Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundfünfzigster Brief

 

Paris, Freitag, den 4. November 1831

Das Buch der hundertundein Schriftsteller hat meinen Erwartungen nicht entsprochen. Es wird hier freilich von allen Parteien gelobt, weil Schriftsteller aus jeder Partei daran gearbeitet haben. Aber für mich, fürchte ich, wird es ein Buch der hundertundein Täuschungen werden. Gleich anfänglich ärgerte ich mich darüber, daß diese Sittenmaler so verächtlich von ihrem alten Meister Mercier sprechen, aus dessen Schule sie alle hervorgegangen. Sie sagen: » Il faut faire pour le Paris d'aujourd'hui ce que Mercier a fait pour le Paris de son temps, avec cette différence que cette fois les tableaux de mœurs seront rarement écrits sur la borne .« Mercier nennen sie einen Gassenjungen! Wahrhaftig, er sagt mehr in einer einzige Zeile als die neuen auf einem ganzen Bogen. Er malte in Öl; Jouy und seine Nachahmer malten mit Pastellfarben. Das sieht freilich ganz artig aus, aber man kann es wegblasen. Auch war Merciers Zeit günstiger zur Sittenmalerei als die jetzige. Damals fingen gerade die Stände an sich zu vereinigen, und da konnte man eben am besten ihre Trennungen kennen lernen; jetzt aber, da sie vereinigt sind, kann man nur noch ihre Naht zeichnen. Doch liest sich das Buch immer angenehm weiter; man lernt daraus, man reist darin und kömmt weiter.

Eines einzigen Artikels im ganzen Bande muß ich als Ausnahme mit großem Lobe gedenken. Es ist das Kapitel: Le Bourgeois de Paris von A. Bazin, einem Schriftsteller, der mir ganz unbekannt ist. Das ist eine vortreffliche Zeichnung, mit Geist und Gemüt entworfen. Von den übrigen Kapiteln sind zwei zu erwähnen, bei welchen der Reichtum des Stoffes die Armut der Kunst vergütet; nämlich: L'abbaye-aux-bois von der Herzogin von Abrantes, und Une fête au Palais Royal von Salvandy. L'abbaye-aus-bois heißt das Haus, ein ehemaliges Kloster, worin Madame Récamier wohnt, seit sie die große Welt verlassen. Aber die große Welt ist ihr dorthin nachgezogen oder eigentlich nachgestiegen, ich glaube bis in den dritten Stock hinauf. In dem Hause wohnen noch mehrere Frauen, die sich aus dem Glanze und dem Geräusche der großen Welt zurückgezogen, um – nicht übersehen und überhört zu werden. Alle diese frommen Weiber bilden ihren eigenen Mittelpunkt, haben ihren eigenen Zirkel. Die Herzogin erzählt nun, wie es in diesen verschiedenen Gesellschaften, besonders bei Madame Récamier, hergeht, welche Staatsmänner, Schriftsteller, Künstler sich da versammeln, welche Werke da vorgelesen, welche Kunstwerke vorgezeigt werden und was sonst da getrieben wird. Madame Récamier wird wegen ihrer Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit, Entsagung, Mildtätigkeit gepriesen. Ich