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Hundertachter Brief

 

Paris, Donnerstag, den 21. Februar 1833

Lucrezia Borgia habe ich gestern aufführen sehen, nachdem ich das Drama gelesen, und ich kann jetzt gründlich davon sprechen, ob die Dame schön oder häßlich sei; denn ich habe sie am Tage und beim Kerzenlichte betrachtet. Ich muß wieder den Brutus machen. Sooft ich Victor Hugo richte, ist es mir, als sollte ich meinen Sohn verurteilen. Ich liebe den Rebellen: denn nur mit solcher Kraft und solcher Kühnheit kann man sich so weit und so hoch verirren, und ich hoffe, daß, wenn er erst ganz die Besinnung verloren, er zur Besonnenheit zurückkehren wird.

Zu besserm Verständnis sollte ich Ihnen vorher einiges aus der wahren Geschichte der fürstlichen Familie Borgia mitteilen, wenn auch nur mit unleserlicher Hand, daß Sie so von der Hälfte der Wahrheit, die ich Ihnen erzählte, nur die Hälfte verstünden. Doch ich fürchte, noch so unleserlich, möchte das dem monarchischen Prinzip schaden, das jetzt kränklich und reizbar ist und das man schonen muß. Auch könnte dann geschehen, daß Sie vor Marat wie vor einem Heiligen niederfielen, und Sie sollen keinen andern Mann anbeten als den einen.

Nach reiflicher diätetischer Überlegung habe ich beschlossen, Sie mit der letzten Szene der Tragödie zuerst bekannt zu machen. Wenn Sie es dort oben auf dem Gipfel der Greuel ausgehalten, ist weiter unten ein wahres Vergnügen. Einige Schritte den Berg hinab, und Sie werden glauben, in einer tugendhaften Region zu sein, und auf der Mitte des Berges, wo man nur wenig mordet, könnte Ihnen die moralische Hitze vielleicht lästig fallen. Wenn in dem Drama Personen vorkommen, die nur den Dolch gebrauchen, wird man gerührt, und man möchte ihnen um den Hals fallen. Mir erging es ganz im Ernste so. Ein Bandit, Vertrauter der Lucrezia, der alle ihre Missetaten ausführt oder einleitet, aber nur des Geldes willen, ohne Bosheit, erschien mir wie ein edler Iffländischer Justizrat, und bei seinem Anblick ward mir ganz weinerlich zumute.

Also in der letzten Szene befinden wir uns in Ferrara, wo damals Herzog Alfons von Este herrschte. Seine Gemahlin war Lucrezia Borgia. Eine junge schöne Prinzessin, eine der Nymphen der Circe Borgia, hatte in ihrem Palaste eine Anzahl venezianischer Edelleute zu einem Abendmahle eingeladen. Die Ritter tragen Rosenkränze in den Haaren, die schönsten jungen Mädchen verherrlichen das Fest, und eine Schar aufwartender Mohren erhöhen durch ihr Nachtgesicht den Glanz der Blumen, der Edelsteine und der goldenen Gefäße, die auf dem Tische prangen. Man lacht, man scherzt, man trinkt, man küßt, es ging gar nicht steif da zu, und ich möchte wohl dabei gewesen sein. Beim Dessert tritt ein artiger Page mit goldenen Flaschen herein und fragt: Meine gnädigen Herren, Syrakuser oder Zyperwein? Die Ritter wählen Syrakuser. Unter den Gästen war auch ein Ritter im schwarzen Mantel, der sich mitten im Taumel durch seine Ruhe und Besonnenheit auszeichnet, ob er sich zwar auch weintrunken anstellt. Das ist aber mein wackerer Iffländischer Mensch, den ich so sehr liebe, weil er mit justizrätlichem Pflichtgefühle seinen besten Freunden die Hälse abschneidet, da es sein Amt ist und er dafür bezahlt wird. Wenn ihn seine Gebieterin Lucrezia Borgia etwas Gutes tun heißt, tut er es auch. Kurz, er ist ein Muster von treuem Staatsdiener, und er hat zu seinem fünfzigjährigen Amtsjubiläum ganz gewiß einen Orden vierter Klasse mit einem allerhöchsten Belobungsschreiben erhalten.

