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XLVI.
»Der Pferdefuß.«

Aleck Larkins Roman, »Der Pferdefuß«, hatte nach vergeblichen Wanderungen am Ende doch noch einen Verlag gefunden. Wie ein Wahnsinniger raste der glückliche Autor nach Hause, als er den Brief empfangen hatte, der ihn über die Annahme des Werkes informierte. Er verbrachte einen Abend irrwitziger Ausgelassenheit mit seiner Frau und seinen Kindern, redete vor Begeisterung den größten Unsinn und umarmte unterschiedslos jeden, der ihm in den Weg kam. Nur Gertrudes rechtzeitige Warnung bewahrte ihn davor, seine Freude in derselben eindrucksvollen Weise auch dem Zimmermädchen zuteil werden zu lassen. Zum Abendessen öffnete er eine Flasche Champagner und hielt eine Rede, die ein Musterstück unfreiwilligen Humors wurde.

Gertrude erschien sie trotzdem schön, beredt und vollkommen vernünftig. Sie war mehr denn je überzeugt, dass Aleck ein bedeutender Mann sei, und steigerte sich in den Stolz auf eine historische Bedeutung hinein, wie Tassos Leonora oder Dantes Beatrice sie besaßen. Das Leben hatte doch noch etwas für sie auf Lager. War der Roman erst veröffentlicht, dann würde jeder sehen, was für ein wundervolles Werk es war. Das hatte sie Aleck die ganze Zeit gesagt, ihn aufgemuntert, wenn ihm der Mut sank, und ihn durch ihr aufrichtiges Lob zur Vollendung angespornt. Wie oft hatte er ihr gesagt, dass ohne sie das Buch nie hätte geschrieben werden können!Und sie wusste, dass dies stimmte, und eines Tages würde die Welt es vielleicht auch erfahren, und dann wäre ihr ein Anteil am Ruhm sicher. Es mochte sogar die Zeit kommen, wo sie ihrer Schwägerin ihr gönnerhaftes Verhalten mit Zinsen zurückzahlen könnte; und sie stellte sich vor, wie sie sich mit königlicher Würde durch prachtvoll erleuchtete Apartments bewegte und à la Kate einer ehrfürchtig bewundernden Menge huldvoll zunickte und lächelte.

Drei Monate vor Weihnachten erschien das Buch, und obwohl es keinen großen Tumult in den literarischen Kreisen hervorrief, erhielt es etwas mehr als bloß einen succès d'estime. Die einflussreichen Zeitschriften und Zeitungen besprachen es in der Regel freundlich; ein paar Rezensenten (unter ihnen Alecks journalistischer Schuldner von früher) schwelgten sogar geradezu in übertriebenen Prophezeiungen für seine Zukunft; ein schamloser Satiriker allerdings, der offenbar jemanden brauchte, den er fertig machen konnte, trat ihm vor's Schienbein und gab ihn der Lächerlichkeit preis. Aleck brchte es nicht übers Herz, dieses Produkt seiner Frau zu zeigen, und heuchelte fieberhaft Heiterkeit, um den Schmerz, den es ihm bereitete, vor ihr zu verbergen.

Aber sein frommer Täuschungsversuch hatte nur mäßigen Erfolg. Da Gertrude sah, dass etwas nicht stimmte, steckte sie ihn trotz seiner Proteste ins Bett und umhüllte seine Füße mit Senfwickeln. Sie hatte in den Zeitungen gelesen, dass in der Nachbarschaft verschiedene Fälle von Typhus aufgetreten waren, und fürchtete, dass Aleck sich aufgrund von Überarbeitung und Aufregung leicht anstecken könnte. Als das Fieber am nächsten Tag ausblieb, durfte er zwar aufstehen, wurde jedoch eine ganze Woche lang wie ein Kranker behandelt und mit Delikatessen und besorgter Zärtlichkeit verwöhnt.

Danach schwor er sich, er werde künftig die ungünstigen Kritiken seiner Frau ebenso zeigen wie die wohlwollenden; als ihm aber die nächste von jener Art in die Hände fiel, kam er zu dem Schluss, dass sie unvermeidlich deren Bedeutung übertreiben würde und es grausam wäre, ihr unnötig Schmerz zuzufügen.

