war bereits geheilt und lag nur unmerklich tiefer am Leibe als der andere.«
Eine bemerkenswerte Beobachtung über einen gefangenen Thurmfalken veröffentlicht Wüstnei. Der aus dem Neste gefallene, fast erwachsene Falk verlor, wie üblich, bald jegliche Scheu, nahm das dargebotene Futter aus der Hand, liebte es aber nicht, wenn jemand seinen Mahlzeiten zusah, und gab seine Besorgnis dadurch zu erkennen, daß er mit ausgebreiteten Flügeln und vorgebeugtem Körper das Fleischstück zu bedecken suchte und dabei fortwährend Töne des Unwillens ausstieß. Dieses Mißtrauen, welches seinen Grund in Neckereien gehabt haben mochte, steigerte sich sofort zur größten Erbitterung, wenn ihm ein Spiegel vorgehalten wurde und er darin einen seinesgleichen erblickte, welcher ihm also wohl noch gefährlich erschien. Er ging dann sofort angreifend vor, bestritt sein eigenes Ich mit Schnabel und Fängen, und wiederholte diese Angriffe immer wieder von neuem, so ohnmächtig die Hiebe von der glatten Spiegelfläche auch abprallten. Als er auch einmal seine Kräfte vergeblich erschöpft hatte und zur Einsicht gelangt war, daß er das Hindernis, welches ihn von seinem Feinde trennte, nicht durchdringen konnte, kam ihm der Gedanke, den vermeintlichen Feind von seinem eigentlichen Platze anzugreifen, und er begab sich plötzlich hinter den Spiegel. Vergnüglich war es, seine deutlich ausgedrückte Verwunderung zu beobachten. Seine Aufregung verwandelte sich plötzlich in starre Ruhe, das Geschrei verstummte, und unbeweglich mit vorgestrecktem Kopfe betrachtete er das leere Nichts. Geraume Zeit verharrte er in dieser Stellung, dann stieß er wiederum ein heftiges Geschrei aus, gleichsam um den irgendwo vermutheten Gegner herauszufordern. Eine Drehung des Spiegels belehrte ihn, daß dieser noch nicht ganz verschwunden sein könnte, und erregte seine Erbitterung wieder von neuem. Da ihm durch den Spiegel seine Mahlzeit mehrmals etwas verleidet worden war, so blieb dieser für ihn stets ein so verdächtiger Gegenstand, daß er sofort in die größte Aufregung gerieth und ein lautes Geschrei ausstieß, wenn man Miene machte, den Spiegel von der Wand zu holen und sich auch nur in dessen Nähe begab.«
In Südeuropa gesellt sich dem Thurmfalken der ihm sehr nahe verwandte, schönere Röthelfalk ( Falco cenchris, tinnunculoides, tinnuncularius und xanthonys, Tinnunculus cenchris, Erythropus cenchris, Cerchneis cenchris, paradoxa und ruficauda). Seine Länge beträgt zweiunddreißig, die Breite achtundsechzig, die Fittiglänge sechsundzwanzig, die Schwanzlänge vierzehn Centimeter; das Weibchen ist um zwei Centimeter länger und um fünf Centimeter breiter. Beim alten Männchen sind der Kopf, die großen Flügeldeckfedern, die Hinterschwingen und der Schwanz bläulich aschgrau, die Federn des Rückens ziegelroth ohne alle Flecke, Brust und Bauch gelbröthlich mit sehr kleinen Schaftflecken, welche oft kaum sichtbar sind, die Schwanzfedern ebenfalls am Ende durch eine schwarze Binde geziert. Das Auge, der Schnabel und der Fuß sind wie beim Thurmfalken gefärbt, die Krallen aber nicht schwarz, sondern gilblichweiß. Das Weibchen ist dem Thurmfalkenweibchen sehr ähnlich, aber lichter und an dem weißbläulichen Schwanze sowie au den lichten Krallen leicht zu unterscheiden. Die Jungen ähneln der Mutter.