Dieser schwarze Edelmann fängt plötzlich Streit an. Es war Schelmerei, es war verabredet. Die jungen Damen stellen sich erschrocken und verlassen den Saal. Die Händel werden beigelegt, und man trinkt und lacht wie vor. Ein Weinlied wird angestimmt. Da mischen sich unsichtbare Geisterstimmen in den Chor, erst fern, dann näher, erst leise, dann stärker. Die lustigen Edelleute horchen auf, kehren aber bald zum Taumel der Vergessenheit zurück. Aber der wunderliche Gesang wird immer vernehmbarer. Es war ein Kirchenlied, ein Mönchsgemurmel, ein Grabgeläute. Die Ritter werden nüchterner. Da schlagen plötzlich große Flügeltüren auf, und man sieht im Hintergrunde, durch eine Estrade von dem Saale geschieden, ein schwarz behangenes, von Kirchenlichtern erhelltes Zimmer, das Mönche in schwarzen und weißen Kutten, Fackeln in den Händen tragend, ausfüllen. Sie trugen Larven. Die weißen Gestalten steigen in den Saal hinab, und die Edelleute in die Mitte nehmend, stellen sie sich in zwei Reihen und singen ihr schauerlich Latein. Die Ritter lachen noch immer; sie meinen, die jungen Damen hätten sich einen Scherz machen wollen und sich als Mönche verkleidet. Darum hätten sie auch so schnell den Saal verlassen. Es tritt einer der Ritter zu den weißen Gestalten hin und reißt ihr die Maske ab. Da sieht er das wahrhaftige feuchte und bleierne Gesicht eines Mönchs. Den armen jungen Edelleuten gerinnt das Blut in den Adern.

Jetzt kömmt aus dem Hintergrunde des Trauerzimmers eine erhabene weibliche Gestalt hervor. Ihr weites schwarzes Samtkleid, die goldene Schärpe um den Leib, das goldene Diadem in den Haaren, dessen Spitzen wie Irrlichter hin und her funkeln, geben ihr das Ansehen einer Zauberin. Sie tritt an die Stufen der Estrade und ruft mit Grimm und Spott in den Saal hinab: »Du da! Ich habe deinen Vater vergiftet. Nicht wahr, du weißt das noch? Du da! Ich habe deinen Bruder erwürgt. Du hast das gewiß nicht vergessen. Du dort! Ich habe deinen Vetter ersäufen lassen, wie dir wohl bekannt ist.« So nennt sie fünf beim Namen. »Jetzt müßt ihr auch sterben, ihr seid vergiftet. Aber beruhigt euch, ihr werdet christlich bedient werden. Mein Vater, der Papst, hat diese guten Mönche für alle solche meine Angelegenheiten gehörig ordiniert und dispensiert. Sie empfangen euere Beichte und geben euch die Absolution, und ein christliches Begräbnis wird euch zuteil. Seht dort!« Auf ihren Wink treten die schwarzen Kutten zurück, die im Hintergrund des Trauerzimmers bis jetzt verborgen, und man sieht fünf Särge nebeneinander, mit schwarzen Tüchern und weißen Kreuzen behängt und von Wachskerzen umstellt. Über jedem Sarge ist der Name seines künftigen Bewohners geschrieben. Die vergifteten jungen Leute, von den singenden Mönchen umgeben, wanken zu ihren Särgen hinab. Das Trauerzimmer schließt sich.

