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XXVI.
Ernster Zwischenfall.

Der Brand der Holzfabriken kam Horace nicht ungelegen, weil es ihn zwang, sich weit weg von zu Hause aufzuhalten, und es ihm so ermöglichte, seine Versäumnisse als Liebhaber den Anforderungen des Berufs anzulasten. Nachdem Mr. Larkin das Schadensmaß festgestellt und die Wiederaufbaupläne gebilligt hatte, überließ er alles seinen Händen und freute sich insgeheim über die von jenem bezeigte Gerissenheit beim Durchschauen von Täuschungen und Entdecken von Betrügereien. Horace prüfte jeden Posten in den Kostenvoranschlägen, die ihm unterbreitet wurden, mit Sinn fürs Praktische und kühlem Verstand, was seinem Onkel Freude machte.

Es verlautete zudem gerüchteweise, dass Horace, weil die Wagenradfabrik in Torryville wegen der Sommerzeit die Arbeit eingestellt hatte, von dieser Firma etwa zwei- bis dreihundert eingebürgerte Arbeiter mit demokratischen Neigungen ausgewählt, nach Michigan verfrachtet und sie dort zum Wiederaufbau der Holzfabriken eingestellt habe. Man hätte blinder als eine Fledermaus sein müssen, um nicht zu erkennen, was das zu bedeuten hatte; denn diese zwei- bis dreihundert Hibernier »Hibernia« ist der klassische lateinische Name für Irland. würden vor November wieder zurück sein, und dann würden sie den Preis für diesen Handel dadurch bezahlen, dass sie Horace Larkin ihre Wahlstimme gäben.

Gerüchte zu diesen Vorgängen erreichten auch das Pfarrhaus und verursachten Mr. Robbins viel Verdruss. Er erachtete solche Praktiken als nachgerade unehrenhaft und konnte die verstohlene Bewunderung, mit der sie im Allgemeinen angesehen wurden, nicht genugsam verdammen. Bella brachte sich wiederholt in Schwierigkeiten bei ihren Freundinnen, indem sie Horace' Integrität verteidigte und diejenigen, die es wagten, sie in Frage zu stellen, direkt der Lüge bezichtigte; sie fühlte sich dann aber schlecht belohnt, wenn Horace über ihren Eifer lachte und ihr scherzhaft empfahl, sich nicht mit der Verantwortung für seine Untaten zu belasten.

Manchmal riss ihr bei seinem ewigen Scherzen der Geduldsfaden, was entweder auf Mangel an Vertrauen oder an Respekt verwies; sie vermied jedoch sorgfältig alles, was ihn auch nur die geringste Spur von Missbilligung hätte ahnen lassen. Denn natürlich konnte sie ihn nicht zwingen, sich ihr anzuvertrauen; sie musste dankbar hinnehmen, was er ihr bot. Und sie liebte ihn mit einer hingebenden Zuneigung und Leidenschaft, die (sobald ihre Ungeduld aufgebraucht war) alles, was er sagte und tat, brillant und perfekt erscheinen ließ. Sie redete sich ein, dass es nichts gebe, was sie wünsche oder wünschen könne, das sie nicht in ihm finde.

Seinen seltenen, kühlen Liebkosungen ergab sie sich mit geradezu ergreifender Zärtlichkeit und schwelgerischer Selbstauslöschung; dies versetzte seinem Herzen oft einen Stich und ließ ihn zurückschrecken vor jenem Vorhaben, das vollständig ausformuliert im Hintergrund seines Verstandes auf die richtige Gelegenheit wartete. Er war sich über die Grausamkeit dieses Vorhabens sehr wohl im Klaren, beschönigte sie aber mit dem Gedanken, dass es um ihretwillen und nicht seinetwegen geschah, dass er die Beziehung weiter laufen ließ. Er verfolgte nicht den Plan, sie als dernier ressort Letztes Mittel. in der Hinterhand zu behalten, im Falle Kate ihn zurückwies; denn er zweifelte nicht im Mindesten an seiner Fähigkeit, Kate zu gewinnen, und hätte es auch als unwürdig betrachtet, verdeckt zu spielen und ihr Vertrauen zu missbrauchen, das er doch so sehr begehrte.