Südeuropa, Spanien und seine Inseln, Malta, Süditalien, vor allem aber Griechenland und die weiter nach Osten hin gelegenen Länder sind die wahre Heimat des Röthelfalken. In Süd- und Mittelspanien, auf Sicilien und in Griechenland ist er gemein, in der Türkei etwas seltener, aber doch überall verbreitet, in den südrussischen, sibirischen und turkestanischen Steppen neben dem Rothfußfalken der häufigste aller dort vorkommenden Raubvögel. Nach Norden hin erstreckt sich sein Verbreitungsgebiet nicht weit über die Grenzen der angegebenen Länder hinaus. Die Pyrenäen und die Alpen überfliegt er selten, dringt jedoch, nach einer Beobachtung von Hueber, im Osten der letzteren von Jahr zu Jahr weiter vor und hat sich infolge dessen nicht allein in Krain, sondern auch schon in Kärnten und Südsteiermark eingebürgert, lebt auch, obschon nicht überall, in Kroatien. Von den letzterwähnten Ländern her mögen diejenigen Röthelfalken stammen, welche zuweilen, vielleicht häufiger als wir glauben, unser Vaterland besuchen und beziehentlich hier erlegt werden. In Westsibirien begrenzt, nach eigenen Beobachtungen, die Steppe sein Brutgebiet, und im Osten Asiens wird dies kaum anders sein. Nach Süden hin verbreitet er sich über Marokko, Algerien und Tunis, soll, einer Angabe Heuglins zufolge, einzeln noch in den Festungswerken von Alexandrien horsten, gehört in Palästina, Syrien und Kleinasien unter die regelmäßigen Brutvögel und ist in Persien, zumal im Süden des Landes, überaus gemein. Von seiner so weit ausgedehnten Heimat nun fliegt er allwinterlich nach Afrika und Südasien herüber. Eigene Beobachtungen lehrten mich, ihn, wie bereits angegeben, als einen der häufigsten Wintervögel der Steppen des Inneren kennen. Er folgt diesem über den größten Theil Afrikas sich ausdehnendem Gebiete bis an seine äußersten südlichen Grenzen und wird, was wohl zu beachten, nachdem einzelne Paare und Gesellschaften das gelobte Land Südafrika entdeckt haben, hier, im Kap- und Damaralande, von Jahr zu Jahr häufiger, gesellt sich in der Winterherberge auch wiederum seinem treuen Genossen, dem Rothfußfalken, dessen Gesellschaft er im südwestlichen und südlichen Europa entbehren muß. In Spanien werden von ihm größere Städte, Madrid, Sevilla, Granada z. B., in Griechenland außerdem Dorfschaften in den Ebenen, zumal solche, welche in der Nähe von Gewässern liegen, allen übrigen Oertlichkeiten bevorzugt. Er erscheint in Spanien wie in Griechenland in der letzten Hälfte des März, in Persien kaum früher, in den Steppen Westsibiriens dagegen erst Ende April oder Anfang Mai, unmittelbar nach der Schneeschmelze und dem Eisgange der Flüsse, deren Thäler auch ihm zur Heerstraße werden, verweilt während des Sommers in seiner Heimat und wandert bereits im August, spätestens Ende September weg. Lebensweise, Wesen und Gebaren sind ein treues Spiegelbild des Auftretens unseres Thurmfalken, ähneln aber doch noch mehr dem Thun und Treiben des Rothfußfalken, mit welchem er den innigsten Verkehr pflegt. Ich muß, da ich letzteren ausführlicher zu schildern gedenke, auf dessen Lebensschilderung verweisen und kann deshalb an dieser Stelle nur sagen, daß der Röthelfalk unbedingt zu den anmuthigsten Erscheinungen zählt, welche seine gesammte Familie ausweist. Dank seiner Geselligkeit und seines friedlichen Verkehres mit Rothfuß- und ebenso mit Thurmfalken sieht man nur ausnahmsweise einmal ein Pärchen dieser ebenso farbenschönen wie fluggewandten und unermüdlichen Falken, in der Regel immer Gesellschaften, welche gemeinschaftlich nach einem Nahrung versprechenden Orte fliegen, gemeinschaftlich zum nächtlichen Ruheplatze wandern und gemeinschaftlich horsten.
Um die Akropolis in Athen und die Kirchthürme Madrids habe ich sie ihre prächtigen Flugreigen ausführen sehen, und wenn ich während meines Aufenthaltes in Granada sie als Bewohner des viel besungenen Maurenschlosses vermissen mußte, war dies nur aus dem Grunde der Fall, weil ich mich zur Winterszeit daselbst aufhielt: im Sommer umschwärmen sie auch hier massenhaft die prachtvolle Veste. Aber sie binden sich keineswegs, wie unser Thurmfalk in der Regel zu thun pflegt, an besonders hervorragende Gebäude, sondern nehmen mit der kleinsten Lehmhütte vorlieb. Denn ungeachtet der Mordsucht der Spanier, Italiener und Griechen denkt im Süden Europas niemand daran, ihnen grundsätzlich keine Schonung angedeihen zu lassen, und in den Augen der Türken und Russen gelten sie geradezu als heilige Vögel. Man hat im Morgenlande wie in Südrußland und Sibirien ihre Nützlichkeit wohl erkannt. Dort sieht man sie als einen vom Himmel gesandten Helfer in der Heuschreckennoth an, hier erfreut man sich außerdem an ihrem Vorhandensein, ihrer munteren Beweglichkeit und betrachtet sie dankbar als Bürgen des Lebens in der einsamen Steppe, läßt sich wenigstens gern durch sie unterhalten, wenn man zu Pferde oder Wagen das weite Gebiet durchzieht, beim Näherkommen sie von ihren Ruhesitzen und Warten aufscheucht und weiter und weiter vor sich hertreibt. In noch höherem Grade als der Thurmfalk sind sie Kerbthierfresser und wohl die am erfolgreichst wirkenden thierischen Feinde des verderblichen Gezüchtes. Eine Maus, ein junges, unbeholfenes Vögelchen, eine Eidechse werden sie gewiß auch nicht verschmähen, wenn solche Beute ihnen sich bietet; im allgemeinen aber theilen sie mehr mit dem Rothfuß- als mit dem Thurmfalken dieselbe Nahrung.
