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IV.
Der Gelehrte in der Politik.

Torryville war ursprünglich auf sumpfigem Flachland entstanden, wo eine Reihe schmaler Flüsschen in den See strömte. Die ersten Siedler waren ebenso wie ihre Nachfahren für diese Torheit gründlich gebeutelt worden, denn das Fieber kam und wurde heimisch unter ihnen, obgleich man es als Hochverrat ansah, seine Existenz anzuerkennen. Man hatte gewusst, dass es im benachbarten Landkreis auftrat, in Torryville jedoch hatte sich nie ein Fall ereignet, der nicht von anderswo eingeschleppt worden wäre. Dieser Glaube hinderte diejenigen, die Grundbesitz in der Stadt hatten, nicht daran, diesen mit Verlust zu verkaufen und ihre Häuser am östlichen Hang, der natürliche Entwässerung besaß und frei von Malariaeinflüssen war, neu zu errichten.

Aus der Entfernung hatte man den Eindruck, als klettere die ganze Stadt, um den Nachteilen seiner ursprünglichen Lage zu entkommen, ›den Hügel‹ hinauf; stattliche Häuser aus Holz, Ziegeln und Sandstein, umgeben von hübschen Gartenbeeten, übersäten den grünen östlichen Hang, auf dessen Rücken sich die großen Gebäudekomplexe befanden, die zusammen die Larkin-Hochschule bildeten. Auf halbem Weg den Hang hinab, ein wenig nördlich der bewohnten Zone, schimmerten die weißen Obelisken und die sinnbildlichen Kolonnaden des Friedhofs durch das Laub der Ulmen, Nuss- und Ahornbäume

Wenngleich medizinische Fachleute immer wieder nachgewiesen hatten, dass die Toten von ihren malerischen Ruhestätten aus die Ermordung ihrer Nachfahren betrieben – dass, anders gesagt, der Friedhof die Brunnen der Stadt vergiftete – dauerte es zwanzig Jahre, bis ein Speicher gebaut wurde, der das Wasser vor Verseuchung schützte. Und sogar da wäre es nicht geschehen, hätte nicht Mr. Larkin zum Wohle der Hochschule sich für die Angelegenheit eingesetzt und mit unbestreitbaren Zahlen vorgeführt, dass es sich um eine rentable Investition handle. Das geistliche Argument (das bislang das meiste Gewicht gehabt hatte), dass die Errichtung eines Wasserspeichers das Vertrauen auf die göttliche Vorsehung erschüttern werde, verblasste allmählich und wurde nicht mehr vernommen. Dasselbe Schicksal ereilte den garstigen Scherz, der in Studentenkreisen seinen Ursprung hatte, dass die Torryviller Kannibalen seien, weil sie ihre Urahnen tränken.

Eines Abends im Oktober des Jahres, in dem unsere Geschichte beginnt, versammelte sich eine Menge von Bürgern aller Stände auf der Hauptstraße vor einem großen scheunenähnlichen Bauwerk, das einer überdimensionierten Zigarrenkiste glich und sich des Namens ›Tappan's Opernhaus‹ erfreute. Die Straße, in unregelmäßigen Abständen gesäumt von Koppelstangen für die Farmerpferde, sah heruntergekommen und schäbig aus, wie die Hauptgeschäftsstraßen der meisten Landstädte. Große kantige Ziegelsteinhäuser ohne Stil ragten empor zwischen eingeschossigen Holzhütten, an denen große glänzende Schilder aushingen mit den Namen von Druckern, Buchläden, Eisenwarenhändlern, Dentisten und Sattlern.

Schaute man die Straße hinauf, so erinnerte die unregelmäßige Dächerlinie an die eines Kammes mit abgebrochenen Zinken. In der Mitte war die Straße schlammig und voller Löcher, die hier und da Überreste einstiger Pflasterung aufwiesen; aber die seitlichen Bürgersteige waren trocken und hätten angenehm begangen werden können, wären sie nicht mit leeren Kisten und Fässern vollgestellt gewesen, die bei gutem Wetter als Sitzgelegenheiten für den sozial veranlagten Teil der männlichen Bevölkerung dienten. Heute abend waren sie besetzt mit jungen Burschen, die in Ermangelung anderer Vergnügungen heulten, brüllten, Fischhorn bliesen, jubelten und stöhnten, während die prominenten Bürger des Ortes in › Tappan's Hall‹ einrückten.

Es wurde nämlich eine Vorwahl der Republikaner zur Ernennung von Delegierten für den Landkreisrat durchgeführt. Die kleine Clique von sechs Männern, welche die Politik der Stadt ›besorgten‹, hatte bei der letzten Wahl eine Niederlage erlitten und es deshalb für ratsam gehalten – in den Worten des Torryville Herald – »die Geschäftsinteressen, die Tugend und die Intelligenz der Gemeinde um das große alte Banner zu scharen«. Zu diesem Zweck hatten sie einen dringenden Appell, angereichert mit kriegsähnlichen Vergleichen, an die republikanischen Wähler des Landkreises herausgebracht und sie eingeladen, an den Vorwahlen und Nominierungsversammlungen der Partei aktiv teilzunehmen.

Sogar die stillen Professoren auf ihrem Hochschul-Hügel, die selten in den Jahren ohne Urnengänge solche Versammlungen besuchten, sofern nicht ein Kandidat einen Buggy schickte, um sie zu den Abstimmungen zu bringen, waren herbeigerufen worden, »um den Landkreis vor dem Ruin und der Schande eines Sieges der Demokraten zu retten«; und da zuletzt in der Presse die politische Verpflichtung der Gelehrten stark diskutiert worden war, trotzten die meisten von ihnen dem Gespött der übermütigen Burschen auf den Kisten und Fässern und betraten den Saal, in der die Geschicke der Republikaner sich entscheiden sollten.

