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Paris, den 11. Februar 1831
Es gibt bestimmt Krieg. Ich habe zwar keinen Tag daran gezweifelt, seit ich in Paris bin; hier aber wollten viele nicht daran glauben. Doch jetzt hat sich die Meinung geändert, jedermann sieht den Krieg als unvermeidlich an. Zwar hat man in Preußen Heines Schriften verboten; aber die besten Politiker in Frankreich und England zweifeln, daß diese Maßregel hinreichen werde, die Welt in ihrem Laufe aufzuhalten ... Freuen wir uns; den Polen ist wieder eine Hülfe von oben gekommen. Man hat hier ziemlich sichere Nachrichten, daß in einigen russischen Provinzen ein Aufruhr ausgebrochen. Auch in mehreren Orten Italiens ist das Volk aufgestanden. Die armen Deutschen! die werden neue Ohrfeigen bekommen, weil das Volk in Finnland und Bologna wieder unartig gewesen.
– Ich habe Heines vierten Band in einem Abende mit der freudigsten Ungeduld durchgelesen. Meine Augen, die Windspiele meines Geistes, liefen weit voraus und waren schon am Ende des Buches, als ihr langsamer Herr erst in der Mitte war. Das ist der wahre Dichter, der Günstling der Natur, der alles kennt, was seine Gebieterin dem Tage Häßliches, was sie ihm Schönes verbirgt. Auch ist Heine, als Dichter, ein gründlicher Geschichtsforscher. Doch verstecken Sie meinen Brief in den dunkelsten Schrank; denn läse ein historischer Professor, was ich soeben geschrieben, er ließe mich totschlagen, auf seiner eigenen oder einer andern Universität – obzwar die deutschen Heeren keine Freunde vom Totschlagen sind, weder vom aktiven noch vom passiven, wie man neulich in Göttingen gesehen. Diesmal hat der Stoff Heine ernster gemacht, als er sonst den Stoff, und wenn er auch noch immer mit seinen Waffen spielt, so weiß er doch auch mit Blumen zu fechten. Das Buch hat mich gelabt wie das Murmeln einer Quelle in der Wüste, es hat mich entzückt wie eine Menschenstimme von oben, wie ein Lichtstrahl den lebendig Begrabenen entzückt. Das Grab ist nicht dunkler, die Wüste ist nicht dürrer als Deutschland. Was ein seelenloser Wald, was ein toter Felsen vermag: uns das eigne Wort zurückzurufen – nicht einmal dazu kann das blöde Volk dienen. Kann man es besser schildern als mit den Worten: Der Engländer liebt die Freiheit wie seine Frau; der Franzose wie seine Braut; und der Deutsche wie seine alte Großmutter! Und: »wenn zwölf Deutsche beisammen stehen, bilden sie ein Dutzend, und greift sie einer an, rufen sie die Polizei!« Ich sprach so allein in dieser Zeit, und Heine hat mir geantwortet. Alles ist schön, alles herrlich, das aus Italien wie das aus England. Was er gegen den Berliner Knechtphilosophen (Hegel) und gegen den geschmeidigen Kammerdiener-Historiker (Raumer) sagt, die ein seidenes Bändchen fester an die Lüge knüpft als das ewige Recht an die Wahrheit, das allein könnte einem Buche schon Wert geben. Und hat man je etwas Treffenderes von den Monopolisten des Christentums gesagt: wie die Erbfeinde der Wahrheit Christus, den reinsten Freiheitshelden, herabzuwürdigen wußten, und als sie nicht leugnen konnten, daß er der größte Mensch sei, aus ihm den kleinsten Gott gemacht? – Wenn Heine sagt: Ach! man sollte eigentlich gegen niemanden in dieser Welt schreiben – so gefällt mir zwar diese schöne Bewegung, ich möchte ihr aber nicht folgen. Es ist noch Großmut genug, wenn man sich begnügt, gegen Menschen zu schreiben, die uns peinigen, berauben und morden. Was mich aber eine Welt weit von Heine trennt, ist seine Vergötterung Napoleons. Zwar verzeihe ich dem Dichter die Bewunderung für Napoleon, der selbst ein Gedicht; aber nie verzeihe ich dem Philosophen Liebe für ihn, den Wirklichen. Den lieben! Lieber liebte ich unsere Nürnberger Wachtparaden-Fürsten, öffnete ihnen mein Herz und ließ' sie alle auf einmal eintreten als diesen einen Napoleon. Die andern können mir doch nur die Freiheit nehmen, diesem aber kann ich sie geben. Einen Helden lieben, der nichts liebt als sich; einen herzlosen Schachspieler, der uns wie Holz gebraucht und uns wegwirft, wenn er die Partie gewonnen. Daß doch die wahnsinnigen Menschen immer am meisten liebten, was sie am meisten hätten verabscheuen sollen! Sooft Gott die übermütigen Menschen recht klein machen wollte, hat er ihnen große Menschen geschickt. – – Sooft ich etwas von Heine lese, beseelt mich die Schadenfreude: wie wird das wieder unter die Philister fahren, wie werden sie aufschreien, als lief ihnen eine Maus über ihr Schlafgesicht! Und da muß ich mich erst besinnen, um mich zu schämen. Die! sie sind imstande und freuen sich über das Buch und loben es gar. Was sind das für Menschen, die man weder begeistern noch ärgern kann!
