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Ulrich Hegner

Im Alter.

Schneller als flammendes Feuer, als strömendes Wasser, als Winde,
Ihrer Bande befreit,
Eilen die Tage, die Stunden, es fliehen Minuten vorüber,
Reißen vom Leben sich los,
Reißen das Leben mit fort; die Kräfte zerrinnen; da steh' ich
Bald ein entblätterter Baum,
Ein verglimmendes Licht, das matte Schimmer noch sendet,
Dann sich im Dunkel verliert.
Schon ist die Dämmerung da, und mit ihr steigen der Vorzeit
Bilder wie Sterne empor.
Sterne der Jugend – ein himmlisches Heer, sie glänzen von ferne,
Kehren nimmer zurück!
Schätze der Jugend – es zählet das Alter an zitterndem Finger
Euch den verlornen nach!
Blüthen der Jugend – die schönen, die goldenen Früchte, wo sind sie
Alle, die ihr verspracht?
Und die Gefährten, die mit mir gingen, strebten und irrten,
Bald sind sie alle verstummt;

Fern verhallen die Töne des freudigen Lebens, geschieden
Bin ich der jüngeren Welt,
Näher der Stille des Grabes. Und dennoch scheuet der Klage
Sich mein einsamer Geist;
Dennoch spießen auch unter dem Tritte des Alters noch Blumen,
Wandelt Ergebung mit ihm.
Wallt auch in Wogen nicht mehr mein Leben, so rinnet das Bächlein
Desto ruhiger fort.
Mag nicht jugendlich mehr in Berg' und Thale verlieren
Sich der wankende Schritt,
Mein ist die ebene Bahn; und lieb' ich und liebt mich die Welt nicht.
Träum' ich die bess're mir.
Alles ist eitel; hinab in den Strom der Vergangenheit sinket
Was die Sonne bescheint,
Aber es führet der Strom in ein Land, wo zu geistigerm Leben
Alles sich wieder erhebt.
Wohl mir find' ich alsdann mich selbst und die bessern Tage
Neu in Gefilden des Lichts!
Wohl mir, decket alsdann die Gnade, was die Reue beweint hat,
Mit der Vergessenheit Nacht!

*

Trinklied für Flachmaler.

Auf ihr Herrn und Zunftgenossen,
Packt die Lade sorgsam ein;
Das Gebot ist nun geschlossen,
Bringt den Braten und den Wein!
Kommt herein und setzt Gesellen
Euch zu Tische! Dorthin stellen
Sich die Jungen, merken scharf
Wo ein Meister was bedarf.

Laut soll unser Lob erklingen,
Heut soll der Gesang nicht ruh'n!
Will kein Dichter uns besingen,
Wollen wir es selber thun.
Laßt mit Kunst die Pfuscher prahlen,
Nur wer zünftig ist, kann malen!
Her den Becher, schenkt ihn voll,
Hoch der Maler leben soll!

Weit ist das Gewerk verbreitet
Auf dem ganzen Erdenrund,
Und kein Schiff durch Meere gleitet,
Eh' wir's malen schön und bunt.
Ist ein Land wo, eine Insel,
Da nicht walte unser Pinsel?
Malt doch selbst der Wilde sich,
Und die Schöne, die verblich.

Wagt euch nicht mit uns zu gleichen,
Die ihr stolz euch Künstler nennt!
Aengstlich um die Großen schleichen
Ist nicht unser Element;
Nicht in engen Stuben sitzen,
Und bei kleinem Machwerk schwitzen,
Hocken nicht auf heißer Fluh
Stundenlang vor einer Kuh!

Nobler ist es, wenn wir munter
Vom Gerüst am Kirchenthurm
Bammeln unsre Bein' herunter,
Malen trotz des Windes Sturm.
Näher sind wir da dem Himmel,
Schauen in das Weltgetümmel;
Sieh' den Mann! daß Gott erbarm!
Spricht die Frau zum Kind im Arm.

Oft im feilen Lobgedichte
Heißt ein Werk der Künste Zier;
Kriegt man es dann zu Gesichte,
Ist es nur ein Wisch Papier;
Gleichwohl werfen voll Entzücken
Dilettanten sich wie Mücken
Auf den Quark, und schwatzen viel
Von Effekt und großem Styl.

Größer ist kein Styl, ihr Leute,
Kein Effekt zieht stärker an,
Als den man auf Meilenweite,
Wie den unsern sehen kann;
Alles ist in großen Massen
Vorgetragen, leicht zu fassen;
Nichts ist schwierig, nichts ist kraus,
Alles spricht sich selber aus.

