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Achtundzwanzigster Brief

 

Paris, den 24. Januar 1831

Sie warten gewiß schon diese vier Tage lang auf eine herrliche Beschreibung des Opernballes; aber kehren Sie nur gleich um. Ich weiß von dem Balle nicht mehr als jeder Fürst von seinem Lande; denn ich habe ihn nur von oben herab gesehen. Nun, ich bin da gewesen, und – bin noch da. Das ist das Wunder! Der Ball scheint nur eingerichtet worden zu sein, um zu zeigen, wie wenig Raum und Luft ein Mensch braucht, um zu leben. Das nennen sie ein Vergnügen! Wenn ich einmal einen Kriminalkodex mache, würde ich die schweren Verbrecher verurteilen, dreißig Nächte hintereinander auf solchen Bällen zuzubringen. Nach den besten medizinischen und chirurgischen Handbüchern hätten von den Anwesenden 7000 Menschen 2000 ersticken, 2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tausend mehr oder weniger krank werden müssen. Doch von dem allen ist nichts geschehen, und die 7000 leben sämtlich noch. Von den Weibern begreife ich das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft als in einem Sarge. Die Franzosen müssen mit Springfedern gefüttert sein. Aber es ist wahr, der Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Märchen aus Tausendundeine Nacht. Dieser sonnenhelle Lichterglanz, dieses strahlende Farbengemisch von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kristall und Blumen, und das alles mit so viel Sinn und Kunst angeordnet, daß es das Auge erquickte und nicht blendete, und die Musik dazwischen, wie hineingestickt in den großen Teppich, eins damit – es war zu schön. Das Parterre, verlängert durch die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen die Damen saßen, oder hinter Balustraden an den Wänden herum. Zwischen schmalen Gassen bewegten sich die dunkeln Männer, oder (sollte ich sagen) zog der Mann; denn sie waren alle wie zusammengewachsen. Und jetzt vom Boden an aufwärts saßen die Frauenzimmer in ungeheuren Kreisen immer höher übereinander, in den Logenreihen, bis hinauf zur Decke, wo sonst nur das letzte Volk sitzt. Die einzelnen Bewegungen waren unerkennbar, der Mensch verlor sich in eine Sache, das Leben ward zum Gemälde. Aus der Mittelreihe der Logen sah ich hinab, hinauf, umher, aber der Anblick von unten, vom Hintergrunde des Theaters zumal, muß noch viel schöner gewesen sein. Ich konnte nicht hineindringen, und mich wie die andern hineindrängen zu lassen, das wagte ich nicht. Der große Foyer der Oper war gleich herrlich wie das Theater selbst beleuchtet und ausgeschmückt. Da wurde auch getanzt. Da sammelte sich alles, was Theater und Logen nicht fassen konnten und was überströmte. Korridor und Treppen, sonst nur bestimmt durchzugehen, hinauf- und hinabzusteigen, dienten zum bleibenden Aufenthalte und waren so gedrängt voll Menschen wie der Saal selbst.

Unten beim Eingange wurde man von einem Musikchore empfangen; die Treppen waren mit großen Spiegeln und Blumen geschmückt, der Boden mit Teppichen belegt. Durch zwei Reihen Nationalgardisten stieg man hinauf. An mehreren Orten waren Büffets eingerichtet. Erfrischungen aller Art im reichsten Überflusse. Das kostete nichts, das war mit dem Billett zugleich bezahlt. Königliche Diener servierten auf dem Silbergeschirre des Königs. Am Büffet unterhielt ich mich sehr. Da stand ich oft und lange; nicht um zu genießen, sondern in den reinsten Absichten, nämlich um reine Luft einzuatmen. Von den Büffets führten offenstehende Türen zu zwei Balkons nach der Straße, die nur mit Zelttuch bedeckt waren und zur Küche dienten. Da, und nur da allein im ganzen Hause, konnte man frei atmen. Das Schauspiel bei den Büffets war auch ohnedies ergötzlich. Es ist doch etwas Erhabenes, eine so große Menschenmenge essen und trinken zu sehen! Hohe Berge von Kuchen, Torten, Konfitüren, Früchten; Ströme von Limonade, Himbeersaft, Orgeade; ganze Schollen von Eis – das war in einer Minute wie verschwunden, man wußte nicht, wo es hingekommen, es war wie eine Taschenspielerei. Augenblicklich wurde alles wieder ersetzt, erneuert, und augenblicklich war alles wieder verschwunden, und so immer fort, und alles in den kleinen Mund hinein! Ich sah, wie ein Offizier der Nationalgarde seinen kriegerischen Mut zeigte, indem er seinen Säbel zog und damit eine ungeheure Torte zusammenhieb. Er hörte nicht eher auf mit Hauen und Verschlingen, bis er das Gebiet seines Körpers erweitert hatte. Das nennt aber ein Franzose nicht erobern, sondern seine natürliche Grenze wieder bekommen. Und so werden sie nächstens das süße Belgien anschneiden und den Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr bald! Nous n'aimons pas la guerre, mais nous ne la craignons pas – das heißt: wir lieben den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet, weil wir noch nicht gerüstet waren.

