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Hundertvierter Brief

 

Paris, Montag, den 4. Februar 1833

Bérangers neue Lieder haben nicht das jugendliche Herz der frühern, in welchem reines Quellblut sprudelte. Wir aber, die den Dichter lieben, lesen sie wieder frisch. So blühen verwelkte Blumen neu auf, wenn man sie in warmes Wasser stellt. Béranger fühlt es selbst, daß er schwächer geworden; aber er sagt: nicht sein Alter allein, sondern auch der Ernst der Zeit hätten seine Sangesweise schwer und nachdenklich gemacht. Mir aber scheint, daß seine Verachtung nicht mehr ausgereicht für die Verächtlichkeit, sein Spott nicht mehr für die Lächerlichkeit der jetzigen Machthaber und ihres Treibens, und daß darum sein sonst so siegesfroher Kampf alle Freudigkeit verloren. Er hat die Gedichte Lucien Bonaparten zugeeignet, der ihn einst in seiner Jugend von der Armut rettete und ihm wieder forthalf. Die Worte der Zuneigung sind würdig und rührend. Da sagt er unter andern: »J'ai toujours penché à croire qu'à certaines époques les lettres et les arts ne doivent pas être des simples objets de luxe.« Das mögen sich unsere deutschen gelehrten Zeugfabrikanten und unsere poetischen Goldarbeiter merken, die, in der Schule Goethes gebildet, ihre Wissenschaft und Kunst und ihr edles Gewerbe herabzuwürdigen glauben, wenn sie je auf etwas anderes als auf neue Erfindungen für die Lust der Reichen und Vornehmen sinnen, wenn sie je an etwas anderem als an Kronen und Ordenssternen arbeiten. In der Vorrede sagt Béranger: das wären seine letzten Lieder, und er wolle den Rest seines Lebens verwenden, die Denkwürdigkeiten seiner Zeit aufzuschreiben. Diese Drohung braucht uns keine Sorge zu machen; Dichter und Liebende schwören oft falsch.

» Das Glück der Menschheit war der Traum meines Lebens.« Hätte Béranger nur das nicht gesagt! Das sagen ja eben die andern auch, die das Glück der Menschheit nicht wollen. Sie spotten: Ihr träumt, ihr schwärmt! Nein, es ist kein Traum; aber freilich, wenn man schläft, ist alles Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es gibt jetzt zehntausendmal mehr glückliche Menschen, als es vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten damals auch Dichter und Philosophen, welche von dem Glücke der Menschheit träumten, und gewiß wurden sie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer Schwärmereien. Und doch ist alles besser geworden, und ohne Zweifel übersteigt die Wohlfahrt der heutigen Welt weit die Hoffnung jener Gutgesinnten, weit die Furcht jener Schlechtgesinnten. Was hat sich geändert? Hat das Glück der Menschheit sich vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks ist immer die nämliche, nur kömmt es darauf an, wie sie verteilt ist. In jenen frühen Jahrhunderten war alles Land und Gut, aller Reichtum und alle Lust des Lebens, waren alle Waffen zur Verteidigung der Güter des Lebens in alleinigem Besitze der Edelleute, und alle Kunst und Wissenschaft und göttliche Erkenntnis waren Eigentum der Geistlichkeit. Sie hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam, der Adel und Geistlichkeit aufgelöst, und da flossen Reichtum und Wissen von selbst auf das Land herab. Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geistes, mit euer Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit, die langsam zerstört und noch langsamer bildet. Die Zeit ist eine Seidenraupe; wollt ihr Seide spinnen, dürft ihr nicht warten, bis sich der Schmetterling entfaltet. Gott gab dem Menschen die Zukunft, daß er sie zur Gegenwart mache; aber wir sind so faul und niederträchtig feige, daß wir die Gegenwart zur Zukunft werden lassen. Die Vergangenheit ist unsere Gegenwart, und wir Narren sind zufrieden, wenn wir altbacken Brot essen. Jeder Fürst eines großen Landes verzehrt das Glück von hunderttausend seiner Untertanen, jeder kleine Fürst nach Verhältnis noch mehr. Jede Universität macht das Land zehen Meilen in der Runde dumm. Wenige sollen alles wissen, damit alle nichts wissen. Unsere Gelehrten sind die Schatzmeister der Aufklärung. Diese Narren bilden sich ein, sie würden von den Regierungen gut bezahlt, damit sie den Schatz in Ruhe und Frieden genießen. O nein; man stellt sie an, daß sie den Schatz wohlverschlossen halten, damit nichts davon unter das Volk komme. Mit dem allein, was die Göttinger Bibliothek gekostet, könnte man in ganz Deutschland Dorfbibliotheken errichten. Wenn man dreißig Fürsten in zwanzig Millionen Bürger und Bauern, wenn man dreißig Professoren in dreißigtausend Schulmeister zerschlüge – in jedem Geheimen Hofrat stecken ihrer tausend –, wäre ein ganzes Volk wohlhabend, gebildet, sittlich und glücklich. Dann würde das Unglück der Menschheit der Traum der Schlechten sein.