Es gab besonders eine hämische und herablassende Besprechung in einer sehr maßgeblichen Zeitschrift, die ihm in der Tasche brannte und ihm unsäglich zu schaffen machte. Eine Weile dachte er, er müsse sie Gertrude zeigen, damit sie sich keiner übertriebenen Vorstellung seines Erfolgs hingab. Aber er wusste nur zu gut, das diese Rezension in ihrem Kopf alle Freude an dem Buch auslöschen würde; sein hübscher Erfolg würde sich in ein erbärmliches Versagen verwandeln; ja, er fürchtete sogar, dass diese Besprechung ihr die Augen für die unleugbaren Schwächen seiner Leistung öffnen und sie diese in ihrer Wertschätzung unwiederbringlich verwerfen werde. Sie war zu maßvollen Beurteilungen nicht fähig. In ihren Augen war er entweder ein Genie oder ein elender Stümper. Dazwischen gab es keine Abstufungen. Und wer könnte ihn dafür tadeln, dass er ersteren Charakter nicht mit dem letzteren tauschen wollte? Er empfand es als so erfreulich, in seiner Familie als Held zu gelten, beweihräuchert zu werden, sich seiner Bescheidenheit wegen schelten zu lassen aufgrund der liebevollen Überzeugung seiner Frau, dass er seiner Größe damit nur die Krone aufsetze.

Das endgültige Erwachen, wenn es denn ein solches war, aus diesem köstlichen Ruhmestraum geschah sechs Monate nach dem Erscheinen von »Der Pferdefuß«. Da nämlich traf die Stellungnahme des Verlegers ein; sie wies ein Anzahl von sechshundertsiebenundfünfzig verkauften Exemplaren aus. Da der Verfasser gemäß dem Vertrag auf das Copyright der ersten tausend verkauften Exemplare hatte verzichten müssen, erhielt er dementsprechend keinen einzigen Cent; und weil er außerdem voreilig einen Verkauf von einem Tausend garantiert hatte, blieb ihm zusätzlich die Aussicht, ein- oder zweihundert Dollar für sein Liebeswerben um die Musen zahlen zu dürfen.

Horace verbrachte zwei Wochen reinster Folter, ehe er sich entschloss, diesen demütigenden Stand der Dinge Gertrude zu gestehen; und er war auf Tränen, Vorwürfe und Anklagen vorbereitet, die er alle mit schuldbewusster Ergebung aushalten wollte. Doch wie staunte er, als die unberechenbare Gertrude anstatt der Rolle der Anklägerin die eines Trostengels einnahm.

Sie setzte sich auf seinen Schoß, und während sie seinen Schnurrbart mit gedankenvoller Miene zwirbelte, erzählte sie ihm alle möglichen bezaubernden Dinge über die Unfähigkeit der Welt, wahre Größe anzuerkennen, über das tragische Geschick des Genies im Allgemeinen und die letztendliche bitter-süße Rache eines posthumen Ruhmes. Sie sprach von Keats und Shelley, und obwohl Aleck keine Ähnlichkeit seines Schicksals mit ihren erkennen konnte, ließen ihre Worte in ihm ein Gefühl verdienstlichen Märtyrertums aufkeimen.

Er sah seine imaginären Werke einbalsamiert in würdevollen Bibliothekseditionen, die viel gelobt, aber selten gelesen wurden, und bemächtigte sich einstweilen eines Kapitels einer künftigen Geschichte der amerikanischen Literatur unter jenen Schriftstellern, deren berühmte Gaben erst zur Kenntnis genommen worden waren, als es ihnen nichts mehr nützen konnte.

Aleck kam nicht auf die Idee, dass Gertrudes Genügsamkeit nur vorgespiegelt wurde, dass sie ebenfalls Luftschlösser gebaut hatte, die ihr nun um die Ohren flogen. Er verfügte nicht über die Findigkeit, gewisse mysteriöse Briefe, die er von Immobilienmaklern erhalten hatte, mit einem Vorhaben von ihr in Verbindung zu bringen, das jetzt zum Scheitern verurteilt war.

