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Hundertneunter Brief

 

Paris, Montag, den 25. Februar 1833

Soll ich über Heines Französische Zustände ein vernünftig Wort versuchen? Ich wage es nicht. Das fliegenartige Mißbehagen, das mir beim Lesen des Buches um den Kopf summte und sich bald auf diese, bald auf jene Empfindung setzte, hat mich so ärgerlich gestimmt, daß ich mich nicht verbürgen kann – ich sage nicht für die Richtigkeit meines Urteils, denn solche anmaßliche Bürgschaft übernehme ich nie – sondern nicht einmal für die Aufrichtigkeit meines Urteils. Dabei bin ich aber besonnen genug geblieben, um zu vermuten, daß diese Verstimmung meine, nicht Heines Schuld ist. Wer so große Geheimnisse wie er besitzt, als wie: in der dreihundertjährigen Unmenschlichkeit der österreichischen Politik eine erhabene Ausdauer zu finden, und in dem Könige von Bayern einen der edelsten und geistreichsten Fürsten, die je einen Thron geziert; den König der Franzosen, als hätte er das kalte Fieber, an dem einen Tage für gut, an dem andern für schlecht, am dritten wieder für gut, am vierten wieder für schlecht zu erklären; wer es kühn und großartig findet, daß die Herren von Rothschild während der Cholera ruhig in Paris geblieben, aber die unbezahlten Mühen der deutschen Patrioten lächerlich findet; und wer bei aller dieser Weichmütigkeit sich selbst noch für einen gefesteten Mann hält – wer so große Geheimnisse besitzt, der mag noch größere haben, die das Rätselhafte seines Buches erklären; ich aber kenne sie nicht. Ich kann mich nicht bloß in das Denken und Fühlen jedes andern, sondern auch in sein Blut und seine Nerven versetzen, mich an die Quellen aller seiner Gesinnungen und Gefühle stellen und ihrem Laufe nachgehen mit unermüdlicher Geduld. Doch muß ich dabei mein eigenes Wesen nicht aufzuopfern haben, sondern nur zu beseitigen auf eine Weile. Ich kann Nachsicht haben mit Kinderspielen, Nachsicht mit den Leidenschaften eines Jünglings. Wenn aber an einem Tage des blutigsten Kampfes ein Knabe, der auf dem Schlachtfelde nach Schmetterlingen jagt, mir zwischen die Beine kömmt; wenn an einem Tage der höchsten Not, wo wir heiß zu Gott beten, ein junger Geck uns zur Seite in der Kirche nichts sieht als die schönen Mädchen und mit ihnen liebäugelt und flüstert – so darf uns das, unbeschadet unserer Philosophie und Menschlichkeit, wohl ärgerlich machen.