Wonach ich in diesen Liedern am begierigsten sah, können Sie sich leicht denken. Nach den Gesinnungen und Äußerungen Bérangers über den Zustand Frankreichs. Mit wahrer Angst suchte ich das auf; denn ich habe seit zwei Jahren oft flüstern hören: nicht aus Mangel an Stoff ließ Béranger seinen Zorn schweigen, sondern aus einem andern Mangel. Ich glaubte das halb, und es machte mir Kummer. Ich glaubte es – denn die schöne Zeit ist nicht mehr, wo nur die Verleumdung edle Menschen beschädigen konnte; das tut auch jetzt der Argwohn der Guten, der wie ein Rost das reinste Gold der Tugend verzehrt. Der Wein, welchen die Macht in großen Strömen fließen läßt, die Vernunft und das Herz der Welt zu überschwemmen, daß sie ihre Mitschuldige werde, hat auch viele der Edelsten berauscht, und die Regierungen haben es in ihrer geheimen Scheidekunst so weit gebracht, daß sie selbst aus Rosenwasser das stärkste Gift destillieren können. Dank dem Himmel, das fand ich nicht in den Liedern; ich fand aber auch nicht alles, was ich suchte. Den Stoff, den ihm die Regierung Louis-Philippes angeboten, der viel schöner und reicher ist als der der frühern Zeit, hat Béranger träge bearbeitet. Aber es gibt außer der Bestechung durch Geld noch eine andere; die durch Worte und Schmeicheleien. Viele von den alten Freunden Bérangers teilen jetzt den Gewinst und die Sünden der Macht. Es kann ihm wohl einer derselben vorgestellt haben: er möge bedenken, welchen großen Einfluß seine Lieder auf das Volk hätten, und daß sie am meisten die Revolution vorbereitet. Er möge bedenken, in welcher gefährlichen Lage der König den Parteien und dem Lande gegenüber stehe – das bedenken und darum schonen. Vielleicht zeigte man ihm auch in einiger Entfernung ein Endchen von irgendeinem Geheimnisse der heiligen Allianz. Da ließ sich der gute Béranger überlisten und versprach zu schweigen. Später sah er wohl ein, daß er getäuscht worden, aber er hatte einmal sein Wort gegeben.

So zielen Bérangers politische Lieder zwar auf die Scheibe, aber nicht mehr wie früher auf das Schwarze. Das, was ich in meinen vorjährigen Briefen mitteilte, La paix, und das deutlich den Stempel des Dichters trägt, ist nicht gedruckt worden. Die Minister und die Kammer und die unhandgreifliche Regierung bespöttelt er etwas in dem Liede La restauration de la chanson. In den ersten Tagen nach der Revolution hatte Béranger gesagt: » On vient de détrôner Charles X et la chanson«. Darauf bezieht sich das Lied, von welchem hier die zwei ersten Strophen folgen.

Oui, chanson, Muse ma fille.
J'ai déclaré net
Qu'avec Charles et sa famille
On te détrônait.
Mais chaque loi qu'on nous donne
Te rappelle ici.
Chanson, reprends ta couronne
– Messieurs, grand merci!