Grenadiers auf Gartenthüren,
Schultert's G'wehr, und starr den Blick;
Schweizer, die Hellbarden führen,
Zeigen unser Kunstgeschick!
Wen hat nicht das Bauermädchen
In der Laube, rund im Jäckchen,
Wen das schöne Wirthshausschild
Nicht mit Sehnsucht oft erfüllt?

Auf ihr Herrn und Kunstgenossen,
Ihr Gesellen voll Verstand,
Leert den Becher unverdrossen,
Unser Ruhm steht nicht auf Sand!
Haben wir genug gesungen,
Lassen wir den Wein den Jungen.
Heut ist Feier! morgen dann
Zieh'n wir wieder Schürzen an!

*

Haller's religiöses Tagebuch.

Du armer großer Haller! Zwar edel ist dein Schmerz,
Allein wenig kanntest du Gottes Vaterherz!
Der uns mit diesem Leibe des Tods bekleidet hat,
Nimmt auch den guten Willen mit Freuden an für That.
Zerknirschung nicht und Jammer verlangt der Menschensohn,
Er giebt für Glaub' und Liebe gern Freiheit uns zum Lohn.

*

Kreuzerhöhung.

Eine Legende.

Noch nicht lange war die Morgensonne
An dem klaren Himmel aufgegangen,
Als schon Carl mit seinem Jugendführer
Aus der nahen Villa hin nach Mailand
Eilte. Nicht des Reichthums weiche Kissen,
Nicht die Noth des edlen Stammes, Spott nicht,
Hielten ab den frommen Knaben, Gott in
Demuth, hohen Eifers voll, zu dienen.
In die Kirche zieh'n sie früh zur Messe,
Um das Fest des Kreuzes zu begehen.

Und des Lehrers Hand mit Wärme fassend
Spricht der Knabe: »Wie aus blauen Lüften
Dort vom hohem Dom im Morgenglanze
Strahlend sich das Siegspanier der Christen
Hebet! Glocken hallen ein zur Feier,
Seine Herrschaft Allen zu verkünden;
Alle Zungen seine Macht bekennen!
Sprach's und neigte küssend sich zum Kreuze,
Das auf reiner Brust ihm golden glänzte,
Als Geschenk von frommer Einfalt, seiner
Gottesfurcht zum Lohne zwar gegeben,
Doch als Reiz auch größ'rer Ehrbegierde.«

Sanft erwiederte der weise Lehrer:
»Was verachtet vor der Welt ist, hat Gott
Auserwählet. Als der Sohn des Menschen
Aus dem kleinen Nazareth hervortrat,
Wo nicht Größe möglich schien dem Wahne,
Als er in Judäa noch umherzog
Bei dem Volke, das zum Spott der Völker
War geworden, Kranke heilend, Müden
Ruhe schaffend, von dem Himmelreiche
Gute Botschaft bringend, und er dennoch
Kaum, wo er sein Haupt hinlegte, Platz fand.
Sprach er damals öfter schon vom Kreuze,
Und befahl den Seinen es zu tragen.«

»Tragen soll es, wer sein Jünger sein will,
Jeder, und ihm folgen!« rief mit Feuer
Carl, empor das edle Kleinod haltend;
Lichter ward sein kindlich hohes Auge:
»Heil und Sieg und Ehre ist in dir nur,
Wer dich trägt, wird nimmermehr zu Schanden;
Ueber Tod und Welt erhaben wird er
Herrschen einst auf jenen goldnen Thronen!«

Da begann der treue Führer weiter:
»Nicht daß ihm gedienet würde, sondern
Selbst zu dienen stieg das Lamm hernieder.
Ihm, dem Legionen Engel horchten,
Ihm, dem Wunder zu Gebote standen,
Wär ein Leichtes wohl gewesen, über
Millionen herrschend sich zu schwingen,
Alle Reiche dieser Welt und ihre
Herrlichkeit sich unterthan zu machen,
Und auf den Gehorsam aller Völker

Einen Thron gewaltsam sich zu gründen,
Dessen Glanz, Gesetzen, Recht und Ordnung
Alles Irdische gehuldigt hätte;
Jeder würde dann des Herrschers Zeichen
Prangend auch in Gold und edlen Steinen
Auf der Brust getragen, knieebeugend
Angebetet haben auf sein Winken:
Und das wahre Kreuz, der Pfahl der Schmache,
Wären unbekannt uns dann geblieben.«

Still ließ Carl die goldne Zierde nieder,
Und sah forschend nach des Lehrers Miene.