Die Brutzeit des Röthelfalken fällt, wenigstens in Griechenland und Spanien, in die letzten Tage des April oder in die ersten des Mai. Der Horst steht hier wie dort regelmäßig in Mauerlöchern oder Höhlungen unter den Dächern der Häuser, gleichviel ob solche bewohnt sind oder nicht. Manche Gebäude enthalten mehrere Horste, alte Ruinen zuweilen viele. In Athen sah ich sie nicht allein auf der Akropolis mit dem Horstbaue beschäftigt, sondern auch auf allen geeigneten Häusern sitzen oder zu den unter deren Dächern angebrachten Horsten fliegen; in Spanien lernte ich sie als Bewohner der Thürme kennen. In den übrigen Ländern ihres Verbreitungsgebietes horsten sie da, wo es ihnen an Gebäuden mangelt, auf Felsen oder in Baumhöhlungen, und zwar nicht selten in Gesellschaft der Thurmfalken. Es nimmt daher Wunder, durch Hueber zu erfahren, daß der Röthelfalk in Kärnten die Brutplätze des letzteren besetzt und ihn daraus vertrieben habe. Der Horst selbst ist stets ein unbedeutender Bau. Im Inneren einer Höhle baut der Röthelfalk überhaupt kein Nest, sondern legt seine Eier fast ganz ohne Unterlage auf den Boden. Das Gelege enthält regelmäßig vier, selten fünf oder sechs Eier, und diese unterscheiden sich nur durch ihre geringe Größe sicher von denen des Thurmfalken. Weiteres über das Brutgeschäft zu sagen, erscheint fast überflüssig. Das Weibchen übernimmt wie üblich den hervorragendsten Theil der Kinderpflege; das Männchen betheiligt sich hierbei jedoch insofern nach Kräften, als es nicht allein die Gattin füttert und die Jungen groß ziehen hilft, sondern, wie es scheint, dann und wann auch jene im Brüten ablöst. Auf Sicilien nennt man die Jungen Maltafälkchen, weil die Malteserritter dem Könige Siciliens einen solchen Falken unter großem Gepränge als Zoll darbrachten, um durch Ueberreichung des kleinsten Falken die Abhängigkeit ihrer kleinen, aber tapferen Körperschaft von dem mächtigen Fürsten der Insel anzudeuten.
Ueberraschend, aber doch nicht gänzlich unglaublich, ist die Angabe Saunders', daß unter Umständen Thurm- und Röthelfalken sich paaren und Blendlinge erzielen, welche wiederum fruchtbar sind. Diese Annahme gründet sich jedoch nur auf die auffallend großen, den größten des Thurmfalken gleichkommenden Eier und entbehrt demnach des Beweises.
Gefangene Röthelfalken unterscheiden sich auch im Käfige wenig von ihren nordischen Verwandten. Ihr Betragen und Gebaren sind im wesentlichen genau dieselben; ihre Schönheit aber empfiehlt sie doch sehr und erregt auch die Aufmerksamkeit des Unkundigen. Immer sieht dieser allerliebste Vogel schmuck und nett aus, stets hält er sein Gefieder in bester Ordnung und unter allen Umständen ist seine Haltung, welcher man ein gewisses Selbstbewußtsein anmerken möchte, eine so ansprechende, daß man ihn rasch lieb gewinnt. Er gewöhnt sich bald an seinen Pfleger, verträgt sich mit anderen seinesgleichen und beansprucht bloß ein klein wenig Sorgfalt mehr als unsere Falken, soll er im Käfige sich wohl fühlen, gedeihen und ausdauern. Diese Sorgfalt hat sich zunächst auf die Wahl der Nahrung zu richten; denn alle kleineren Falken, welche Kerbthiere jagen, müssen auch wie Kerbthierfresser behandelt werden. Rohes Fleisch ohne jegliche Zuthat bringt sie sicher um. Vögel mit Federn und kleine Säugethiere mit Haaren reichen, schon weil man sie nicht tagtäglich zur Verfügung hat, ebenfalls noch nicht aus; es muß also ein ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechendes Ersatzfutter geschafft werden. Ich reichte meinem Pflegling ebenso wie den kleinen Eulen und Rothfußfalken ein Mischfutter, wie man es Kerbthierfressern vorsetzt. Dabei befanden sich die verhältnismäßig doch sehr zarten Geschöpfe anscheinend so wohl, als ich nur wünschen konnte. Nächstdem hat man die Röthelfalken wie andere dem Süden entstammende Sippschaftsverwandte vor Kälte fast ängstlich in Acht zu nehmen; denn schon die Kühle der Herbsttage fällt ihnen beschwerlich, und wirkliches Frostwetter tödtet sie sicher. Sobald kühlere Witterung eintritt, werden sie verdrießlich, sträuben das Gefieder, verlieren die Lust zum Fressen und sich zu baden, siechen dahin und fallen schließlich nach einigen Zuckungen todt von der Sitzstange herab. Bei warmem Wetter dagegen und namentlich dann, wenn sie in den Morgenstunden die Wohlthat der unmittelbaren Einwirkung des Sonnenlichtes genossen haben, sind sie stets munter und ihre Augen so freundlichklar, daß man sich über ihren Zustand nicht täuschen kann. Sie schreien viel und oft im Käfige, lassen aber gewöhnlich nur das gedehnte und langsam ausgestoßene »Grrii grii grii«, nicht aber das hellere, kräftigere »Kli kli kli«, das eine wie das andere dem Rufe des Thurmfalken täuschend ähnliche Laute, vernehmen. Seine Bekannten begrüßt der Röthelfalk, ebenso wie sein nordischer Verwandter, immer nur durch die ersterwähnten Rufe.