Heine ist ein Künstler, ein Dichter, und zur allgemeinsten Anerkennung fehlt ihm nur noch seine eigne. Weil er oft noch etwas anders sein will als ein Dichter, verliert er sich oft. Wem, wie ihm, die Form das Höchste ist, dem muß sie auch das Einzige bleiben; denn sobald er den Rand übersteigt, fließt er ins Schrankenlose hinab, und es trinkt ihn der Sand. Wer die Kunst als seine Gottheit verehrt und je nach Laune auch manches Gebet an die Natur richtet, der frevelt gegen Kunst und Natur zugleich. Heine bettelt der Natur ihren Nektar und Blütenstaub ab und baut mit bildendem Wachse der Kunst ihre Zellen. Aber er bildet die Zelle nicht, daß sie den Honig bewahre, sondern sammelt den Honig, damit die Zelle auszufüllen. Darum rührt er auch nicht, wenn er weint; denn man weiß, daß er mit den Tränen nur seine Nelkenbeete begießt. Darum überzeugt er nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht; denn man weiß, daß er an der Wahrheit nur das Schöne liebt. Aber die Wahrheit ist nicht immer schön, sie bleibt es nicht immer. Es dauert lange, bis sie in Blüte kömmt, und sie muß verblühen, ehe sie Früchte trägt. Heine würde die deutsche Freiheit anbeten, wenn sie in voller Blüte stände; da sie aber wegen des rauhen Winters mit Mist bedeckt ist, erkennt er sie nicht und verachtet sie. Mit welcher schönen Begeisterung hat er nicht von dem Kampfe der Republikaner in der St. Méry-Kirche und von ihrem Heldentode gesprochen! Es war ein glücklicher Kampf, es war ihnen vergönnt, den schönen Trotz gegen die Tyrannei zu zeigen und den schönen Tod für die Freiheit zu sterben. Wäre der Kampf nicht schön gewesen, und dazu hätte es nur einer andern Örtlichkeit bedurft, wo man die Republikaner hätte zerstreuen und fangen können – hätte sich Heine über sie lustig gemacht. Was Brutus getan, würde Heine verherrlichen, so schön er nur vermag; würde aber ein Schneider den blutigen Dolch aus dem Herzen einer entehrten jungen Nähterin ziehen, die gar Bärbelchen hieße, und damit die dummträgen Bürger zu ihrer Selbstbefreiung stacheln – er lachte darüber. Man versetze Heine in das Ballhaus, zu jener denkwürdigen Stunde, wo Frankreich aus seinem tausendjährigen Schlafe erwachte und schwur, es wolle nicht mehr träumen – er wäre der tollheißeste Jakobiner, der wütendste Feind der Aristokraten und ließe alle Edelleute und Fürsten mit Wonne an einem Tage niedermetzeln. Aber sähe er aus der Rocktasche des feuerspeienden Mirabeau auf deutsche Studentenart eine Tabakspfeife mit rot-schwarz-goldener Quaste hervorragen – dann pfui Freiheit! und er ginge hin und machte schöne Verse auf Marie-Antoinettens schöne Augen. Wenn er in seinem Buche die heilige Würde des Absolutismus preist, so geschah es, außer daß es eine Redeübung war, die sich an dem Tollsten versuchte, nicht darum, weil er politisch reinen Herzens ist, wie er sagt; sondern er tat es, weil er atemreines Mundes bleiben möchte und er wohl an jenem Tage, als er das schrieb, einen deutschen Liberalen Sauerkraut mit Bratwurst essen gesehen.

Wie kann man je dem glauben, der selbst nichts glaubt? Heine schämt sich so sehr, etwas zu glauben, daß er Gott den » Herrn« mit lauter Initialbuchstaben drucken läßt, um anzuzeigen, daß es ein Kunstausdruck sei, den er nicht zu verantworten habe. Den verzärtelten Heine bei seiner sybaritischen Natur kann das Fallen eines Rosenblattes im Schlafe stören; wie sollte er behaglich auf der Freiheit ruhen, die so knorrig ist? Er bleibe fern von ihr. Wen jede Unebenheit ermüdet, wen jeder Widerspruch verwirrt macht, der gehe nicht, denke nicht, lege sich in sein Bett und schließe die Augen. Wo gibt es denn eine Wahrheit, in der nicht etwas Lüge wäre? Wo eine Schönheit, die nicht ihre Flecken hätte? Wo ein Erhabenes, dem nicht eine Lächerlichkeit zur Seite stünde? Die Natur dichtet selten und reimet niemals; wem ihre Prosa und ihre Ungereimtheiten nicht behagen, der wende sich zur Poesie. Die Natur regiert republikanisch; sie läßt jedem Dinge seinen Willen bis zur Reife der Missetat und straft dann erst. Wer schwache Nerven hat und Gefahren scheut, der diene der Kunst, der absoluten, die jeden rauhen Gedanken ausstreicht, ehe er zur Tat wird, und an jeder Tat feilt, bis sie zu schmächtig wird zur Missetat. Heine hat in meinen Augen so großen Wert, daß es ihm nicht immer gelingen wird, sich zu überschätzen. Also nicht diese Selbstüberschätzung mache ich ihm zum Vorwurfe, sondern daß er überhaupt die Wirksamkeit einzelner Menschen überschätzt, ob er es zwar in seinem eigenen Buche so klar und schön dargetan, daß heute die Individuen nichts mehr gelten, daß selbst Voltaire und Rousseau von keiner Bedeutung wären, weil jetzt die Chöre handelten und die Personen sprächen. Was sind wir denn, wenn wir viel sind? Nichts als die Herolde des Volks. Wenn wir verkünden und mit lauter vernehmlicher Stimme, was uns, jedem von seiner Partei, aufgetragen, werden wir gelobt und belohnt; wenn wir unvernehmlich sprechen oder gar verräterisch eine falsche Botschaft bringen, werden wir getadelt und gezüchtigt. Das vergißt aber Heine, und weil er glaubt, er, wie mancher andere auch, könnte eine Partei zugrunde richten oder ihr aufhelfen, hält er sich für wichtig; sieht umher, wem er gefalle, wem nicht; träumt von Freunden und Feinden, und weil er nicht weiß, wo er geht und wohin er will, weiß er weder, wo seine Freunde noch wo seine Feinde stehen, sucht sie bald hier, bald dort und weiß sie weder hier noch dort zu finden. Uns andern miserabeln Menschen hat die Natur zum Glücke nur einen Rücken gegeben, so daß wir die Schläge des Schicksals nur von einer Seite fürchten; der arme Heine aber hat zwei Rücken, er fürchtet die Schläge der Aristokraten und die Schläge der Demokraten, und um beiden auszuweichen, muß er zugleich vorwärts und rückwärts gehen.

