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Neunundzwanzigster Brief

 

Paris, Dienstag, den 25. Januar 1831

In diesen Tagen wird das Schicksal Belgiens entschieden sein. So eine lächerliche Thronversteigerung ist mir noch nicht vorgekommen. Daß es Fürstensöhne gibt, die um diese Krone betteln! Lieber streckte ich meine Hand nach einem Sou aus. Betteln um eine Krone! Jupiters Donner als Almosen empfangen! Eine Krone muß man rauben, oder sie annehmen aus Barmherzigkeit. Frankreich wird Belgien ganz gewiß bekommen, oder doch den größten Teil davon. Das ließ sich vorhersehen. Die große Verwirrung, welche beim belgischen Kongreß herrschte, hatte so viel Methode, daß man wohl merkte, daß alles verabredet war. Frankreich wird nie zugeben, daß der kleine Beauharnais König von Belgien wird, und ich gebe es noch weniger zu. Behüte mich Gott! Mir ist nichts verhaßter; denn nichts ist verderblicher als diese Mischung von buonapartischem und deutschem Blute. Frankreich hat das erfahren unter Napoleon, hatte aber das Glück, früher unglücklich als schuldig zu werden. Was! einen König, der sein Volk verwundete und vergiftete zugleich, zugleich Sklaverei und Dienstbarkeit über es brächte? Diese beiden Übel waren doch bis jetzt in keinem Staate vereinigt. Die Spanier, Italiener, Russen und andere sind Sklaven; die Völker deutscher Zunge sind Bediente. Aber Sklaverei macht nur unglücklich, entwürdigt nicht, doch Dienstbarkeit erniedrigt. Lieber einen Don Miguel zum Herrn haben, als einen sogenannten milden und gerechten deutschen Fürsten. Man ehrt doch noch die Kraft, indem man sie fürchtet, ihr Fesseln anlegt; wir zahmen Haustiere aber dürfen frei umhergehen, weil man recht wohl weiß, daß wir jeden Abend in den Stall zurückkehren und zu jeder Tageszeit kommen, sobald man uns pfeift. Lassen Sie so einem Schafe einmal in den Sinn kommen, den Löwen zu spielen, und Sie werden sehen, wie der milde und gerechte Hirt zum Tiger wird. Die weiche Nachgiebigkeit macht selbst eine Kanonenkugel mild; sie dringt durch Stein und Eisen und bleibt in einem Misthaufen stecken. Nichts erwarte ich von dieser Schafherde. Was wir in den letzten Zeiten gesehen, das war die bekannte Drehkrankheit. Woher kommt dieser Lakaiencharakter der Deutschen? – Ich weiß es nicht; aber sie waren immer so gewesen. Man glaubt, das Volk stamme aus Asien. Vielleicht waren sie dort eine Art Pariakaste, die es endlich nicht mehr aushalten konnte und wegzog. Aber der Hund, der sich von der Kette losreißt, bleibt immer Hund, er wechselt nur den Herrn. Die alten Deutschen waren zwar freier, aber nicht freigesinnter als die heutigen. Wer nicht viel hat, kann nicht viel besteuert werden, und die alten Deutschen waren rohe Wilde; ohne leiblichen, ohne geistigen Besitz. Aber was sie hatten, gaben sie immer hin für ihre Anführer, die sie freiwillig suchten. Sie lebten und starben für sie, und zu Hause verwürfelten sie ihren eignen Leib, wenn sie kein Geld mehr zu verlieren hatten. Dienstbarkeit, Trunkenheit, Spielsucht, das sind die Tugenden unserer Ahnen. Ich erinnere mich aus meinen Schuljahren eines Deklamationsgedichts; das fing so an: Die alten Deutschen waren – nicht schmeidig wie der Aal – doch Löwen in Gefahren – und Lämmer beim Pokal. – Geschmeidig sind wir noch heute nicht; Löwen sind wir noch in Gefahren, aber nur nicht in unseren eigenen, und Lämmer sind wir das ganze Jahr, nur nicht beim Pokal. Da sind wir grob, und wenn das ganze deutsche Volk nur einmal vier Wochen hintereinander betrunken wäre, oder wenn es ebenso lange nichts zu essen hätte, da ließe sich vielleicht etwas mit ihm anfangen.