Da der Röthelfalk sommerlichem Unwetter Trotz bieten, weil ziemlich lange hungern kann, beim Ueberfliegen des Meeres wohl nur ausnahmsweise durch Stürme gefährdet wird und in der Winterherberge stets reich beschickte Tafel findet, vermehrt er sich allerorten, wo ihm sein schlimmster Feind, der Mensch, am Brutplatze nicht zerstörend entgegentritt, in ersichtlicher Weise. Wenn sich die Angabe Huebers bewahrheitet, dürfen wir hoffen, ihn in nicht allzu ferner Zeit bei uns einwandern zu sehen. Vielleicht folgt er sogar früher, als man erwarten kann, der Wanderheuschrecke, welche bekanntlich vor kurzem bei uns zu Lande ihren Einzug hielt, auf dem Fuße nach. Es wird dann an uns sein, ihn mit so viel Gastlichkeit zu empfangen, wie er sie seiner Nützlichkeit halber verdient. Den Wunsch spreche ich aus; seine Erfüllung erhoffe ich nicht. Man wird ebenso gut gegen ihn zu Felde ziehen, ihn ebenso verdächtigen wie unseren Thurmfalken, ihn ebenso unerbittlich abschießen, wie man Rothfußfalken, welche zum Horsten schreiten wollten, wenigstens in Böhmen weggeschossen hat. Wie unrecht und thöricht solches Verfahren ist, bedarf nach dem beim Thurmfalken gesagten einer weiteren Auseinandersetzung nicht. Mit vollstem Einverständnisse aber wiederhole ich auch an dieser Stelle die Worte von Riesenthal: »Wenn wir in unseren Gebieten uns beschweren, daß in anderen Ländern uns angenehme und nützliche Vögel über die Maßen verfolgt werden und wir auf internationalem Wege Abhülfe und Schutz für diese suchen, so müssen wir uns auch auf denselben Standpunkt stellen und solche Vögel nach Möglichkeit in Schutz nehmen, welche für jene Länder nicht nur nützlich und angenehm, sondern nothwendig sind.«
Dem Thurmfalken, insbesondere aber dem Röthelfalken nahe verwandt ist ein anderer kerbthierfressender Raubvogel Südeuropas, der Abend- oder Rothfußfalk ( Falco vespertinus , rufipes und barletta, Cerchneis vespertinus und rufipes, Tinnunculus vespertinus und rufipes, Pannychistes rufipes, Erythropus vespertinus und rufipes), einer der schönsten aller Falken überhaupt. Mein Vater hat ihn von den Röthelfalken getrennt und zum Vertreter einer besonderen Sippe, der Rothfußfalken ( Erythropus), erhoben, weil er durch kürzeren Schnabel, anderes Verhältnis der Schwingen, durch kürzeren Schwanz und endlich durch die nicht nur nach den Geschlechtern, sondern auch nach dem Alter verschiedene Färbung sich unterscheidet; alle für ihn geltenden Merkmale sind jedoch zu gering, als daß wir nach unseren jetzigen Anschauungen sie als solche einer besonderen Gruppe anzuerkennen vermögen. In der Größe kommt der Abendfalk mit dem Röthelfalken ziemlich überein. Seine Länge beträgt einunddreißig, die Breite achtundsiebzig, die Fittiglänge zweiundzwanzig, die Schwanzlänge vierzehn Centimeter. Das Weibchen ist um drei Centimeter länger und um vier bis fünf Centimeter breiter. Im ausgefärbten Kleide kann das Männchen mit keinem anderen Falken verwechselt werden. Der Unterbauch, die Hosen und die Unterschwanzdeckfedern sind dunkelrostroth; das übrige Gefieder ist sehr gleichmäßig schieferblau, nur der Schwanz etwas dunkler. Die Wachshaut, der nackte Ring ums Auge, sowie die Füße sind ziegelroth, der Schnabel ist hinten gelb, vorn hornbläulich. Das Weibchen ist auf dem Kopfe und Nacken hell rostfarben, auf dem übrigen Oberkörper blaugrau, auf Mantel und Schwanz dunkler gebändert, am Vorderhalse und auf den Halsseiten, mit Ausnahme der braunen Bartstreifen, weiß, auf dem übrigen Unterkörper rostgelb mit einzelnen braunen Schaftstrichen. Wachshaut, Augenring und Füße sind orangeroth. Im Jugendkleid ist der Oberkörper dunkelbraun, jede Feder rostgelblich gerundet, der Schwanz rostgelb, elf- bis zwölfmal dunkler in der Quere gebändert, der Unterkörper von der weißen Kehle ab rostgelblichweiß mit breiten braunen Längsflecken. Die nackten Stellen sind noch lichter als bei dem Weibchen. Der Augenstern ist immer braun.
