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Die Mäusevögel ( Coliidae ), welche eine auf Afrika beschränkte, sehr kleine, nur sieben bekannte Arten zählende Familie bilden, weichen von allen übrigen Vögeln ab und sind deshalb von den verschiedenen Forschern bald hier-, bald dorthin gestellt worden. Linné zählte sie zu den Finken, während andere Vogelkundige eine bestimmte Stellung im Systeme gar nicht finden zu können meinten. Erst Swainson wies ihnen den Platz an, welchen sie gegenwärtig ziemlich unbestritten einnehmen, indem er sie als Verwandte der Pisangfresser erklärte. Da die letzteren am meisten noch mit den Kukuksvögeln übereinstimmen, müssen unter den Leichtschnäblern auch die Mäusevögel ihren Platz finden; verkennen läßt sich jedoch nicht, daß ihre Verwandtschaft mit anderen Mitgliedern der Ordnung zweifelhaft ist.
Alle bis jetzt bekannten Mäusevögel ähneln sich in so hohem Grade, daß der Versuch, die Familie in mehr als eine Sippe ( Colius) zu zerfällen, als hinfällig erachtet werden muß.
Ihr Leib ist lang gestreckt, fast walzenförmig, muskelig, der Schnabel kurz, dick, gewölbt, von der Wurzel an gebogen, an der Spitze etwas zusammengedrückt, der Oberschnabel mit schwachem Haken über den unteren herabgekrümmt, der Fuß kurzläufig, aber langzehig, der Fittig, in welchem die vierte mit der fünften und sechsten Schwinge die anderen überragen, kurz und stark gerundet, der Schwanz mehr als doppelt so lang als der Leib. Zu den besonderen Eigenthümlichkeiten gehören die Bildung der Füße und die Beschaffenheit des Gefieders. Bei ersteren können nämlich alle vier Zehen nach vorn gerichtet oder die beiden seitlichen nach hinten gewendet werden; das letztere ist, soweit es den Leib bekleidet, außerordentlich fein und zerschlissen, so daß die Federn den Haaren der Säugethiere ähneln. Dagegen erscheinen die zwölf langen Schwanzfedern wiederum durch ihre auffallende Steifheit bemerkenswerth. Jede einzelne Feder besitzt einen sehr starken Schaft mit zwei ziemlich gleich schmalen steiffaserigen Fahnen. Die mittleren Schwanzfedern sind wenigstens viermal so lang als die äußeren, wodurch eine Abstufung entsteht, wie sie in der ganzen Klasse kaum noch einmal vorkommt. Ein schwer zu bestimmendes Fahlgrau, welches bald mehr, bald weniger in das Röthliche oder Aschfarbene spielt, ist vorherrschend, der Name Mäusevögel also auch in dieser Hinsicht gut gewählt.
Während meiner Reise in Afrika habe ich zwei verschiedene Arten dieser sonderbaren Vögel kennen gelernt, ihre Sitten und Gewohnheiten aber so übereinstimmend befunden, daß es genügend erscheinen muß, wenn ich nur eine einzige Art beschreibe und auf sie alles beziehe, was über die Gruppe überhaupt bekannt geworden ist.
Der Mäusevogel ( Colius macrourus oder senegalensis, Lanius und Urocolius macrourus) erreicht eine Länge von vierunddreißig, eine Breite von neunundzwanzig Centimeter; die Fittiglänge beträgt zehn, die Schwanzlänge vierundzwanzig Centimeter. Die vorherrschende Färbung ist ein zartes Isabellröthlichgrau, welches auf dem Oberkopfe ins Isabellgelbliche, auf dem Kinne und der Kehlmitte ins Weißfahle, auf der Unterbrust ins Isabellgraulichgelbe übergeht. Ein Fleck auf der Nackenmitte ist lebhaft himmelblau, der Mantel, also Schultern und Flügel, hell aschgrau. Die Schwingen und Steuerfedern haben innen in der Wurzelhälfte zimmetrostrothe, in der Endhälfte erdbraune Färbung. Das Auge ist rothbraun, ein glänzendes, nacktes Feld um dasselbe nebst Zügel und Schnabelwurzel lackroth, der Schnabel an der Spitze schwarz, der Fuß korallroth. Männchen und Weibchen unterscheiden sich nicht durch die Färbung.