»Knallt ihm den Hut runter!« schrie einer, als Professor Dowd mit einem zur Jahreszeit unpassenden weißen Hut in Sicht kam; und ein gewaltiger Chor von Johlen, Pfeifen, Kreischen und Indianergeheul schloss sich an.

»Hurrah für den alten Grant!« rief ein kleiner Junge, und derselbe ohrenzerreißende Chor durchschnitt erneut die Luft.

Als Mr. Larkin, von seinen beiden Neffen begleitet, erschien, tobte die Menge vor Begeisterung; durch diesen Lärm hindurch waren freilich allerlei respektlose Bemerkungen vernehmbar.

»Wie geht's Ihnen, altes Haus?« »Zieh deine Weste 'runter!« »Lass 'n Stück Kautabak 'rüberwachsen, ja?« lauteten einige der Bemerkungen, welche die Ohren des alten Herrn begrüßten, während er sich mit den Ellbogen seinen Weg zum Eingang des Saales erkämpfte. Er nickte über die Schulter den Burschen lächelnd zu und empfand keinerlei Groll, sondern eher Stolz über ihre schmeichelhafte Vertraulichkeit.

Die politischen Drahtzieher, die zur Zeit an der Macht waren, empfingen ihn mit überschwänglicher Herzlichkeit. Horace und Aleck wurden ebenso freundlich willkommen geheißen, lehnten es aber ab, unter den Parteiführern Platz zu nehmen.

Einer der letzteren, ein munterer kleiner rotbärtiger Mann namens Mr. Dallas eröffnete die Vorwahlen mit einer Rede über die armen Neger im Süden, die wie Vieh abgeschlachtet würden, wenn sie es wagten, ihre politischen Rechte auszuüben. Die Demokraten, sagte er, seien verräterische Schlangen, und es sei ein Skandal für die Menschen dieses Landkreises, dass die Kandidaten dieser Partei letzten November gewählt worden seien. Er sprach von den Demokraten durchwegs so, als seien sie keine Staatsbürger, sondern ein Feind, ein eindringende Macht, die sich zum Zweck von Zerstörung und Umsturz der Freiheit verschworen habe. Um weiterem Unheil im Süden und sonstwo vorzubeugen, sei es nötig, nur Republikaner für das Amt im Talbot-Landkreis zu wählen. Er sei der festen Überzeugung, dass er mit der Vorstellung der folgenden Personen für die Vorwahlen die Gefühle aller Wählers ausspreche, für die die Grundsätze der großen alten republikanischen »Paartei« Im Originaltext: » pairty« – Wortspiel aus › party‹ und › pair‹ (mit welchem Hintersinn)? oder regionale Aussprache (über die der Erzähler sich amüsiert)? oder beides? heilige Schätze seien. Dann verlas er die Liste der Delegierten und begleitete dabei jeden Namen mit beredtem Lob; und als der Abend schon ziemlich weit fortgeschritten war und er sich von der Einhelligkeit der in der Versammlung vorherrschenden Stimmung überzeugt hatte, fühlte er sich berechtigt, die Nominierung der genannten fünf Gentlemen per Akklamation zu fordern und dass man bis zu ihrer Wahl in den Rat auf Schwur und Eid verzichte.

Freigiebiger Beifall entlohnte Mr. Dallas' Eloquenz, obwohl er näselte und gelegentlich mit der englischen Grammatik in Konflikt geriet. Ihm folgte ein gallig wirkender Gerber namens Graves, der ebenso angestrengt, aber erregter sprach. Es scheine, dass das gesamte Schicksal der Nation auf dem Spiel stehe, und wenn nicht die vorgeschlagenen Kandidaten in den Vorwahlen gewählt würden, wolle er – Mr. Graves – nicht für die Folgen verantwortlich gemacht werden. Er deutete die grässlichsten Katastrophen an: wirtschaftliche Turbulenzen, nationalen Bankrott, Wiederversklavung der Neger, allgemeine Anarchie und Untergang.

Als er mit schweißnassem, von edler Erregung gerötetem Gesicht seinen Sitz einnahm, hörte man einige wenige schrille Pfiffe, die aber sofort untergingen im Aufbranden des Beifalls, was bewies, dass die Stimmung in der Versammlung eher patriotischer als kritischer Natur war. Es gab trotzdem ein paar, die sich von der allgemeinen Begeisterung nicht mitreißen ließen.

»Was für eine Unverfrorenheit!« flüsterte Horace Larkin seinem Bruder zu. »Dieser Dallas und seine Bande! Erst beratschlagen sie sich in dessen Hinterzimmer mit Senator Harkness und erstellen eine Kandidatenliste, die ausschließlich aus politischen Nieten besteht. Dann versuchen sie, gescheite Leute glauben zu machen, dass das Land vor die Hunde gehen würde, wenn man sie nicht wählt.«

»Aber warum sagst du das nicht, Horace? Du tätest etwas Gutes, wenn du den Leuten die Augen öffnen würdest.«

»Die Augen öffnen? Was soll das bringen? Wenn die Leute solche Dummköpfe sind, so einen Schwachsinn zu glauben, dann will ich nicht derjenige sein, der sie aufklärt. Außerdem haben diese Kerle den politischen ›Apparat‹ in ihren Händen, und ich habe keine Lust, sie mir zu Feinden zu machen.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein Feigling bist, Horace,« sagte sein Bruder vorwurfsvoll.

