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Es war, wie wenn man einen Funken anbläst,« sagte der berühmte Arzt, als er zwei Tage später Mr. Larkins Scheck einsteckte; »ein Moment nachlassender Wachsamkeit, und alles hätte vorbei sein können.«
»Sagen Sie, Doktor,« sprach Aleck, der an seinem Tisch in der Bibliothek stand und den bedeutenden Mann mit dankbarer Bewunderung betrachtete, »glauben Sie, dass eine große Erregung Typhusfieber auslösen kann?«
»Wenn sie es auch nicht eigentlich hervorrief,« erwiderte der Doktor, »so könnte sie doch an der Verursachung beteiligt sein. Bei einem danieder gestreckten Körper und entsprechend geschwächter Lebenskraft könnte sie mit verantwortlich sein für den Ausbruch eines Fiebers, dessen Keime bereits im Blut vorhanden waren.«
Aleck fuhr den Doktor im Familien-Buggy zum Bahnhof, und indem er dem Thema weiter nachging, gewann er die Überzeugung, dass es die spiritistische Séance gewesen sei, die Gertrude an die Schwelle des Todes gebracht habe. Heftige Bitterkeit gegen Dr. Hawk erfüllte seine Seele. Er war es, der im Falle ihres Todes ihr Mörder gewesen wäre. Dieser ganze morbide Hunger nach Erregung, dieser ganze eulenhafte nächtliche Verkehr mit seinem mystischen Unsinn wurde ihm so abscheulich, dass es ihn juckte, den ersten Spiritisten, der ihm über den Weg laufen würde, mit Fäusten zu attackieren. Den etwas dramatischen Zug in Hawks Verhalten, den er bislang als Ausdruck seiner kraftvollen Persönlichkeit angesehen hatte, nahm er nun als Teil der gespenstischen Scharlatanerie, in die er verwickelt war, und stellte ihn auf eine Stufe mit den Medien und Schwindlern, die es für nötig hielten, von den üblichen Maßstäben des Verhaltens abzuweichen.
Eine feurige Bestie war es, die Aleck trieb und deren Mäßigung er in seiner Entrüstung nicht die gebotene Aufmerksamkeit schenkte. Als sie eine von drei Bahngleisen überquerten, die die Straße zum Bahnhof kreuzten, sprang der Buggy dermaßen in die Höhe, dass es nur den zweihundertdreißig Pfund des Doktors zu verdanken war, dass er nicht ein Bad in der Gosse nahm.
Gertrudes Genesung verlief nur langsam, schritt aber eine Weile ohne Unterbrechung fort. Um Aufregung zu vermeiden, empfing sie niemanden außer der Krankenpflegerin und Dr. Hawk; und wenn dieser erschien, nahm jene die Gelegenheit wahr, sich zu entfernen.
In der zweiten Woche ihrer Genesung setzte sich Dr. Hawk eines Tages in außergewöhnlich schwermütiger Verfassung an ihr Bett. Sein Haar war mehr als üblich zerwühlt, und der düstere Ausdruck seiner hübschen Augenbrauen erinnerte mehr denn je an Booth in seiner Hamlet-Rolle.
Gertrude, so abgeschnitten wie sie von allem Verkehr mit der Welt derzeit war, ertappte sich dabei, wie sie in den langen müßigen Stunden über die Gründe seiner Unzufriedenheit grübelte und sich lange Liebesgeschichten ausdachte, deren Held er natürlich war. Sie stellte sich vor, dass er um so trauriger wurde, je mehr sie ihre Kraft zurück gewann, und kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich eine neue Entwicklung gegeben habe in Beziehung auf die verhasste Frau, die darauf bestand, ihn zu lieben – indem sie für ihre Geldauslage nun einen Zins in Form von Zuneigung verlangte.
Dieser nagende Herzenskummer – »dieser Wurm, der nie stirbt« Markus 9, 48; Bezug auf die Hölle. – wurde ihr zu einem wundersam lebendigen Gegenstand des Interesses in ihren Grübeleien; er verfolgte seinen Weg durch das lange Fortschreiten leerer Stunden und wurde größer und grimmiger Tag um Tag.
Das einzige Ereignis, das den Zug ihrer morbiden Einbildungen unterbrach, war jeden Morgen die Ankunft eines frischen Rosenstraußes mit einer kleinen mitfühlenden Botschaft von ihrem Cousin Aleck. Obwohl jedoch diese Rosen in einer Vielzahl hinreißender Farben entflammten, verblichen sie nach und nach neben den schrilleren Farbtönen von Hawks Liebesgeschichte. Gertrude wusste natürlich nicht, dass Alecks Blumen eigens moosverpackt mit dem Morgenzug von Rochester kamen; aber es ist fraglich, ob sogar dieser Umstand, wenn er ihr denn bekannt gewesen wäre, die Rosen befähigt hätte, sich gegen die grellen ›Passionsblumen‹ des Doktors zu behaupten.
