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XXIV.
Ein edler Römer.

Während der Abschlussfeierwoche gab es verschiedene Festlichkeiten, an denen weder Hawk noch Gertrude teilnehmen wollten. Mr. Larkin erschien wie gewöhnlich, weil er, neben dem Gouverneur des Bundesstaates, den hauptsächlichen Würdenträger bei dieser Gelegenheit darstellte. Er hielt seine jährliche Ansprache, die jedes Jahr gleich war und doch nie ihren Neuigkeitswert verlor; ihr unfehlbarer Erfolg überzeugte Mr. Larkin, dass sie nicht verbessert werden könnte. Sie war kurz, denn Mr. Larkin erhob keinen Anspruch auf Redekunst, und lautete, wie folgt:

   

Meine Mitbürger!

Die einen könn'n reden, die andern handeln; aber es is' nich' oft derselbe, der beides gut kann. 'n paar von euch könn'n sich, glaub' ich, an die Zeit erinnern, als diese Stadt g'rad 'mal zweitausend Einwohner hatte, kein Gas, schlechtes Wasser und viel Schüttelfrost. Die Straßen war'n ungepflastert, und man musste verrückt sein, sie zu Fuß bei schlecht'm Wetter zu überquer'n. So sah's hier aus, als ich hier ankam. Es gab zwei Kirch'n – eine methodistische und eine presbyterianische. Ich will gar nich' darüber red'n, wie's oben auf'm Hügel aussah. Das war 'ne totale Wildnis. Nun, Mitbürger, ich will nich' prahl'n, aber schau'n Sie 'mal 'rum und sag'n Sie mir, was Sie seh'n. Ihre Aug'n wer'n auf die stattlichen Turmspitz'n von sieb'n Gotteshäusern treff'n; Geschäfte jeder Art, gefüllt mit teuren Waren, steh'n an unsren Straß'n. Wir ha'm 'n Wasserspeicher, der das Fieber erledigt hat, und wir ha'm 'ne erstklassige Entwässerungsanlage; und unsere Stadt hatte bei der letzt'n Volkszählung 11 249 Einwohner. Was, meine Mitbürger, hat uns nun diese große Veränderung beschert? Ich sag': die Larkin-Hochschule! (Donnernder Applaus.)

Die Hochschul'n in diesem Land war'n, bis diese Institution gegründet wurde, nur Orte für die Söhne reicher Leute. Ich wollte 'ne Hochschule gründen für die Söhne armer Leute. (Applaus.) Kein Luxus, kein Schnickschnack und Humbug, keine Oxford-Klamotten – nix, was sich 'n armer Mann nich' leist'n kann. Ich hoffe, ich leb' lang' genug, um den Tag zu erleb'n, wenn tausend junge Männer und Frauen diesen Hügel 'raufsteig'n mit dem edlen Ziel zu lern'n. Wenn ich's nich' mehr erleb': 'n paar von euch werden's tun. Ich bin 'n einfacher Mann, hatte nich' viel Unterricht als Junge, aber ich hatt' immer den Wunsch danach. Und als Gott meine Mühe segnete und mir Wohlstand gab, war mein erster Gedanke: gib den vielen tausend Jungs im Land, denen es geht wie mir, die Gelegenheit zur Bildung. Das war's, was ich versucht hab' zu tun; und wenn Gott weiter dieses Werk gedeih'n lässt, dann schätz' ich 'mal, dass wir's mit SEINER Hilfe 'n' Erfolg nenn'n könn'n.«

   

Die Mitglieder der Larkin-Familie hatte diese Ansprache so oft gehört, dass sie sie nicht mehr interessierte. Gertrude lauschte ihr immer mit brennenden Ohren und einem Gefühl des Unbehagens. Es kam ihr vor, als rede sie selbst und und verfalle in fehlerhafte Grammatik. Aleck schämte sich für die rhetorischen Mängel und die offensichtliche Schlussfolgerung, welche die Leute ziehen mussten, dass nämlich sein Onkel die Hochschule als Immobilien-Spekulationsobjekt gegründet hatte und um den kommerziellen Wohlstand der Stadt zu fördern. Aber irgendwie brauchten die Leute ziemlich lange, um einen solchen Schluss zu ziehen, und waren jedenfalls nicht gesonnen, dem alten Mann gegenüber eine kritische Haltung einzunehmen. Sie wussten, er meinte es gut, was immer er auch darüber sagen mochte. Horace war der einzige unter Mr. Larkins Dach, von dem eine Kritik an der Rede nicht krumm genommen worden wäre. Aber Horace, der sah, wie amerikanisch sie war und wie typisch für ihren Urheber, gefiel sie ohne Vorbehalt, und so weigerte er sich, Verbesserungen vorzuschlagen.

Am Abend des Entlassfeiertages gab Mr. Larkin für den Gouverneur und den Stiftungsrat ein Abendessen. Mr. Robbins war für das Tischgebet geladen, das er mit der für diese Gelegenheit nötigen Beredsamkeit sprach.