Um den Demokraten zu gefallen, sagt Heine: die jesuitisch-aristokratische Partei in Deutschland verleumde und verfolge ihn, weil er dem Absolutismus kühn die Stirne biete. Dann, um den Aristokraten zu gefallen, sagt er: er habe dem Jakobinismus kühn die Stirne geboten; er sei ein guter Royalist und werde ewig monarchisch gesinnt bleiben; in einem Pariser Putzladen, wo er vorigen Sommer bekannt war, sei er unter den acht Putzmachermädchen mit ihren acht Liebhabern – alle sechszehn von höchst gefährlicher republikanischer Gesinnung – der einzige Royalist gewesen, und darum stünden ihm die Demokraten nach dem Leben. Ganz wörtlich sagt er: »Ich bin, bei Gott! kein Republikaner, ich weiß, wenn die Republikaner siegen, so schneiden sie mir die Kehle ab.« Ferner: »Wenn die Insurrektion vom 5. Juni nicht scheiterte, wäre es ihnen leicht gelungen, mir den Tod zu bereiten, den sie mir zugedacht: Ich verzeihe ihnen gerne diese Narrheit.« Ich nicht. Republikaner, die solche Narren wären, daß sie Heine glaubten aus dem Wege räumen zu müssen, um ihr Ziel zu erreichen, die gehörten in das Tollhaus.

Auf diese Weise glaubt Heine bald dem Absolutismus, bald dem Jakobinismus kühn die Stirne zu bieten. Wie man aber einem Feinde die Stirne bieten kann, indem man sich von ihm abwendet, das begreife ich nicht. Jetzt wird zur Wiedervergeltung der Jakobinismus durch eine gleiche Wendung auch Heine kühn die Stirne bieten. Dann sind sie quitt, und so hart sie auch aufeinanderstoßen mögen, können sie sich nie sehr wehe tun. Diese weiche Art, Krieg zu führen, ist sehr löblich, und an einem blasenden Herolde, die Heldentaten zu verkündigen, kann es keiner der kämpfenden Stirnen in diesem Falle fehlen.