 

Mittwoch, den 26. Januar

Das muß einen ganz eignen Grund haben, daß Sie gestern nicht hier waren, daß Sie nicht den »Othello« und die Malibran als Desdemona gehört haben! So hart ist doch Gott sonst nicht gegen seine guten Kinder. Sie, die Sie das alles mit hundert Lippen einsaugen, mit hundert Seelen empfinden! Wie wäre Ihnen geworden, da es schon mich in solche Bewegung setzte! War es doch, als wäre das eigne Herz zur Harfe geworden, auf welcher Engel spielten – das Ohr horchte nach innen. So klagen die Seligen, wenn sie Schmerzen haben! So stürmen die Götter, wenn sie zornig sind, gegen Unsterbliche wie sie. So weinen, lächeln, lieben, bitten und trauern die Engel. Mit wahrer Seelenangst klammerte ich mich an die irdischen Worte fest, damit ich nur den Boden nicht verlor und von den Geistertönen hinaufgezogen würde. Die Malibran, die hat Gott beurkundet mit der Unterschrift seiner Schöpfung, die kann keiner nachmachen. Es war wie eine Blumenflur von allen milden und stolzen, stillen und hohen, süßen und bittern Gefühlen des Menschen, mit aller Farbenpracht, allen Wohlgerüchen und allen Betäubungen der mannigfachen Blumen. Dieses Weinen, dieses Weinen ohne Tränen, habe ich nie gesehen, möchte ich nie sehen im Leben. Als ihre Tränen zu fließen anfingen, war mir die Brust wie erleichtert. Hat die Liebe so viel süße Schmeichelei, kann der Schmerz so edel sein, durchbohrt Verachtung so tief, kann der Zorn so erhaben, der Schrecken so erschrecklich, die Bitte so rührend sein? Ich wußte das alles nicht. Fragen Sie mich: hat sie das gesprochen, gesungen, mit Gebärden so dargestellt? Ich weiß es nicht. Es war alles verschmolzen. Sie sang nicht bloß mit dem Munde, alle Glieder ihres Körpers sangen. Die Töne sprühten wie Funken aus ihren Augen, aus ihren Fingern hervor, sie flossen von ihren Haaren herab. Sie sang noch, wenn sie schwieg. Ich habe mich für unverbrennlich gehalten und habe erfahren, daß ich es nicht bin; ich will künftig auf Feuer und Licht mehr achtgeben.