Andererseits hielt er es für vollkommen richtig und anständig, die Brücken hinter sich in Flammen aufgehen zu lassen, eine Verlobung zu lösen, die mit einer falschen oder unvollkommenen Einschätzung der Lage eingegangen worden war; einen gelegentlichen Anfall von Mitleid oder Selbstverachtung konnte er freilich nicht abwehren. Gleichwohl blieb sein Entschluss unverändert; er wollte seinen Vorsatz mit schuldiger Freundlichkeit und Rücksichtnahme ausführen, ohne mehr Schmerz zu erregen als unbedingt nötig. Er wartete nur auf einen günstigen Augenblick und auf eine Entschuldigung oder Ausrede, die ihm wenigstens eine gewisse Rechtfertigung verschaffte.

   

In der Zwischenzeit wurden die Vorbereitungen zu den herbstlichen Wahlen von den politischen Führern zügig voran getrieben; und die Nominierung für die Landkreisversammlung war Horace wie erwartet angetragen worden. Tatsächlich hatte er »seine Netze ausgelegt«, wie man sagt, und zwar mit solcher Durchtriebenheit, dass es keine Alternative mehr zu seiner Nominierung gab, wenn man nicht eine Niederlage riskieren wollte. Da die Parteiführer aber wussten, dass er über reichliche Mittel verfügte, verlangten sie eine Einlage von dreitausend Dollar, die er nach einigem Bedenken zu zahlen versprach. Er wusste sehr genau, dass sie ihn fürchteten, da sie vorhersahen, dass es an dem Tag, wo er das Steuer ergriff, mit ihrer Macht vorbei sein werde. Für ein politisches Führungsamt war er wirklich ideal gerüstet: er besaß Menschenkenntnis und war mit Scharfsinn begnadet, im Temperament gelassen und unbelastet von überflüssigen Skrupeln.

Unglücklicher Weise hatte er sein Geld so gut angelegt, dass er es vorzog, lieber einen Kredit für die Zahlung der Einlage aufzunehmen, als von seinen Pfandbriefen oder Aktien etwas zu verkaufen. Es fiel ihm dabei ein, dass er Aleck einen Gefallen tun würde, wenn er einiges von dessen Bankeinlagen aus dem Geldumlauf herausholte; Aleck fehlte nämlich auffällig der Sinn fürs Finanzielle, er verschwendete seine Mittel für Nichtigkeiten auf eine Art, die seinem Bruder Herzweh erzeugte. Darum geschah es auch aus einem wohltätigen Impuls, dass er ihn wegen eines Darlehens ansprach.

»Ich hab' ungefähr 500 $ Bargeld,« sagte er; »und wenn du mir mit 2 500 $ aushelfen könntest, wär' ich dir sehr verbunden.«

Aleck, der in Hemdsärmeln rauchend im Büro saß und eine populäre Zeitschrift las, schaute zu seinem Bruder auf mit seinem einnehmendsten Lächeln und rief:

»Ja, natürlich; ich wäre der glücklichste Mensch der Welt, wenn du alles nähmst, was ich habe. Mein Bankkonto ist unglaublich überfüllt, seit ich dieses schlaue Gutachten, das in Wirklichkeit von Dir kam, in dem Fall ›McTavish vs. Henley‹ abgab.«

»Vielleicht,« sagte Horace, »sollte ich dir sagen, wofür ich das Geld brauche.«

»Nur wenn du unbedingt möchtest.«

»Nun, es gibt keinen Grund, es dir nicht zu erzählen.«

In dieser Offenherzigkeit steckte vielleicht eine Spur Boshaftigkeit; Horace wollte seinen Bruder zum particeps criminis machen – zu einem Komplizen bei etwas, das dieser missbilligte. Er stellte sich vor, dass Aleck noch mehr solcher Lektionen brauchte, ehe er zu einem Erfolg praktischer Art gerüstet war. Sein empfindliches Gewissen musste bombardiert werden, bis es dickhäutig wurde.

»Du weißt,« fuhr Horace fort,« dass ich beim Parteitag nächste Woche für die Landkreisversammlung nominiert werde. Die Sache ist todsicher.«

»Nein, wusste ich nicht,« sagte Aleck arglos; »und du bist bereit, die Nominierung vom Partei-›Apparat‹ zu akzeptieren?«

»Wenn du mir eine andere Organisation in diesem Landkreis nennen kannst, aus deren Händen eine Nominierung etwas wert ist, will ich darüber nachdenken.«

Aleck warf seine Zeitschrift auf den Tisch und rauchte eine Weile schweigend.