Gab es je einen Menschen, den die Natur bestimmt hat, ein ehrlicher Mann zu sein, so ist es Heine, und auf diesem Wege könnte er sein Glück machen. Er kann keine fünf Minuten, keine zwanzig Zeilen heucheln, keinen Tag, keinen halben Bogen lügen. Wenn es eine Krone gälte, er kann kein Lächeln, keinen Spott, keinen Witz unterdrücken, und wenn er, sein eignes Wesen verkennend, doch lügt, doch heuchelt, ernsthaft scheint, wo er lachen, demütig, wo er spotten möchte: so merkt es jeder gleich, und er hat von solcher Verstellung nur den Vorwurf, nicht den Gewinn. Er gefällt sich, den Jesuiten des Liberalismus zu spielen. Ich habe es schon einmal gesagt, daß dieses Spiel der guten Sache nützen kann; aber weil es eine einträgliche Rolle ist, darf sie kein ehrlicher Mann selbst übernehmen, sondern muß sie andern überlassen. So, seiner bessern Natur zum Spotte, findet Heine seine Freude daran, zu diplomatisieren und seine Zähne zum Gefängnisgitter seiner Gedanken zu machen, hinter welchem sie jeder ganz deutlich sieht und dabei lacht. Denn zu verbergen, daß er etwas zu verbergen habe, so weit bringt er es in der Verstellung nie. Wenn ihn der Graf Moltke in einen Federkrieg über den Adel zu verwickeln sucht, bittet er ihn, es zu unterlassen; »denn es schien mir gerade damals bedenklich, in meiner gewöhnlichen Weise ein Thema öffentlich zu erörtern, das die Tagesleidenschaften so furchtbar ansprechen müßte«. Diese Tagesleidenschaft gegen den Adel, die schon funfzigmal dreihundertfünfundsechzig Tage dauert, könnte weder Herr von Moltke noch Heine noch sonst einer noch furchtbarer machen, als sie schon ist. Um von etwas warm zu sprechen, soll man also warten, bis die Leidenschaft, der er Nahrung geben kann, gedämpft ist, um sie dann von neuem zu entzünden? Das ist freilich die Weisheit der Diplomaten. Heine glaubt etwas zu wissen, das Lafayette gegen die Beschuldigung der Teilnahme an der Juniinsurrektion verteidigen kann; aber » eine leicht begreifliche Diskretion« hält ihn ab, sich deutlich auszusprechen. Wenn Heine auf diesem Wege Minister wird, dann will ich verdammt sein, sein geheimer Sekretär zu werden und ihn von Morgen bis Abend anzusehen, ohne zu lachen.

 

Dienstag, den 26. Februar

Sie fragten mich neulich, was das für eine dumme Geschichte mit den Württemberger Ständen wäre. Dumme Geschichte ist ein Pleonasmus. Die Geschichte der Menschheit ist nichts als eine Geschichte der Dummheit. Was aber diese besondere dumme Geschichte bedeute, will ich Ihnen erklären. Ich will Ihnen die Sache so klein und weich wie durchgeschlagene Erbsen machen, und wenn Sie meine durchgeschlagenen Stände noch nicht genießen können, so ist das nicht meine Schuld.

Als man auf dem Wiener Kongresse den Deutschen Bund bildete, gaben sich Österreich und Preußen die größte Mühe, die kleinen Fürsten dahinzubringen, ihren Staaten repräsentative Verfassungen zu geben. Die großen Mächte hatten gut berechnet, daß dieses die kleinen Mächte von ihnen abhängig machen würde. Auch kam es wirklich so. Bayern, Württemberg, Baden und die übrigen wären nicht zu Vasallen von Österreich und Preußen herabgesunken, wenn sie unbeschränkte Regierungen gehabt hätten. Um die kleinen Fürsten leichter in das Garn zu locken, stellte sich Preußen damals an, als wolle es auch eine repräsentative Verfassung einführen. Die kleinen Fürsten merkten die List nicht, und alle die Angst, die sie bei der Sache hatten, kam ihnen bloß von ihren eigenen Völkern; die andere größere Gefahr sahen sie nicht. Aber diese Angst vor Konstitutionen war fürchterlich. Schon sahen sie eine demokratische Sündflut über ihre Throne zusammenstürzen, und sie dachten gleich an Noahs Arche, in welcher sie sich im Falle der höchsten Not mit all ihrem Viehe retten könnten. Wie es sich mit diesen Archen verhalte, an welchen die kleinen deutschen Fürsten zimmern, will ich Ihnen ein andersmal erklären. Ehe sie es nun wagten, ein kleines seichtes Wässerchen von Volksfreiheit durch ihre Ländchen schleichen zu lassen, zogen sie aus Furcht vor Überschwemmungen Kanäle, so breit und tief, daß der Rhein, die Donau und die Elbe zugleich darin Platz hätten. Und sie bauten Riesenwerke von Dämmen aus mächtigen Quadersteinen und gewaltigen Schleusen. Unsere Konstitutionen sind nichts anders als Gefängnisse der Freiheit; daß die Freiheit nicht frei im Lande herumlaufe, wird sie in eine Kammer gesperrt. In diese Konstitutionen, besonders aber in das Wahlsystem der Volksdeputierten und in der Geschäftsordnung der Kammern, wurden hundert Bestimmungen eingeführt, die alle den Zweck hatten, die kräftige Entwicklung eines wahren repräsentativen Systems zu verhindern. Bald darf man nicht sprechen, bald darf man nicht hören; die einen werden stumm, die andern werden taub gemacht. Ist ein bißchen frischer Wind in der Kammer, werden gleich alle Segel eingezogen. Wird etwas verhandelt, was das Volk nahe angeht, wird es aus der Kammer gejagt, es darf den Sitzungen nur beiwohnen, sooft sie langweilig sind. Man meint freilich, das wäre oft genug. In Bayern müssen die Deputierten, die auf sechs Jahre gewählt werden, in der ersten Sitzung um die Plätze in der Kammer losen. Diesen numerierten Platz muß jeder Deputierte wie ein Schulbube behalten, er darf ihn nicht wechseln. Dadurch wollte man verhindern, daß die Gleichgesinnten sich nicht nebeneinander setzen, sich verabredeten und Partei machten. Die liebe deutsche Schuljugend läßt sich auch das alles gefallen.