Lucrezia Borgia bleibt allein im Saale zurück; da gewahrt sie einen Jüngling und ruft entsetzt: Gennaro! Daß der auch beim Mahle gewesen, daß er auch vergiftet worden, das wußte sie nicht. Sie liebt ihn leidenschaftlich, er ist alles in der Welt, was sie liebt. Sie fleht ihn an, er möchte sein Leben erhalten, er besitze ja noch das Gegengift. Gennaro zieht ein Fläschchen aus der Tasche und fragt, ob das hinreiche, alle seine Freunde zu retten? Lucrezia jammert: nein! Da wirft er das Fläschchen weg und sagt, so wolle er sterben, aber sie sterbe vorher. Er greift nach einem Messer und zückt es nach ihr. Lucrezia wegklagt zu seinen Füßen: töte mich nicht! Du nicht! Gennaro bleibt entschlossen. Da gesteht Lucrezia, sie wäre seine Tante; desto schlimmer! schreit Gennaro und stößt ihr das Messer in die Brust. Lucrezia röchelt: Ich bin deine Mutter! und stirbt. Sie war seine wirkliche Mutter; sie war aber auch seine Tante; sie war aber auch seine Großmutter. Die Genealogie der päpstlichen und fürstlichen Familie Borgia war ein wunderliches, verwirrtes und künstliches Rätselspiel. Aber der Teufel konnte daraus klug werden.

Was der letzten Szene alles vorhergeht, ist jetzt für Sie von keiner großen Bedeutung mehr, doch will ich es kurz erzählen. Der erste Akt spielt in Venedig, auf der Gartenterrasse hinter dem Palaste eines Nobile, der ein Nachtfest gab. Einige der Ballgäste, junge Ritter, sind im Freien und erzählen sich ihre Abenteuer. Es sind die nämlichen Edelleute, die später in Ferrara von Lucrezia vergiftet worden. Unter ihnen zeichnet sich durch sein stilles und schwärmerisches Wesen der junge Gennaro aus, den wir als Sohn der Borgia auch schon kennen. Er ist in venezianischen Kriegsdiensten, kennt seine Herkunft nicht und schwärmt liebevoll mit dem Gedankenbilde seiner Mutter, die er nie gesehen. Er setzt sich auf eine Bank und schläft ein. Da naht sich eine maskierte Dame. Man hat vor uns keine Geheimnisse mehr: es ist Lucrezia Borgia. Diese hat ihren geliebten Sohn seit seiner Geburt nicht aus ihren mütterlichen Augen verloren. Sie sorgte im stillen für ihn, ließ ihn bewachen, ihre Späher folgten ihm auf allen seinen Lebenswegen. Von diesen erfuhr sie, Gennaro sei jetzt in Venedig. Sie eilte ihm nach, sich an seinem Angesichte zu erfreuen. Sie findet ihn schlafend, betrachtet ihn lange mit Entzücken und weckt ihn endlich durch einen Kuß. Gennaro schlägt die Augen auf und sieht, angenehm überrascht, eine schöne Frau zu seiner Seite. Zwar hat er schon eine Liebe, aber das im Schlafe zugefallene Glück mag er darum doch nicht verschmähen. Er ist artig gegen die Schöne, und das Heilige ihrer zärtlichen Erwiderung ahndet der Jüngling nicht. Er gesteht ihr, er fühle sich durch eine wunderbare Gewalt zu ihr hingezogen, ihr könne er alle seine Geheimnisse vertrauen. Er erzählt ihr von seiner unbekannten Mutter, liest ihr die Briefe vor, die er durch fremde Hand von ihr erhalten. Lucrezia Borgia vergißt alle ihre Verbrechen und ist einmal glücklich, weil sie sich schuldlos fühlt. Aber von dem Balkon des Palastes herab hat einer der Edelleute Lucrezia Borgia erkannt. Er teilt das Geheimnis seinen Freunden mit. Sie alle hatten eine Blutschuld an ihr zu rächen. Sie stürzen mit Fackeln in den Garten hinab, und wie die Rachegötter umringen sie Lucrezia. Einer tritt nach dem andern hervor, einer schreit nach dem andern: du hast meinen Vater, du hast meinen Oheim ermordet. Lucrezia, sonst abgehärtet gegen solchen Vorwurf, fühlt sich jetzt zerschmettert von ihm. Sie kann den Schimpf nicht in Gegenwart ihres Sohnes ertragen, vor dem allein sie rein erscheinen möchte, an dessen Achtung unter allen Menschen ihr allein gelegen ist. Die Unglückliche ringt die Hände, bittet um Schonung und Erbarmen. Aber die Zornentbrannten setzten ihr Strafgericht fort und donnern der Sünderin alle ihre Schandtaten ins Gesicht. Da tritt Gennaro als Ritter der Dame hervor und gebietet bei seinem Schwerte Ruhe und Stille. Seine Freunde fragen ihn: kennst du sie denn? Sie reißen ihr die Maske vom Gesichte. Es ist Lucrezia Borgia! schreien sie. Gennaro, unter den wilden leichtsinnigen Gesellen der einzige tugendhafte und sittliche Mensch, haßt um so stärker als sie den weiblichen Teufel Lucrezia Borgia, deren Schreckensnamen durch ganz Italien zitterte. Er verhüllt sich das Gesicht und wendet sich entsetzt von ihr ab.