»Feigling?! Nein, ich bin kein Feigling; aber ich bin auch kein Dummkopf.«

»Du willst damit sagen, dass du vielleicht selbst eines Tages nominiert werden willst?«

»Na gut, es macht mir nichts aus, dir zu sagen, dass ich es vielleicht eines Tages tun werde.«

»Und du würdest dich tatsächlich in ein Boot setzen mit so einem anrüchigen Rechtsverdreher wie diesem Burton, den sie als Amtsrichter-Kandidaten benennen wollen, anstelle eines gebildeten und ehrenwerten Mannes wie Richter Wolf?«

»Was geht mich der Rest der Bootsmannschaft an! Ich übernehme keine Verantwortung für irgend jemandes Moral außer meiner eigenen.«

Die Brüder unterhielten sich noch, als sie hörten, wie der Vorsitzende den Antrag stellte, die Liste per Akklamation zu verabschieden. Fraglos wäre sie mit überwältigender Zustimmung durchgegangen, wenn nicht plötzlich zu jedermanns Überraschung Alexander Larkin aufgesprungen wäre und den Vorsitzenden angesprochen hätte.

»Ich muss einfach annehmen, Herr Vorsitzender,« hob er an, »dass Sie mit oder ohne Absicht bei der gegenwärtigen Veranstaltung nur geringen Respekt für die Intelligenz der republikanischen Partei gezeigt haben, die sie gerade in so beredten Worten zu verherrlichen beliebten. Sie haben die besten Bürger unserer Stadt hierher eingeladen, unter dem Vorwand, Sie wünschten sich mit ihnen zu beraten, wer sie in der Legislative repräsentieren und ihre politischen Angelegenheiten während des nachfolgenden Jahres betreiben soll; und als die Bürger Ihre Einladung annahmen, versorgten Sie sie zunächst mit einem Worterguss zur Lage der Neger im Süden als Vorbereitung, um ihnen dann eine vorgefertigte Kandidatenliste vor die Nase zu halten, die Sie und einige Ihrer Freunde in Ihrem Hinterzimmer abgekartet haben.«

Die Bestürzung auf dem Podium über diesen unerwarteten Angriff war beinahe lächerlich anzusehen. Sie wussten zuerst kaum, was sie damit anstellen sollten; als aber der laute Jubel für einen Augenblick abbrach, schritt der dreiste Redner, Mr. Dallas, weiß vor Erregung vor und rief:

»Dieser Herr verstößt gegen die Ordnung.«

Es war erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit die Stimmung in der Versammlung umgeschlagen war; die unerhörte Kühnheit des jungen Mannes hatte ihre Sympathie und Bewunderung gewonnen. Ein höhnisches Geschrei antwortete der Erklärung des Vorsitzenden.

»Dürfte ich erfahren,« fragte Aleck, sehr ermutigt durch den Jubel, »gegen welche der Regeln Cushings Luther Stearns Cushing (1803–1856) hatte eines der frühesten Standardwerke über das parlamentarische Procedere verfasst: Rules of Proceeding and Debate in Deliberative Assemblies, allgemein bekannt als Cushing's Manual. Die erste Ausgabe erschien 1845. Sie wurde später in revidierten Neuauflagen beständig aktualisiert. oder eines anderen Handbuchs des parlamentarischen Procederes ich verstoßen haben soll?«

»Sie haben keinen Antrag gestellt,« schrie Dallas.

»Aber ich musste annehmen, dass Ihr Antrag zur Debatte steht; ja, in der Tat bewerte ich ihn ganz genau so

»Ich entscheide, dass Sie gegen die Ordnung verstoßen haben,« schrie der Vorsitzende, rasch seine Taktik ändernd, »weil Sie nicht zu meinem Antrag sprechen; Ihre Bemerkungen sind persönlich und bedeutungslos.«

»Dann schlage ich als Änderungsantrag zu Ihrem Antrag vor,« konterte Aleck prompt, »dass die Delegierten durch Stimmzettel und nicht per Akklamation gewählt werden. Dieser Änderungsantrag hat natürlich Vorrang vor Ihrem Antrag, und ich setze voraus, dass Sie mir keinen Verstoß gegen die Ordnung aussprechen wollen, wenn ich fortfahre, meine Gründe für jenen darzulegen.«

Mr. Dallas war am Ende seiner Weisheit angelangt. Er stand da und starrte mit angewidertem Staunen auf die applaudierende Mehrheit. Er musste diesem beginnenden Umsturz unter allen Umständen den Weg versperren, oder der Geist der Rebellion würde sich ausbreiten, und mit seiner Macht und der seiner Genossen wäre es unwiederbringlich vorbei.

Während er sein Gehirn marterte, um einen Ausweg zu finden, schritt einer seiner Kollegen, Mr. Watson, vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf sein betrübtes Gesicht sich erhellte. Mr. Watson stieg alsdann zu den Zuhörern hinab und ward nicht mehr gesehn. Aber plötzlich sprang aus dem Teil des Saales, zu dem er gegangen war, ein Mann auf und beantragte eine Vertagung.

»Es scheint,« sagte er, »das diese Vorwahlen in die Hände der Demokraten gefallen sind, und ich beantrage, Sir, eine Vertagung, vorbehaltlich der Entscheidung des Vorsitzenden.«

Das war ein kühner Schritt, aber etwas zu schamlos, um Erfolg zu haben. Drei Männer sprangen in verschiedenen Teilen des Saales auf und verlangten erregt Gehör.