– Habt ihr denn in Frankfurt auch solches Wetter, von Zucker, Milch und Rosen, wie wir hier seit einigen Tagen? Es ist nicht möglich. Ihr habt trübe deutsche Bundestage, manchmal einen kühlen blauen Himmel, von finstern Wolken halb wegzensiert – und das ist alles. Aber wir Götter in Paris – es ist nicht zu beschreiben. Es ist ein Himmel wie im Himmel. Die Luft küßt alle Menschen, die alten Leute knöpfen ihre Röcke auf und lächeln; die kleinen Kinder sind ganz leicht bekleidet, und die Stutzer und die Stutzerinnen, die der Frühling überrascht, stehen ganz verlegen da, als hätte man sie nackt gefunden, und wissen in der Angst gar nicht, womit sie sich bedecken sollen. Gestern, im Jardin des Plantes, wimmelte es von Menschen, als wären sie wie Käfer aus der Erde hervorgekrochen, von den Bäumen herabgefallen. Kein Stuhl, keine Bank war unbesetzt; tausend Schulkinder jubelten wie die Lerchen, der Elefant bekam einen ganzen Bäckerladen in den Rüssel gesteckt, und die Löwen und die Tiger und Bären waren vor den vielen Damen herum nicht zu sehen. Man konnte kaum hineinkommen vor vielen Kutschen am Gitter. So auch heute in den Tuilerien. Man sucht nicht die Sonne, man sucht den Schatten. Es ist ein einziger Platz, oben auf der Terrasse, wo man auf den Platz Louis XVI. hinabsieht! Und da unter einem Baume zu sitzen, diese Luft zu trinken, die wie warme Limonade schmeckt, und dabei in der Zeitung zu lesen, daß die Russen ihre Ketten schütteln und die heißen Italiener ihre Jacken ausziehen – nicht eine Einladung bei Seiner Exzellenz dem Herrn von Münch-Bellinghausen vertauschte ich damit!
– Die neusten und die wichtigsten politischen Neuigkeiten erfahre ich durch Konrad, der sie vom Restaurateur, wo er mir zuweilen das Essen holt, mitbringt. Dort scheinen lauter politische Köche zu sein. Seitdem Konrad das Haus besucht, ist er so vertraut wie Metternich mit den europäischen Angelegenheiten; ja ich glaube, er weiß viel mehr. Da er heute eine Suppe holte, sagte ihm ein Koch oder Kellner: er würde bald zu ihm kommen und eine deutsche Suppe mit ihm essen. Daran denkt Metternich gewiß nicht. Welch ein Unterschied aber zwischen Frankfurt und Paris! Vorigen Winter schickte ich den Konrad monatelang täglich in den »Russischen Hof«, mein Essen zu holen, und nie brachte er mir aus der Küche eine europäische Begebenheit mit nach Hause, außer einmal die Neuigkeit, daß die Wirtin mit Zwillingen niedergekommen. In meiner Restauration hier gehen acht Kellner oder Köche freiwillig unter die Soldaten, wie sie dem Konrad erzählt.
– Die Sammlungen für die Polen sind jetzt in vollem Gange, Konzerte, Bälle, Theater, Essen zu ihrem Besten; es nimmt kein Ende. Eine berühmte Harfenspielerin aus Brüssel, eine Dilettantin, machte bloß die Reise hierher, um im Konzert, das morgen über acht Tage für die Polen gegeben wird, mitzuspielen. Der alte Lafayette leitet das alles. Das ist doch gewiß der glücklichste Mensch in der ganzen Weltgeschichte. Ihm ging die Sonne heiter auf, sie geht ihm heiter unter, und bei jedem Sturme in der Mitte seines Lebens fand er ein Obdach unter seinem Glauben. Für die Polen fürchte ich jetzt nichts mehr als sie selbst. Ich kann nicht wissen, wie es im Lande aussieht. Mächtig dort ist nur der Adel allein, der Bürgerstand ist noch schwach. Wenn nun dem Adel mehr daran gelegen wäre, Polens Unabhängigkeit als Polens Freiheit zu erlangen! Ich las schon einigemal in den Blättern, man habe die polnische Krone dem Erzherzog Karl angeboten, und Österreich wolle sie annehmen und hunderttausend Mann gegen die Russen schicken. Es wäre entsetzlich. Österreich zum Vormunde einer jungen Freiheit! Ich kann nicht einmal lachen darüber! Mich beruhigt nur Metternichs Pedanterie und kindische Furcht; er fürchtet selbst die Maske der Freiheit auf seinem eigenen Gesichte. Auch in Belgien war der Erzherzog Karl der dritte Thronkandidat und hatte nach dem Herzog von Leuchtenberg die meisten Stimmen! Mit Zittern habe ich da gesehen, welch einen mächtigen Einfluß noch Österreich hat.
– Mit dem Bürgermeister Behr in Würzburg, das ist – wenn ich sagte schändlich, das wäre zu matt; ich sage: es ist deutsch! Aber ich nehme es dem König von Bayern durchaus nicht übel. Ein Volk, das so geduldig auf sich herumtrampeln läßt, verdient getreten und zertreten zu werden. Aide-toi; et le ciel t'aidera.