»Horace,« stieß er dann hitzig hervor, »du weißt genauso gut wie ich, was für ein Haufen niederträchtiger Schwindler diese Leute sind. Ich dachte, du hättest zu viel Selbstachtung, um mit denen gemeinsame Sache zu machen.«

»Na ja, mein Junge, man muss die Welt nehmen, wie sie ist. Ich kann sie in meiner kurzen Lebenszeit nicht verbessern. Für Märtyrertum hab' ich sowieso nichts übrig. Ich möchte etwas Konkretes erreichen, und um das zu können, muss ich von dem Werkzeug Gebrauch machen, das ich griffbereit finde. Wenn ich erst mein eigenes Werkzeug konstruieren müsste, nachdem ich das alte zerstört hätte, käme ich nicht weiter.«

Aleck antwortete nicht sofort, sondern saß wieder da und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Eine blaue Schmeißfliege stieß wie betrunken gegen die Scheibe, torkelte auf die Fensterbank und warf sich mit einer Beharrlichkeit, die eines besseren Ziels wert gewesen wäre, erneut gegen das unsichtbare, aber unnachgiebige Material. Aleck hatte ihre verzweifelten, nutzlosen Kämpfe beobachtet, stand auf, öffnete das Fenster und ließ die Fliege hinaus.

»Warum,« fragte er impulsiv, »warum verschwört sich alles in der Welt gegen die Redlichkeit eines Menschen?«

»Weil der Durchschnittsmensch nicht sonderlich redlich ist,« erwiderte Horace umgehend; »er ist solange redlich, wie es sich auszahlt, nicht länger. Die Welt oder die Gesellschaft ist nur der Ausdruck durchschnittlicher menschlicher Moral; und diese ist das, was er darstellt.«

»Dann ist es die Pflicht jener, die über dem Durchschnitt der Moral liegen, ihre Fahne aufzuziehen und die Übrigen dazu zu bringen, ihnen zu folgen.«

»Gut, ich habe nichts dagegen, dass jemand so 'was macht, wenn sein Geschmack in diese Richtung geht. Aber er tut es auf eigene Gefahr, und ich wette zehn zu eins, dass er höchstens nach seinem Tod Erfolg hat. Sogar Christus hat als der Idealist, der er war, diese Tatsache erkannt, wenn er sagte: ›Darum schließ' Freundschaft mit dem ungerechten Mammon.‹«

»Aber die Schönheit, die Begeisterung, die Freude an solch einem Werk: ich glaube, das wäre mehr wert als eben das, was du Erfolg nennst.«

»Ich mag falsch liegen, aber ich kann keine Schönheit darin entdecken, wenn einer mit dem Kopf gegen eine Steinmauer rennt; und darauf läuft es in Wirklichkeit hinaus.«

»Aber im Laufe der Zeit könnte vielleicht der Kopf, wenn auch unter Schmerzen, eine Wirkung auf die Mauer haben.«

»Ja, aber inzwischen hätte die Mauer auf den Kopf eine viele tiefere Wirkung gehabt.«

»Aber stell dir 'mal vor, die Mauer würde einen großartigen, schönen Ausblick verbergen und die Menschheit von dieser erhebenden Freude ausschließen: wäre es nicht einen zerbrochenen Kopf wert, ja sogar tausend zerbrochene Köpfe, diese Mauer zerstört zu haben?«

»Deinen Kopf mag es wert sein, meinen nicht. Solange jemand anders dieses Anrennen besorgt, hab' ich absolut nichts dagegen. Ich würde sogar applaudieren und privat seinen Kopf bandagieren. Aber am Ende kommt dabei heraus: es ist töricht, das Unmögliche zu versuchen, mag es noch so vortrefflich sein.«

»Wer nie das Unmögliche versucht, wird nie das Mögliche erreichen,« versetzte Aleck mit großartiger Begeisterung.

Horace, der sich mit dem Rücken zu seinem Bruder auf den Drehstuhl gesetzt hatte, stand auf und begann umher zu schlendern. Er zündete sich eine neue Zigarre an – eine schwarze, starke, würzige Havanna –, paffte den wohlriechenden Rauch zur Decke und baute sich vor Aleck auf.

»Es hat keinen Zweck, darüber zu reden,« sagte er; »wir werden in dem Punkt nie einig werden. Du bist schrecklich eigensinnig, weißt du? Aber gib mir den Scheck über die 2 500 $, und ich will dir deine Ketzereien nachsehen.«

Aleck zog ziemlich zögerlich ein Schubfach auf und entnahm ihm sein Scheckbuch.