»Die Herren verstoßen gegen die Ordnung,« erklärte Mr. Dallas wieder; »ein Antrag zur Vertagung ist nicht debattierbar. Es ist beantragt und als Antrag angenommen worden, dass diese Versammlung vertagt wird, vorbehaltlich der Entscheidung des Vorsitzenden. Diejenigen, die dem Antrag zustimmen, mögen es durch ein ›Ja‹ zu erkennen geben.«

Ein Dutzend kraftloser ›Ja's‹ kreuzte hier und da unregelmäßig auf, wie Froschquaken aus einem Tümpel.

»Die Gegenstimmen …«

Die ›Nein's‹ kamen in einer Lautstärke und einer Entschiedenheit, die das Resultat unmissverständlich machte. Diese überwältigende Entscheidung ließ Mr. Dallas vor seinem allerletzten Mittel zurückscheuen, das heißt, zu erklären: »Der Antrag ist angenommen,« und, bevor jemand eine Frage stellen konnte, das Podium und den Saal zu verlassen. Es bestand immer die Gefahr, dass die Partei in Zwietracht verfiel und bei den Wahlen geschlagen wurde, statt sich zu versöhnen und einen Sieg zu erringen.

In purer Verzweiflung und um Zeit zu gewinnen, erklärte er daher, dass »der Vorsitzende im Zweifel über das Abstimmungsergebnis sei«; dies war jedoch ein tölpelhafter Schachzug, und er wurde mit einer Salve höhnischen Gelächters belohnt.

Ein Rettungsmittel war immer noch denkbar. Mr. Dallas übergab den Vorsitz an den galligen Gerber, und nach einer geflüsterten Unterhaltung mit Mr. Larkin stieg er vom Podium herab und ging dorthin, wo Aleck und Horace saßen. Er schüttelte beiden Brüdern die Hände, als ob sie seine engsten Freunde wären, indem er gänzlich vergessen zu haben schien, dass er sie schon bei ihrem Eintritt begrüßt hatte. Nachdem er sich lächelnd nach ihrer Gesundheit erkundigt hatte, fragte er Aleck, ob er nicht so freundlich sein wolle, ihn zum Komitee-Zimmer hinter der Bühne zu begleiten.

Aleck hatte zwar kein Verlangen nach einer privaten Unterredung, erhob sich jedoch und bemerkte verblüfft, wie Mr. Dallas sich bei ihm einhängte und mit scheinbar herzlichem Lachen auf ihn einzureden begann, woraus man hätte schließen können, dass sie einander vollkommen verstanden. Es dämmerte ihm allmählich, dass der gewiefte Politiker ihn vielleicht unglaubwürdig zu machen versuchte, indem er bei der Versammlung Zweifel erweckte im Hinblick darauf, dass er gar nicht selbst im Ring stehe und seinen kleinen Aufruhr nur auf Anstiftung derjenigen Männer begangen habe, die zu bekämpfen er bloß vortäusche.

Dieser Gedanke trieb ihm das Blut ins Gesicht und ließ ihn einen Moment an der Tür des Komitee-Zimmers verweilen, die Mr. Dallas vor ihm geöffnet hatte. Er wusste, dass er sich in puncto Gerissenheit mit diesem ausgefuchsten Gauner nicht messen konnte, und hatte, als er gerade dessen Bude betreten wollte, das mulmige Gefühl, dass er am Ende über den Tisch gezogen werden könnte.

Sobald sie sich im Zimmer befanden – es war dekoriert mit Wahlplakaten und übersät mit zerrissenem Papier und Briefumschlägen –, reichte Mr. Dallas seinem jungen Freund eine Zigarrenkiste und bat ihn, sich zu bedienen.

»Mein lieber junger Freund,« begann er mit gütiger Behutsamkeit, nachdem sie sich beide gesetzt hatten; »Sie stehen an der Schwelle einer Laufbahn, die Sie ganz nach Ihren Wünschen gestalten können. Ich meine, was ich sage, Sir,« fuhr er fort, als er in Aleck einen Widerspruch aufkeimen sah; »ich meine es buchstäblich. Bei Ihren Möglichkeiten, Ihrer ausgezeichneten Erscheinung – ja, Sir, ich muss darauf bestehen – bei Ihrer ausgezeichneten Erscheinung – und Ihren überragenden Talenten kann es nichts geben in unserer großartigen Republik, das Sie nicht mit vollem Recht anstreben dürften.«

Dieser wohlwollende Tonfall hatte zunächst die Wirkung, den jungen Mann halbwegs zu entwaffnen; und wenn er noch Vertrauen in Mr. Dallas' Charakter gehabt hätte, würde er zweifellos aufgegeben haben. Aber als er sich die Lage hinreichend klar gemacht und sich an sein eigenes Ziel erinnert hatte, nie Kompromisse mit dem Bösen einzugehen, spürte er, wie sein Mut wieder stieg.

»Ich strebe nichts an, Mr. Dallas,« sagte er etwas hitzig, »das mich zwingen würde, den Respekt vor mir selbst in die Hosentasche zu versenken.«

»Oh, natürlich nicht, natürlich nicht,« versetze der Politiker aalglatt; nach einer Pause aber fügte er lachend hinzu: »obwohl das gewiss kein schlechter Ort zur Aufbewahrung wäre – immer bereit herausgeholt zu werden, wenn Bedarf nach ihm besteht.«

Obwohl er nicht sicher war, ob dies eine kluge Taktik sei, konnte er sich doch den Luxus dieses Scherzes nicht verkneifen.