Vielmehr hielt er es für ziemlich eigenartig, dass Leute, von denen er nie gehört hatte, ihm erzählten, wie glücklich sie sich schätzen würden, ihm ein wundervoll gelegenes und vollständig eingerichtetes Landhaus in Islip oder Irvington oder Bar Harbor mit Stall, Wagen usw. für die äußerst bescheidene Summe von 4 000 $, 6 000 $ oder 8 000 $, je nach dem, zu vermieten. Aber er schrieb diese Verschrobenheit ihrerseits dem Pflichteifer ihrer Agenten zu, die oft ihre Besonnenheit überschritt.

Wenn er sich hätte träumen lassen, dass Gertrude aufgrund der Einnahmen aus seinem Buch gehofft hatte, ein hübsches Sommerdomizil zu mieten, wo sie ungezwungen und in stillvergnügter Abgeschiedenheit hätten leben können, wäre ihm das finanzielle Scheitern seines Unternehmens noch mehr zu Herzen gegangen.

Denn er wusste, welch eine Plage der Sommer für sie darstellte, in zweitklassigen Long-Island-Pensionen, voll von vulgären, aggressiven Leuten, deren einziges Ziel zu sein schien, einem zu beweisen, dass sie genauso gut waren wie man selbst, und wahrscheinlich »ein ganzes Stück besser«.

Gertrude war kultiviert und empfindlich; es war ihr nicht gegeben, aus ihrem Leben zu erzählen, und vertrauliche Mitteilungen aus dem Leben anderer bei nur kurzer Bekanntschaft nahm sie nur mit einer gewissen Reserviertheit entgegen, die zu Animositäten führte. Sie war eine einzelgängerische Natur und hatte nie ganz einen lockeren Umgangston mit ihrem eigenen Geschlecht erworben. Die schreckliche Demokratie einer Sommerpension mit ihren Leidensmöglichkeiten schwebte ihr daher wie ein Damoklesschwert über dem Haupt.

Weit nach der üblichen Stunde des Zu-Bett-Gehens stand Gertrude, schwermütig in ihrer unerwarteten Opferfreudigkeit schwelgend, vom Schoß ihres Mannes auf, glättete vor dem Spiegel ihr Haar und erklärte mit einem Lachen, dass sie keinen weiteren Unsinn mehr brauchen könne und es Zeit werde, das er sich »benehme«.

Es gehörte zu ihren Gewohnheiten, alle »Dummheiten«, womit würdelose Gefühlskundgebungen gemeint waren, seinem Konto anzurechnen; und wenn er auch wusste, dass die Initiative nicht immer von ihm ausgegangen war, wehrte er sich gegen solche Vorwürfe nie. Denn sie war, wie bereits angedeutet, äußerst empfindlich und besaß, wenn man ihm Glauben schenken konnte, das verrückteste Gedächtnis der Vereinigten Staaten.

Die Studierlampe auf dem Schreibtisch wurde dunkler und drohte zu erlöschen. Kalter Februarregen schlug gegen die Fensterscheiben. Da erscholl durch das Haus mit aufschreckender Deutlichkeit ein lautes Bellen, das wie eine Mischung aus Hahnkrähen und Hundekläffen klang. Gertrudes Gesicht erstarrte plötzlich, und ihre Augen weiteten sich angstvoll.

»Was ist das, Liebling, was ist das?« schrie er aufspringend und ergriff ihre Hand.

»Krupp!« flüsterte sie; »lauf zum Doktor.«

Sie entwand ihre Hand seinem Griff, und nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, eilte sie zum Kinderzimmer. Da fand sie ihren vierjährigen Jungen Obed, wie er in seinem Schlafanzug neben dem Bett stand und sich an diesem festhielt, während ein fürchterlicher Husten seine kleine Gestalt von Kopf bis Fuß erschütterte.

Die Dampfheizung, diese Mörderin von Unschuldigen, war aus unerfindlichen Gründen, die nur der Hausmeister kennen mochte, auf auf fast 30° gestiegen. Das Kind, dem vor lauter Schwitzen unwohl geworden war, hatte seine Decken (trotz der Sicherheitsnadeln) abgeworfen, war aus dem Bett gerollt, hatte dort in einem Luftzug vom Fenster her, das oben etwas geöffnet war, weiter geschlafen, und sich so die gefährliche Krankheit zugezogen. Das Kindermädchen, das auf ihn aufzupassen hatte, war wie gewöhnlich durch Besuch in der Küche abgelenkt.