»Aber unser Herr«, sprach dieser weiter,
»Schloß sein Ohr der Stimme der Versuchung,
Die ihn in der Wüste blendend lockte,
Widerstand dem hohen Kraftgefühle,
Das zu schneller Wirkung ihn nach außen
Drängte; dazu hatte ihn der Vater
Nicht gesandt, nicht unter Blitz und Donner
Ihn wie Moses angekündet, daß er
Uns durch Ketten heiliger Gebräuche
Sonderte zum auserwählten Volke;
Nicht zum wilden Kriege uns entflammen,
Islams Stifter gleich, ein Reich des Friedens
Sollt' er uns, ein geistig Reich der Liebe
Stiften, wo nicht Zwang, nur freier Wille,
Den nach Gottes Bildniß einst Geschaffnen,
Wieder zu der angestammten Höhe
Auf der Bahn der Demuth führen sollte.
Dieser Liebe weihte er sein Leben
Von der Hütte, wo die reinste Mutter
Ihn geboren, bis zum Tod am Kreuze. –
Kindlein, liebet euch einander! sprach er
Noch beim letzten Friedensmahl zu seinen
Freunden: das ist meine Lehre, ist mein
Neu Gebot, das ich der Welt verkündet;
Wer es hält, hat das Gesetz erfüllet!«

Also sprach der weise Alte, hob dann,
Gleich als wär' er einsam in der Zelle,
Froh den gottvertrauten Blick gen Himmel.
»Größ're Liebe hat sich nie erwiesen,«
Rief er, »als da einer starb für Alle!
Diese Liebe ist des neuen Bundes
Siegel, ist das allgemeine Band des
Brudersinnes, ohne den die Menschheit
Eine Rotte nur von Mördern wäre.
Diese Liebe ist der Weg des Lebens;
Wer ihn wandelt, wär' es auch auf Dornen,
Selig ist er; ist wohl dann auch würdig.
Als ein Mitgenoß der Trübsal Christi,
Und Miterbe seiner Herrlichkeit, das
Kreuz als Kleinod des Verdiensts zu tragen,
Wann er dann noch Ehre sucht vor Menschen.«

Schon verborgen unter Kleideshülle
Lag das fromme Spielwerk, dessen Anblick
Oefters schon die feuervolle Seele
Carls zu Träumen künft'ger Größe hinzog.
Die zu Gottes Ehre alles Gute,
Wär's auch mit Gewalt, befördern sollte.

Und der gute Lehrer, zu vollenden
Seiner Worte Eindruck, sprach nun weiter:
»Wer der Größte sein will diene Allen!
Nicht des heil'gen Vaters hohe Krone,
Nicht der Purpur großer Kardinäle,
Nicht des Bischofs Hirtenstab und Inful
Gelten in dem Reich des Menschensohnes
Was ein Herz voll Treue zu den Brüdern;
Und wo Furcht des Herrn und Weisheit walten,
Wenn auch in verlaßner Armuth Hütte,
Da entsteigen der geheimen Kräfte,
Die des Weltenschicksals Räder leiten,
Mehr oft als vom goldumstrahlten Throne.«

Als sie nahe jetzt dem Tempel waren,
Dessen feierliche Größe noch das
Goldne Licht der Sonne mehr erhob, als
Schon der Orgel Jubeltöne hallten
An ihr Ohr, und mit der Ehrfurcht Stille
Alles Volk zur hohen Feier strömte,
Floß dem Alten, kaum dem Jüngling hörbar.
Ein Gebet noch von dem reinen Munde:
»Ehre sei und Preis in Ewigkeiten
Dem Gekreuzigten! O daß vom Himmel
Bald sein Zeichen Allen sichtbar flammte,
Seiner Wiederkunft und seines Reiches
Frohes Zeichen! Komme bald Erlöser,
Amen, ja! es harren deiner Alle,
Denen du dein Wort ins Herz geschrieben!«

Heiter schritt und liebevoll der Alte
Nun hinan des Tempels Marmorstufen.
Aber voll Gedanken, wenig achtend
Auf des Volkes Grüße, das schon damals
Nach dem edlen Knaben staunend blickte,
Folgte Carl. – Da lag auf hartem Steine
Vor der reichgeschmückten Thür ein Armer,
Der die welke Hand zur Gabe hinbot.
Still stand der Knabe bei dem Menschen:
»Nicht besitz ich jener hohen Männer
Kräfte«, sprach er, »die zwar Gold und Silber
Keines hatten, aber zu dem Lahmen
Sprechen durften: stehe auf und wandle!
Was ich aber habe, geb' ich willig.«
Sprachs und trennte von der Brust das goldne
Kreuz, und warf es in den Schooß des Armen.

Dieser lobte Gott; die beiden Edlen
Aber traten in des Tempels Wölbung.

*

Ja und Nein.

