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Abel Burkhardt

In der Morgenfrühe.

Herr, der du vom schweigenden Himmel schaust,
            O schau' auf mich;
Der du nieder auf grünende Wiesen thaust,
            O thau' auf mich.

Herr, der du durch Wipfel der Bäume wehst,
            O weh' in mir;
Der du strahlend und leuchtend am Berge stehst.
            Ersteh' in mir!

*

Unter der Bergwand.

Sieh, wie klettern um die Wette
An der Felswand tausend Wipfel
Aus des Thales tiefstem Bette
Bis hinauf zum höchsten Gipfel!
Laßt uns schauen, laßt uns suchen,
Riefen Tannen, riefen Buchen,
Wem an Kühnheit jeder weiche,
Wer zuerst die Höh' erreiche.

Und am Bergesfuß sich drängten,
Tannen, Buchen, Eichen, Fichten,
Regungslos steh'n die beengten
Stämm' im Volksgewühl, dem dichten;
Manch ein stolzes Haupt, es hebet
Finster sich und zürnt und strebet;
Manch ein frisches Laub, es neiget
Nieder sich beschämt und schweiget.

Glücklicher ist um die Ecke
Jene Reih' emporgedrungen;
Nichts ist, das die Kühnen schrecke,
Haben stark sich aufgeschwungen;
Auf des Hintermannes Glieder
Stand der Vordermann, und wieder
Hat auf ihn sich wohl gebauet,
Der nun in die Weite schauet.

Andre lassen diese Leiter,
Suchen eigne Weg' und Räume,
Denken höher, streben weiter,
Als das große Heer der Bäume;
An der schroffen Wand zu kleben.
Spielend frei mit ihrem Leben,
Ist ihr Stolz, sie wollen stehen,
Wo kein Zieglein möchte gehen.

Vorn, ganz vorn am jähen Rande
Stehn die Tännchen ohne Grauen,
Ob man sie auf ihrem Stande
Recht von weitem möge schauen;
Kühner noch mit ihren Händen
Sich nur haltend an den Wänden,
Lassen Büsche ohne Bangen
Ueber sich und überhangen.

Über auf dem Gipfel droben
Steht mit Ernst die heil'ge Eiche.
Hat die Arme weit erhoben'
Ob sie Höh'res noch erreiche;
Stehet über all dem vielen
Drängen, Treiben, Jagen, Spielen,
Still, als wollte sie die weiten
Arme zum Gebete breiten.

*

In der Bergschlucht.

Du kleiner Strom, der in den Schluchten
Gewalt'ger Berge freundlich fließt,
Bald ruht in stillen grünen Buchten,
Bald schäumend über Steine schießt;
Sag an, wo kommst du hergeschwommen?
Wer bist du Bach in deiner Zier',
Daß Berg und Höhen niederkommen
Von beiden Seiten her zu dir?

Die ernsten Tannen alle steigen
Die steilen Halden nieder schnell,
Sie drängen sich in tiefem Schweigen
Zu dir heran, du heil'ger Quell;
In forschender Betrachtung stellen
Die Weitesten sich an den Bord
Und schauen in die klaren Wellen
Und suchen staunend immerfort.

Die starken Felsen, deren Glieder
Die Helden künden weit bekannt,
Gebrochen stürzen alle nieder
Auf ihre Knie an deinem Rand,
Und lassen willig sich bespülen
Von deiner guten sanften Fluth;
Sie wollen ruhen hier im Kühlen,
Wie's längst die Schaar der Blumen thut.

Und dort der alte Fels, er senket
Das moosbewachsne stille Haupt
Nach deinem Spiegel hin und denket
An viel, das ihm sein Stolz geraubt;
Nun strömen wehmuthsvolle Zähren
Ihm über seine Wangen her;
In deinen Frieden will sich leeren,
O Strom! sein Herz von Neue schwer.

Wer bist du Strom, gering nur scheinend.
An dessen Rand die Starken knien.
Zu dessen reinen Fluchen weinend
Die alten ernsten Weisen ziehn?
Wer bist du Bach, so klein und mächtig?
Gehst wie ein Kind durch diese Welt,
Und diese Welt so stolz und prächtig
Allwärts vor dir zu Boden fällt!

Du bist der Strom, der sich ergießet
Aus Gottes allertiefstem Grund;
Du bist der Bach, der stille fließet
Im Bibelwort aus Gottes Mund.
O sänken doch zu dir voll Sehnen
Wir Menschen wie die Berge hin!
O beugten neben dir in Thränen
Die starken Männer ihren Sinn!

*


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