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Einundzwanzigster Brief

 

Paris, Sonntag, den 26. Dezember 1830

Ich scherze und bin doch ganz von Herzen betrübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Tasse Schokolade holen. Ich will denken, die Schokolade habe mir dickes Blut gemacht, sonst nichts. Aber meine Träume von Frankreichs Freiheit sind auch dahin. In der Politik ist weder Sommer noch Winter, es ist der erbärmlichste Revolutionsfrühling, der mir je vorgekommen. Nicht warm genug, des Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum Einheizen, fröstelt man ohne Rettung. Bei uns zu Hause weiß man doch, woran man ist; es ist Winter, und man trägt Flanell. Es ist doch ein schönes Land, wo, wie ich gestern in deutschen Zeitungen gelesen, man sich auf der Straße und in den Kasinos bang und freudig einander fragt: »Wird der Herzog von Koburg wieder heiraten oder nicht?« und man schweigt und lächelt – und wo der Staatsrat Niebuhr in Bonn, da er gedruckt gelesen, er habe früher in Rom mit de Potter Umgang gehabt, mit Händen und Füßen gegen diese Lästerung zappelt, wie ein Kind gegen das kalte Waschen, und behauptet auf Ehre, er habe diesen Unheilstifter nie mit den Fingern berührt! Aber hier? die Wiesen waren schon grün, und jetzt schneit es wieder darauf. Die Kammer, diese alte Kokette, die sich schminkt, Mäulchen macht und auf die Jugend lästert – ich könnte sie auspeitschen sehen. Als sie noch selbst jung war, war sie so schlimm als eine. Man hat Lafayette als Kommandant der Nationalgarde abgesetzt, und der Kriegsminister hat der ganzen Polytechnischen Schule Arrest gegeben! Diese jungen Helden waren es, welche den Kampf im Juli gelenkt, und ohne sie wären alle Deputierten und alle diese Minister vielleicht eine Speise der Raben geworden. Lafayette war es, der die Revolution rein erhalten und vor Anarchie bewahrt, und ihm hat Orléans seine Krone und die Fürsten Europas zu verdanken, daß Frankreich keine Republik geworden. Er hat dem Volke gesagt, es wäre möglich, daß ein König die Freiheit liebe, und man hat es ihm geglaubt. Behüte mich Gott, daß ich je teil an der Staatsgewalt bekomme! Ich sehe es hier an den Besten, daß, sobald man zur Macht kömmt, man erst das Herz, dann den Kopf verliert, und daß man vom Verstande nur so viel übrigbehält, als man braucht, das Herz nicht wieder aufkommen zu lassen. Es ist hier keine Zweideutigkeit, kein Unverstand, keine Deutelei – man hat wörtlich nicht Wort gehalten, man hat dem Volke nicht gegeben, was man ihm versprochen. Die Machthaber reden hier ganz so wie bei uns: von wenigen Unruhstiftern, die das Volk verführten, von jugendlicher Schwärmerei, von Republikanern. Aber kein Mensch will Republik, man verlangt nur die republikanischen Institutionen, die man in den Tagen der Not versprochen. Für die Machthaber hier (wie bei uns) fängt da, wo ihr eigner Vorteil aufhört, die Schwärmerei an. Eben erzählte mir jemand, man spräche heute davon, Laffitte und Dupont würden aus dem Ministerium treten und der Präfekt von Paris abgesetzt werden. Ich zweifle nun zwar gar nicht, daß die Regierung mächtig genug ist, es durchzusetzen und jeden gefährlichen Ausbruch zu verhüten. Aber was wird dabei gewonnen? die Ruhe, die sich auf eine allgemeine Zufriedenheit aller Bürgerklassen gründet, die einzig wünschenswerte und dauerhafte, wird sie auf diese Weise nicht gründen. Die Unzufriedenheit wird sich aufhäufen, die Mißvergnügten werden sich vermehren, bis sie stärker werden als die Regierung, und dann geht der Kampf von neuem an. Wenn ich einmal Minister werde, halten Sie mir meine demokratischen Briefe vor die Augen. Ich weiß schon jetzt, was ich Ihnen antworten werde – nichts werde ich antworten. Ich werde lächeln und Sie auf meinen nächsten Ball einladen, und dann werden Sie auch lächeln. Wir Minister und ihr Menschen, wir sind nun einmal nicht anders. Jetzt will ich mich ankleiden und die Zeitungen lesen, neuen Ärger zu sammeln. Im Roggen ist mehr Nahrungsstoff als in Kartoffeln, im Weizen mehr als im Roggen, aber am meisten ist im Ärger. Schnee und Weh ist hier das Neueste. Habt ihr auch Schnee? Nach Weh brauche ich wohl nicht zu fragen.