Je croyais qu'on allait faire
Du grand et du neuf;
Même étendre un peu la sphère
De quatre – vingt – neuf.
Mais point! On rébadigeonne
Un trône noirci.
Chanson, reprends ta couronne
– Messieurs, grand merci!

Diesem Liede unmittelbar vorher geht ein anderes, dem es gleichsam als Beweis folgt. Der Minister Sébastiani wollte, so zart wie möglich, den Dichter reich machen. Er antwortete ihm in dem schönen Liede: Le refus; darin sagt er:

Qu'un peu d'argent pleuve en mon trou,
Vite il s'en va, Dieu sait par où!
D'en conserver je désespère.
Pour recoudre à fond mes goussets,
J'aurais dû prendre, à son décès,
Les aiguilles de mon grand-père.

Ami, poutant gardez votre or.
Las! j'épousai, bien jeune encor,
La Liberté, dame un peu rude.
Moi, qui dans mes vers ai chanté
Plus d'une facile beauté
Je meurs l'esclave d'une prude.

La Liberté! c'est, Monseigneur,
Une femme folle d'honneur;
C'est une bégueule enivrée
Qui, dans la rue ou le salon,
Pour le moindre bout de galon,
Va criant: A bas la livrée!

Aus einem philosophischen Gedichte Les Fous sind folgende schöne Verse:

Combien de temps une pensée,
Vierge obscure, attend son époux!
Les sots la traitent d'insensée;
Le sage lui dit: Cachez-vous!
Mais la recontrant loin du monde,
Un fou qui croit au lendemain,
L'épouse; elle devient féconde
Pour le bonheur de genre humain.

Qui découvrit un nouveau monde?
Un fou qu'on raillait en tout lieu.
Sur la croix que son sang inonde,
Un fou qui meurt nous lègue un Dieu.
Si demain, oubliant d'éclore,
Le jour manquait, eh bien! demain
Quelque fou trouverait encore
Un flambeau pour le genre humain.

Ob Sie zwar die Gedichte bald erhalten werden, habe ich mir doch die große Mühe gegeben, zwei derselben, worin Béranger seine Liebe zu den Königen herrlich tönen ließ, ganz für Sie abzuschreiben. Ich weiß, welche Freude es Ihnen macht, in meinem armen ausgetrockneten Mühlbache wieder etwas Wasser zu sehen.

»Conseil aus Belges.

Finissez-en, nos frères en Belgique
Faites un roi, morbleu, finissez-en.
Depuis huit mois, vos airs de république
Donnent la fièvre à tout bon courtisan.
D'un roi toujours la matière se trouve:
C'est Jean, c'est Paul, c'est mon voisin, c'est moi.
Tout œuf royal éclot sans qu'on le couve.
Faites un roi, morbleau, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.

Quels biens sur vous un prince va répandre!
D'abord viendra l étiquette aux grands airs;
Puis des cordons et des croix à revendre;
Puis ducs, marquis, comtes, barons et pairs.
Puis un beau trône, en or, en soie, en nacre,
Dont le coussin prête à plus d'un émoi.
S'il plaît au ciel, vous aurez même un sacre.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.

Puis vous aurez baisemains et parades,
Discours et vers, feux d'artifice et fleurs;
Puis force gens qui se disent malades
Dès qu'un bobo cause au roi des douleurs
Bonnet de pauvre et royal diadème
Ont leur vermine: un dieu fit cette loi.
Les courtisans rongent l'orgueil suprême.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi,

Chez vous pleuvront laquais de toute sorte;
Juges, préfets, gendarmes, espions;
Nombreux soldats pour leur prêter main-forte;
Joi à brûler un cent de lampions.
Vient le budget! nourrir Athène et Sparte
Eût, en vingt ans, moins coûté, sur ma foi.
L'ogre a diné; peuples, payez la carte;
Faites un roi, morbleau, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.

Mais, quoi! je raille; on le sait bien en France;
J'y suis du trône un des chauds partisans.
D'ailleurs l'histoire a répondu d'avance:
Nous n'y voyons que princes bienfaisants.
Pères du peuple ils le font pâmer d'aise;
Plus il s'instruit, moins ils en ont d'effroi;
Au bon Henri succède Louis treize.
Faites un roi, morbleu, faites un roi.
Faites un roi, faites un roi.

