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XXV.
Aufregende Verlobung.

Man ertrug in Torryville das Sommerwetter, wie man andere Heimsuchungen der Schicksals ertrug: mit grimmiger Unterwerfung. Man lief vor ihm nicht weg, einmal weil es nicht absolut untragbar war, und zum andern aus Mangel an Geldmitteln. Die Larkins, eine Ausnahme von dieser Regel, blieben aus Gewohnheit zu Hause und weil sie dort Annehmlichkeiten besaßen, die ihnen woanders kein Geld verschaffen konnte.

Gertie hatte Dr. Hawk dazu gebracht, ihre Verlobung geheim zu halten, bis sie ihm erlaube, sie bekannt zu geben. Dieses Versprechen hatte sie hauptsächlich deshalb verlangt, weil es so wunderbar war, etwas zu verbergen zu haben, und wohl auch, weil sie Aleck keinen Kummer machen wollte, der sich die Sache zweifellos sehr zu Herzen nehmen würde. Sie ahnte dunkel, dass Aleck sie lieb hatte, und sie wusste auch, dass sie Aleck sehr lieb hatte. Aber immer hatte etwas zwischen ihnen gestanden, wie eine unsichtbare Wand, und sie begriff allmählich, dass Hawk dies war.

Ihr war ein paar Mal der Gedanke durch den Kopf gegangen, dass Alecks Liebe zu ihr nicht brüderlicher Art sei, sondern dass er lediglich durch seine halbbrüderliche Verwandtschaft mit ihr davon abgehalten wurde, die wahre Natur seiner Empfindung zu enthüllen. Besonders in letzter Zeit hatte sie bemerkt, wie traurig sein Blick auf ihr ruhte, und welch stummen Vorwurf er enthielt. Sie zweifelte nicht, dass er bereits alles wusste, was sie ihm zu sagen hätte; aber das schien nur ein zusätzlicher Grund, ihm das unumstößliche Wissen zu ersparen.

Nicht dass sie ihre Wahl bereut oder das geringste Bedenken im Hinblick auf deren Klugheit gehabt hätte. Allerdings nahm Aleck eine kleine zarte Stelle in ihrem Herzen ein, und dieses tat weh, wenn sie nur an den Schmerz dachte, den er ihretwegen erleiden musste. Er war so freundlich, gut und zuverlässig, fast zu gut, fürchtete sie; denn wenn er einen Schuss Schlechtigkeit oder wenigstens ein geheimnisvolles Vorkommnis oder etwas ähnliches von früher her aufzuweisen gehabt hätte, wären seine hübsche Erscheinung und seine höflichen Manieren viel höher geschätzt worden. Gertrude hielt es in diesem Punkt durchaus mit der Mehrzahl ihres Geschlechts: ungetrübte Güte war langweilig.

Ihre Verlobung blieb eine ziemlich aufregende Angelegenheit, auch nachdem die Neuigkeit ihren Reiz eingebüßt hatte. Denn Hawk war von Stimmungen abhängig, an einem Tag unbeschwert und heiter (wenn auch stets ein Hauch Theatralik in seiner Freude mitschwang), und am nächsten von schwerer Trübsal bedrückt. Ständig kämpfte er mit dem Existenzproblem, indem er ›auf ewig‹ (zumindest wenn man die Gespanntheit seiner Geisteshaltung zum Maßstab nahm) die Sphinx am Hals gepackt hielt, um sie zur Auflösung ihres wertgeschätzten Rätsels zu zwingen.

Manchmal peinigte er Gertrude durch die Erklärung, dass die Quintessenz menschlicher Weisheit in dem Wort Resignation liege. Für einen Mann, der sich gerade verlobt hatte, schien das jedenfalls seltsam, und sie zermarterte sich das Hirn, was sie gesagt oder getan hatte, das ihm missfallen haben könnte. Sie hatte sich verpflichtet gefühlt, ihm die Geschichte mit ihrer Mutter zu erzählen, und nun bekümmerte sie der Gedanke, dass er vielleicht seine Verlobung bereue, nachdem er die Komplikationen entdeckt hatte, in die sie ihn womöglich verwickelte. Lag sie richtig mit der Vermutung, dass sie aus seiner Sicht wegen dieser unglückseligen Mutter weniger begehrenswert war? Tatsächlich hatte er kaum Überraschung bekundet, als sie die Umstände des Treffens in der Trommelfell-Schlucht berichtete; und sie konnte den Verdacht nicht ganz los werden, dass er die ganze Geschichte schon kannte, vielleicht sogar die Unterhaltung mit angehört hatte. Dies war der Wermuthstropfen in ihrem Freudenbecher.

Sie wäre nicht auf den Gedanken gekommen – würde ihn sogar verächtlich zurückgewiesen haben, falls ihn jemand ihr gegenüber geäußert hätte – dass der Doktor seine kleinen privaten Theatervorstellungen aus purer Liebe zu ihnen inszenierte, und weil er überhaupt ein theatralischer Charakter war, der sich nicht zu alltäglichem Verhalten bescheiden konnte. Sie suchte immer wieder in ihren Worten, ihrem Verhalten nach Gründen für seine Launen, obwohl es solche in Wirklichkeit überhaupt nicht gab. Dennoch förderte er dieses Gefühl der Rechenschaftspflicht und machte ihr mit zärtlicher, gefühlvoller Stimme Vorhaltungen wegen Dingen, an die er vorher nie gedacht hatte, bis sie durch ihre eigenen ängstlichen Fragen aufgebracht worden waren. Er resignierte aus Prinzip in finsterer Trauer, war aber dabei so kleinlich, Gertrudes angebliche Vergehen als besondere Ursachen seiner Unzufriedenheit hinzustellen. Und sie fand nichts daran auszusetzen, dass er ihr Verhalten nach unerreichbaren Kriterien maß.