Eine andere Bestimmung ist fast in alle Konstitutionen übergegangen. Passen Sie auf! Jetzt kömmt Ihre dumme Geschichte. Keiner darf als Deputierter gewählt werden, der irgendeinmal eine Kriminalstrafe ausgestanden hat. Hier dachte man aber keineswegs daran, gewöhnliche Spitzbuben aus der Kammer entfernt zu halten, Räuber, Mörder, Diebe; solche Fälle kommen bei den höhern Ständen selten vor, und Menschen, die nur etwas weniges gestohlen, würde man gern als ministrielle Deputierte sehen, damit sie lernen, sich vernünftiger zu betragen. Sondern es kam darauf an, ausgezeichnete Patrioten, Männer, welche den Regierungen besonders gefährlich, besonders unlenksam schienen, von der Deputiertenwahl auszuschließen. Mit einem solchen Gesetze war das eine Kleinigkeit. Nichts ist in Deutschland leichter, als jedem ehrlichen Mann eine Kriminaluntersuchung, das heißt eine Kriminalstrafe an den Hals zu werfen. Und glauben Sie ja nicht, daß hierbei die Regierungen willkürlich verführen; so glücklich sind wir nicht einmal; so glücklich sind wir nicht, daß unsere Fürsten, um Tyrannen zu sein, nötig hätten, gesetzwidrig zu handeln. Die Tyrannei liegt schon in den Gesetzen. Alle deutsche Kriminalgesetze wurden vor Einführung der repräsentativen Verfassungen, also ohne Mitwirkung der Stände, von den Fürsten allein, also im Geiste der unbeschränkten Herrschaft und nicht im Geiste der Freiheit, gemacht. Mit diesen Gesetzen können die unschuldigsten Handlungen als Verbrechen erklärt und als solche bestraft werden. Unsere guten deutschen Hofräte und Professoren, die Gott segnen möge – ich meine mit Verstand –, kennen keinen andern Liberalismus, als auf Legalität zu halten. Wenn einer von ihnen legal ins Zuchthaus kömmt, weil er etwas drucken lassen, was die Gesetze als Majestätsverbrechen erklärt, sind sie es zufrieden, und wenn sie als Deputierte um den Despotismus herumschleichen und irgendwo einen Eingang suchen, und an allen Wegen steht ein Plakat mit den Worten Legaler Weg, nämlich verbotener – kehren sie wieder um und glauben das ihrige getan zu haben.