Prédiction de Nostradamus pour l'an deux-mil

Nostradamus, qui vit naître Henri-Quatre
Grand astrologue, a prédit dans ses vers,
Qu'en l'an deux-mil, date qu'on peut débattre.,
De la médaille on verrait le revers.
Alors, dit-il, dans l'allégresse,
Au pied du Louvre ouïra cette voix:
Heureux Français, soulagez ma détresse;
Faites l'aumône au dernier de vos rois!

Or, cette voix sera celle d`un homme
Pauvre, à scrofule, en haillons, sans souliers
Qui, né proscrit, vieux arrivant de Rome,
Fera spectacle aux petits écoliers.
Un senateur criera: ›L'homme à besace!
Les mendiants sont bannis par nos lois.‹
– Hélas! monsieur, je suis seul de ma race.
Faites l'aumône au dernier de vos rois.

Est-tu vraiment de la race royale?
– ›Qui‹, répondra cet homme, fier encore.
J'ai vu dans Rome, alors ville papale,
A mon aïeul, couronne et sceptre d'or.
Il les vendit pour nourrir le courage
De faux agents, d'écrivains maladroits.
Moi, j'ai pour sceptre un bâton de voyage.
Faites l'aumône au dernier de vos rois.

Mon père, âgé, mort en prison pour dettes
D'un bon métier n'osa point me pouvoir.
Je tends la main; riches, partout vous êtes
Bien durs au pauvre, et Dieu me l'a fait voir.
Je foule enfin cette plage féconde
Qui repoussa mes aïeux tant de fois.
Ah! par pitié pour les grandeurs du monde
Faites l'aumône au dernier de vos rois.

Le senateur dira: Viens, je t'emmène
Dans mon palais; vis heureux parmi nous.
Contre les rois nous n'avons plus de haine:
Ce qu'il en reste embrasse nos genoux.
En attendant que le sénat décide
A ses bienfaits si ton sort a des droits,
Moi, qui suis né d'un vieux sang régicide,
Je fais l'aumône au dernier de nos rois.

Nostradamus ajoute en son vieux style:
La république au prince accordera
Cent louis de rente, et, citoyen utile,
Pour maire un jour, Saint-Cloud le choisira.
Sur l'an deux-mil on dira dans l'histoire
Qu'assise au trône et des arts et des lois,
La France, en paix reposant sous sa gloire,
A fait l'aumône au dernier de ses rois..«

 

Dienstag, den 5. Februar

Weiber heraus! Herbei mit Stecknadeln, mit Nähnadeln, mit Haarnadeln, mit Stricknadeln, mit scharfen Zungen, mit Fischbeinen, mit Zwirnknäueln, mit Haarflechten! Es gilt eure Ehre; ich führe euch an. Die Darmstädter wollen euch den Zutritt in ihre Kammer verweigern. Sie haben euch gelästert Deutsch und Französisch. Sie haben gesprochen von Ariovist, von Cäsar, von den Römern, von den Germanen, von Montesquieu, vom Orient, vom Okzident, von den spartanischen Frauen, von Goethe, Schiller, von den schätzbaren Winken, welche die philosophischen Schriften des Königlich-Preußischen Staatsministers Ancillon über diesen Punkt enthalten. Von Himmel und Erden, von Gott und Teufel. Sie haben gesprochen von dem dröhnenden Geheule der germanischen Weiber, und wie Cäsar vier Wochen gebraucht, seine Soldaten an den Graus zu gewöhnen, und wie er früher die Schlacht nicht gewagt. Zwar hat eure Sache durch eine kleine Stimmenmehrheit gesiegt; aber das hilft euch nichts. Die Regierung dort wird euch nie in die Kammer lassen; denn sie zittert vor euch. Sie fürchtet: manchem würde euer Lächeln mehr sein als das gnädige Lächeln des Fürsten, euer Händedruck schmeichelnder als das Achselzucken eines Ministers und euer Spott gefährlicher als die Unzufriedenheit des preußischen Gesandten. Darum sammelt euch! In Ordnung! Die Häßlichsten im ersten Gliede! Vorwärts! ... Was ist? Ihr zaudert? Habt ihr Furcht? ... Ja so!... Die Schönsten voraus! Marsch! ... Halt! Kehrt wieder um und geht nach Hause! Es fällt mir eben ein, daß sie recht haben; es sind schon Weiber genug in allen deutschen Kammern.