»Was ich damit sagen möchte,« fuhr er fort, als sei er willens, die kleine mephistophelische Andeutung aus dem Bewusstsein zu streichen, »ist, dass Sie eine große politische Zukunft vor sich haben, wenn Sie einen klugen Gebrauch von Ihren Möglichkeiten machen. Ich könnte Ihnen genau so gut gleich sagen: falls Ihnen daran liegt, in die Legislative zu kommen, dann können wir Ihnen eine Nische auftun. Wir haben diesen Greene nur aufgestellt, weil wir keinen Besseren hatten. Aber ich will sehen, dass man sich irgendwie um ihn kümmert.«

In Mr. Dallas' Rede lag für Aleck etwas sehr Verführerisches; etwas Wohlgemeintes wie von einem älteren Bruder, das eine brüske Ablehnung von seiner Seite nichts weniger als grausam gemacht hätte. Es konnte keinen Zweifel geben, dass Mr. Dallas meinte, was er sagte; er hatte es in der Hand, die Nominierung zu bestimmen, und Aleck schmeichelte sich selbst, dass er im Falle seiner Nominierung auch gewählt werden würde. Es war zwar nichts besonders Großartiges, Landkreisdelegierter zu werden; aber man musste auf der niedrigsten Stufe der Leiter anfangen, wenn man die höchsten erklimmen wollte. Ihn überkam eine plötzlich sich ausweitende Vision, und alle möglichen Verlockungen tauchten eine nach der anderen in matter Ferne empor.

»Ich glaube, ohne mir selbst schmeicheln zu wollen,« bemerkte er mit leichter Verlegenheit, »dass ich für die Politik eine nicht unbeträchtliche Begabung besitze.«

Als er diese Ansicht äußerte, kam es ihm vor, als müsse sein Gesprächspartner sie bestimmt als äußerst kess empfinden. Vielleicht saß er da und lachte sich ins Fäustchen. Aber die ernste Freundlichkeit, mit der Mr. Dallas antwortete, schloss einen solchen Verdacht aus.

»Ja,« sagte er, »ich habe keinen Zweifel daran. Ich wundere mich selbst, dass ich nie zuvor an Sie gedacht habe.«

Diese gewandte Schmeichelei klang wie Musik in Alecks Ohren; sie benahm ihm seinen Schutz und machte ihn in einem angenehmen Hochgefühl glauben, er befinde sich im Frieden mit der ganzen Welt.

»Ich wollte sagen,« bemerkte er arglos, »dass Politik mich immer sehr angezogen hat. Ich habe am College politische Ökonomie studiert und seitdem eine ganz nette Bibliothek in dieser Wissenschaft und in Verfassungsgeschichte angesammelt.«

Er hätte nicht sagen können, warum seine Ohren so unangenehm brannten, warum ihn eine so furchtbare Unbehaglichkeit beschlich, bevor diese Worte seinem Mund entschlüpft waren. Er sah ängstlich auf Mr. Dallas und dachte, er würde den Anflug eines Lächelns in seinen Mundwinkeln lauern sehen.

Genau in diesem Augenblick erreichte ihn aus dem Saal ein gewaltiges Gelächter, gefolgt von Johlen und schrillen Pfiffen. Er sprang auf, warf dabei seinen Stuhl um und flog zur Tür.

»Warten Sie!« schrie Dallas, »warum diese Eile?«

»Ich muss gehen.«

»Nein, gehen Sie jetzt nicht. Ich muss mit Ihnen ein paar kleine Abmachungen treffen, bevor ich Ihren Namen der Versammlung präsentiere.«

»Ich werde keinerlei Abmachungen mit Ihnen treffen, Mr. Dallas.«

»Jetzt werden Sie nicht plötzlich störrisch wie ein Esel! Ich dachte, wir hätten einander vollkommen verstanden?«

»Ja, tun wir. Das heißt: Ich verstehe Sie vollkommen. Sie haben mich hierher gelockt, um mich von der Versammlung zu trennen, wo ich Ihre Pläne durchkreuzt habe. Sie haben sich hier hingesetzt und mich mich zu bestechen versucht, damit ich von meinen Überzeugungen abließ, einfach weil Sie fürchteten, ich könnte Ihnen Ärger machen und Ihre Wahlliste zerschlagen, wenn ich im Saal bliebe.«

»Aleck Larkin, hören Sie!« schrie der Politiker und stellte sich mit dem Rücken gegen die Tür; »wenn Sie Ihren verd– Mund heute abend noch ein Mal auftun, dann werde ich … dann werden Sie es bis zu Ihrer Todesstunde bereuen.«

»Gut! nur bitte gehen Sie von der Tür weg, damit ich hinaus kann.«

»Ich gebe Ihnen eine Minute, sich zu entscheiden.«

»Gehen Sie von der Tür weg, oder ich schlag' Sie nieder.«

Mr. Dallas schaute nicht etwa ärgerlich, sondern listig prüfend in dem jungen Mann ins Gesicht; dann schob er verächtlich seine Unterlippe vor und machte Platz. Als sich die Tür hinter Alecks zurückweichender Gestalt geschlossen hatte, gab er ein Pfeifen von sich und brach dann in einen langen, bilderreichen Fluch aus.

Der junge Erneuerer gelangte in einer seltsamen Geistesverfassung zurück in den Saal. War er so weit gewesen nachzugeben, oder nicht?Er hatte sich in Momenten des Grübelns immer vorgestellt, wie er Versuchungen dieser Art mit heroischer Entschiedenheit und Verachtung zurückwies; und da hatte er soeben den Vorschlag in Erwägung gezogen, sich um des Preises zu schweigen bestechen zu lassen!