Der Rothfußfalk gehört dem Südosten Europas sowie Mittelasien an und wird erst am Amur und in China durch einen nahen Verwandten ( Falco amurensis) ersetzt. Im Westen unseres heimatlichen Erdtheiles ist er selten, kommt hier aber gelegentlich seines Zuges dann und wann einmal vor, indem er die Grenzen seines Wandergebietes überschreitet. Unter diesen Umständen ist er wiederholt in verschiedenen Gegenden Deutschlands, ebenso auf Helgoland, in England und selbst in Schweden erlegt worden. Häufiger durchzieht einer der niedlichen Falken Frankreich oder die Schweiz, und regelmäßig wandert er in jedem Frühlinge und Herbste durch Griechenland und Italien, dort zwischen dem funfzehnten und fünfundzwanzigsten April und zweiten und vierzehnten Oktober, hier im Mai, auf Sicilien und Malta zur selben Zeit wie in Griechenland erscheinend. In der römischen Campagna bemerkt man ihn während des Zuges bisweilen in sehr zahlreichen Scharen, da er zu den geselligsten aller Falken gehört; am Bosporus ist er während derselben Zeit ebenso häufig wie irgend ein anderes Glied seiner Verwandtschaft. In allen den letztgenannten Ländern hat man ihn noch nicht als Brutvogel nachzuweisen vermocht; Eugen von Homeyer erhielt jedoch aus Ostpreußen jugendliche, offenbar erst vor wenig Tagen dem Horste entflogene Abendfalken, und Kratzsch hat, wie Liebe mittheilt, in den sechziger Jahren ein Paar im Mückerschen Grunde, im Altenburgischen, horstend gefunden. Wenn damit erwiesen ist, daß der zierliche Vogel auch innerhalb der Grenzen Deutschlands gebrütet hat, so gehört dies doch zu den seltensten Ausnahmen. Unser Falk ist im vollsten Sinne des Wortes Charaktervogel der Steppe und bewohnt dieselbe von der ungarischen Pußta an durch Südrußland und ganz Mittelasien hindurch bis zur Grenze Chinas. Dem entsprechend richtet sich sein Zug vorzugsweise nach Indien, nicht aber nach Afrika. Hier kommt er in den Nilländern zwar ebenfalls vor, immer aber nur einzeln, und erst im Südosten des Erdtheiles, wohin er offenbar von Indien und Südarabien aus gelangt, beobachtet man ihn häufiger.
In den von mir bereisten Steppen des südlichen Westsibirien und nördlichen Turkestan gehört der Abendfalk zu den so regelmäßigen Erscheinungen, daß man sagen darf, er fehle dem Gebiete ebenso wenig wie die Schäfchenwolke am Himmel. Nur äußerst selten habe ich ihn einzeln, vielmehr fast stets in Gesellschaften und immer in Gemeinschaft des Röthelfalken beobachtet, mit dessen Thun und Treiben das seinige bis auf das genaueste übereinstimmt. Treue Genossen sind diese beiden reizenden Falken fast überall, und was man von dem einen sieht, wird man auch von dem anderen erfahren. Wo in der Steppe Ruheplätze für sie vorhanden sind, wo es eine Telegraphenleitung gibt, wo der Weg für die Winterszeit durch Pfähle, kegelförmige, mit Erde ausgefüllte Körbe oder eingerammte Stangen mit zwei bis drei in gewisser Weise verschnittenen Zweigen angemerkt wurde, fehlen sie gewiß nicht. Sie sitzen auf allen diesen Erhöhungen, ihren Warten, ausruhend, verdauend und gleichzeitig nach neuer Beute spähend, deshalb wachsamen Auges die Gegend überschauend, erheben sich, durch das Geräusch des herbeirollenden Wagens und das Geklingel des Deichselpferdes aufgeschreckt, und betreiben nunmehr ihre Jagd nach alter Gewohnheit. Mit einigen pfeilschnellen, gewandten Flügelschlägen, vielfach an die echten Edelfalken erinnernd, eilen sie eine Strecke weit weg, beginnen zu schweben und halten sich nunmehr, kaum bemerkbar rüttelnd, das heißt die Flügel kaum sichtlich bewegend, genau auf einer und derselben Stelle, fliegen ein wenig weiter und verfahren wie früher. Nicht selten sieht man ihrer zehn, zwanzig, dreißig, beide Arten gemischt, zu gleicher Zeit über der Steppe schweben oder diesen nach jenem erscheinen, als ob sie sich ablösen wollten, denselben Grund, welcher schon von allen vorhergehenden abgesucht wurde, nochmals zu besichtigen. Einer nach dem anderen fährt zum Boden herab, verweilt einen Augenblick, um ein kleines Kerbthier, im Frühjahre hauptsächlich ein Käferchen, aufzunehmen, schwingt sich hierauf von neuem empor und beginnt wie vorher das alte Spiel. Im Vollbewußtsein ihrer Sicherheit lassen sie sich hierbei durch den Beobachter nicht im geringsten stören, treiben über dessen Kopfe ihre Flugkünste, stoßen dicht neben ihm herab auf den Boden, lassen sich sogar durch ein angezündetes Feuerchen von ferne herbeilocken. Nur wenn sie ausruhend auf den Telegraphendrähten oder Merkzeichen am Wege sitzen, warten sie nicht immer die Ankunft eines auf sie zuschreitenden Menschen ab, sondern fliegen nicht selten aus doppelter Schußweite davon, um nach kurzem Fluge rüttelnd still zu halten und zu jagen. Sind sie nunmehr wiederum beschäftigt, so achten sie desselben Menschen, welcher sie früher verscheuchte, nicht weiter und treiben es über seinem Haupte, wie vorher beschrieben. Ich habe es mir zu besonderem Vergnügen gereichen lassen, stundenlang unter ihnen zu sitzen und ihnen zuzusehen; ich habe das Gewehr auf sie gerichtet, um zu erproben, ob sie rüttelnd wirklich genau auf einer und derselben Stelle sich halten, wie es den Anschein hat und thatsächlich sich erweist: und ich habe sie dann unbehelligt ziehen lassen, weil mich ihr ganzes Gebaren im höchsten Grade anmuthete.