Von den Duellen, welche in diesen Tagen zwischen karlistischen und liberalen Journalisten stattgefunden, werden Sie in den Zeitungen gelesen haben. Aber bei euch mag man wohl die Bedeutung dieses Ereignisses nicht ganz fühlen. Es war sehr wichtig, es hat die Regierung aus ihrem süßen Traum geweckt. Man dachte, das Volk wäre tot, weil es nicht mehr brüllte, und da kam mancher Esel, wenn auch zitternd, herangestolpert, um durch einen Fußtritt seine Tapferkeit und seine treue Anhänglichkeit für die doktrinäre Eselei zu beweisen. Da brüllte der Löwe wieder einmal, und sie bekamen Angst. Die unverschämte Herausforderung der Legitimisten, die doch so schwach sind wegen ihrer geringen Zahl, wurde so gedeutet: daß diese Partei durch den geheimen Schutz der Regierung sich stark fühle. Hat doch der Minister Broglie in der Kammer erklärt, die Vertreibung Karls X., die ganze Revolution, sei keine Handlung des Rechts gewesen, sondern nichts als eine Tat der Gewalt, die man achten müsse, weil man müsse. So erkannte die öffentliche Meinung in dem Trotze der Karlisten nichts als die Arglist der Regierung, und sie sprach sich so stark aus, daß die Doktrine ihre Fühlhörner erschrocken in ihr Schneckenhaus zurückzog. Carrel, der Redakteur des National, der sich für die liberale Partei hervorgestellt, ist lebensgefährlich verwundet worden. Jetzt ist er außer Gefahr. Wäre er geblieben, hätte er vielleicht ein riesengroßes Grab bekommen. Auch haben der Hof, das Ministerium und die Gesandtschaften sich, öffentlich oder im stillen, so ängstlich um das Befinden dieses Republikaners erkundigen lassen, als wäre es ein legitimer Prinz. Von den Amis des droits de l'homme allein haben sich achttausend gemeldet, um, je zwanzig, es mit den Karlisten auszufechten. Ein Freund, der gestern auf dem Bureau der Tribune war, erzählte mir, die Zimmer wären alle von gemeinen Arbeitsleuten voll gewesen, die gekommen waren, sich unter die Duellanten einschreiben zu lassen. Ich billige sonst Duelle bei gewöhnlichen Beleidigungen nicht. Die sogenannte Ehre ist nichts als die falsche Münze der Tugend, ein kindisches und nichtswürdiges Ordensbändchen, das sich der Hochmut der Aristokratie erfunden, damit ihre Verdienstlosigkeit zu schmücken. Aber Duelle aus politischen Gründen preise ich. Man stirbt für die Freiheit so ehrenvoll in einem Zweikampfe und auf dem Schafotte als auf dem Schlachtfelde.