Jeder eifrige Volksfreund und Verteidiger der Freiheit muß irgendeinmal etwas tun, wodurch er seine Gesinnung öffentlich beurkundet. Er wird etwas freisinniges schreiben, etwas drucken lassen, an einer politischen Versammlung teilnehmen, eine Protestation gegen eine Maßregel der Tyrannei unterzeichnen, oder etwas anders solcher Art. Alle diese Handlungen werden von den deutschen peinlichen Gesetzen als Majestätsverbrechen, Staatsverbrechen, Hochverrat angesehen und bestraft. Also alle Bürger, die sich solcher Verbrechen schuldig gemacht, fallen einer Kriminaluntersuchung und einer peinlichen Strafe zu und sind daher auf ihr ganzes Leben von der Volksrepräsentation ausgeschlossen. Nun geschah es, daß für die jetzige Sitzung der Württemberger Kammer vier Männer zu Deputierten gewählt wurden, die viele Jahre vorher wegen demagogischer Umtriebe in Kriminaluntersuchung waren. Die Regierung erklärte, diese Wahl sei nach den Gesetzen ungültig! Die Opposition erwiderte, sie wäre gültig; denn obzwar jene Deputierten wirklich in einer Kriminaluntersuchung gewesen, so hätten sie doch keine Kriminalstrafe ausgestanden, weil sie damals von dem Könige begnadigt wurden. Darauf entgegneten die Minister: das Recht der königlichen Gnade sei beschränkt, und ihre Folgen erstrecken sich nicht soweit, einem Bürger seine bürgerliche Ehre wiederzugeben. Minister, Diener des Königs, die sonst Himmel und Erde in Bewegung setzen, wenn einer nur mit dem kleinen Finger die Rechte der Krone anrührt, beschränken selbst diese Rechte! Das einzige Recht, welches die Freiheit selbst den Fürsten lassen würde, das Recht der Begnadigung, läßt sich der König gern beschränken, nur um in der Kammer vier freisinnige Männer weniger zu haben! Aber die württembergischen Minister könnten es einmal bitter bereuen, das Recht der Begnadigung, das doch von den Fürsten auch auf jede andere höchste Regierungsgewalt überginge, beschränkt zu haben.

In Darmstadt ist etwas Ähnliches vorgefallen. Ein Advokat Hofmann, der vor vierzehn Jahren in demagogischen Umtrieben verwickelt war, wurde zum Deputierten gewählt. Hofmann wurde damals aber nicht verurteilt, sondern der Prozeß wurde niedergeschlagen und der Angeschuldigte, wie die Juristen sagen: ab instantia absolviert. Hören Sie, was ab instantia absolvieren heißt, es ist etwas sehr Schönes. Wenn nach dem sehr christlichen und sehr menschlichen deutschen Kriminalrechte man einem Angeschuldigten sein Verbrechen nicht beweisen und ihn also auch nicht verurteilen kann, die Richter aber haben Lust, das Schwert der Gesetze ihm sein ganzes Leben lang über dem Haupte hängen zu lassen, sprechen sie ihn nicht frei, sondern sie absolvieren ihn ab instantia, so daß sie nach zwanzig Jahren den Prozeß wieder anknüpfen können. Hofmann wurde zum Deputierten gewählt. Die Regierung erklärte diese Wahl für ungültig, weil er in einer Kriminaluntersuchung verwickelt gewesen. Die Opposition erwiderte, aber Hofmann wäre doch nicht verurteilt worden. Darauf entgegneten die Minister: aber Hofmann sei nicht freigesprochen worden, und wenn er es übrigens wünsche, würde man die unterbrochene Untersuchung fortsetzen. Hofmann wurde verworfen. Da habe ich nun vor einigen Tagen aus einem Briefe aus Darmstadt erfahren, mit welchem Eifer und mit welcher Schelmerei die Ausstoßung Hofmanns von der Regierung betrieben wurde. Hofmann war in preußische, das heißt: in original-patent-demagogische Umtriebe verwickelt. Preußen verfolgte ihn am meisten. Nun müssen Sie wissen, daß seit den Bundestagsbeschlüssen Deutschland in zwei Polizeidistrikte eingeteilt ist. Das nördliche Deutschland hat den König von Preußen, das südliche den Kaiser von Österreich zum Polizeikommissär. Über beiden steht der Kaiser von Rußland als Polizeidirektor. Darmstadt gehört zum preußischen Distrikte. Daher war es die Obliegenheit der preußischen Regierung, Hofmanns Eintritt in die Kammer zu verhindern. Was geschieht also? Einem Edelmanne, Mitglied der Kammer, gab man ein Schreiben in die Hand, welches der preußische Gesandte in Darmstadt von seiner Regierung erhalten haben sollte. Darin hieß es: Hofmann habe sich im Jahre 1819 noch ganz anderer, noch schwererer Verbrechen schuldig gemacht als die, wegen welcher er damals in Untersuchung war. Und wenn er nach Preußen käme, würde er von neuem eingesteckt, und Preußen würde es durchaus nicht dulden, daß Hofmann in die Darmstädter Kammer trete. Diesen Brief zeigte jener Edelmann einigen bürgerlichen Deputierten im Vertrauen und sagte ihnen – wir wissen ja, wie Edelleute mit Bürgern sprechen –: »Lieber Heyer – und wie sonst die andern heißen – Sie kennen mich ja, Sie wissen, daß ich liberal bin. Glauben Sie mir auf mein Wort, unser Großherzog hat den besten Willen. Aber was wollen wir tun? Haben wir eine Armee von zweimalhunderttausend Mann? Können wir uns Preußen widersetzen? Der Großherzog hat mir gestern gesagt: ›Vor dem Heyer ist mir am meisten bange; der wird Lärm machen‹.« Dabei rieb sich der Baron die Hände, dabei zuckte er die Achseln, dabei klopfte er mit freiherrlichen Fingern auf die bürgerliche Schulter und sagte in einer Viertelstunde dreißigmal: »Lieber Heyer!« Der liebe Heyer, sonst ein braver, liberaler, verständiger Mann, ließ sich bereden, einschüchtern und stimmte mit seinen Freunden gegen Hofmann.