Bemerken will ich noch, daß sie keineswegs überall in der Steppe in gleicher Häufigkeit auftreten, hervorheben ebenso, daß sie während ihres Zuges ersichtlich den größeren Flüssen folgen, während ihres Gehens und Kommens in Stromthälern wenigstens weit häufiger auftreten als sonst in der weiten Steppe. Hier vertheilen sie sich schon aus dem Grunde mehr, weil passende Nistplätze für sie nicht überall zu finden sind, und sie diesen zu Gunsten einen Standort wählen müssen. Nach meinem Bedünken bevorzugen sie sanfte Gehänge der Hügel oder selbst steilere Abfälle der Berge der freien, offenen Ebene, obgleich sie auch hier keineswegs fehlen. Jene Vorliebe erklärt sich wahrscheinlich einfach dadurch, daß in der Nähe der betreffenden Gehänge auch einzelne, zu Standorten des Horstes sich eignende Felsenwände zu finden sind, welche somit zum Mittelpunkte des Gebietes werden. Ist ein solches mit einigen hohen Bäumen bestanden, so bilden diese unter Umständen eine förmliche Siedelung, in jedem Falle aber morgens und zumal des Abends einen Vereinigungspunkt der niedlichen Falken. Hier sieht man sie dann während der Mittagszeit in Gesellschaften von zwanzig, dreißig und mehr dicht neben einander aufgebäumt sitzen, der Ruhe pflegen und die ihrer Jagd besonders förderlichen Spätnachmittags- und Abendstunden abwarten. Unter Umständen kann es geschehen, daß ein solcher Baum kaum ausreicht, einer ganzen Gesellschaft Ruheplätze zu gewähren, und daß die sonst friedlichen Vögel, wie Nordmann beobachtete, um eines Sitzplatzes willen unter einander in Streit gerathen. Ihr ausgesprochener Hang zur Geselligkeit aber hält sie trotzdem ab, auf anderen Bäumen sich niederzulassen. Es ist als ob alle thun müßten, was dem einen von ihnen behagt. Einer wählt sich einen gewissen Baum zum Ruhesitze, zwei oder drei andere schweben herbei, lassen sich neben ihm nieder: und nunmehr strömen alle übrigen von den verschiedensten Seiten herzu, um genau auf demselben Baume Platz zu nehmen. Nordmann versichert, sie zuweilen so gehäuft gesehen zu haben, daß ein einziger Schuß ein Dutzend von ihnen zu Boden streckte, ungezählt noch die leichter verwundeten, welche nicht in die Gewalt des Jägers fielen. Sobald sich die Kerbthierwelt zu regen beginnt, erheben sie sich und fliegen nun nach allen Seiten in die Steppe hinaus, um nach Heuschrecken, Grillen, Schmetterlingen, geflügelten Ameisen und Käfern auszuschauen. Kerbthiere in allen Lebenszuständen, besonders aber verwandelte Kerfe und unter diesen wiederum vorzugsweise Käfer, bilden den größten Theil ihrer Nahrung; ein Mäuschen, junges, unbehülfliches Vögelchen oder eine kleine Eidechse wird ihnen seltener zu Theil. Erstaunlich ist die Geschicklichkeit, mit welcher sie kleine, auf dem Boden kriechende Käfer aufnehmen, zwischen ihren kurzen Klauen festhalten und im Fluge verspeisen. Oft sind die Kerfe so klein, daß man sie, obgleich der Falk sie nur wenige Meter vom Standpunkte des Beobachters auflas, nicht mehr wahrnehmen, sondern den geglückten Fang überhaupt nur dadurch feststellen kann, daß der Vogel die Beute fliegend verzehrt, zu diesem Behufe die Fänge vorschiebt, mit dem Schnabel etwas aus ihnen nimmt und verschlingt, worauf er sofort wieder rüttelnd schwebt und von neuem zum Fange sich anschickt. Je mehr der Abend herankommt, um so reger werden alle Bewegungen, weil mit hereinbrechender Nacht mehr und mehr Kerbthiere ihre Schlupfwinkel verlassen und umherschwärmen. Daher sieht man die Falken oft noch spät nach Sonnenuntergang ihrem Fange obliegen und erst, wenn die Nacht wirklich eingetreten ist, gemeinschaftlich ihren Schlafplätzen zufliegen, bei nebeligem Wetter dagegen, laut Robson, auf dem Boden sitzen oder dicht über demselben auf- und niederschweben, um noch eines der zurückgezogenen Kerbthiere zu erlangen. Sobald dann die Witterung sich aufheitert und die Sonne wieder klar vom Himmel scheint, erhalten sie auch ihre volle Lebendigkeit und Heiterkeit wieder.