Die Abendessen des Gründers waren allerdings puritanisch frugal und fade. Wein gab es nicht; das Apollinaris-Wasser erinnerte zu stark an Arznei und Verdauungsstörungen, um als Stellvertreter akzeptiert zu werden. Zigarren waren gleichfalls tabu, und der Gouverneur, der sehr abhängig von diesem nachmahlzeitlichen Rauchopfer war, musste hinaus auf den Vorplatz gehen, um sich seiner zu erfreuen. Mr. Larkin nämlich verstand keine Andeutungen, wo seine Überzeugungen beteiligt waren, und verlor einiges an Respekt für den Charakter des Gouverneurs, als er sah, wie dieser sein giftiges Kraut genoss. Dieser Magistrat andererseits schied mit vermehrter Bewunderung des Gastgebers, aber das war einem Vorfall geschuldet, der sich ereignete, bevor die Zigarren an der Reihe waren.

Die versammelten Würdenträger hatten gerade die Suppe abgefertigt und prüften die Qualität des Seebarschs, als die Bedienung Mr. Larkin ein Telegramm überreichte. Er öffnete und las es und steckte es, ohne die Miene zu verziehen, in die Tasche. Die Unterhaltung, die sich hauptsächlich um Hochschulangelegenheiten drehte, verlief ohne Unterbrechung weiter, und niemand hatte eine Ahnung, dass etwas Außerordentliches geschehen war. Nach Beendigung der Mahlzeit jedoch, als die Gäste ins Wohnzimmer gegangen wren, winkte Mr. Larkin Horace zu sich und übergab ihm das Telegramm. Es las sich folgendermaßen:

Saginaw, Michigan

Alle Fabriken und Holzlager haben diesen Nachmittag gebrannt. Grund des Feuers unbekannt. Senden Sie Bevollmächtigten.

Hawkins.

Horace wusste, dass dies einen Verlust von bis zu einer halben Million Dollar bedeutete. Denn Mr. Larkin schloss nie Versicherungen ab. Er vertrat die Auffassung, dass es sich nicht auszahle. Wenn es für den Versicherer daran einen Profit gebe, behauptete er, könne es keinen für die Firmen geben; und weil die Firmen gewöhnlich reich wurden, argumentierte er, dass die Versicherer gewöhnlich gelackmeiert seien. Er zog es vor, seine Risiken selbst auf sich zu nehmen und seine Profite selbst einzuheimsen. Seine Holzfabriken in Saginaw bildeten gegenwärtig sein Lieblingsunternehmen und hatten ihm hübsche Zinsen auf seine Investition eingebracht.

»Am besten, Du nimmst den 10.15-Uhr-Zug,« war alles, was er zu Horace sagte, und »In Ordnung,« war alles, was Horace antwortete.

Sie waren lakonische Burschen, verstanden aber einander so vollkommen, dass Worte zwischen ihnen überflüssig schienen. Sie waren aus demselben Holz geschnitzt, und ihre geistigen Prozesse arbeiteten im gegenseitigen Einklang ihres Bewusstseins.

Horace konnte sich indes das Vergnügen nicht verkneifen, den Gouverneur wissen zu lassen, was für ein feiner alter Römer der Kopf des Hauses Larkin sei. Und der Gouverneur, ein Demokrat, wurde an Thomas Jefferson erinnert, der auf einem Spaziergang mit einem berühmten Franzosen stürzte und sich den Arm brach, den Weg aber fortsetzte, glänzend sprach und den Unfall keiner Beachtung würdigte.

   

Trotz Mr. Larkins Liebe zu seiner Hochschule hatte sich über die Jahre eine verborgene Animosität zwischen ihm und dem Lehrkörper entwickelt. Der alte Herr mit all seiner Wohltätigkeit war etwas anmaßend und nicht zu der Einsicht zu bringen, dass die Professoren, die sich – seiner Meinung nach – ohne ihn im Nirgendwo befunden hätten, nicht ihm persönlich verantwortlich und nach seiner Laune zu entfernen waren. Er neigte dazu, seinen Einfluss in allen Bereichen der Hochschule nachdrücklich geltend zu machen, und seine Stimme wurde bei der Ernennung jedes Beamten als entscheidend betrachtet, vom Präsidenten bis zu den Hausmeistern und den Putzfrauen, die die Räume reinigten. Er duldete kein Genörgel bei solchen Sachen, und der Stiftungsrat und der Lehrkörper gaben sich am Ende damit zufrieden, ihm wegen seiner hervorragenden Begründungen beizupflichten.

Die Studenten machten Mr. Larkin ebenfalls große Schwierigkeiten. Er liebte sie als Kollektiv, verabscheute sie allerdings als Individuen. Nicht ganz zu Unrecht bemerkte Professor Dowd (der Lieblingsfeind des Gründers), dass Mr. Larkin zwar seine Hochschule liebe, jedoch fast niemanden leiden konnte, der mit ihr verbunden war.



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