»Es sieht heute gut mit Ihnen aus,« sagte er, als er die Spitzen ihres Nachthemdärmels zurückstreifte, um ihren Puls zu fühlen; »ja, ja, ja; es sieht gut aus mit Ihnen.«
»Aber mit Ihnen sieht es nicht gut aus, Doktor,« versetzte Gertrude. »Nehmen Sie diese Blume, ihr Duft wird Sie erfrischen.«
Sie reichte ihm eine halb geöffnete, tief blutrote Knospe, und er nahm sie mit seiner freien Hand, starrte sie an und schüttelte traurig den Kopf.
»Es blüht das Rot der Rose nie so rot
Wie dort, wo einst ein Cäsar fand den Tod,«
Omar Khayyam's »Rhubayat«. –
Anm.d.Verf. [Omar
Khayyam war ein persischer Wissenschaftler und Dichter des 11. Jh. – Boyesen verwendete die Übersetzung des englischen Dichters Edward FitzGerald (1809-83).
Anm.d.Übers.]
deklamierte er mit seinem sanften, fein vibrierenden Bass.
Die Worte durchdrangen Gertrudes Körper wie ein leichter Schauer.
»Sie verderben mir die Freude an Blumen,« sagte sie mit halb angenommener Gereiztheit; »es ist furchtbar sich vorzustellen, dass sie ihre Farbe aus jemandes Blut beziehen.«
»Es wird eine rotere Rose als diese aus meinem Blut wachsen,« murmelte er halb abwesend.
»Das glaube ich nicht. Sie könnten keine rotere bekommen als diese.«
Der Doktor stand einen Augenblick schweigend da und fing dann an, langsam die Rosenknospe in Stücke zu zerpflücken. Seine Lippen begannen sich zu bewegen, und in leiser, vorzüglicher Intonierung deklamierte er:
»Ach, könnten Du und ich, Geliebte, uns mit IHM vereinen,
Um diesen traur'gen Plan der Dinge ganz zu fassen –
Zerstückten wir ihn nicht und formten ihn nicht um
Noch näher zum Verlangen unsrer Herzen?«
Die leidenschaftliche Energie, mit der er die dritte Zeile hervor stieß, ließ das Mädchen erneut in mitfühlender Erregung erschauern.
»Sie meinen das nicht, Doktor,« flüsterte sie; »es ist nur Poesie, die Sie rezitieren.«
»Ah, Kind,« antworte der Doktor, »Sie wissen nicht, was Sie da sagen.«
Und mit bühnenreifer Gestik und Stirnrunzeln schleuderte er die entblätterte Rose in den Ofen.
»Ja, ich würde ihn in Stücke brechen,« wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen; »und ihn dann« (hier hob er seine Augenbrauen und warf einen finsteren, durchdringenden Blick auf Gertrude) »noch enger an die Sehnsucht meines Herzens schmiegen.«
Er nahm seinen Hut und ging schnell aus dem Zimmer.
Ein Gedanke dämmerte Gertrude auf – ein Gedanke, der ihr Wesen bis ins Innerste erschütterte. Er überkam sie mit der Macht einer plötzlichen Gewissheit. Sie war nicht sicher, ob er ihr Freude oder Schmerz bereite – ein freudvoller Schmerz oder eine schmerzliche Freude, das schien ihre Empfindung genauer auszudrücken. In dem Gefühlsaufruhr, der ihren geschwächten Körper schüttelte, war etwas Überwältigendes, Unerbittliches am Werk, wie das Schicksal selbst.
Wie war es möglich, dass sie daran nicht schon früher gedacht hatte? War sie mit Vorsatz blind gewesen, dass sie nicht wahrgenommen hatte, was er aus Gründen der Pflicht sich vor ihr zu verbergen bemüht hatte, was aber nun die Barrieren, die es mit furchtsamen Skrupeln umfriedeten, eingerissen hatte?
Er liebte sie; er hatte sie schon Jahre schweigend und geduldig geliebt, während sie sich ihrer Macht bedient hatte, ihn abwechselnd anzuziehen und zurück zu stoßen. Er war an eine andere gebunden, die ohne Zweifel alles tun würde, ihn zu halten; die seine Zuneigung als Hypothek genommen hatte und bereit war, sie einzufordern, wenn er verdächtig war, sie zu veräußern. Daher seine Melancholie – seine Tendenz, über die dunkleren Seiten des Lebens zu grübeln. Und der Gedanke, dass sie, der Grund seines Kummers, so grausam gewesen war, ihn zu verhöhnen!