Jetzt nach Kassel, wo die Wahlfreiheit auf eine andere Art verletzt worden. Wenn Sie diesen Brief gehörig studieren, werden Sie eine der vorzüglichsten Publizistin[nen] von Deutschland und können Professorin des Staatsrechtes auf einer deutschen Universität werden, und wenn Sie loyale Kollege lesen, gar Geheime Hofrätin. Was ich Ihnen aber folgend mitteile, geschieht nicht zu Ihrer Belehrung, sondern zu meiner eignen. Vielleicht können Sie mir über etwas Aufklärung geben, worin ich ganz im Dunkeln bin. In Frankreich und England sind die Regierungen froh, wenn Staatsbeamte zu Deputierten gewählt werden; natürlich, weil diese von ihnen abhängen und ihnen also am meisten anhängen; in Deutschland findet das Gegenteil statt. Wenn ein Staatsbeamter zum Deputierten gewählt wird, muß er, das Recht auszuüben, dazu die Erlaubnis seiner Vorgesetzten haben, und diese Erlaubnis wird oft verweigert. Welche Feinheit dahinter steckt, begreife ich nicht. Nun wurde Jordan, Professor in Marburg, einer der edelsten und mutigsten freisinnigen Männer Deutschlands, zum Deputierten in die hessischen Stände gewählt. Die Minister erklärten, sie erlaubten Jordan nicht, seine Stelle anzutreten, und sie verboten ihm, nach Kassel zu kommen. Jordan sagte: nach der Verfassung brauche ein gewählter Staatsbeamter nur die Erlaubnis seines unmittelbaren Vorgesetzten. Dieser sein Vorgesetzter sei die Universität, die ihn gewählt habe; die Erlaubnis des Ministers brauche er nicht. Jordan reiste nach Kassel, und die Mehrheit der Kammer entschied sich für ihn. Der Minister ließ Jordan den Befehl zukommen, binnen 24 Stunden bei 20 Taler Strafe Kassel zu verlassen ... Stellen Sie sich vor: wenn hier ein Minister die Frechheit hätte, einem Deputierten bei 50 Franken Strafe den Befehl zukommen zu lassen, binnen 24 Stunden Paris zu verlassen! In Anklagezustand versetzte man den Narren nicht; aber man schickte ihn augenblicklich in eine Zwangsweste gekleidet nach Charenton. Aber unsere deutschen Philister hören so etwas erzählen, ohne daß sie sich darüber echauffieren, ja nicht einmal die Pfeife geht ihnen darüber aus. Gott erhalte mir meinen König Louis-Philippe! Wahrhaftig, ich mache mir Vorwürfe, daß ich je ein Wort gegen ihn geschrieben; ich tue es aber auch nicht mehr ... Jordan ging nicht aus Kassel und klagte bei den Gerichten. Diese verboten den Ministern bei fünfzig Taler Strafe, Jordan nicht zu beunruhigen. Dieses war auch wieder ein deutsches Temperierpulver! Die Gerichte hätten erklären sollen, Jordan als Deputierter wäre unverletzlich und die Minister, die ihn antasteten, machten sich des Hochverrats schuldig. Wegen dieses Streits haben die Kammern ihre Sitzungen noch nicht eröffnen können, und man ist begierig, was die preußische Regierung, zu deren Inspektion auch Hessen gehört, in dieser Sache verfügen wird.