Gegen die Brutzeit hin lösen sich die Scharen, welche gemeinschaftlich nach der Winterherberge gezogen, in ihr gesellt verblieben und verbunden heimgekehrt waren, in einzelne Paare auf, und man sieht jetzt die Männchen ebenfalls allerlei Schwenkungen zur Freude des Weibchens ausführen, überhaupt alle ihm eigenen Flugkünste entfalten. Doch spielen die Rothfußfalken, so weit ich beobachten konnte, verhältnismäßig weit weniger als Edelfalken und Weihen: Verbringen sie doch ohnehin die Halbscheid ihres Lebens im Fluge. Ueber die Fortpflanzung selbst habe ich zu meinem Bedauern eigene Beobachtungen nicht anstellen können und muß mich daher auf andere Forscher, namentlich Radde und Nordmann, stützen. Nach Angabe des erstgenannten legen sie sich ihren Horst im Mai auf Bäumen an und wählen hierzu vorzugsweise hohe Weiden; nach Angabe des letzteren richten sie nicht selten ein Elsternest zum Horste her. Ein solches geben die rechtmäßigen Besitzer nicht gutwillig her; das Falkenpaar muß daher harte Kämpfe bestehen, um sein Ziel zu erreichen, soll auch, wie man sagt, oft andere seiner Art zur Hülfe herbeirufen. Man hat behauptet, daß der Rothfußfalk gern in Baumhöhlungen niste, und diese Angabe ist durchaus nicht unwahrscheinlich. Die vier bis fünf Eier, aus denen das Gelege besteht, sind sehr klein, kugelig, feinkörnig und auf gelblichweißem Grunde mit blässeren und dunkleren rothbraunen Punkten und Spritzflecken dicht bedeckt. Anfang August sind die Jungen ausgeflogen und werden nun von ihren Eltern eifrig unterrichtet. Sobald sie die Kunst des Fangens erlernt haben tritt alt und jung die Winterreise an.
Leichter als jeder andere Edelfalk, den nächsten Verwandten und treuen Genossen vielleicht ausgenommen, läßt sich der Rothfußfalk durch einfache Fangvorkehrungen berücken. Eine Heuschrecke, Grille oder sonstiges größeres Kerbthier wird da, wo er vorkommt, in ersichtlicher Weise zur Schau gestellt und mit Leimruthen umgeben, welche an seinem Gefieder hängen bleiben und seinen Flug lähmen, sowie er sich anschickt, die erhoffte Beute aufzunehmen. Wie ich von denen, welche ich selbst pflegte oder in Thiergärten sah, folgern zu dürfen glaube, fügt er sich leicht in die Gefangenschaft. Ich darf wohl sagen, daß ein mit Rothfußfalken besetzter Käfig jedermann fesseln und jeden Beobachter anmuthen muß. Sie besitzen alle guten Eigenschaften der Falken und noch außerdem ihre Schönheit. Ihre Haltung ist zierlich, ihr Wesen verträglich, ihre Raubsucht, der Kerbthiernahrung entsprechend, verhältnismäßig gering. Ihnen gewidmete Aufmerksamkeit und Pflege erkennen sie dankbar an. Sie kennen ihre Freunde genau und begrüßen sie, wenn sie dieselben sehen, durch freudigen Zuruf. Ohne jegliches Bedenken darf man sie gesellschaftsweise zusammenhalten oder ebenso mit Röthelfalken zusammenbringen; sie würden sich wohl auch mit schwächeren Eulen vertragen. Es verursacht ihnen anscheinend Mühe, einen kleinen Vogel abzuwürgen, obgleich sie selbstverständlich solchen sofort angreifen. Meine Pfleglinge ernährte ich mit Drosselfutter; dabei schienen sie sich recht wohl zu befinden. Sie hatten sich bald an die Mischung gewöhnt und zeigten sich sehr geschickt, das Gemengsel auszuklauben. Sonderbar genug sieht es freilich aus, einen Falken in dem Gemische von klar gehacktem Fleische, geriebenem Brode, Möhren und Ameiseneiern herumstöbern zu sehen.