Das Verbreitungsgebiet der beschriebenen Art dehnt sich über einen großen Theil Afrikas aus, im Nordosten vom südlichen Nubien und dem Bogoslande bis in das Nilquellengebiet, im Westen von Senegambien an bis zum Damaralande. Ich fand ihn zuerst in der südlichen Bahiuda und von hier an in allen von mir bereisten Theilen Ostsudäns; Heuglin begegnete ihm in den Tiefländern wie in den Gebirgen von Abessinien bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe empor, traf ihn aber nicht mehr am oberen Weißen Nile an und glaubt deshalb, daß der Vogel nicht weit südlich geht.
Die Mäusevögel sind, wie es scheint, auf Afrika beschränkt; denn die Angabe älterer Schriftsteller, daß sie auch in Indien gefunden werden, bedarf wohl noch der Bestätigung. Sie bewohnen Mittel- und Südafrika, fehlen aber im Norden gänzlich, obwohl dort ihre Lieblingsbäume recht gut gedeihen; erst wenn man in die baumreiche Steppe eingetreten ist, begegnet man ihren Flügen. In den eigentlichen Urwaldungen sind sie stellenweise sehr häufig und in den innerafrikanischen Städten wie in den Ortschaften des Kaplandes regelmäßige Erscheinungen. Einzelne Arten scheinen hinsichtlich ihrer Verbreitung beschränkt zu sein, andere verbreiten sich von der West- bis zur Ostküste und vom sechzehnten Grade nördlicher Breite bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung. Alle Arten aber finden sich nur da, wo es Bäume oder Gebüsche gibt, welche anderen Vögeln im buchstäblichen Sinne des Wortes undurchdringlich sind.
Levaillant war der erste Forscher, welcher ausführlich über die merkwürdigen Vögel berichtete. Er erzählte sonderbare Dinge von ihnen, welche schon damals mit Kopfschütteln ausgenommen wurden und heute noch Anstoß erregen. Gleichwohl hat er schwerlich unwahres mitgetheilt. Ich selbst glaubte, nachdem ich die Mäusevögel länger beobachtet hatte, Levaillant widersprechen zu können; neuere Beobachter aber haben seine Mittheilungen so vollständig bestätigt, daß ich dies jetzt nicht mehr zu thun wage.
Alle Mäusevögel im eigentlichen Sinne leben in Familien oder kleinen Gesellschaften, gewöhnlich in solchen von sechs Stücken. Sie nehmen in einem Garten oder in einem Waldtheile ihren Stand und durchstreifen nun tagtäglich mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein ziemlich ausgedehntes Gebiet. Zum Mittelpunkte desselben wird unter allen Umständen derjenige Theil gewählt, welcher die dichtesten Gebüsche besitzt. Wer nicht selbst die Pflanzenwelt der Gleicherländer aus eigener Anschauung kennen lernte, mag sich schwerlich einen Begriff machen von derartigen Bäumen oder Gebüschen, wie jene Vögel sie bedürfen. Ein ohnehin dichtwipfeliger Baum oder Busch, welcher in weitaus den meisten Fällen dornig ist, wird derart mit Schmarotzerpflanzen überdeckt, umsponnen und durchflochten, daß man von dem eigentlichen Baume vielleicht nur hier und da einen durchbrechenden Ast gewahren kann. Das Netz, welches diese Schlingpflanzen bilden, ist so dicht, daß es nicht bloß für den Menschen und andere Säugethiere undurchdringlich ist, sondern daß man sich nicht einmal mit dem Jagdmesser eine Oeffnung aushauen kann, daß der Vogel, welcher auf solchem Busche sich niederläßt, vor jedem Feinde, selbst vor dem Geschosse des Jägers, geschützt ist, weil dieser den getödteten nicht aufnehmen könnte, auch wenn er sich alle nur denkbare Mühe gäbe. Auf weite Strecken hin schließen die Rankengewächse einen Theil des Waldes vollständig dem zudringlichen Fuße ab und lassen hierdurch Dickichte entstehen, deren Inneres für immer Geheimnis bleibt. Solche Waldestheile sind es, welche die absonderlichen Gesellen bewohnen, die dichtesten von den Gebüschen, in denen sie sich umhertreiben. Kein anderer Vogel ist im Stande, da einzudringen, wo der Mäusevogel noch lustig durchschlüpft oder richtiger durchkriecht; denn auch in seinem Betragen erinnert der sonderbare Gesell an das Säugethier, welches ihm