Sie tat in ihrem Herzen Buße gegenüber dem Doktor und entschied sich, für ihr schlimmes Verhalten in der Vergangenheit zukünftig Wiedergutmachung zu leisten. Dass er sich schuldig gemacht, indem er sie durch sein unbedachtes Verhalten aufgeregt hatte, als ihr Leben in besonderem Maße seiner Obhut anvertraut war, kam ihr nicht einen Moment in den Sinn. Die mächtige Leidenschaft in seiner Brust, von der sie einen flüchtigen Blick erhascht hatte, erschien ihrem weiblichen Gemüt unaufhaltsam wie eine Naturgewalt, und sie hielt es für absurd, von ihm zu verlangen, dass er sie bändige.
Sie brachte es nicht über das Herz, ihre allgemeine Erschöpfung während des Nachmittags und die Wiederkehr des Fiebers gegen Abend der schicksalhaften Entdeckung zuzuschreiben, die sie am Morgen gemacht hatte. Ihr Herz ließ nicht zu, einen Mann dafür zu tadeln, dass er sie liebe, sogar bei Gefahr für ihr Leben. Diese zufällige Preisgabe eines lebenswichtigen Geheimnisses (denn sie glaubte fest daran, dass sie zufällig war) unter dem Druck eines unwiderstehlichen Gefühls erhob sich über die gewöhnlichen prosaischen Beurteilungsmaßstäbe. Sie wirkte wie eine Passage von Shakespeare – ein flüchtiger Eindruck jener Welt aus erhabenem Denken und Handeln, nach der sie gehungert hatte.
Sie erwartete mit ungeduldigem Herzklopfen das Kommen des Doktors, ungeachtet der Tatsache, dass jeder fliegende Gedanke, jeder beschleunigte Herzschlag die abebbenden Überreste ihres Lebensquells aufzehrte.
Als Hawk schließlich kam, lag in seinem Gesicht etwas wie Beschämung, das ihr missfiel. Er war so weit entfernt von einem erobernden Helden, der mit scharf beschlagenem Ross alle armseligen Bedenken nieder ritt, dass er nicht einmal wagte, ihr in die Augen zu sehen, sondern nur rasche, verstohlene und schuldbewusste Blicke auf sie warf, wenn er selbst sich unbeobachtet wähnte. Er verhielt sich wie das personifizierte schlechte Gewissen.
Die Rückkehr des Fiebers beunruhigte ihn, und das Wiederauftreten anderer ungünstiger Symptome versetzte ihn in einen Alarmzustand, den er hinter der unverbindlichen Maske seines Berufes nicht verstecken konnte.
Mrs. Rasher, die Krankenschwester, die entgegen ihrer Gepflogenheit im Zimmer geblieben war, erkannte in seinem Verhalten die Bestätigung eines Verdachts, den sie schon lange hegte. Sie hatte Fetzen des von ihm zitierten merkwürdigen Gedichts aufgeschnappt und ihm darüber hinaus die hochmütige Verachtung verübelt, mit der er ihre medizinischen Vorschläge zurück gewiesen hatte. Die Geschichte von der Séance war zu diesem Zeitpunkt auch bereits ein Gegenstand allgemeinen Tratsches, und Mrs. Rasher, die darauf ihre eigene Deutung gründete, hatte in der Küche ausdrücklich erklärt, dass sie, im Falle, Gertrude stürbe, Dr. Hawks Gewissen nicht als Bettgenossen haben wolle.
Offenbar teilte der Doktor ihre Meinung, denn er ging diesen Abend nicht zu Bett. Nach einem kurzen Gespräch mit Mr. Larkin telegraphierte er wiederum dem berühmten Spezialisten, der versprach, er werde mit dem Morgenzug eintreffen.
Die Patientin war inzwischen nach einem ruhelosen, nur durch Betäubungsmittel erzielten Schlaf ins Delirium verfallen, und Mrs. Rasher, die gegenüber Hawk vor Entrüstung überfloss, empfand die Notwendigkeit, ihr Herz einem Familienmitglied gegenüber zu befreien. Sie ergriff deshalb die Gelegenheit, als Aleck, dessen hübsche Brauen sich in bekümmerten Falten zusammenzogen, die Treppen hinauf stieg, um sich nach dem Befinden seiner Cousine zu erkundigen. Mrs. Rasher stand auf der obersten Stufe und gab ihre Version von den Geschehnissen mit gedämpfter Stimme, aber um so mehr Temperament.