Als die nächsten Verwandten der Edelfalken dürfen wir die Habichte ( Accipitrinae) ansehen. Sie gehören zu den raubfähigsten Gliedern der Ordnung, übertreffen sogar in gewisser Hinsicht die Edelfalken noch; es fehlt ihnen jedoch der Adel, welcher jene auszeichnet. Die Familienkennzeichen liegen in dem gedrungenen Leibe mit etwas langem Halse und ziemlich kleinem Kopfe, in den kurzen abgerundeten Schwingen, dem sehr langen Schwanze und den hohen Läufen mit großen oder kleinen Fängen; denn die Länge der Zehen schwankt erheblich. Der Schnabel ist minder gewölbt und seitlich mehr zusammengedrückt als bei den Edelfalken, der Zahn gewöhnlich weniger deutlich und weiter nach hinten stehend; doch kommen auch hier Abänderungen vor. Der nackte Kreis ums Auge fehlt. Das Gefieder ist dicht und ziemlich weich, auf der Oberseite in der Regel dunkel blaugrau, auf der unteren lichter, oft dunkler gebändert. Im Alter sind beide Geschlechter gleich gefärbt; die Jungen hingegen unterscheiden sich wesentlich durch das Gefieder von ihren Eltern.
Die Unterfamilie, welche etwa achtzig Arten zählt, verbreitet sich über alle Erdtheile; gewisse Sippen sind auf der ganzen Erde heimisch. Einzelne finden sich innerhalb eines sehr ausgedehnten Gebietes, wenige scheinen beschränkt zu sein. Im Gegensatze zu den Edelfalken bewohnen die Habichte fast ausnahmslos dichte Waldungen und halten sich hier möglichst verborgen, wie es ihr Strauchritterleben erfordert. Auch sie sind begabte Geschöpfe, jedoch nicht in gutem Sinne, Mordgier und List ihre hervorstechenden Eigenschaften. Ihre leiblichen Begabungen lassen nichts zu wünschen übrig. Sie fliegen rasch und ungemein geschickt, sind im Stande, ihre Richtung jählings in eine andere umzuändern und bewegen sich, fast nach Art der Marder, in den verschlungensten Gebüschen mit überraschender Gewandtheit, meiden jedoch so viel als möglich die Höhen: ihr Flug führt meistens niedrig über der Erde hin. Auf dem Boden gehen sie gut, obgleich mit Zuhülfenahme ihrer Flügel; das Geäst dichter Bäume durchschlüpfen sie mit ungewöhnlicher Fertigkeit. Sie sind furchtbare Feinde aller Thiere, welche sie bezwingen können. Ihre Jagd gilt den Säugethieren wie den Vögeln; sie verschmähen selbst Lurche nicht. Sie fangen im Fliegen, im Sitzen, im Laufen und im Schwimmen und verfolgen die einmal ins Auge gefaßte Beute mit einer Rücksichtslosigkeit ohne gleichen. Ihre Mordgier läßt sie nicht selten ihre Sicherheit vergessen. Mit starken Thieren balgen sie sich in wüthendem Kampfe oft lange herum, bis ihnen der Sieg gelingt. Zuweilen büßen sie in solchen Kämpfen ihr Leben ein.
Unter sich halten die Habichte ebenso wenig Freundschaft wie mit anderen Thieren. Das Weibchen frißt sein Männchen auf, die Mutter oder der Vater seine Kinder, und diese fallen, wenn sie stark genug sind, über ihre Eltern her. Nur wenn sie ihre Raubsucht und Freßgier vollständig befriedigen können, halten sie Frieden innerhalb der Familie im gewöhnlichen Sinne des Wortes.
Die Vermehrung der Habichte ist leider eine verhältnismäßig starke; denn das Gelege besteht aus einer beträchtlichen Anzahl von Eiern. Der Horst wird stets auf Bäumen, meist aber niedrig über dem Boden angelegt und, wie es scheint, immer selbständig errichtet. Einzelne Arten verzieren ihn sehr hübsch durch grüne Reiser, welche sie unter Umständen wiederholt erneuern. Angriffe gegen die Brut versuchen sie mit Heldenmuth abzuwehren: sie stoßen furchtlos selbst nach dem Menschen.
Alle Habichte sind schädliche Vögel, welche die rücksichtsloseste Verfolgung nothwendig machen. Hinsichtlich der Edelfalken läßt es sich entschuldigen, wenn man ein gutes Wort einlegt: den Habichten Fürsprecher zu sein, würde als Frevel an der übrigen Thierwelt erscheinen. Man hat zwar auch sie abgerichtet und aus einzelnen schätzbare Baizvögel gewonnen; im allgemeinen aber ist nicht einmal dieser Nutzen so hoch anzuschlagen, als es vielleicht scheint: das störrische Wesen dieser Vögel macht die Abrichtung schwierig und selten belohnend.
Im Käfige sind die Habichte unausstehliche Geschöpfe. Ihre Freßgier, ihre Unverträglichkeit, ihre Mordlust erschweren die Haltung und verwehren ein Zusammensperren mit anderen Vögeln gänzlich. Sie werden um so verhaßter, je genauer man sie kennen lernt.