Der Doktor traf eine halbe Stunde später ein, maß die Temperatur des Jungen, lauschte auf sein Atmen und gab Anweisungen für seine Behandlung.

Aleck bat um die Erlaubnis, über ihn wachen zu dürfen, wurde jedoch mit Bestimmtheit zurück gewiesen. Wenn er trotz des Verbots vor der Tür herumlungerte, scheuchte Gertrude ihn ungeduldig fort.

»Was hat es für einen Zweck, wenn wir beide keinen Schlaf bekommen?« fragte sie; »du gehst in dein Zimmer und nimmst Ralph mit in dein Bett; und pass' auf, dass er nicht die Bettdecke 'runterschmeißt!«

»Mach' ich,« antwortete er, »wenn du mir versprichst, mich um zwei zu wecken und mich bis zum Morgen wachen zu lassen.«

»Na schön! Aber sprich jetzt nicht mehr; er ist eingeschlafen. Ps-ss-ss-t!«

Er hatte keine Wahl, er musste gehorchen. Schweren Herzens zog er sich aus, entschloss sich jedoch, wach zu bleiben, um notfalls gleich auf ihren Wink zur Stelle zu sein. Über eine Stunde unterstützte ihn sein Sohn Ralph, der trotz all seiner bezaubernden Eigenschaften kein erfreulicher Bettgenosse war, bei der getreulichen Einhaltung dieses Entschlusses; aber am Ende überkam Aleck doch die Besinnungslosigkeit, seine Gedanken verloren den Zusammenhang, und es verschlug ihn ins Land der Träume.

Er wusste nicht recht, wie lange er geschlafen hatte, aber es musste gegen fünf Uhr sein, als sein Sohn ihn aufweckte, indem er ihn zur rechten Zeit fragte:

»Papa, wer ist stärker: der Löwe oder der Adler?«

Aleck sah, wie das Tageslicht durch die geschlossenen Fensterläden spähte, und sprang schuldbewusst auf, warf sich den Morgenmantel über seine robe de nuit und machte sich auf zum Kinderzimmer.

Gertrude – bleich und im Morgenlicht fast abgezehrt wirkend – saß am Bett und hielt das kranke Kind auf ihrem Schoß. Ihre großen blauen Augen verrieten riesige Angst, ihr Gesicht war von Kummer gezeichnet, und etwas holdselig Mütterliches, wie ein Schimmern aus innerem Strahlenglanz, erleuchtete ihre edlen Züge.

Aleck, der darin die göttliche Gabe und höchste Berufung des weiblichen Geschlechts wahrnahm, schaute sie an mit einem Herzen, das von Zärtlichkeit überfloss.

»Wie geht es Obed?« frage er ein bisschen beschämt, denn ihm war bewusst, dass er nach fünf Stunden Schlaf aufreizend frisch und ausgeruht wirken musste.

»Wie es ihm geht?« antwortete sie mi bebenden Lippen. »Komm her und schau's dir an!«

Aleck kam auf Zehenspitzen her und fühlte die ganze Zeit ihre vorwurfsvollen Augen auf sich gerichtet.

»Wie fühlst du dich, Liebling?« sagte er zu dem Jungen und legte ihm die Hand auf seine heiße Stirn; »Papa tut es so leid, dass du krank bist.«

Das Kind lächelte schwach, antwortete jedoch nicht; seine arme kleine Brust hob sich schmerzvoll, und sein Atem kam mit quälendem Pfeifen und Röcheln durch den blockierten kleinen Hals.

»Ich schäme mich, Gertie,« fuhr Aleck fort, sich zu seiner Gattin umwendend.

»Das solltest du,« erwiderte sie kurz angebunden.

»Ich wollte wach bleiben, doch der Schlaf hat mich übermannt. Aber warum hast du mich nicht geweckt, wie du versprochen hast?«

»Wenn dich dein Kind so wenig kümmert, dass du um seines Lebens willen nicht einmal wach bleiben kannst, will ich deine Hilfe nicht,« versetzte sie mit furchtbarer Strenge.