In dem folgenden Akte kommen die Ritter nach Ferrara. Lucrezia, sich zu rächen, lockt sie zu einem Gastmahle und läßt sie vergiften, wie wir erfahren. Auch Gennaro kömmt nach Ferrara und wird von den Sbirren des Herzogs von Este gefangengenommen. Dieser nämlich, der das Leben seiner Gemahlin Lucrezia nur zu gut kennt, läßt sie auf allen ihren Wegen beobachten, und so hatte er von seinen Spionen erfahren, daß Lucrezia in Venedig mit Gennaro, einem ihrer Liebhaber, eine heimliche Zusammenkunft gehabt. Der Jüngling wird von dem beleidigten Fürsten und dem eifersüchtigen Gatten dem Tode geweiht. Vorher, als er noch frei war, ging er mit seinen Kriegsgesellen vor dem herzoglichen Palaste auf und ab. Der weiche tugendhafte Jüngling in seinem glühenden Hasse gegen die verruchte Lucrezia, verflucht die Mauern, verflucht die Steine des Palastes, flucht seiner höllischen Bewohnerin. Unter dem Tore war der Name Borgia eingehauen. Gennaro in seiner Leidenschaft springt hinauf und sticht mit seinem Dolche den Buchstaben B ab, so daß nur orgia bleibt. Diesen Schimpf erfahren Lucrezia und der Herzog. Lucrezia kennt den Täter nicht; aber der Herzog kennt ihn. Er hat ihn in seiner Gewalt.

Der Herzog sitzt allein in seinem Zimmer. Da stürzt Lucrezia wutentbrannt herein, da ist sie eine Furie wie in der Geschichte, keine liebende Mutter wie in der Fabel des Dichters. Und es blitzt aus ihren Augen und donnert aus ihrem Munde. Und sie sagt ihrem Gemahl, welch ein Schimpf ihr geschehen, und sein Bettelvolk von Ferrara nehme sich gar zu viel heraus, und es sei doch sonderbar, daß er für ihre Ehre so wenig Sorge trage, daß er den Missetäter nicht aufsuchen lassen. Der Herzog hört sie kalt, ruhig und höhnisch an, und als sie ausgewütet, sagt er: der Missetäter ist gefunden. – Wie! gellt Lucrezia – er ist gefunden und noch frei? – Er ist gefangen und lebt noch? frägt Lucrezia in ihrem Grimme. Er wird sterben, erwidert der Herzog eiskalt. Lucrezia läßt ihren Gemahl bei seiner fürstlichen Würde schwören, den Verbrecher hinzurichten, wer er auch sei. Der Herzog gibt sein Fürstenwort höhnisch lächelnd. Er winkt, der Verbrecher wird hereingeführt, und Lucrezia erkennt mit Entsetzen ihren Gennaro. Das ist der Täter nicht, spricht Lucrezia. Gennaro tritt hervor und sagt: ich bin der Täter. Lucrezia bittet ihren Gemahl um ein heimliches Gespräch. Gennaro wird abgeführt. Jetzt bittet sie ihren Gemahl um das Leben des jungen Mannes. Sie wolle großmütig sein, es sei nur eine Laune gewesen, als sie seinen Tod gefordert. Der Herzog erinnert sie, daß er ihr sein Fürstenwort gegeben, den Verbrecher zu bestrafen. Lucrezia erwidert lächelnd: Eide sind für das Volk, nicht für uns Fürsten. Das ganze Haus beklatscht dieses Wort. Aber der Herzog läßt sich nicht erbitten. Alle Künste des Himmels und der Hölle ruft sie auf; Liebe und Haß, Wehmut und Zorn, Lächeln und Tränen, Schmeicheleien und Drohungen. Alles umsonst. Sie droht ihrem Gemahle mit der Rache ihres Vaters, des Papstes, mit ihrer eignen; sie erinnert ihn daran, daß er ihr vierter Mann sei. Der Herzog spottet ihrer. Sie ist erschöpft, ihr Köcher ist ausgeleert. Ganz matt frägt sie ihren Gemahl, warum er ihr das Leben des Jünglings nicht schenken, ihr nicht den kleinen Gefallen tun wolle. Jetzt fängt der beschneite Herzog zu rauchen an, und ein Feuerstrom des Zorns stürzt aus seinem Munde. Er donnert: weil er dein Liebhaber ist, und jetzt hält er ihr alle Schandtaten ihres Lebens vor und endet: Deine geliebten Männer können auch künftig durch jede Türe zu dir kommen; aber die Türe, durch welche sie wieder herausgehen, werde ich bewachen lassen – von dem Henker. Gennaro müßte sterben, sie solle selbst wählen zwischen Gift und Schwert. Lucrezia wählt Gift. Der Herzog läßt zwei Flaschen holen, eine silberne und eine goldene. In der goldenen sei der zubereitete Wein, den sie recht gut kenne. Daraus solle sie dem Gennaro einschenken, sich aber ja hüten, die Flaschen zu verwechseln; denn geschehe es, stünde draußen ein Mann mit einem nackten Schwerte bereit, der auf einen Wink hereinstürzen und den geliebten Jüngling unter ihren Augen niederhauen werde.