Er fühlte sich nun doppelt beschämt und war sich dabei nicht sicher, ob seine plötzliche Entrüstung einer aufgebrachten moralischen Empfindung geschuldet war oder der Entdeckung der List, die der Politiker gegen ihn auszuspielen versucht hatte. Aber falls er weich geworden sein sollte, so würde er sich wieder zu fassen wissen. Er fühlt seine Brust von Löwenmut schwellen. Nun sollten sie ruhig kommen, und sie würden herausfinden, mit wem sie es zu tun hatten.

Glücklicherweise hatte Professor Dowd, während er hinter dem Podium war, die Zeit dazu genutzt, eine Art Vorlesung über Kleon und die attische Demokratie zu halten, die zeigen sollte, dass Demokratie nur so lange stark sei, wie sie echte Repräsentation darstelle, dass jedoch ihre Tage gezählt seien, sobald sie in die Hände einer oligarchischen Clique falle. Er besaß den Mut, die sechs Parteiführer, die lediglich die Anweisungen des allmächtigen, Ämter verteilenden Senators in Washington ausführten, als eine solche Clique zu bezeichnen; es sei höchste Zeit, dass die Leute gegen deren Regiment rebellierten.

Diese Darlegung hatte gemischte Zurufe von Ablehnung und Zustimmung hervorgerufen, wodurch Aleck wieder zur Vernunft zurückfand, während er den breiten, schlüpfrigen Weg entlang tastete, der zu Amt und politischer Bedeutung führt.

Als er den Saal betrat, war die Luft dort dick vom Rauch billiger Zigarren, der in Schwaden bläulichen Dunstes über den Köpfen der Leute hing; die kugelförmigen Gasleuchten schienen matt wie Signallichter im Nebel. Der Widerschein des hässlichen weißen Wandputzes verletzte Alecks Augen, und es gab nirgendwo etwas, dessen Betrachtung auch dem Anspruchlosesten irgend ein Vergnügen gewährt hätte.

Die Menge, die aus Männern jeder Art und Herkunft bestand, wobei das landwirtschaftliche Element vorherrschte, stieß ihn irgendwie ab, nicht weil er sie fürchtete, sondern weil sie schlecht gekleidet war, sich schlecht benahm und schlecht aussah. Unter dem Druck einer rein ästhetischen Antipathie bemerkte er, wie der Mut, den seine Entrüstung entzündet hatte, in ihm langsam abebbte. Aber wenn er sich nicht blamieren wollte, konnte er es sich nicht leisten, einem solchen Gefühl Raum zu geben. Er hatte sich umgehend vergewissert, dass seine Antragsänderung bislang noch nicht abgestimmt worden war, und um jedes Missverständnis seiner eigenen Haltung auszuschließen, erhob er sich, als Professor Dowd sich gesetzt hatte, und bat um Gehör.

»Herr Vorsitzender,« sagte er, »ich hatte nicht das Glück, alle Ausführungen des letzten Redners anzuhören; aus seinem beredten Vortrag schließe ich aber, dass er den von mir vorgelegten Änderungsantrag begrüßt. Ich denke, es ist Zeit für die Republikaner dieses Landkreises, aufzuwachen und sich ihre politischen Angelegenheiten vor Augen zu führen. Worauf läuft Ihr Wahlrecht gegenwärtig hinaus, meine Herren? Besteht es nicht lediglich in dem Recht, zwischen zwei Zusammenstellungen von Männern zu entscheiden, nämlich der Nominierung der einen, bei der Sie keinerlei Mitwirkung hatten, und derjenigen, die gewöhnlich nicht besser oder schlechter ist als die andere. Gehen wir nicht alle zu den Urnen mit einem Aufbegehren in unseren Herzen, oder mit einem entmutigten oder empörten Gefühl, als ob man uns schlau hintergangen und übers Ohr gehauen hätte? Sind diese Männer, die wir unsere öffentlichen Angelegenheiten besorgen lassen möchten – nicht solche, mit ein oder zwei ehrenwerten Ausnahmen, denen wir niemals irgend ein privates Geschäft anvertrauen würden, bei dem große Werte auf dem Spiel stehen? Diese Berieselung mit Ehrbarkeit, meine republikanischen Freunde, ist ein alter Trick, und sie kann keine schlechte Wahlliste retten, eben so wenig wie ein Berieseln mit Salz einen verdorbenen Fisch wieder genießbar machen kann. Die Gelegenheit, die sich Ihnen heute bietet, Ihren Einfluss zugunsten einer Wahlliste zu beweisen, die durch und durch sauber ist und das Beste an Intelligenz und Mannhaftigkeit unseres Landkreises repräsentiert, kehrt vielleicht nicht so bald wieder; und darum bitte ich Sie, mich bei meinem Bestreben, die vorgeschlagenen Namen zurückzuweisen, zu unterstützen und andere zu nominieren, die Ihrer Stimme durch Fähigkeit und Charakter wert sind. Ich fordere Sie daher auf, meinem Änderungsantrag zuzustimmen, dass jeder Kandidat separat gewählt wird und dass die Nominierungen per Stimmzettel und nicht per Akklamation durchgeführt werden.«

Als der übliche Lärm aus Rufen, Klatschen, Stampfen und Zischen abgeklungen war, erhob sich ein alter Farmer mit rundem Rücken und beschuldigte mit heiserer, feierlicher Stimme »das junge Bürschchen«, »den Krawall heut' abend« als bezahlter Abgesandter der Demokraten gemacht zu haben – jener Hauptverschwörer und Feinde des Staates –, mit dem Auftrag, die Saat der Zwietracht unter den Republikanern zu säen und dadurch die große alte Partei zu vernichten, die vier Millionen Sklaven befreit und die Union gerettet habe.