habe das von dieser berühmten Frau seit zwanzig Jahren schon oft gelesen und will es auch alles glauben; nur fürchte ich immer, daß die Tugend, der es nicht gelingt, unbemerkt zu bleiben, es gar nie mit Ernst versucht hat. Die Herzogin Abrantes (sie hat auch verflossenen Sommer Memoiren aus den Zeiten des Kaiserreichs herausgegeben) ist übrigens eine rechte Klatschlies und erzählt alles im Tone einer bürgerlichen Frau Base. Sie mag eine muntere Französin sein; denn die Sentimentalität, die sie manchmal versucht, gelingt ihr gar nicht; sie bringt keine Träne zustande, und wenn sie darauf hinarbeitet, sieht es so komisch aus wie ein Mensch, der niesen möchte und nicht kann. Une fête au Palais Royal von Salvandy, dem Schüler Chateaubriands in Stil und Politik, beschreibt das glänzende Fest, welches der Herzog von Orléans vier Wochen vor der Revolution dem Könige von Neapel gegeben, wobei Charles X. zugegen war. Da war leicht schön beschreiben; schon dieses mein kurzes Inhaltsverzeichnis ist ein Gemälde, ein Gedicht, ein Drama. Salvandy ist einer von den bequemen Carlisten, die in Pantoffeln und im Schlafrock die Rückkehr Heinrichs V. abwarten und unterdessen manche Träne in ihren Wein fallen lassen. Er erinnert sich mit Wehmut jenes herrlichen Festes, das auf der Grenze zweier Monarchien gegeben worden. Weil ihm das Herz so schwach, traut er seinem Kopfe nicht. Er fragt: » De quel style décririez-vous les danses dont retentissait peut-être Herculanum la veille du jour qui se leva le dernier sur la cité condamnée?« So sind die Legitimisten. Wenn sich Peter statt Paul auf einen Thron setzt, sehen sie darin den Untergang eines verfluchten Landes. Viertausend Gäste waren versammelt. Charles X. trat zwischen dem Herzoge von Orléans und dem Könige von Neapel in den Saal. Nach wenigen Wochen war der eine vom Throne gestürzt, der zweite tot, der dritte König! Charles X. sagte, den Himmel betrachtend, zu Salvandy: » Il fait beau temps pour ma flotte d'Alger.« ... » Au moment que j'écris, le pirate que Charles X. décréta de punir, se promène au milieu de nous, paraît dans le même Palais Royal d'où Charles X. suivait son foudre vengeur lancé sur l'aile des vents, le bey d'Alger enfin peut vivre dans nos murs. Charles X. ne pourrait pas y mourir.« Salvandry sprach mit einem der Minister Karls über die Gefahren des Kampfes, worin die königliche Gewalt sich eingelassen. » Nous ne reculerons pas d'une semelle«, m'avait-il dit. – »Eh bien,« lui répondis-je, »le roi et vous reculerez d'une frontière.« Das ist schön, wenn es wahr ist ... – Auch unser Béranger hat ein Gedicht in das Buch geliefert, und ein recht schlechtes. Es ist eine Ode an Chateaubriand in Genf, die ihn freundlich bittet, nach Frankreich zurückzukehren:

»Chateaubriand, pourquoi fuir ta patrie,
Fuir son amour, notre encens et nos soins?

N'entends-tu pas la France qui s'écrie:
Mon beau ciel pleure une étoile de moins?«

Pleure une étoile de moins! Was ist nur dem schlichten Béranger eingefallen, sich mit solchem abscheulichen eau de mille fleurs zu parfümieren! Wer hieß aber auch den ehrlichen Mann Lobgedichte schreiben? Wer nicht zu schmeicheln gewohnt ist, dem gelingt es schwer, selbst das Verdienst zu loben. Chateaubriand antwortete ihm in einem Briefe, der, obzwar in Prosa geschrieben, weit dichterischer ist als Bérangers Gedicht. Chateaubriand weiß die Lobpreisung eines unbestechlichen Mannes zu schätzen. » Comment serais-je invulnérable à la flatterie d'une Muse qui à dédaigné de flatter les rois?« Aber nein, sagte er, ich werde nicht zurückkommen. » Jamais je ne me rapprocherai de ces hommes qui ont dérobé à leur profit la révolution de juillet, de ses écornifleurs de gloire, de courage et de génie.« Schmarotzer des Ruhms – man kann das nicht besser sagen: » Malgré les génufléxions de notre diplomatie et à cause même de ses mains mendiantes, il ne me paraît pas très certain qu'on nous aumône la paix.« Périer und seine Leute nennt er » la coterie colérique, sans dignité, sans élévation«. Übrigens verspricht er, über die Lage Frankreichs bald eine neue Broschüre herauszugeben. Diese ist auch bereits erschienen, und ich werde darauf zurückkommen. Es wird einem doch immer warm, sooft man Chateaubriand liest, zuweilen auch schwül; aber was liegt daran? Besser als kalt; das Fenster ist leicht geöffnet.