»Wie kannst du so etwas zu mir sagen?« schrie er tief verletzt auf. »Sorge ich nicht für meine Kinder?«

»Oh, ja, so lange es dir keine Mühe macht, dich um sie zu kümmern.«

»Gertrude,« rief er, sie plötzlich alarmiert anstarrend, »was meinst du damit?«

»Ach, dass du ein gefühlloser Unmensch bist!« schrie sie, in einen Strom von Tränen ausbrechend. »Dein Kind hier stirbt, und du schläfst!«

Wenn sie ihm ins Gesicht geschlagen hätte, wäre Aleck nicht verblüffter gewesen. War dies seine feine, rücksichtsvolle Frau, die erst gestern abend durch ihr süßes Vertrauen und ihre Zuwendung sein Herz um eine Last erleichtert hatte?

In hoffnungsloser Verwirrung starrte er sie an. Sie hatte das Kind in seine Wiege zurück gelegt und war am Fußende des Bettes in die Knie gesunken, indem sie sich an der Bettdecke anklammerte. Er konnte es nicht über sich bringen, sie für ihre Ungerechtigkeit ihm gegenüber zur Rede zu stellen, während ihr Herz aus Angst um ihr Kind zusammengepresst wurde.

Plötzlich erinnerte er sich an die Worte jenes Arztes, der vor Jahren gesagte hatte, dass sie schwache Nerven habe. Dieser Gedanke hatte ihm schon bei früherer Gelegenheit unendliche Erleichterung gebracht. Sie hatte gewacht, während er schlief. Ihre Nerven waren überspannt, ihr Kopf war von Angst und Schmerz gequält.

Wie ein Pfeil traf ihn die Ahnung, dass womöglich ihre Liebe zu dem Kind tiefer als seine eigene war. Wie oft hatte er Genugtuung bei dem Gedanken gespürt, dass er ein guter und liebevoller Vater sei! Und doch war seine Zuneigung nicht stark genug gewesen, ihn wach zu halten, während das Leben seines Jungen in Gefahr war.

Er wurde in diesen Grübeleien durch die Ankunft des Doktors unterbrochen. Gertrude stand auf, wischte die Tränen fort und gab, um Fassung kämpfend, einen Bericht über die Nacht. Der Arzt untersuchte das Kind und erklärte dann, dass nur ein Luftröhrenschnitt sein Leben retten könne. Ein weiterer Arzt wurde hinzugezogen und die Operation erfolgreich ausgeführt.

Der Tag verging in fieberhaftem Wechsel von Hoffnung und Furcht. Am Nachmittag schien es zu einem großen Fortschritt zu kommen; die Temperatur des Jungen sank, sein Atem wurde leichter. Gertrude ließ sich dann bewegen, sich etwas auszuruhen, und Aleck übernahm es, bei Obed zu bleiben. Er empfing widerspruchslos hundert Anweisungen und versprach, sie Wort für Wort auszuführen.

Das Kind war so mit Kissen aufgebettet, dass es im Bett sitzen konnte. Nachdem seine Schmerzen etwas nachgelassen hatten, war seine Lebhaftigkeit zurückgekehrt. Obed unternahm Mitleid erregende Versuche, mit seinem Vater zu spielen, indem er ihm seinen Finger in den Mund steckte, sein Haar in die Stirn zog und an seinem Schnurrbart zupfte; und nach jedem Schabernack stieß er ein tonloses Lachen aus, das Aleck anrührte.

Als er dieser Unterhaltung müde wurde, brachte sein Vater ihm eine Schachtel mit farbigen Weihnachtskerzen, woran er sich eine weitere halbe Stunde vergnügte. Da machte er durch Zeichen deutlich, dass er sie angezündet haben wollte, und Aleck, der nicht das Herz hatte, ihm das zu verwehren, rieb ein Streichholz an und entzündete eine Kerze. Der kleine Junge schürzte seine Lippen und versuchte sie auszublasen, konnte es aber nicht, weil er ja durch die Röhre in seinem Hals atmete. Er entdeckte indes, dass er, wenn er seinen Finger auf die Öffnung an der Luftröhre legte, die Flamme zum Flackern bringen konnte. Der große Erfolg dieses Experiments führte zu seiner Wiederholung.