Gennaro wird zurückgeführt. Der Herzog stellt sich gnädig, verzeiht ihm, trinkt ihm zu. Er trinkt aus der silbernen Flasche, Lucrezia füllt mit angstzitternder Hand einen Becher aus der goldenen Flasche und überreicht ihn ihrem Sohne. Der Herzog verläßt höhnisch das Zimmer. Lucrezia schreit ihrem Sohne zu: Ihr seid vergiftet, um Gottes willen trinkt schnell aus diesem Fläschchen; es ist Gegengift, ein Tropfen, und Ihr seid gerettet. Aber Gennaro weigert sich zu trinken. Er sagt ihr, es sei ihm wohl bekannt, wie sie einst einen Fürsten vergiftet, indem sie ihm glauben gemacht, er sei es schon, und ihm im Gegengift ein Gift gegeben. Lucrezia verzweifelt über dieses verschuldete Mißtrauen; aber die Mutterliebe gibt ihr Beredsamkeit, Gennaro glaubt und trinkt. Jetzt solle er schnell aus Ferrara eilen. Aber der unglückliche Jüngling läßt sich von seinen Freunden aufhalten und sich abends zu dem Giftmahle verlocken. Dort, wie wir erfahren, stirbt er, nachdem er seine Mutter getötet.

Und wozu, wozu alle diese Greuel? Außer den Schandtaten, die auf der Bühne unter unsern Augen geschehen, werden auch alle die erzählt, welche die Borgias seit jeher begangen. Warum die Kunst zur Schinderin, die Bühne zu einem Schindanger machen? Victor Hugo sagt in der Vorrede zum Drama: » La paternité sanctifiant la difformité physique, voilà ›Le roi s'amuse‹: la maternité purifiant la di Fornuté morale, voilà ›Lucrèce Borgia‹ ... à la chose la plus hideuse mêlez une idée réligieuse, elle deviendra sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous avec la croix.« Unvergleichlicher Unsinn! Freilich bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält der Edelstein auch noch im Kote seinen Wert, und wer ihn da findet, mag ihn aufheben; aber den Edelstein in solcher Fassung suchen und ihn darum vorziehen – käme das je einem in den Sinn? Konnte uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutterliebe nur in einer Lucrezia Borgia zeigen? Und ihre Mutterliebe ist keine Perle im Schmutze, sie ist Schmutz im Schmutz. Ihr Sohn ist eine Frucht der Blutschande, es ist der Sohn ihres Bruders.