Die Parteiführer auf dem Podium und ihre Freunde waren in der Zwischenzeit in der Menge umher gegangen und hatten jeden einzelnen bearbeitet, indem sie Aleck Larkin als beleidigte Leberwurst hinstellten; er habe selbst für die Versammlung nominiert werden wollen, und sei nur deshalb aus der Reihe getanzt, weil die Parteiführer sich geweigert hätten, seinen Namen sozusagen blanko zu berücksichtigen.

Nach einer halben Stunde, während die Frage durch Reden nach beiden Seiten diskutiert worden war, glaubten sie nach ihrer letzten Zählung davon ausgehen zu können, dass der Änderungsantrag zurückgewiesen werden würde, und der Vorsitzende fühlte sich sicher genug, nun die Abstimmung zu eröffnen. Stimmenzähler wurden ernannt und die Stimmzettel wurden in zwei alten Ofenrohren auf einem Tisch vor dem Podium deponiert.

Es war beinahe elf Uhr, als die Abstimmung als abgeschlossen verkündet wurde; aber welche Überraschung ergriff Mr. Dallas und seine Kollegen, als sich herausstellte, dass all ihre Berechnungen falsch gewesen waren! Einhundertundzehn Wähler hatten für den Veränderungsantrag gestimmt, siebenundneuzig dagegen. Damit war ihre Kandidatenliste hinfällig, und sie waren zusammen mit ihrem Meister, der von Washington aus seine Gunst verteilte, in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert.

Aleck stand, errötet vom Sieg, mit dem Rücken zur Wand und lauschte dem gewaltigen Applaus, der die Ankündigung des Ergebnisses begrüßte. Dowd, Ramsdale, Dr. Hawk und eine Anzahl weiterer Freunde bahnten sich den Weg durch die Menge und überschütteten ihn mit Lob und Glückwünschen. Alle prophezeiten ihm eine große politische Zukunft; einige deuteten in ihrer Begeisterung sogar an, dass es sie nicht überraschen würde, wenn sie ihn binnen Kurzem im Kongress sähen.

Natürlich missbilligte er ihren Eifer und lachte über ihre Prophezeiungen; im Innersten seines Herzen freilich schien ihm in diesem Augenblick nichts über seine Kräfte zu gehen. Er empfand sich als ein starkes Geschöpf, begabt mit Flügeln, die ihn immer höher und höher tragen konnten und mussten. Es war nicht das bloß zufällige Abstimmungsergebnis, das ihm diesen Auftrieb gab; vielmehr brachte die Erregung des Kampfes selbst etwas Ausweitendes, Beschwingendes. Er hatte mit Schauern kurz vor seinem Entschluss gestanden, aber wie ein kraftvoller Schwimmer, wenn er einmal den Kopfsprung getan hat, fühlte er eine belebende Glut seinen Körper durchdringen. Er war einberufen worden auf Seiten der Mächte des Lichts zu ihrem uralten Kampf gegen die Mächte der Finsternis, dazu bestimmt, einer der Führer in diesem Zwist zu werden. War ein solches Bewusstsein nicht genug, ihm ein Leben zu weihen und es dadurch herrlich zu machen?

Aber jetzt war für Träume keine Zeit. Praktische Arbeit stand bevor. Mr. Dallas, der wieder den Vorsitz führte, hatte mit bestmöglichem Anstand erklärt, dass Nominierungen in Auftrag seien, und einer seiner Stellvertreter am Pult hatte eine Rede gehalten, in der er die ursprünglich Nominierten der hinfälligen Kandidatenliste empfahl. Mr. Burton war ein obskurer junger Rechtsanwalt, dessen Praxis ausschließlich von seinen politischen Seilschaften abhing. Kaum hatte dieser Adjutant wieder Platz genommen, als Aleck bereits aufgesprungen war; aber der Vorsitzende nahm keine Notiz von ihm, sondern erteilte das Wort einem anderen seiner Sympathisanten, der Burton beipflichtete. Ein zweites und ein drittes Mal meldete sich Aleck zu Wort, aber jedes Mal übersah ihn der Vorsitzende. Als er am Ende erkannte, dass dieses Übersehen beabsichtigt war, stieg Aleck hinauf, stellte sich unmittelbar vor das Podium und verlangte zu sprechen.

»Oh, bester Sir,« sagte Mr. Dallas lächelnd; »oh, ich hatte nicht bemerkt, dass Sie zu sprechen wünschten. Ich dachte, dass Sie nach Ihrer jüngsten Anstrengung der Ruhe bedürften.«

»Sie haben offensichtlich ihre eigenen Empfindungen mit meinen verwechselt,« antwortete Aleck prompt, und die Zuhörer, stets bereit, einen Scherz zu honorieren, und voller Sympathie für jede Opposition, lachte und applaudierte.

Der Politiker musste die bittere Pille schlucken und erteilte seinem Gegenspieler das Wort. Es ist unnötig, des letzteren Rede wiederzugeben; er beschwor die Delegation, für die erneute Nominierung von Richter Wolf zu stimmen, der durch seine strenge Interpretation des Rechts und seinen unnachgiebigen Sinn den »Jungs« Ärger gemacht hatte. Als nach langer Diskussion und erbittertem Schlagabtausch ein Wahlgang durchgeführt wurde, entschied sich eine Mehrheit von vierzehn Stimmen für den Vorschlag.