Als aber beim dritten Versuch die Kerze ausgeblasen war, bekam er einen heftigen Hustenanfall, fiel würgend zurück, wurde schwarz im Gesicht, und als seine Mutter bleich vor Angst in der Tür erschien, machte er noch einen kläglichen Versuch, ihren Namen zu rufen. Sie nahm ihn in ihre Arme, seine kleinen kämpfenden Fäuste schrammten ihre Wange und fielen dann erschlafft auf seine Brust. Es war ein totes Kind, das sie an ihr Herz presste.

Doch oh weh! das Elend der folgenden Tage, der Wechsel zwischen heftigen Anfällen von Kummer und weicher, tränenreicher Trauer in fast erstaunter Resignation; hoffnungslose Einsamkeit im Schmerz und Vereinigung der Herzen im gemeinsamen Schicksal; ohnmächtige Auflehnung gegen Gottes unergründliche Wege und angstvolles Spähen hinter den Vorhang der Ewigkeit; das schreckliche Gefühl unserer Bedeutungslosigkeit; die Abstumpfung erschöpfter Gefühle – es wäre vergeblich, dies beschreiben zu wollen. Omar Khayyams furchtbare Verse deuten es an:

»Wenn du und ich einst hinter'm Schleier sind,
     Wie lange Zeit wird dann die Welt uns währen,
Die unser Kommen und Verschwinden wahrnimmt
     So wie die sieben Meere einen Kieselstein.«

Aleck hatte mit seinem Kummer gerungen, bis er nicht mehr wusste, ob er oder jener bezwungen war, und machte sich nun daran, die Bestattung zu regeln. Er setzte eine Todesanzeige in die Zeitung, nicht etwa weil es jemanden gab, der sie zur Kenntnis nehmen sollte (denn er hatte nur wenige Bekanntschaften in New York), sondern einfach um dem Brauch Genüge zu tun.

Als der Tag der Beerdigung kam, befanden sich außer dem Geistlichen und dem Bestatter, nur sechs Leute im Raum, alles Alecks Schulkollegen. Der weiße Sarg stand auf einem Tisch in der Mitte des Wohnzimmers, und Gertrude, die mit tränenlosen Augen auf das liebliche kleine Gesicht starrte, wunderte sich, dass diese kleine Gestalt, die noch vor wenigen Tagen von so ruheloser Lebendigkeit erfüllt gewesen war, jetzt so still da lag.

Der Geistliche hatte soeben sein Gebetbuch geöffnet und wollte den Gottesdienst beginnen, als an der Tür ein großer, grauhaariger Mann erschien. Er ging zum Sarg, stand einige Minuten da und starrte das tote Kind an. Gertrude, die seinen Schritt erkannt hatte, ehe sie sein Gesicht sehen konnte, stand auf und ging zu ihm hin.

»Kind,« sagte er heiser, ihre beiden Hände ergreifend, »ich möchte den kleinen Obed nach Hause bringen.«

Sie versuchte zu antworten, brachte jedoch keinen Ton heraus. Ihre Zunge war wie gelähmt, und ein Kloß steckte ihr im Hals.

»Kind,« fuhr der alte Herr fort, sie feierlich anschauend, »dich möchte ich auch nach Hause bringen.«

»Aber Aleck – Vater,« stammelte sie mühsam.

»Den nehmen wir auch mit.«

Es war sehr still im Raum. Die helle Wintersonne strömte durch die Fenster herein, fiel auf Gertrudes Kopf und beglänzte ihr Haar mit einem feinen goldenen Schimmer. Die Uhr auf dem Kaminsims tickte emsig weiter in der Stille. Der Geistliche stand da mit seinem geöffneten Buch und schaute von einem zum anderen; er wollte endlich mit der Zeremonie beginnen.

Aleck war unterdes nach vorn gekommen und hielt die Hand seines Onkels. Ihre Augen suchten, einem gemeinsamen Impuls folgend, das tote Kind, dessen friedliches Gesicht die Sonne erleuchtete.