»Her gekomm' is' er, jeden Tag Gottes, Süßholz geraspelt hat er mit ihr, Poäsieh geschwätzt und so Zeug, und sich aufgeführt wie 'n junger Flegel, der nich' mehr Gewissen hat als ich Haare auf mei'm Handrücken,« sagte Mrs. Rasher, wozu sie ihren Vergleich dadurch illustrierte, dass sie mit ihrer rechten Hand rasch über den Rücken den linken strich. »Und sie – das arme Ding – liecht da auf 'm Rücken, nur ihn vor der Nase: is' kein Wunder, wenn's sie hart 'ran nimmt mit ihm, wo sie so zu is' im Kopp – da wird se ganz wirr, wenn er zu ihr spricht; und er: die ganze Zeit 'rumgewunden wie 'ne Schlange im Gras, macht Späße und alles nur schlimmer, reißt ihre Rosen in Stücke, schmeißt se in'n Ofen und führt sich überhaupt auf!! und dann tut er, als ob er vergisst, dass er ihr armes Leben zwischen sein' Fingern hält, wie 'ne prutzelnde Kerze, die er ausblasen kann mit 'nem klein' Atem aus sei'm Mund.«
Mrs. Rasher war dermaßen bewegt, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie hob ihre saubere, weiße Schürze, putzte sich darunter verstohlen die Nase und wischte sich die Augen.
Der junge Mann war so bestürzt über ihren Vortrag, dass er eine Weile nichts anderes tun konnte, als ihr entgeistert ins Gesicht zu schauen. Was sie sagte, erschütterte ihn zuinnerst und versetzte sein gesamtes Wesen in schmerzliche Erregung. Hätte er den Doktor in diesem Augenblick in Händen gehabt, so hätte er ihn wonnevoll ermorden mögen. Das unbestimmte Misstrauen, das er ihm seit der spiritistischen Affaire entgegen brachte, vertiefte sich zum Hass.
Dass Eifersucht etwas mit seinen Gefühlen zu tun hatte, hätte er sich nicht träumen lassen, denn entsprechend seinen zuoberst liegenden Empfindungen verdammte er den Doktor, weil er das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht hatte, aber auch aus einer bangen Vorahnung des Unheils, das die Familie im Falle von Gertrudes Tod überkommen würde. Er kam nicht auf die Idee, Mrs. Rashers Aufrichtigkeit zu hinterfragen (wie es unter vergleichbaren Umständen sein Bruder Horace getan haben würde).
Sobald er seine Stimme unter Kontrolle hatte, dankte er ihr kurz und stieg hinab in die Bibliothek, wo Hawk am Feuer saß und eine Zigarre rauchte. Drei Gasleuchten unter dem Dach spendeten trübes Licht, und auf Mr. Larkins Schreibtisch warf eine Hängelampe einen grünlichen Schatten. In der Laibung des Erkerfensters saß Horace und schlummerte mit einer Zeitung über seinem Gesicht. Alecks Eintritt weckte ihn, und nur um anzuzeigen, dass er wach sei, bemerkte er mit einer Stimme, die schrecklich an seines Bruders überreizten Nerven kratzte:
»Sie glauben nicht, dass sie noch groß 'ne Chance hat, Doktor, oder?«
»Alles was wir tun können,« antwortete Hawk feierlich, »ist, uns weiter bemühen: ›Die Hoffnung stirbt zuletzt.‹«
Diese ärgerliche Binsenweisheit, deren Unaufrichtigkeit nun handgreiflich war, brachte bei Aleck das Fass zum Überlaufen. Da saß der Mann, an den er arglos die gläubige Zuneigung seiner Jugend verschwendet hatte; der Mann, dessen funkelnden Paradoxien er mit Ergebenheit als genialen Inspirationen gelauscht hatte; der Mann, zu dem er freundlich gewesen war, als andere ihm den Rücken zukehrten, und den er als etwas Edleres und Feineres denn gewöhnliche Menschen verehrt hatte. Jeder dieser Gedanken traf ihn demütigend mit stechendem Schmerz. Wilde Wut ergriff ihn, schüttelte ihn wie ein Espenblatt und trieb ihn, den Doktor am Kragen zu fassen, ihn an die Wand zu werfen und mit Füßen auf ihn ein zu treten. Aber sogar inmitten dieser Erregung meldete sich noch eine leise Stimme der Nachdenklichkeit, die wie ein sachlicher Kommentar den aufgeregten Text begleitete. Sogar während er sich danach sehnte, den Doktor zu erwürgen, wusste er, dass er dies niemals tun werde. Die Bemerkung, die er schließlich machte, lag mehrere Oktaven unter der Tonhöhe, die er anzuschlagen beabsichtigt hatte.