seinen Namen leihen mußte. Wie dieses zwängt er sich durch die schmalsten Oeffnungen, wie dieses drängt er sich durch Verzweigungen, welche ihm gerade so viel Raum lassen, daß er seinen Leib eben durchpressen kann. Ein Flug erscheint an der einen Wand eines solchen Busches, hängt sich einen Augenblick hier fest, findet in dem nächsten eine Oeffnung und ist im Nu verschwunden. Ist man so glücklich, den Busch umgehen zu können, so gewahrt man, daß nach einiger Zeit an der entgegengesetzten Wand ein Kopf, nach dem Kopfe der Leib und endlich der ganze Vogel zum Vorscheine kommt. Ein Schreien wird laut, alle Köpfe zeigen sich, und plötzlich schwirrt der ganze Schwarm geradeaus einem zweiten Busche zu, um hier in eben derselben Weise zu verschwinden. Wie die Vögel es angestellt haben, um das Innere des Busches zu durchdringen, bleibt dem Beobachter ein Räthsel: es gehört eben ihre ganze Mäusefertigkeit dazu. Der Flug selbst ist wechselweise ein Schwirren und ein Schweben mit weit ausgebreiteten Flügeln und etwas gebreitetem Schwanz, welcher wie eine Schleppe nachschleift. Levaillant vergleicht den Schwarm überaus treffend mit dahinfliegenden Pfeilen: so, genau so, wie ein durch die Luft schwirrender Pfeil, sieht der Mäusevogel aus. Zu größeren Höhen steigen die fliegenden Mäusevögel niemals empor, und ebensowenig kommen sie auf den Boden herab. Während des Fliegens schreit die ganze Bande gemeinschaftlich auf, jeder einzelne läßt einen schrillenden Laut vernehmen, welcher wie »Kirr kirr« oder »Tri tri« klingt; aber alle schreien zusammen, und so vereinigen sich die Töne zu einem mit Worten nicht wiederzugebenden Geschwirre.
Levaillant erzählt, daß die Mäusevögel sich beim Schlafen klumpenweise an die Zweige hängen, den Leib nach unten gekehrt, ein Vogel an dem anderen, so, wie sich bei schwärmenden Bienen eine an die andere ansetzt. Ich habe dies nie gesehen; Verreaux aber behauptet, beobachtet zu haben, daß sich ein Vogel mit einem Beine aufhängt, ein zweiter an den ersten, ein dritter an das noch freie Bein des zweiten anklammert und so fort, so daß mitunter Ketten von sechs bis sieben Stücken an einem Aste herabhängen, bestätigt also Levaillants Angabe vollständig. Nach meinen Beobachtungen nimmt der Vogel in der Ruhe, also auch im Schlafen, eine eigenthümliche Stellung an. Er sitzt nämlich nicht bloß mit den Füßen auf dem Aste, sondern legt sich mit der ganzen Brust darauf. Da nun bei dieser Stellung die Fersengelenke sehr gebogen und die Fußwurzeln hart an den Körper gelegt werden müssen, sieht es allerdings aus, als ob er an dem Aste hänge; im Grunde genommen klebt er nur an ihm. Während er sich bewegt, nimmt er auch oft die Stellung unserer Meisen an, indem er sich auf kurze Zeit von unten an den Ast hängt. Dies aber geschieht immer nur vorübergehend.
Levaillant erzählt nun weiter, daß es keine Mühe verursache, Mäusevögel zu fangen, sobald man einmal den Schlafplatz ausgekundschaftet habe. Man brauche nachts oder am frühen Morgen nur zu dem Busche hinzugehen und den ganzen Klumpen wegzunehmen. Die Vögel seien so erstarrt, daß nicht ein einziger entkomme. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich diese Angabe nicht vertreten mag. Ich habe keine einzige Beobachtung gewonnen, welche ein derartiges Betragen der Vögel möglich erscheinen lassen könnte. Allerdings sind die Mäusevögel niemals scheu. Wenn man sich Mühe gibt, kann man die ganze Familie nach und nach herabschießen; denn ehe die letzten an die Flucht denken, hat der geübte Jäger sein Werk beendet. Harmlos und vertrauensselig mag man sie nennen: so dumm aber, daß sie sich mit Händen greifen ließen, sind sie denn doch nicht. Ihr verstecktes Treiben in dem dichten, allen Feinden unnahbaren Gebüsche macht sie unvorsichtig; doch wissen sie recht wohl zwischen einem gefährlichen und einem ungefährlichen Thiere zu unterscheiden. In den Gärten sind sie sogar ziemlich vorsichtig.