Im dritten Akte hätte ich es nicht länger aushalten können, stände nicht zum Glücke ein kleiner Hanswurst hinter meinem Herzen auf beständiger Lauer, der immer mit seinen Späßen hervortritt, sobald das Herz zu betrübt und ernst wird. Als die Szene kam, wo Othello Desdemonen den Tod ankündigt und diese, ehe sie niedersank und sich dem Dolche hingab, sich in die Wolken erhob und wie ein Sturmwind die ganze Welt der Leidenschaften umbrauste, Liebe, Haß, Zorn, Schrecken, Spott, Trotz, Verachtung, und dann wieder zur Liebe kam und noch einmal alles umkreiste – da wurde mir heiß am ganzen Körper. Ein vernünftiger Mensch hätte ruhig fortgeschwitzt und sich nicht stören lassen; aber ein Philosoph wie ich will durchaus wissen, warum er denn eigentlich schwitzt. Und ich wußte es nicht; denn ich hatte aus der Psychologie vergessen, welche Leidenschaft, welche Gemütsbewegung den Menschen in Schweiß bringt. Da fiel mir ein, in Goethes Leben gelesen zu haben, wie in der Schlacht von Valmy, zwar in bescheidener Entfernung vom Schlachtfelde, doch nahe genug, daß er den Kanonendonner hören konnte, dem Dichter ganz heiß geworden war, wie mir im »Othello«. Daraus schloß ich denn, daß es die Furcht sei, die den Menschen schwitzen mache. Darüber mußte ich lachen, und das erleichterte mir das schwere Herz. Und als darauf die Malibran herausgerufen worden und erschien und ich sah, daß alles nur Spiel gewesen, ging ich froh nach Hause und segnete die Künstlerin, die Gott so gesegnet. Shakespeares »Othello«, wie ihn der italienische Operntext zugerichtet, ist dumm bis zur Genialität. Man hat seine Lust daran. Die Musik scheint mir noch das Beste, was Rossini gemacht. Übrigens bekümmerte ich mich nicht darum, und ich glaube, die Malibran auch nicht. Was aber die Weiber schwache Nerven haben, wenn sie nicht präpariert sind! Diese Malibran, die doch den ganzen Abend so unerschrocken durch Wasser und Feuer ging und alle Elemente aushielt, ohne zu zucken – ich sah sie vor Schrecken zusammenfahren wie ein Schäfchen, als einmal hinter den Kulissen etwas wie ein Leuchter von der Decke herabstürzte! ... Es Ihnen prosaisch zu wiederholen: die Malibran ist die größte Schauspielerin, die ich je gesehen. In der heftigsten Bewegung zeigte sie jene wahre antike Ruhe, die wir an den griechischen Tragödien bewundern und welche wahrscheinlich auch die Schauspieler der Alten hatten. Darum, des rechten Maßes sich bewußt, spielt sie auch mit einer Kühnheit, die eine andere sich nicht erlauben dürfte. Sie klammert sich flehend an den Mantel des wütenden Othello oder ihres erzürnten Vaters, sie umschnürt ihre Hände mit den Falten des Kleides, sie zerrt daran – eine Linie weiter, und es wäre lächerlich, es sähe aus, als wolle sie ihnen die Kleider vom Leibe reißen; aber sie überschreitet diese Linie nicht, und sie ist erhaben. Und ihr Gesang! Gibt es denn mehr als eine Art, darf man denn anders singen? Spricht man im Himmel auch verschiedene Dialekte? Nun, dann hat sie hoch himmlisch gesungen, meißnisch, und die andern singen platt himmlisch. Sie sehen, ich kann auch ein Narr sein – zu meinem Glücke nur ein prosaischer; denn ich kann keine Verse machen. Ich gehe nächstens einmal in die große französische Oper, und das wird mich wieder heilen.

– Nächstens gibt man zum Besten der Polen ein großes Konzert. Die ersten Künstler und Künstlerinnen nehmen daran teil. Eine Dame von Stande aus Brüssel, bewunderte Harfenspielerin in ihrer Stadt, wird die Reise nach Paris machen, ihre schöne Kunst zur schönsten Bestimmung zu verwenden. Dieser edlen Frau verzeihe ich alle ihre Ahnen. Auch werden, zu gleichem Zwecke, in allen Teilen der Stadt Bälle gegeben werden. Eine polnische Kommission hat sich gebildet, an deren Spitze Lafayette steht. Unter den Mitgliedern sind auch Delavigne und Hugo. Diese wollen durch Gedichte begeistern. Der Referendä Simrock in Berlin wird sich hüten, sich das zweitemal zu verbrennen; der besingt die polnischen Farben gewiß nicht ... Hat man in Frankfurt auch die jüdisch-polnische Zeitung, deren erste Nummer hier angekommen ist? Sie wird von Rabbinern geschrieben, und es werden darin alle jüdischen Glaubensgenossen aufgefordert, mit Geld beizustehn. Unsere deutschen adligen Juden, die auf Du und Du mit allen Ministern und fürstlichen Mätressen sind und darum auf Ehre halten, werden lachen über die Zumutung jener polnischen Canaillen und sich um die stinkenden Polen und ihre stinkende Freiheit wenig bekümmern.


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