 

Mittwoch, den 27. Februar

Heiland der Welt! Das monarchische Prinzip ist guter Hoffnung. Welch ein Donnerschlag für mich! Die Herzogin von Berry, unsere liebe Frau von Blaye, die Enkelin Maria Theresiens, die gebenedeite Mutter des Wunderkindes, ist in gesegneten Umständen, durch den Heiligen Geist in Gestalt eines italienischen Prinzen, und wird in zwei Monaten ein neues Wunderkind gebären. Die Herzogin hat es dem Gouverneur von Blaye zu wissen getan: sie könne nicht länger schweigen, es sei ihr zu eng im Schlosse; seit sieben Monaten sei sie heimlich an einen italienischen Prinzen verheiratet, den sie aus Schamhaftigkeit nicht nennen wolle, und gestern stand dieses Evangelium groß im Moniteur gedruckt, und es wurde im Reichsarchive niedergelegt zum ewigen Angedenken. Also war es doch wahr, was man neulich gemurmelt, als die Regierung zwei Ärzte so geheimnisvoll nach Blaye gesendet. Doch Verleumdung war es, was viele damals erzählten: der Jude Deutz sei der Heilige Geist der Berry gewesen, und er habe nicht des Geldes wegen, sondern in einem Anfalle von eifersüchtiger Wut seine Freundin verraten. Schade, daß es Verleumdung war! Wahrlich, es wäre ein Glück für die Welt, wenn einmal jüdisches Blut in christlich-monarchische Adern käme. Vielleicht stiege dann wieder ein weiser König Salomo auf den Thron, der die Sprache der Tiere verstände und seinen Hofleuten in das Herz sehen könnte ...

Du gute Karoline! ich wäre dir zugetan, wenn du keine Fürstin wärest. Du hast viel geliebt, und es wird dir viel vergeben werden. Aber du bist ein törichtes Weib! Dein Sohn ist noch ein Knabe, noch siebenzig Male kann er den Kreislauf der Sonne erleben – ein Tag für das Glück, eine Ewigkeit für den Schmerz – und du suchst eine Krone für ihn? Laß ihn ein Lazzarone werden! Laß ihn sich sonnen unter dem schönen Himmel deines Vaterlandes! Laß ihn Muscheln suchen am Strande des blauen Meeres. Und ein Tag kann kommen, ein Tag des Schreckens und der Trauer, wo das wildtobende Volk durch die Straßen von Neapel braust und man einen jammervollen König richtet. Dann schwankt dein Sohn zu deinem Grabe, kniet nieder und dankt es deiner Asche mit heißen Tränen, daß du ihn ein Bettler werden ließest! Du erfährst es jetzt: deine nächsten Blutsverwandten häufen Schmach auf dein Haupt und machen dich zum Gespötte der Welt. Das ist das Los der Könige! Opferpriester oder Schlachtopfer, sind sie schuldig oder unglücklich.


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