 

Dienstag, den 28. Dezember

Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetischen Naturbeschreibungen habe; ich grüble zuviel und sammle mehr Wurzeln als Blüten. Aber mit der Reise, nach wiederhergestellter Ruhe, damit haben Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelenfrieden genießen. Bis künftiges Jahr sind die Österreicher aus Italien verjagt, und dann könnte man hinreisen. Zwar wird es alsdann in Italien noch nicht ruhig sein, aber nur die schreckliche Ruhe unter Österreich könnte mich aus dem Lande entfernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die der erzürnten Natur. Was der *** prophezeit, ist auch mir offenbart worden. Man wird es in Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchterlich! Es steht mir klar vor Augen, wie die Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Messern die großen Sensen wetzen. – Hiesige Blätter sagen bestimmt, im nächsten Monate würde in Preußen eine Konstitution promulgiert werden, und ein Brief aus Berlin, den ich gestern gelesen, behauptet das nämliche. Aber eine Konstitution, die man im Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finsternis werden. Die Freiheit, die man von Herren geschenkt bekömmt, war nie etwas wert; man muß sie stehlen oder rauben.

Es ist doch gar zu traurig mit Briefen, die so weit auseinander stehen wie die unsrigen; man wünscht einem viel Vergnügen zum bevorstehenden Schmause, und wenn man den guten Wunsch liest, hat man schon den Katzenjammer. Sie wissen in Ihrem Briefe noch den Ausgang des Prozesses nicht, und was ist seitdem nicht alles vorgegangen! Paris hat jetzt wirklich den Katzenjammer vom Schmause im Juli, und bei mir tut der Ekel vom Zuschauen dieselbe Wirkung wie bei den andern das Trinken. Die Regierung ist jetzt ganz in den Händen von Mechanikern, die den Staat als eine Uhr betrachten, wozu sie den Schlüssel haben, und die gar nichts wissen von einem Leben, das sich selbst aufzieht. Das Herz soll schlagen zur bestimmten Minute, und das nennen sie Ordnung! Es ist alles wie bei uns, nur daß bei uns Werk und Zifferblatt bedeckt sind, hier aber sich in einem gläsernen Gehäuse befinden, das alle Bewegungen sehen läßt; der Gang ist der nämliche.

Mit dem hiesigen Kasino bin ich sehr getäuscht worden. Das sind meistens alte, reiche und vornehme Leute, die miteinander flüstern und sehr aristokratisch aussehen. Der Fluch geschlossener Gesellschaften ist sehr deutlich ausgedrückt in diesen verschlossenen Gesichtern. Man meint, es wären Diplomatiker. Ich werde nicht wieder hingehen, und für die fünfzehn Franken, die ich bezahlen mußte (für 14 Tage), habe ich doch ein neues Beispiel zu meiner alten Theorie gefunden: Langeweile ist die Tochter des Zwanges, und Freiheit ist die Mutter geselliger Freuden. Wie kann es anders sein? In diesem Kasino darf nicht von Politik gesprochen werden. Und dürfte man nicht vom Monde sprechen, doch sonst von allem, das hätte die nämlichen Folgen. Jeder Zwang ist Gift für die Seele.

Wir haben jetzt prächtiges Wetter! Auf die Kälte eines Tages folgte gleich Tauwetter. Dreck bis an die Knie (es ist ein gutes, ehrliches deutsches Wort), die Gassen ein Eismeer. Es ist doch sonderbar, daß sich die Franzosen aus dem Drecke nichts machen! Sie gehen lustig durch, als gingen sie über eine Blumenwiese. Aber ein paar Grade Kälte bringt sie zur Verzweiflung. Sie sperren sich dann gleich ein. Was bin ich so vergnügt, daß ich acht Paar gute wasserdichte Stiefel mit hierher gebracht. Es macht mir die größte Freude, ihre deutsche Treue auf die Probe zu stellen und damit durch den Schlamm zu waden. Pariser Sohlen sind nicht dicker als zwei übereinander gelegte Oblaten, man könnte den Puls hindurch fühlen.

Ich hoffe doch mit vielen hier, die Polen werden es durchsetzen. Man gewinnt immer, wenn man keine andere Wahl hat als zwischen Sieg oder Tod. Vom Kaiser Nikolaus ist keine Gnade zu hoffen, die Polen müssen ihn begnadigen. Wie es im Preußisch-Polen aussieht, weiß ich nicht, die heutigen Zeitungen sprechen auch von einer Revolution, die sich dort begeben haben soll. Von Österreichisch-Polen darf man, wie ich glaube, etwas erwarten. Das kluge Österreich kann sich da vielleicht eine dumme Falle gelegt haben. Die italienischen Regimenter, welchen sie nicht trauten, haben sie schon vor mehreren Jahren aus ihrem Vaterlande gezogen und sie nach Galizien versetzt, und jetzt, wenn sich die Polen insurgieren, sind diese Regimenter wahrscheinlich geneigt, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen. Sei einer klug heute; betrüge einer den lieben Gott!

Nun Glück zum Neuen Jahre! und möge es uns und unsern Freunden im neuen Jahre besser gehen als Kaisern und Königen. Das sind bescheidene Wünsche, die wohl der Himmel erhören wird. Ich werde dem Konrad sagen: wenn ein Kaiser kommt, sehen Sie ihm auf die Hände und lassen ihn nicht allein im Zimmer. Im nächsten Jahre wird das Dutzend Eier teurer sein als ein Dutzend Fürsten.


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