Ein grausamer Stich durchfuhr Gertrudes Herz; es gab keine rosige Lichtdurchlässigkeit, kein lebhaftes Spiel der Gesichtszüge, das auf das blendende Licht reagierte. Die blutleere Todesblässe, die eingesunkenen, glanzlosen Augen ließen den Schmerz wieder aufleben, und ein entsetzliches Gefühl von Verlassenheit und Verlust überwältigte sie.

Als die klare Stimme des Geistlichen durch die Stille erklang: »Ich bin die Auferstehung und das Leben,« flutete ihr eine starke Welle von Ergriffenheit durch die Seele; sie warf sich ihrem Vater an die Brust und weinte.

Der Gottesdienst war bald zu Ende; es kam der qualvolle Moment, dass der Sarg geschlossen und fremden Händen übergeben wurde; und die ganze furchtbare Tragödie der Sterblichkeit mit ihren ehrwürdigen Rätseln näherte sich ihren leidtragenden Herzen. Aber irgendwie war es auch ein Trost für sie, dass das Kind in die Familiengruft in Torryville kommen würde und nicht in diese trostlose Totenstadt, diese abscheuliche Demokratie des Todes, auf Long Island.

   

Am Nachmittag bestiegen sie den Zug nach Torryville und kamen dort spät am Abend an. Am Bahnhof trafen sie mit Horace und Kate zusammen, in deren Wagen sie feierlich zur alten Larkin-Villa gefahren wurden. Und nach dem Abendessen, als alle in der großen Bibliothek versammelt waren, ging der alte Herr zum Kamin; während er ziel- und planlos im Feuer herumstocherte, sprach er sich dies von der Seele:

»Ich möchte, dass du kapierst, Kind, dass das dein Haus ist. Eigentlich hatte ich es dir geben wollen, Horace. Aber ich werde meine Hypothek auf dein Haus kündigen; so wird es auf dasselbe hinauslaufen. Ich werd' bei Gertie und Aleck bleiben, so lang' ich noch lebe. Und ich will, dass ihr gute Freunde bleibt, Jungs, und euch nicht wegen Eigentum oder sonst 'was verkracht. Ich werd' alles tiptop hinterlassen; die menschliche Natur is' halt, wie sie is', und ich will keine Risiken eingehn. Für dich, Aleck, werd' ich 'n Ankerplatz an der Hochschule kriegen. Du hast 'n Buch geschrieben, da kannste, schätz' ich, auch als Englisch-Professor gehn; zufällig ha'm w'r in der Abteilung g'rad' 'was frei, und wenn nich', dann würd' ich 'was frei machen. Und euer kleiner Junge, Obed – Gott sei seiner Seele gnädig – also – alles, was ich sagen will, ist – sein Leben und Sterben war – nicht umsonst.«

   

Ungefähr eine Woche nach diesem Gespräch, als sein neues Gefühl von Eigentümerschaft an der großen Villa bereits etwas abgeklungen war, holte Aleck seinen Onkel ein, als dieser die Straße um den See entlang wanderte. Der alte Herr war nie ein großer Fußgänger gewesen; aber seine Verdauung machte ihm Schwierigkeiten, und daher hatte sein Arzt ihm verordnet, täglich eine Stunde spazieren zu gehen. Da ging er denn mit ausgreifendem Schritt, hielt seinen massiven grauen Kopf gebeugt und heftete seine Augen auf den Boden; und dann und wann, wenn er ein Stück gefrorenen Pferdemists erspähte, stieß er mit der Spitze seines Stocks hinein und warf es über den Zaun auf das benachbarte Feld.

Aleck bemerkte, dass die Schneefläche rechts vom Zaun schwarz von diesem nützlichen Düngemittel war, dagegen auf der linke Seite nur grau vom Staub und Ruß der Eisenbahn. Und er musste lächeln, als er darüber nachsann, dass das Feld rechts zum Larkin-Besitz gehörte, der Streifen Land zwischen See und Straße dagegen Mr. Dallas. Und dieser Mann von Millionen – dieser große Philanthrop – beschäftigte sich während seiner Morgenspaziergänge damit, gefrorenen Pferdemist aufzuspießen und en passant sein eigenes Feld lieber als das seines Nachbarn zu düngen!