»Dr. Hawk,« sagte er mit unsteter Stimme, »Sie spielen ein doppeltes Spiel.«
Hawk wandte sich ihm rasch mit besorgter Miene zu.
»Was meinen Sie damit?« fragte er in verdrossener Gleichgültigkeit.
»Wie würden Sie einen Arzt nennen,« fuhr Aleck fort, indem er seine Erregung zu meistern suchte, »der zur Befriedigung seiner eigenen Eitelkeit ein seiner Fürsorge anvertrautes Leben opfert?«
»Ich würde ihn einen verd– Halunken nennen,« schrie Hawk.
»Genau wie ich,« versetzte Aleck hitzig; »und so nenne ich Sie.«
Der Doktor fuhr mit bleichem Gesicht auf und machte eine Bewegung, als er habe er vor, nach dem Schüreisen zu greifen. Plötzlich aber biss er sich auf die Lippe, stieß seine Hände heftig in die Taschen und ging einige lange Schritte durch den Raum. Er hätte fast Horace angerannt, der mittlerweile seine Zeitung vom Gesicht entfernt hatte und die Szene mit demselben Interesse verfolgte, das ein Mann einem Hunderennen widmet, einfach um zu sehen, wer gewinnt.
»Sie sind mein Zeuge,« brach Hawk los, »dass Ihr Bruder mich beleidigt hat.«
»Wünschen Sie, mich als Anwalt zu beauftragen, ja? Nun gut, Geschäft ist Geschäft.«
»Ich gehe davon aus, dass Sie mitbekommen haben, in welchen Worten Ihr Bruder sich mir gegenüber geäußert hat.«
»Ich muss erst um einen Vorschuss bitten, bevor ich mich mit irgendeiner Zeugenaussage dieser Art befasse,« erwiderte Horace mit spöttischem Ernst.
»Ich scherze nicht,« schrie der Doktor ärgerlich.
»Ich auch nicht,« antworte Horace kühl. »Wie Sie wissen, mögen es Anwälte nicht, zu Gunsten ihrer eigenen Klienten in den Zeugenstand zu gehen. Zu diesem Mittel wird nur in Extremfällen gegriffen.«
Der Doktor wandte sich auf dem Absatz um und ging, einen Fluch murmelnd, zum Kamin, wo Aleck dem Feuer seinen Rücken zukehrte.
»Wollen Sie sich für das, was sie gesagt haben entschuldigen, oder nicht,« fragte er mühsam atmend.
»Das werde ich nicht.«
»Dann sind Sie bereit, die Verantwortung zu übernehmen?«
»Welche Verantwortung?«
»Die Verantwortung über Leben und Tod.«
Aleck stand versteinert da. Das hatte er nicht vorausgesehen, als er seiner Entrüstung nachgegeben hatte. Er wusste nicht, dass dem New Yorker Spezialisten telegraphiert worden war; und sogar wenn er es gewusst hätte: konnte er Gertrude auch nur eine Nacht ohne medizinische Hilfe lassen, wo ihr Leben in jedem Augenblick auf des Messers Schneide stand? Der Boden schien ihm unter seinen Füßen zu entgleiten und ihn mitten in der Luft zurück zu lassen. Seine Beine waren taub, seine Sinne erstarrt.
»Wenn sie sterben würde, wenn sie sterben würde,« wiederholte er mechanisch immer wieder bei sich; »wenn sie heute abend sterben würde, was würde aus mir werden?«
Er murmelte diese Frage halblaut und in eigenartiger Kaltblütigkeit, bloß um die Lage, die sich seinem Griff zu entwinden drohte, unter Kontrolle zu halten. Urplötzlich schlug es wie ein Blitz in seinen Kopf: Er sah sich selbst, wie er in den langen Jahren der Zukunft floh, verfolgt von dem schrecklichen Phantom – Reue. Die Vision einer toten Gertrude – mit kaltem, nach oben gewandtem Gesicht, eingesunkenen Augen und weißen, fühllosen, auf ihrer Brust gefalteten Händen – traf sein Herz mit einem weiteren Streich.
Eine Weile stand er mit von Qualen gezeichnetem Gesicht da und starrte Hawk an.
»Ich entschuldige mich, Doktor,« sagte er heiser. »Ich bitte Sie um Verzeihung.«