Die Ordnung auf dem Balle war musterhaft, es war ein Meisterstück von Polizei. Es waren sogar zwei allerliebste kleine Feldspitäler eingerichtet, bestimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapierte Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, frisches Wasser, alle möglichen Salze und riechenden Sachen, Scheren zum Aufschneiden der Korsetts, Essig, Zitronen, kurz alles, was man braucht, um Weiber wieder zur Besinnung zu bringen. In jedem Spitälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in allen Geheimnissen weiblicher Ohnmacht; draußen ein Türsteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld gesehen, dachte, es müßten Scharen von gefallenen Weibern herbeigetragen werden; es kam aber bis Mitternacht nicht eine. Ich hätte freilich wissen sollen, daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohnmacht fallen ... Der König mit der ganzen königlichen Familie waren auch anwesend. Ich sah sie zum ersten Male ganz in der Nähe. Die jungen Prinzen sehr charmant. Wären sie nur legitim gewesen, ich hätte sie küssen mögen. Sie wurden mit lauter und herzlicher Liebe empfangen. Ich war auf dem Vorplatze und hörte auch den Jubel von innen heraus. Es soll ein ganz herrlicher Anblick gewesen sein, wie beim Eintritte des Königs alle die vielen tausend Menschen sich von ihren Sitzen erhoben und ihn begrüßten. Dieses eine nicht gesehen zu haben, tat mir am meisten leid. Um Mitternacht lag ich schon im Bette, ganz herzlich froh, daß mein Vergnügen ein Ende hatte, und die armen Menschen bejammernd, die noch auf dem Balle waren. Die Hitze war zum Ersticken. Lieber in einer arabischen Sandwüste weilen, wo man doch wenigstens nicht den verdorbenen Atem anderer Menschen einzuhauchen braucht. Ich habe so viele französische Luft eingesogen, daß ich begierig bin, was es für Folgen haben und welche Veränderung es in meiner deutschen Natur hervorbringen wird. Ich wollte, ein Aerostat hinge mir ein Schiffchen an die Beine und versuchte mich. Um halb acht Uhr morgens fuhren die letzten Wagen fort. Ich habe kleine Berechnungen angestellt, wie viel ein solcher Ball kostet, und wie viel Geld er in Umlauf bringt. In Paris geht alles gleich ins Große, und die kleinste Ausgabe eines einzelnen wird für die Menge ein hohes Budget. 7000 Billets wurden verkauft zu 20 Fr. Außerdem gab die königliche Familie 8000 Fr. für ihren Eintritt, und mehrere Privatleute haben ihre Billetts mit 1000 Fr. bezahlt. 7000 Paar Handschuhe zu 50 Sous im Durchschnitt machen 17 500 Fr.; 2500 Weiber (so viele waren auf dem Balle) zu frisieren, der Kopf im Durchschnitt zu 4 Fr., 10 000 Fr.; 2500 Paar Schuhe zu 4 Fr. macht 10 000 Fr.; Mietkutschen hin und her wenigstens 16 000 Fr.; das bisherige allein macht schon über 200 000 Fr., und jetzt dazu gerechnet, was Damen und Herren an andern Putzsachen und Kleidern verwendet haben! Auf dem Balle habe ich auch zum ersten Male alle Figuren des Frankfurter Modejournals (nur mit schönern Gesichtern) lebend gesehen. Ach, was für schöne Kleider! Ich wollte, ich wäre eine Putzmacherin, um Ihnen das alles beschreiben zu können. Besonders habe ich ein Kleid bemerkt, gemacht ich weiß nicht wie, von einer Farbe, die ich vergessen, und darüber einen Kopfputz, den ich nicht verstanden – Sie werden mich schon verstehen – aber das war einzig! Doch habe ich auch Putzwerke gesehen, sinn- und geschmacklos und so kleinstädtisch, als kämen sie aus Friedberg. Das mögen wohl Bürgersweiber und Bürgerstöchter aus dem Marais und der Rue St.-Denis gewesen sein, die reich sind, aber nicht an Geschmack. Auch erinnere ich mich, nie auf deutschen Bällen so viele alte häßliche, ja mißgestaltete Weiber gesehen zu haben, die sich so unverschämt jung und schön gekleidet hätten, als ich hier sah.


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