– Ich hätte so gerne nachholen mögen, was während meiner Abwesenheit von Paris an bedeutenden Komödien auf die Theater gekommen, was an guten Büchern erschienen ist; aber nicht möglich, nachzukommen. Nicht einmal das Neueste jedes Tages ist zu verbrauchen. Es ist zu verzweifeln. Das ist gar nicht Leben zu nennen, wenn die Vergangenheit stündlich wächst und die Gegenwart gar nicht aufkommen kann und gleich nach der Geburt stirbt. Da ist es doch in unserm guten Vaterlande besser; da steht die Gegenwart mit ihrem dicken Bauche und breiten Rücken fest auf den Beinen und nimmt so viel Platz ein, daß nicht die schmalste Zukunft vorbei kann. Gestern las ich das Verzeichnis der in diesem Herbste erschienen neuen deutschen Bücher. Hundert und mehr Schriften über die Cholera! Ich bekam Leibschmerzen nur vom Lesen des Katalogs. Sonst habe ich nichts von Bedeutung angezeigt gefunden, außer dem folgenden Werke, wonach ich sehr schmachte. Es ist wahrscheinlich eine Satire gegen den deutschen Bundestag; denn unsere maliziösen Landsleute, man kann es nicht leugnen, mißbrauchen die Preßfreiheit gar zu arg. Das Buch hat den Titel: »Das Schabbes-Gärtle von unnere Leut; eppes mit e Rorität Geblumes füre Brautschmuck. E Chetisch meloche, von Itzig Feitel Stern. Mit eppes neun Stück ganz feine gillmelirte Kupferstichlich etc.« Es ist in Meißen erschienen, wo man gutes Porzellan macht und das beste Deutsch spricht. Unter Schabbes-Gärtle wird gewiß die Bundesversammlung gemeint, und unnere Leut, das sind Baden, Bayern und die andern kleinen Fürsten, welche sechs Monate lang bei ihren sauren Ständearbeiten sehr geseufzt und geschwitzt, jetzt aber im siebenten sich ausruhen und im Schabbes-Gärtle spazierengehen. Chetisch Meloche ist der Untergang der Polen und Rorität Geblumes sind die schönen Reden der patriotischen Deputierten in Karlsruhe und München. »Ein Pferd, ein Pferd – nein einen Esel, einen Esel, ein Königreich für einen Esel!« Was ich damit machen will? Die Haut will ich ihm abziehen und jemanden hinneinnähen. Wen? Das ist ein Geheimnis. Es ist nur gut, daß ich über dreißig Jahre alt bin; jetzt brauchte ich nur badischer Staatsbürger zu werden, dann kann ich in Karlsruhe eine Zeitung herausgeben, sobald ich Kaution geleistet. Einen Esel, einen Esel, meine sämtlichen Schriften für einen Esel! Man kann aber über Deutschland gar keinen dummen Spaß mehr machen. Man soll den Teufel nicht rufen, auch nicht im Scherze. Als ich Ihnen voriges Jahr geschrieben: Geben Sie acht, man wird bei uns Zensur und Kaution zugleich festsetzen, schämte ich mich ehrlicher Narr später und dachte bei mir: du bist aber auch gar zu argwöhnisch; so dumm, so schlecht sind sie nicht, über das Schabbes-Gärtle darf man gar nicht sprechen, und sooft jetzt unsere Fürsten die Klagen ihrer Völker nicht werden hören wollen, werden sie sich in das Schabbes-Gärtle zurückziehen. Der Deputierte Seuffert in München hat mit deutscher Bangigkeit die Kammer aufgefordert, sich zurückzuziehen und den Kampf um Freiheit aufzugeben. Sie wissen ihre Hände nur zum Schreiben zu gebrauchen, diese unglückseligen Gelehrten! Er sagte: »Warschau ist gefallen, die Reformbill ist gefallen, die Feinde der fortschreitenden Entwicklung freisinniger Staatseinrichtungen erheben mit frischem Mute das Haupt, die Vorstellungen und Reklamationen der Diplomaten, welche den Absolutismus repräsentieren, werden dem Vernehmen nach zudringlicher und hochfahrender.« So spricht ein Mann, der sich einen Verteidiger des Volkes nennt! Also weil wir Widerstand gefunden, sollen wir gleich die Waffen strecken? Haben sie denn erwartet, daß man ihnen die Freiheit auf goldenen Schüsseln mit einem artigen Komplimente in das Haus bringen werde? Wie feige macht doch die Gelehrsamkeit! Tausende von edlen Polen haben Armut und Verbannung einer schmachvollen Unterwerfung vorgezogen. Die Unglücklichen! Das Korps des Generals Rybinski, das sich nach der preußischen Grenze zurückgezogen, ist dort im jammervollsten Zustande angekommen. Alle, die Mitglieder der Nationalversammlung, Minister, Generale, Magistratspersonen, Offiziere, Soldaten, sogar die Weiber und Kinder, wanderten barfuß durch den Kot, und sehr wenige hatten eine Kopfbedeckung. Selbst der Generalissimus Rybinski hat weder Hut noch Mantel. Und als sie in solcher Erschöpfung das preußische Gebiet erreicht, war die erste Sorge der preußischen Behörden, alle Minister und Senatoren in ein Kloster zu sperren, und dort mußten sie fünfzehn Stunden ohne Nahrung zubringen! Und so ein Würzburger Professor, der im Schlafrocke am Kamin sitzt und, Bier trinkend, seine Reden ausarbeitet, sagt seinen Federgenossen, sie hätten lang genug gekämpft, Heldenmut genug gezeigt und sie sollten sich der Notwendigkeit unterwerfen! Welche Welt ist das! Sie zu ertragen, haben wir einen Gott zu viel oder einen zu wenig. Christus muß den Himmel verlassen, daß wir alle Hoffnung und allen Glauben verlieren, Liebe und Freiheit als törichte Träume vergessen und in der Menschheit nicht mehr erblicken als mechanische und chemische Kräfte, die sich wechselseitig verdrängen und zerstören, sich aus Eigennutz verbinden und aus Habsucht verschlingen. Oder ein anderer Christ muß kommen, der uns für neue Leiden neuen Glauben, neue Hoffnung bringt.