Zugegebener Maßen schämte Aleck sich für seinen Onkel und bedauerte, ihn bei einer so unwürdigen Tätigkeit erwischt zu haben. Denn er wollte ihn gerne aufrichtig bewundern – was ihm in der Vergangenheit oft genug schwer gefallen war. Er tat daher so, als bemerke er den häufigen Einsatz des Stockes als Mistgabel gar nicht, während er Mr. Larkin einholte, und sie gingen dann zusammen weiter.

Eine Weile sprachen sie über gleichgültige Dinge, wie es gerade kam, bruchstückhaft und etwas verlegen. Sie hatten einander nie sehr nahe gestanden. Die über Jahre zur Gewohnheit gewordene Haltung ließ sich nicht (so sehr es beide auch wünschten) mit einem Schlag ändern. Es ging dabei um Gefühle, nicht um Argumente.

Nach fünf Minuten erreichten sie einen Hügel, von dem aus man die Hochschulgebäude sehen konnte, in deren langen Fensterreihen das Sonnenlicht glitzerte.

Der alte Herr hielt an, stieß seinen Stock in den Boden und schaute mit nachdenklicher Genugtuung auf die massive Reihe rechteckiger Gebäude.

»Aleck,« brach es plötzlich aus ihm heraus, während sein Gesicht von einer seltenen Begeisterung erleuchtet wurde; »mit Gottes Hilfe hoffe ich lange genug zu leben, dass ich noch den Tag erlebe, wenn eintausend junge Männer und Frauen diesen Hügel hinaufsteigen, um Wissen zu erwerben.«

Er wies dabei energisch auf die Gruppe von Sandsteingebäuden, als er diese Wort aussprach, und heftete einen um Mitgefühl flehenden Blick auf seinen Neffen.

Aleck hingegen, bei dem die Pferdemistepisode einen unerfreulichen Eindruck hinterlassen hatte, antwortete:

»Aber Onkel, was willst mit so einer Menge von Studenten anfangen? Das Land würde sich am Ende noch blamieren, wenn höhere Bildung so billig zu haben wäre.«

Der alte Herr war offensichtlich auf eine solche Antwort nicht vorbereitet, schüttelte aber deren Gedanken einfach ab wie eine lästige Fliege und bemerkte im Ton tiefster Überzeugung:

»Nein, Aleck, nein. Kein Mensch blamiert sich, weil er Wissen erwirbt, sondern nur wegen seiner Unwissenheit. Ich weiß das. Ich war ein armer Junge und hatte keine Chance, etwas aus Büchern zu lernen. Ich dachte immer, ich hätte es zu etwas bringen können in der Welt, wenn ich diese Chance gehabt hätte. Ich will nicht, dass irgend ein armer Junge oder ein Mädchen, so wie ich, darunter leidet, keine Chance zum Lernen zu bekommen und dann spüren zu müssen, wie ich, was aus ihm oder ihr hätte werden können. Das ist der Grund, weshalb die Hochschule da oben auf dem Hügel steht, Aleck, und wenn ich es nicht mehr erlebe, dass dort oben eintausend Studenten lernen, dann wirst du es gewiss tun.«

Er nahm seinen rostfarbenen Kastorhut ab, wischte ihn innen mit seinem Halstuch aus, setzte ihn wieder auf seinen Kopf und nahm seinen langsamen, schwerfälligen Spaziergang wieder auf.

Aleck blieb mitten auf der Straße stehen. Blitzartig schoss ihm eine Einsicht durch die Seele und zeichnete sich mit rascher Erleuchtung auf seinem Gesicht ab. Er erkannte die ergreifende Seite im Leben seines Onkels, sein Scheitern inmitten seines Erfolgs und den grundlegenden Adel des Charakters, der sich damit enthüllte.

Als er zu dem alten Mann wieder aufschloss, lag ein neues Licht in seinen Augen, und seine Stimme verriet herzliche Wärme; dies ließ Mr. Larkin einen Augenblick aufschauen, ohne dass er freilich die erfreulich empfundene Überraschung merken ließ.

Dies war der Beginn ihrer neuen Beziehung, welche durch die Jahre noch reifer und tiefer wurde.



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