– So will ich Ihnen denn die Erbschaftsgeschichte der Mars erzählen. Bei dieser Gelegenheit aber muß ich die Künstlerin um Verzeihung bitten; ich habe ihr großes Unrecht getan. Wie ich gestern in einer Biographie gelesen, ist sie 1778 geboren, also gegenwärtig erst 55 Jahre alt und nicht 60, wie ich neulich gewiß nicht aus Bosheit, aber aus jugendlichem Leichtsinne behauptet hatte. Es geschah vor vielen Jahren, daß ein alter reicher Marquis sich in die Mars verliebte. Aber sie erbarmte sich seiner nicht. Er schrieb ihr seidne Liebesbriefe, hoch und weich ausgepolstert mit Bankzetteln; die Edle schickte ihm den Flaum samt dem Überzuge zurück. Kürzlich befreite der Tod den armen Marquis von seinen Liebesleiden. Einmal fuhr er über den Platz Vendôme, der Wagen wurde umgeworfen, und der Marquis brach ein Bein. Man eilte herbei, ihm zu helfen und ihn nach Hause zu tragen. Aber er erklärte mit fester Stimme den Umstehenden: »Hier liege ich und hier bleibe ich liegen und lasse mich nicht anrühren, bis der Wundarzt der Demoiselle Mars kömmt und mich in seine Behandlung nimmt.« Man schickte zur Mars. Diese, zwar aufgebracht, aber doch betrübt über den alten Narren, fuhr gleich zu ihrem Freunde und Arzt Dupuytren und bat ihn, die Heilung des Marquis zu übernehmen. Nahe Verwandte hinterließ er nicht. Als seine vermutlichen Erben das Inventarium machen ließen und über die vielen schönen Sachen sich sehr freuten, fanden sie unter der reichen Verlassenschaft ein Bild der Mars, von Gérard gemalt. Die Erben dachten, die Mars werde dieses Bild wohl gern an sich bringen, und ließen sie das wissen. Sie eilte auch gleich in das Sterbehaus, ihr Bild in Augenschein zu nehmen. Während sie mit den Erben um den Preis des Bildnisses unterhandelte, kamen aus dem Nebenzimmer die Notare mit einem Testamente heraus, das sie eben erst unvermutet gefunden und gleich geöffnet hatten, und sagten der Mars, sie möge nur das Bild und alles behalten, es gehöre alles ihr, sie wäre Universallegatarin. Die Mars stand mit einem Susanne-Lächeln, die Erben standen mit Bazile-Mäulern da. So belohnt der Himmel weibliche Tugenden.

Noch eine andere Denkwürdigkeit ereignete sich bei diesem Anlasse. Als die Bücher des Marquis versteigert wurden, kam eine alte Bibel an die Reihe, vielleicht dreißig Sous im Kaufwerte. Der Auktionator durchblätterte das Buch, ehe er es losschlug, um zu sehen, ob es nicht defekt sei und der Käufer damit betrogen werde. Da fielen Bankzettel, nach und nach fünfzig Stück, heraus, die als Papierstreifen zur Bezeichnung kräftiger und erbaulicher Stellen in der Bibel lagen. Denken Sie nur, wäre diese Heilige Schrift nicht zufällig untersucht worden und ein armer frommer Teufel hätte sie gekauft für dreißig Sous und zu Hause fünfundzwanzig-, vielleicht funfzigtausend Franken darin gefunden – das hätte vielleicht das Christentum über ganz Paris verbreiten können! Nutzanwendung: 1. Man weise alte Marquis zurück, ihr Tod ist einträglicher als ihr Leben. 2. Man kaufe alte Bibeln.

– Es schrieb mir heute einer aus Stuttgart: der König habe darum die Kammer nicht selbst eröffnet, weil Pfizer (Verfasser der »Briefe zweier Deutschen«) unter den Abgeordneten wäre, und den Schwur eines solchen Mannes könne er nicht annehmen. Ach! was habe ich wieder eine volle und schmutzige Eselshaut! Das ist meine wahre Peau de chagrin; aber eine ganz andere als Balzacs seine. Diese wurde kleiner nach jeder Torheit und Sünde: meine wächst nach jeder. Doch heute still davon. Ludwig XIV. schrieb ein staatsrechtliches Buch zur Belehrung seines Nachfolgers. Darin ist der Grundsatz aufgestellt: » Die Nation ist nichts für sich, sie ist ganz in der Person des Königs aufgelöst.« (La nation ne fait pas corps, elle réside toute entière dans la personne du roi.) Ludwig der Letzte wird einst sprechen, wie Ludwig XIV. gesprochen. Der letzte Wilhelm, der letzte Friederich, der letzte Franz, der letzte Karl werden gesinnt sein, wie der erste Wilhelm, der erste Friedrich, der erste Franz, der erste Karl gesinnt waren. Es gibt keine andere Hülfe, als daß uns der letzte von allen befreie.


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