»Horace,« sagte er, sich bis in die Haarspitzen verfärbend, »weißt du, wofür dieses Geld verwendet wird?«

»Ich glaub' schon.«

»Und du willst mir keinen Streich spielen, wie zum Beispiel vor einem Jahr, als du mir rietest, Buggys zu mieten und den Familieneinfluss zu nutzen, damit Wolf gewählt wird?«

»Quatsch! Sei nicht albern. Ich brauche das Geld, und zwar heute.«

»Um deine Nominierung zu bezahlen?«

»Du kannst es so nennen, wenn du willst.«

»Dann wär's mir lieber, du würdest es von jemand anderm borgen. Ich möchte nicht Teil eines solchen Handels werden.«

Horace war kein reizbarer Mensch; sein Zorn war schwer entflammbar, er glühte und schwelte lange vor dem Aufflackern.

»Sag das noch 'mal,« verlangte er ruhig unter Zähneknirschen.

»Ich denke, du hast gehört, was ich sagte,« erwiderte sein Bruder und bemühte sich, seine Erregung zu meistern; »ich sehe keinen Grund, es zu wiederholen.«

»Und du willst mir das Geld nicht leihen?«

»Nein.«

»Du hältst mich für kaum etwas Besseres als einen Halunken, hm?«

»Das hast du gesagt, nicht ich.«

»Und du glaubst dich zum Richter meiner Handlungen aufschwingen zu können, hm?«

Er sprach zwar mit äußerer Gefasstheit, aber seine Stimme schwankte vor unterdrückter Wut; und seine Augen schauten häßlich verkniffen.

»Dafür kann ich nichts,« gab Aleck zurück; »du selbst hast mein Urteil herausgefordert.«

»Bist du so ein verfluchter Dummkopf, dass du glaubst, es würde für mich den kleinsten Unterschied machen, ob du mir deine erbärmlichen Pfennige leihst oder nicht?«

»Nein; aber ich bin dumm genug, meine Ehre unbefleckt halten zu wollen. Ich möchte aufrecht leben – nicht leidlich aufrecht oder einigermaßen aufrecht, sondern absolut aufrecht. Wenn du annimmst, dass alle meine Bekenntnisse zu diesem Thema bloß leere Phrasen sind, muss ich dich eines Besseren belehren. Wenn wir getrennte Wege gehen müssen, wie ich fürchte, dann denke von mir nicht schlechter als nötig.«

Horace stand bleich, missmutig und entschlossen da, sein Kinn auf der Brust, seine Zigarre kauend, und starrte aus verkniffenen Augenlidern seinen Bruder an. Seine Wut, die wie ein unterirdisches Feuer in ihm arbeitete, glühte klar, flammenlos und ohne Rauch, der sein Urteil hätte vernebeln können. Die Worte »wenn wir uns trennen müssen« summte ihm in den Ohren; es war ihm schon früher oft die Idee gekommen, dass eine Lösung der Partnerschaft mit Aleck zu seinem Vorteil wäre, aber er hätte nie gedacht, dass Aleck selbst so dumm wäre, diesen Vorschlag zu machen, und ebenso wenig hatte er selbst dies je vorgehabt. Er liebte Aleck, soweit er überhaupt fähig war, jemanden zu lieben; und er hatte ihm gegenüber immer das Gefühl eines brüderlichen Beschützers empfunden, was durchaus einer Zuneigung zu Gute kommt. Außerdem gab es eine herzliche Kameradschaft zwischen ihnen, die so keiner von ihnen je mit einem anderen eingegangen war. Trotz aller Unterschiede in Geschmack und Temperament waren sie wesensverwandt. Horace mochte Alecks Neigung zu Poesie und Literatur verurteilen, weil sie sich, wie er behauptete, mit beruflichem Erfolg nicht vertrug; aber er konnte kaum die Augen davor verschließen, welch ein gutes, edles Wesen sich in diesen vermeintlichen Verirrungen kund tat; und dass er selbst durch die Unterhaltungen mit seinem Bruder und dessen Lektüre seine eigene Bildung indirekt vervollständigte, war auch nicht zu leugnen.

All diese Erwägungen, falls sie ihm vor Augen traten, wurden indes überwältigt durch eine instinktive Gier, den Vorteil eines Augenblicks zu nutzen, der vielleicht nie wiederkehrte. Wut und empörtes Ehrgefühl veranlassten seine Worte, in denen aber auch eine ruhige kleine Stimme der Berechnung mitsprach, als er zur Tür schritt und über die Schulter zurückblickend schrie:

»Du Dummkopf, du hast immer nur dein Leben weg geworfen!«



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