Ihr graute, kaum weniger als ihm, vor einem stumpfsinnigen Alltagslos; so ergab die ununterbrochene Spannung, in die seine wechselnden Launen sie versetzte, eine gewisse Lebenswürze und zwang sie, ihre eigenen Launen in der Schwebe zu halten. Sie konnte es sich nicht leisten, jedem Impuls von Erschöpfung und Niedergedrücktheit nachzugeben, wenn ihr gesamtes zukünftiges Glück auf dem Spiel stand; daher versuchte sie in ihrem Versöhnungseifer, sich selbst in Übereinstimmung mit dem umzuformen, was sie für seine Ideale hielt, indem sie ihre egoistischen Gewohnheiten aufgab und auf jeglichen Luxus verzichtete, bis auf den, seinen Augen gefällig zu erscheinen.

Ihr fehlte die Weltkenntnis, ihn als das, was er war, zu begreifen und zu beurteilen. Ihr schien er ein Held; der Glanz seiner Rede erregte und betäubte sie, und seine Unzufriedenheit nahm sie als bloßen Ausdruck seiner Überlegenheit. Wenn sie sich vor einem solchen Mann demütigte, fühlte sie sich erhoben; nur ihre Augen vermochten den Adel seines seltenen Geistes zu verstehen und zu schätzen; nur ihr Herz besaß die Erhabenheit, mit seinem im Gleichklang zu schlagen.

   

In Torryville ereignete sich in den Sommermonaten nichts von Bedeutung. Mrs. Larkin hatte jüngst den Mohammedanern ihr Wohlwollen entzogen, weil sie ihren Informationen zufolge am Christentum nur wegen der medizinischen Kenntnisse interessiert waren, die sie in der Beiruter Mission erwerben konnten, und anschließend wieder zum Dienst am Propheten zurückkehrten. Sie hatte sich jetzt überzeugen lassen, dass Madagaskar das ertragreichste Gebiet missionarischer Anstrengung sei, und rüstete gerade einen dünnen, triefäugigen jungen Mann für eine Expedition zu den Hovas Die Hova (oder Merina) sind die größte ethnische Gruppe (etwa 27 Prozent der Gesamtbevölkerung) Madagaskars; sie stammen hauptsächlich von Menschen aus der Region des heutigen Malaysias und Indonesiens ab, die vor rund 2 000 Jahren auf der Insel einwanderten. aus, deren Seelen sich nach dem Licht verzehrten. Sie wurde mit dem Alter immer mürrischer und wehleidiger, der Verkehr mit ihr immer schwieriger.

Die Aufmerksamkeiten des Doktors gegenüber Gertie nahm sie jedoch ziemlich rasch wahr und deutete sie als absichtlichen Affront gegen sich selbst. Sie schob ihre sämtlichen Erkrankungen für zwei Monate auf und war beinahe so weit, den widerwärtigen Dr. Sawyer einzuschalten. Diese Maßnahme schien freilich allzu radikal; schließlich konnte sie die Hoffnung, Hawk zu seiner Loyalität zurück zu ködern, nicht ganz aufgeben. Dass er mit Gertrude verlobt war, vermochte sie nicht zu glauben; denn das käme einer niederträchtigen Undankbarkeit gleich, die sie ihrem Liebling nicht zutraute.

Um die sommerliche Mattheit zu beleben und ihre überforderten Gefühle zu ventilieren, brachte Mrs. Larkin die Kirche ein wenig in Aufruhr und zwang den armen Mr. Robbins, für sie Partei zu ergreifen, obwohl sie ahnte, dass er mit der Gegenseite sympathisierte. Mrs. Larkin behauptete nämlich, dass der weltliche Geist, das Fleisch und der Teufel die Oberhand in der Kirche erhielten, und bezog sich zum Beweis auf die luxuriösen Toiletten, in denen gewisse Frauen (die sich solch eine Extravaganz wirklich nicht leisten konnten!) ins Gotteshaus kamen, mit Seide raschelten, mit Schmuck klimperten und mit prachtvollen Schleifen und Feder herumwedelten!

Es hatte tatsächlich einmal eine Zeit gegeben, als Mrs. Larkin selbst nicht ohne Anspruch in Bezug auf Kleidung gewesen war. Aber irgendwie schien sie so beschaffen, dass kein Kleid ihr saß; es traten Falten im Rücken und über der Schulter auf, und um ihre umfangreiche Taille herum wirkte ihre Garderobe schief und verdreht, was ihr zu einer Quelle des Ärgernisses wurde, bis sie in der Bibel eine Maßnahme dagegen entdeckte. Sie kam zu dem Schluss, dass gut sitzende Kleider Teufelswerk seien, und folgerte daraus den Verlust der Gnade Gottes. Sie rügte Mr. Robbins für seine lasche Haltung und veranlasste ihn schließlich, eine Predigt gegen die Eitelkeit des Putzes zu halten, was von Mrs. Dallas als ein persönlicher Angriff aufgefasst wurde und dem guten Mann endlose Schwierigkeiten bereitete. Mr. Dallas, mit dem nicht gut Kirschen essen war, sprang als Streiter für die Ehre von Frau und Tochter in den Ring, zog den Pastor zur Rechenschaft und erhielt von ihm – so jedenfalls besagte es das Gerücht – eine private Entschuldigung. Mrs. Larkin indes lehnte es ab, dem Glauben zu schenken, und bildete sich statt dessen weiter ein, ihre Autorität verfochten und den Teufel dazu gebracht zu haben, seine Fahne auf Halbmast zu senken.



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