Die Nahrung scheint auf Pflanzenstoffe beschränkt zu sein. Ich habe früher geglaubt, daß sie auch Kerbthiere fressen, bei meiner letzten Reise nach Habesch aber in dem Magen aller derjenigen, welche ich erlegte, nur Blatttheile, namentlich Knospen, Fruchtstücke und weiche Körner gefunden. Die Früchte des Christusdorns bilden in Mittelafrika ihre Hauptnahrung. In den Gärten gehen sie die Kaktusfeigen und die Trauben an, naschen nach Hartmanns Erfahrungen aber auch die süßen Limonen. Sie fressen in den verschiedensten Stellungen, wie unsere Meisen, indem sie sich bald von unten an die Zweige hängen, bald an die Früchte anklammern etc. In den Gärten Mittelafrikas klagt übrigens niemand über den Schaden, welchen sie anrichten; am Vorgebirge der Guten Hoffnung hingegen werden sie lästig, weil sie dort, wie es scheint, in viel größerer Menge auftreten als in Mittelafrika. So viel ist gewiß begründet, daß es kein Mittel geben mag, sie, wenn sie einmal stehlen wollen, von den Pflanzen abzuhalten: sie finden gewiß überall eine Thüre, um zu den verbotenen Früchten des Paradieses zu gelangen.
Das Nest wurde bereits von Levaillant und später von Gurney, Hartmann, Anderson und Heuglin beschrieben. Ersterer sagt, daß es kegelförmig gestaltet, aus allerlei Wurzeln erbaut, auch mit solchen ausgekleidet sei und im dichtesten Gebüsche angelegt werde, eines neben dem anderen, da auch während der Paarungszeit die Geselligkeit der Vögel nicht endige. Nach Hartmann besteht das Nest aus Steppengras, Baumbast, Wollblättern und Pflanzenblüten und ist innen mit Pflanzenwolle ausgefüttert. Gurney gibt an, daß es mit frischen und grünen Blättern ausgekleidet werde, und wirft die Frage auf, ob wohl ein gewisser Grad von Feuchtigkeit für die Bebrütung nothwendig wäre. Heuglin fand das Nest zur Regenzeit, bis Ende September, drei bis fünf Meter über dem Boden auf Granatbüschen und Weinreben in den Gärten von Chartum, bezeichnet es als klein, platt und leicht gebaut und sagt, daß es aus trockenem Grase, Baumbast, Wurzeln und Reisern zusammengesetzt sei. Es enthält zwei bis drei sechzehn bis siebzehn Millimeter lange, vierzehn Millimeter dicke, ziemlich feinschalige, meist stumpf eigestaltige Eier von weißer Grundfärbung, welche mit wenigen, ziemlich scharf ausgedrückten, rostfarbigen Flecken, Strichen und Schnörkeln geziert sind. Auch Anderson gibt drei Eier als die gewöhnliche, wie er sagt, unabänderliche Anzahl des Geleges an. Im übrigen mangelt jede weitere Beobachtung über das Brutgeschäft.
Am Vorgebirge der Guten Hoffnung stellt man den Mäusevögeln ebensowohl ihrer Diebereien in den Pflanzungen als ihres saftigen Fleisches wegen eifrig nach. Dort werden auch viele gefangen; nach Levaillant gehören die Mäusevögel im Gebauer aber nicht zu den anmuthigsten Thieren. Sie drücken sich entweder auf den Boden des Käfigs und rutschen hier mühsam auf dem Bauche fort oder hängen sich oben an den Sprossen an und verweilen stundenlang in dieser Stellung. Neuere Beobachter scheinen anderer Ansicht zu sein; sie beschreiben die gefangenen als lebhaft und unterhaltend.