 

Mittwoch, den 9. November

Ein ministerielles Blatt ärgert sich sehr über das Fallen der Renten, das Montag stattgehabt, und scheltet die reichen Leute Poltrons. Der Krämer-Minister Périer hat seinen Puls auf der Börse, und zwischen zwei und vier Uhr nachmittags ist er immer krank. – O Schande über die Nation! Schmach über Israel! Herr von Rothschild ist von den hiesigen Gerichten zu zweitägiger Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er trotz wiederholter Ermahnung sein Cabriolet nicht wollte numerieren lassen. Wahrscheinlich trotzt er auf den diplomatischen Charakter, den ihm sein Generalkonsulat gibt. Ein Rothschild soll sich gegen das Numerieren wehren. Hätte er niemals numeriert, wäre er nicht geadelt und diplomatisiert worden. Um seiner schönen Augen willen ist es nicht geschehen.

Gestern abend habe ich doch einmal wieder eingesehen, wozu Gott den Menschen Ohren geschaffen hat; man vergißt das leicht und oft. Ich habe die Malibran in der »Diebischen Elster« gehört. Nun, jetzt bin ich doch wieder verliebt, und Casimir Périer kann froh darüber sein; das wird ihm etwas Ruhe vor mir verschaffen. Sie trat nach langer Abwesenheit zum erstenmal wieder auf und wurde vom Publikum mit noch mehr Liebe als Geräusch empfangen. Das war deutlich zu merken. Auch mußte sie die angefangene Arie wieder unterbrechen; denn die Rührung unterdrückte ihre Stimme. Nun möchte ich wissen, ob das Natur oder Kunst war: dem Teufel kann man trauen, aber keiner Komödiantin. Ich kann ganz mit Ernst versichern, daß ich verliebt in sie bin, nicht in ihre Person, aber in ihren Gesang und noch mehr in ihr Spiel. Und Spiel in einer Oper! wer denkt nur an so etwas, wer erwartet es? Nie habe ich eine Schauspielerin gesehen, die so aufmerksam ist auf sich und auf die andern. Sie vergißt nichts, weder bei der leidenschaftlichen Bewegung noch in der gleichgültigsten Ruhe. Sie vergaß nicht einmal die Servietten auszuschütteln, als sie den Tisch abdeckte. Es steht keiner auf der Bühne und es mögen der Mitspielenden noch so viele, deren Rollen noch so unbedeutend sein, für den sie nicht einen eigenen Blick, eine eigene Bewegung hätte. Sie spielt für alle. Die Darstellung der tätigen Leidenschaften, des Hasses, des Zorns, der Verachtung, der handelnden Verzweiflung gelingt ihr meisterhaft, und ganz durchsichtig wie sie ist, sieht man die Leidenschaften nicht bloß in ihrer Reife, sondern man kann sie vom ersten Keime an bis zu den Früchten verfolgen. Sie muß viel studieren, viel nachdenken, viel lesen, sogar Medizinisches. Woher wüßte sie sonst alle pathologischen Bewegungen des Körpers so naturtreu darzustellen? Ich mußte manchmal die Augen von der Bühne abwenden, um nur wieder Atem zu schöpfen; denn wenn man die Pulsschläge zählt, die zu solchen Gemütsbewegungen gehören, wird einem ganz Angst bei der Rechnung. Mein kühles Urteil: daß die Malibran oft zu natürlich spiele, hieß ich mit Unwillen schweigen, so recht es auch hat. In der Tragödie, sowohl im Gedichte als in der mimischen Darstellung, darf zwar die Person handeln; aber leiden darf nur der Mensch. Die Person leiden zu sehen – was hat man davon? (Es ist doch schön, daß ein Kritiker nichts zu fürchten hat; hätte das: »was hat man davon?« ein anderer gesagt, ich wollte mich schön über ihn lustig machen.) Der Körper soll die Leiden der Seele durchblicken lassen; wird er aber selbst trübe, wie kann da die Seele durchscheinen? Das vergißt die Malibran zuweilen, und ihre leidenschaftlichen Bewegungen werden dann zu Nervenkrämpfen. Aber ach! wenn man mit der Geliebten schmollt, es dauert nicht lange. Sie spielt doch himmlisch. Und Rubini, Lablache! Was soll ich noch viel sagen? Ich könnte doch nicht mehr herausbringen als unsere deutsche Morgen- und Abendblätter: »der gestrige Abend war ein genußreicher Abend«.