Ein kräftig Ja, ein freundlich Nein,
Wird stets, o Mensch, dir heilsam sein:
Ein kräftig Ja, ein freundlich Nein,
Macht dich beliebt bei Groß und Klein,
Weil kräftig Ja und freundlich Nein
Nur der spricht, dessen Herz ist rein,
Und kräftig Ja, und freundlich Nein
Dem braven Mann stärkt Mark und Bein.
Ein kräftig Ja, ein freundlich Nein
So Mann als Weibe stehet fein.

Spricht kräftig Ja und freundlich Nein
Der Mann, so will ich prophezei'n:
Sein kräftig Ja, sein freundlich Nein
Muß Feinde noch wie Freund' erfreun;
Denn kräftig Ja und freundlich Nein
Den Mann zum Manne weihet ein,
Und kräftig Ja und freundlich Nein
Macht Treu und Glauben allgemein.
Geht kräftig Ja und freundlich Nein
Dem Weibe über Tändelei'n,
Ist kräftig Ja und freundlich Nein
Ihr Wort, und haßt sie was den Schein
Von kräftig Ja und freundlich Nein
Nicht hat, so schwindt des Mannes Pein
Vor kräftig Ja und freundlich Nein
Hinweg wie Nacht vor Sonnenschein.
Ein kräftig Ja, ein freundlich Nein
Vom alten Mann ist alter Wein;
Ein kräftig Ja, ein freundlich Nein
Die Jugend ziert wie Edelstein.
Ein kräftig Ja, ein freundlich Nein
Laß deinem Freund oft angedeihn;
Und kräftig Ja nur, freundlich Nein
Sprich du, wenn Böse nach dir spei'n.
Ein kräftig Ja und freundlich Nein
Empfahl auch Er, der uns allein
Durch kräftig Ja und freundlich Nein
Zu Wahrheitsfreunden wollte weih'n.
Kurz, kräftig Ja und freundlich Nein
Wird dir und mir stets heilsam sein!

*

Denkzettel.

Was recht ist, wagen,
Unrecht ertragen,
Dem Spott entsagen,
Nach Frieden jagen
Mein Leid nie klagen,
Mit Vorsicht fragen,
Nie zornig schlagen,
Nie ängstlich zagen,
Geplagt nicht plagen
Fremd Bein nicht nagen,
Bei Lärmgelagen
Hervor nicht ragen. –
Zu allen Tagen
Wird dieß behagen.

*

Ermunterung.

Wenn die Jugend von dir weichet,
Und das Alter dich beschleichet,
Ist's zu spät von frühen Tagen
Das Versäumte nachzutragen.

Doch ist Alles nie verloren;
Täglich wird man neugeboren,
Täglich steigt vom Himmel wieder
Hülf' und Licht zur Erde nieder.

Wird nun noch ein Sämlein sprossen,
Pfleg' des Sämleins unverdrossen,
Hast du nicht mehr Gold zu setzen,
Lerne dann den Pfennig schätzen.

Will dich das Vergangne grämen,
Müßt es nicht zu Herzen nehmen,
Frisch im Glauben, Lieben, Hoffen.
Steht dir noch ein Himmel offen.

Sei auch Glauben, Hoffen, Lieben
Leicht empfohlen, schwer zu üben,
Nimmer wird ein ander Mittel
Tilgen deine Schuldentitel.

*

Anwendung der Fürwörter im Umgange.

Vor dem Ich
Hüthe dich,
Laß kein Witzeln
Von dir spritzeln.

Mit dem Du
Leb in Ruh',
Will er nicht,
Laß den Wicht.

Kömmt ein Er
Forsche wer,
Sein Gehalt
Zeigt sich bald.

Wir, Ihr, Sie
Leute wie
Ich, Du, Er,
Ungefähr.

*

Der Sittenrichter.

Bitter fließt ihm vom Munde der armen Sünder Bescheltung,
Mit den reichen indeß lebt er auf traulichem Fuß.

*

Trost.

Suchst du Freiheit, suchst du Friede,
Werde nicht des Suchens müde;
Endlich hast du doch die Freude,
Kömmt der Tod, zu finden beide.

*

Sicheres Geleit.

Auf dem verschlungenen Pfade des Lebens die Richtung zu finden,
hat sich dem schwankenden Geist einzig die Lehre bewährt:
Denke mit Ehrfurcht stets an Gott, an die Menschen mit Liebe,
Und mit Ernst an die Pflicht! Laß es dann gehen wie's mag;
Sind auch die Menschen nicht treu, so bleibt es der innre Gott dir,
Und aus den Dornen der Pflicht sprossen die Rosen des Heils.

*

Spruch.

Gefällst du Vielen – mag's dir behagen;
Gefällst du Wenigen – mußt nicht verzagen;
Gefällst du Keinem – bist zu beklagen;
Gefällst du selber dir – will nicht viel sagen;
Gefällt dir Nichts als du – verdorbner Magen.

*


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