Ich hätte noch gar manches zu sagen; aber mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige Nachsicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vorrede: die Minister möchten sich ja nicht schmeicheln, er habe sie vergessen. Keineswegs. Er werde zwar seine Kunst mit allem Eifer forttreiben, aber darum die Politik nicht vernachlässigen. » L'homme a deux mains.« Schön gesagt! In Bayern bekäme er dafür ein doppeltes Urteil. Fünf Jahr ins Zuchthaus für die rechte Hand und fünf Jahr ins Zuchthaus für die linke Hand. Doch hat unser gelehrter Frankfurter Feuerbach in seinem unvergleichlich bayrischen Kriminalgesetzbuche für das Königreich Bayern dieses, wie noch manches andere, vergessen. Wenn die rechte Hand bestraft wird, daß sie geschrieben, verdient die linke Hand dafür bestraft zu werden, daß sie das Papier festgehalten. Überhaupt könnte ich das bayrische Kriminalgesetzbuch mit vielen astronomischen Neuigkeiten bereichern. Erst kürzlich entdeckte ich einen sehr fernen entfernten Versuch zum Versuche eines Hochverratsversuchs. Es ist ein kleiner Nebelstern, aber zwei Jahr Zuchthaus wären immer dabei zu verdienen.

 

Samstag, den 23. Februar

Gestern abend im Bette fing ich die Leidensgeschichte eines italienischen Staatsgefangenen zu lesen an. Nach dem Kapitel, worin er von den schrecklichen Gefühlen spricht, mit welchen man am ersten Morgen in einem Gefängnisse erwacht, schlief ich ein. Und als ich diesen Morgen erwachte, war mein erster froher Gedanke: Du bist frei! Und mein zweiter froher Gedanke war: Du bist nicht frei! Denn wärest du frei, würdest du nicht so froh sein, daß heute Samstag ist, der dir einen Brief bringt. Aber ich Glücklicher! Das ist kein carcero duro, und ich will es gern ertragen mein Leben lang. Ich erzähle Ihnen noch aus dem Buche. Es heißt: Le mie prigioni, memorie di Silvio Pellico da Saluzzo. Es ist ein Dichter aus Piemont, der zehen Jahre seines Lebens, von 1820 bis 1830, von seinem dreißigsten bis zu seinem vierzigsten Jahre, in verschiedenen österreichischen Staatsgefängnissen geschmachtet. Ich bringe das Buch mit. Künftigen Sommer, an solchen Abenden, wo die Lüfte trunken von den Bergen kommen, lese ich Ihnen daraus vor, Ihre Pulse zu stillen. Ich lernte Wilhelm Tell verstehen, und wie ihm vor dem Kerker eines östreichischen Landvogts schaudern mußte. Wer an solche Luft gewöhnt, hat keine Tyrannei zu fürchten – er erträgt sie nicht.

Ich hätte Ihnen noch einige Worte von der Demoiselle Georges sagen sollen, welche die Lucrezia Borgia ganz herrlich gespielt. Sie war ein Vulkan, und alles, was in dem dunklen Busen eines solchen Weibes kocht, kam donnernd und in Feuergüssen an den Tag. Das war freilich das Verdienst des Dichters, zugleich aber seine Schuld. Statt uns an den reinlichen gedeckten Tisch der Leidenschaft zu setzen, bringt er uns in ihre Küche, und dieses Mal war es des Teufels Küche. In mehreren Ecken des Saals wurde einigemal gezischt, bei solchen Stellen, wo alles zu nackt, zu roh, zu blutig erschien, wo einen das rote Fleisch anekelte. Victor Hugo kömmt mir wie ein unmündiger reicher Erbe vor, der Wucherern in die Hände gefallen und Schulden auf Schulden häuft. Wenn er es so forttreibt, kann er, bis er volljährig und verständig wird, sich arm gelebt haben. Man soll von den Zinsen seines Geistes leben ... Und wie gefalle ich Ihnen als solider Mensch?


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