Jetzt Adieu Malibran II., Malibran I. kömmt. So schrieb ich, als ich Konrad mit Ihrem Briefe hereintreten sah. Aber ich bitte, gebrauchen Sie künftig statt vier nur drei Oblaten. Dann könnte ich doch wenigstens satirisch sein und Ihr fürchterliches Gesiegel mit dem dreiköpfigen Cerberus vergleichen, der grimmig alle Neugierigen abwehrt. Lieber Satan, sagen Sie mir doch, wer, der nicht muß, wird denn in Ihren sauren Brief hineinsehen? O wie verwünsche ich die Cholera, daß sie mir durch ihre Räucherungen mein Glück so versäuert! Sie fragen mich: wie es denn meine Bekannten hier machen, wenn die Cholera kömmt? Mein Gott, wenn Sie darunter fremde Deutsche verstehen, so sind ja das meistens sorgenlose junge Leute, die erstens solche Gefahren gar nicht beunruhigen und die, da es ihnen oft an Geld fehlt, an weite Flucht nicht denken können. Heine sagt mir, er würde nicht hierbleiben, sondern nach der Schweiz gehen. Sie können sich denken, daß die reichen lebenslustigen Pariser, die keine Notwendigkeit an Paris fesselt, fortlaufen werden. Was mich betrifft, so will ich mir voraus gar nicht darüber den Kopf zerbrechen. Da die Nachricht von der Cholera in England heute widerrufen wird, sehe ich nicht ein, wie sie so schnell nach Paris kommen soll, und das wird sich wohl noch bis zum Frühlinge hinziehen. Vor einiger Zeit habe ich recht angenehm geschwärmt mit meiner Flucht. Ich wollte nach Marseille reisen und von da nach Genua, damit ich doch einmal das Meer und italienischen Himmel zu sehen bekäme. Es ist doch eine rechte Sünde, daß ich hier sitze und das viele Geld verzehre, und für das nämliche Geld, ja für weniger, könnte ich den Winter im südlichen Frankreich oder im nördlichen Italien verträumen. Ich habe die größte Sehnsucht, einmal aus diesem nordischen Klima der Politik und des Verstandes zu wandern und unter einem Himmel der Natur und Kunst zu atmen. Was halten Sie davon?

Die Schröder-Devrient hat vor einigen Tagen beim italienischen Theater als Donna Anna debütiert und hat in hohem Grade mißfallen. Sie wird in den öffentlichen Blättern streng beurteilt, und man scheint recht zu haben. Im deutschen Theater gefiel sie den Parisern sehr, und da kam die Eitelkeit über sie und stach ihr die Augen aus. Jetzt begeht sie gar noch den tollen Übermut und tritt nächsten Sonntag zugleich mit der Malibran und zwar in einem Stücke auf, worin sie deren Rolle übernimmt. Sie wird im »Othello« die Desdemona singen und die Malibran den Mohr. *** sagte mir heute: die Malibran (es ist ihr Benefiz) habe das so angezettelt, um die Devrient auf einmal und für immer zu stürzen. Mein vaterländisches Herz blutet mir bei dieser traurigen Aussicht. Ich bin in einer schrecklichen Lage. Ich wünsche den Triumph der Malibran und würde doch den Fall der Devrient beweinen. So zwischen Liebe und Patriotismus geklemmt – was soll ich tun, wie soll ich mich erleichtern? Teure Freundin, helfen, raten Sie. Welche Zeit! wohin soll man sich wenden? wo findet das zerrissene Herz einen geschickten Schneider? Wo? Im Weimarischen, in dem glücklichen Lande, » wo die Liebe befiehlt und die Liebe gehorcht«.

 

Donnerstag, den 10. November

Das Verbot der »Bockenheimer Zeitung« – das ist die graue Narrheit, die vor Alter kindisch geworden. Sie wollten keine Blitzableiter; nun, um so besser. Dann wird das Donnerwetter statt in die Erde auf die Dummköpfe selbst herabfahren, und wir werden sie los. Selbst der türkische Kaiser läßt jetzt eine Zeitung schreiben! Wenn die türkische Regierung im Liberalismus so weit vorschreitet, als Deutschland zurückgeht, dann werden Frankfurt und Konstantinopel bald aufeinander treffen. Wahrhaftig, ich bewundere den Sultan, ob ich zwar das gar nicht nötig hätte, um unsere christliche Fürsten zu verachten. Bei diesen, wo ihr böser Wille aufhört, beginnt erst ihre Schwäche. Keiner von ihnen hat den Mut, dem Widerstreben ihres Hofes, ihres Adels gegen die Entwicklung der Volksfreiheit sich entgegenzusetzen. Der Kaiser von Rußland ist so feige und schwach, daß er nicht wagt, die Polen freizugeben, weil es seine russischen Hofbären nicht wollen. Und der Sultan steht ganz allein, hat kein Volk auf seiner Seite, gegen sich aber den Pöbel, die Geistlichkeit und die Aristokratie, und doch läßt er sich nicht einschüchtern und geht auf dem Wege der Verbesserungen mutig vorwärts! Und der Adel, der dem Sultan feindlich entgegensteht, ist kein entnervter, hasenfüßiger, an seidenen Bändern wie Hündchen geführter europäischer Adel; es sind keine parfümierten Diplomaten in seidenen Strümpfen und glasierten Handschuhen – es ist eine Militäraristokratie, es sind die reichen wilden Janitscharen. Aber freilich ist Mahomet nicht am Kreuze gestorben, und Dulden und Warten wird seinen Gläubigen nicht als Heldenmut gelehrt. Ich begreife nur nicht, wie sich der Sultan jetzt schon so viele Jahre unter seinen zahllosen Feinden, gegen die, im Dunkeln schleichend, kein Mut schützt, hat erhalten können. Ganz gewiß ließ er sich von Wien einen Kunstverständigen kommen, der ihm eine geheime Polizei auf christlichem Fuße eingerichtet hat.