Nun brach die Hölle los; jeder schien sprechen zu wollen, während niemand Lust hatte zuzuhören. Inmitten dieses Tumults begab sich Aleck zu Professor Wharton und lud ihn ein, seinen Bruder Horace als Kopf der Delegation zu nominieren; denn sein Name wäre, wie jeder zugeben würde, eine Garantie für Treu und Glauben. Kaum hatte dagegen der Professor seine Absicht preisgegeben, als Horace sich erhob und mit einigen konventionellen Phrasen für die Ehre dankte und ablehnte. Seine beruflichen Verpflichtungen, sagte er, setzten ihn gegenwärtig außer Stande, irgend ein öffentliches Amt anzunehmen.

Der Professor nahm etwas verdutzt wieder Platz und entsandte fassungslose Blicke in Alecks Richtung, der ihn, wie er es später ausdrückte, überredet hätte, sich selbst zum Narren zu machen. Aleck jedoch, der, berauscht von seinem Triumph, die Gelegenheit, einen der geheimen Wünsche seines Bruders zu erfüllen, förmlich ausgekostet hatte, fand keine Worte zu dieser Zurückweisung. Das Machtgefühl und das Verlangen nach segensreicher Tätigkeit, die ihn den ganzen Abend belebt hatten, verließen ihn plötzlich. Dass Horace nicht willens war, eine Ehre anzunehmen, an deren Zuerkennung er maßgeblich beteiligt war – dieser Gedanke enttäuschte ihn zutiefst, beschämte ihn geradezu. Jene Ausflucht wegen beruflicher Angelegenheiten war, wie er wusste, reine Erfindung.

Die Diskussion gestaltete sich end- und ziellos und interessierte Aleck nicht mehr. Er erkannte deutlich, dass es dem Vorsitzenden darum ging, die Professoren und ihre Sympathisanten innerhalb der Zuhörerschaft zu ermüden, und dass der Abgang etwa eines Dutzend von ihnen den Sieg für den Rest der Kandidatenliste sichern würde. Die Professoren waren sich dieser Absicht von Mr. Dallas vage bewusst und hielten deshalb bis lange nach Mitternacht aus; aber langsam erschöpfte der Hunger ihre Geduld und die schlechte Luft beeinträchtigte ihre Lungen, so dass einer nach dem anderen sich hinaus stahl und den Hang hinauf stiefelte.

Als Mr. Dallas, der einen zuverlässigen Adjutanten an der Tür postiert hatte, sich in Sicherheit wiegen konnte, dass seine Freunde in der Mehrzahl seien, beendete er kurzer Hand die Diskussion; und das Resultat der Abstimmung bewies diesmal, dass er sich nicht verkalkuliert hatte. Seine Kandidaten bekamen die erforderliche Mehrheit.

Da war nun nichts mehr zu machen. Aleck, der erkannte, dass er die Wahl der automatischen Delegierten nicht mehr abwenden konnte, schlenderte hinaus, und bald folgte sein Bruder ihm. Der alte Mr. Larkin war, nachdem der es abgelehnt hatte, seinen Neffen zur Ordnung zu rufen, bereits früh am Abend nach Hause aufgebrochen. Er hielt Alecks Vorstellung zwar für ebenso nutzlos wie die Saltos eines Holzaffen über ein Stöckchen, hatte es aber trotzdem genossen, wie er Schneid und Kampfbereitschaft bewiesen hatte. Vom erzieherischen Standpunkt aus billigte er »den Radau« und ließ sich von ihm unterhalten.

Die beiden Brüder gingen schweigend nebeneinander her, während die trockenen Blätter unter ihren Füßen raschelten. Die Luft war feucht, und der Pflanzenwelt entströmte ein schwüler, muffiger Verwesungsgeruch. Dann und wann verstrickte ein rascher Windstoß die Blätter in einen Wirbel oder jagte sie davon wie eine in Panik geratene Armee.

»Horace«, sagte Aleck und schaute auf zum abnehmenden Mond, »warum hast du die Nominierung zum Delegierten abgelehnt?«

»Aus mehreren Gründen,« antwortete Horace.

»Lass hören!«

»Also, zuerst weil ich mir Dallas und seine Bande nicht zu Feinden machen möchte.«

»Dann willst Du deine politische Laufbahn unter ihren Auspizien antreten?«

»Ihre sind die einzigen in diesem Landkreis, unter denen eine politische Laufbahn angetreten werden kann.«

»Dann hast hast du tatsächlich abgelehnt, weil du wusstest, dass die Nominierung von mir kam?«

»Gut, wenn du darauf bestehst: das hab' ich.«

Aleck schaute im Zwielicht zu seines Bruders abgewandtem Gesicht; es wirkte ruhig, besonnen und entschieden. Es war das Gesicht eines Mannes, der sich dem Erfolg verpflichtet hatte. Er fühlte einen stechenden Schmerz von Reue, von Selbstmitleid – von Enttäuschung – er wusste kaum, wovon genau. Er spürte nur intuitiv die geistige Kluft zwischen ihm und Horace.

Der Triumph, in dem er frohlockt hatte, war schließlich doch nur ein Strohfeuer aufflackernder Illusionen gewesen; und jetzt blieb nur noch die Asche übrig. Wenn es stimmte, dass Weisheit nicht so sehr auf gewonnenem Wissen, sondern auf preisgegebenen Illusionen beruhte, dann hatte sein Bruder einen großen Start-Vorteil vor ihm; er war schon weise, er musste keine Illusionen mehr preisgeben.



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