Der König von Württemberg hat einen öffentlichen Befehl erlassen, wodurch den Offizieren streng untersagt wird, von Politik zu sprechen und Gesellschaften zu besuchen, worin dieses geschieht. Ich habe doch in dieser unglücklichen Zeit wenigstens die Schadenfreude, wahrzunehmen, wie sehr sich die deutschen Fürsten seit einem Jahre geärgert haben. Jetzt steigt ihnen die Säure auf, so stark, in solcher Menge, daß man die ganze nordische Briefpost an der französischen Grenze damit desinfizieren könnte. Es gibt doch nichts komischers als solch eine altväterische Regierung. Von der Cholera, die doch gewiß kontagiös ist, haben sie aus politischen Gründen behauptet, sie sei miasmatisch, und von der Politik, die miasmatisch ist, behaupten sie aus cholerischen Gründen, sie sei kontagiös. O! Doch will ich mit diesem O! keineswegs gesagt haben, daß mir der König Philipp nicht auch soll gestohlen werden. Hat mir dieser Volkskönig, der sich ein halbes Jahr lang den Parisern nie anders zeigt als wie ein deutscher Opernkönig mit der Hand auf dem Herzen, ein großes Stück von meinen Tuilerien weggenommen, und ich betrete nie den Garten, ohne zu erstaunen über diese Kühnheit und über diese Nachsicht auf beiden Seiten. Das hat keiner der legitimen Könige von Orléans zu tun gewagt, zu tun je Lust gezeigt. Er läßt sich einen Privatgarten für sich und seine Kinder aus dem usurpierten Teile machen. Er hat gar nicht das Recht dazu; denn die Tuilerien gehören ihm nur als König, und was ihm als König gehört, daran hat das Volk auch teil. Und was noch bedenklicher ist, nicht die Habsucht, die Furcht hat Louis-Philippe zu dieser Usurpation verleitet. Er läßt hohe Terrassen aufwerfen, Mauern und Graben ziehen, um das Schloß von der Gartenseite gegen einen Andrang zu schützen. Er fürchtet sich – Frankreich mag sich vorsehen. Die Verkleinerung des Tuileriengartens, das wäre also die einzige Folge der Französischen Revolution, die sich mathematisch bezeichnen läßt; alles übrige ist Metaphysik. Die Folgen, welche die Julirevolution für Deutschland gehabt, sind viel deutlicher. 1. Die Cholera. 2. In Braunschweig hatten sie sonst einen Fürsten, der es wenigstens nicht mit dem Adel hielt; jetzt haben sie einen, der sich vom Adel gängeln läßt. 3. Die Sachsen haben statt einen Fürsten jetzt zwei. 4. Die Hessen haben statt der alten fürstlichen Mätresse eine junge bekommen. 5. In Baden konnte man früher eine Zeitung schreiben ohne Kaution, jetzt muß man eine leisten. 6. Wer in Bayern den König beleidigte, mußte früher vor dessen Ölbilde Abbitte tun; jetzt kommt der Beleidiger auf fünf Jahre in das Zuchthaus. Da weiß man doch wenigstens, woran man ist.


 << zurück weiter >>